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Text des Beschlusses
BVerwG 2 WDB 6.06;
Verkündet am: 
 04.04.2007
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Verschwiegenheitspflicht; personenbezogene Daten; Disziplinarsache; mutmaßliche Einwilligung; Petitionsrecht; Pflichtenkollision; Kameradschaft; Vorermittlungen; Einstellung, einstweiliger Ruhestand; Vertrauensperson.
Leitsatz des Gerichts:
1. Informationen, die ein Soldat bei seiner dienstlichen Tätigkeit über den Stand der disziplinaren Vorermittlungen gegen einen anderen Soldaten erhält, unterliegen der Verschwiegenheitspflicht nach § 14 SG.

2. Bei der Weitergabe solcher Informationen kann sich der Soldat nicht auf den Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung des Verletzten berufen, da Disziplinarsachen nicht nur im Interesse des Betroffenen, sondern auch im dienstlichen Interesse einem besonderen Vertraulichkeitsschutz unterliegen.

3. Zu Art. 17 GG als Rechtfertigungsgrund

4. Zum Rechtfertigungsgrund einer Pflichtenkollision

5. Die Pflicht zur Kameradschaft nach § 12 SG begründet kein Recht darauf, unter Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht einem Kameraden Beistand zu leisten.

Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 4. April 2007 BVerwG 2 WDB 6.06

Der Soldat mit dem Dienstgrad eines Generalleutnants hatte einem Kameraden Informationen in mündlicher und schriftlicher Form weitergegeben, die er im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit über den Stand der disziplinaren Vorermittlungen gegen den Sohn dieses Kameraden erhalten hatte. Er wurde daraufhin vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesministers der Verteidigung gem. § 50 SG unter Anordnung der sofortigen Vollziehung in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die von Amts wegen gegen den Soldaten aufgenommenen disziplinaren Vorermittlungen stellte der Bundesminister der Verteidigung unter Ablehnung der vom Soldaten beantragten Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens ein. Gleichzeitig stellte er ein Dienstvergehen fest.

Das BVerwG hat den gegen die Feststellung eines Dienstvergehens gerichteten Antrag des Soldaten zurück gewiesen.
Aus den Gründen:

...

19Der Antrag ist nicht begründet ...

27Mit dem festgestellten Verhalten hat der frühere Soldat gemäß § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen begangen. Er hat schuldhaft jedenfalls seine Dienstpflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SG verletzt, über die ihm bei seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren, ... Sowohl bei den weitergegebenen Informationen (unter anderem) über den Stand der Vorermittlungen gegen Leutnant R. als auch bei dem Vermerk handelte es sich um Angelegenheiten, die ihm in seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden waren. Er hatte sie in seiner Funktion als höhere Einleitungsbehörde von dem ihm unterstellten Amtschef S... als zuständige Einleitungsbehörde erhalten.

28Der Umstand, dass Generalleutnant R. als Empfänger dieser Informationen und der Kopie des Vermerks zum Tatzeitpunkt ebenfalls Soldat war, ändert daran nichts. Denn die Verschwiegenheitspflicht des § 14 Abs. 1 Satz 1 SG besteht im militärischen Bereich auch gegenüber Kameraden (vgl. u.a. Urteil vom 11. Oktober 1984 BVerwG 2 WD 56.83 ).

29Einer der Ausschlusstatbestände des § 14 Abs. 1 Satz 2 SG liegt nicht vor.

30Es handelte sich bei den vom früheren Soldaten weitergegebenen mündlichen und schriftlichen Informationen nicht um „Mitteilungen im dienstlichen Verkehr“ (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 SG). Denn darunter fallen nur Auskünfte an Personen oder Dienststellen, die mit der Sache unmittelbar befasst sind (vgl. auch Nr. 2.1 ZDv 14/3 B 166). ...

31Nach der Wehrdisziplinarordnung haben in einem Vorermittlungsverfahren zunächst die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft und die zuständige Einleitungsbehörde (sowie deren vorgesetzte Dienststellen bzw. truppendienstliche Vorgesetzte) berechtigten Zugang zu den dabei vorliegenden und anfallenden personenbezogenen Daten (vgl. § 92 WDO). § 9 WDO bestimmt abschließend den Kreis der sonst Berechtigten. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WDO sind Dienststellen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (nur) auskunftsberechtigt, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Dienststellen in diesem Geschäftsbereich sind die militärischen und zivilen Einrichtungen, sofern sie eine zur Erfüllung bestimmter Aufgaben organisatorisch verselbständigte Verwaltungseinheit sind (vgl. dazu u.a. Urteil vom 11. September 1958 BVerwG 2 C 123.57 BVerwGE 7, 221 <222>; Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 9 Rn. 10). Es kann hier offenbleiben, ob das Bundesministerium der Verteidigung und seine Organisationseinheiten, insbesondere der (Stellvertreter des) Inspekteur(s) des Heeres zu den Dienststellen im Sinne der Vorschrift gehören (vgl. dazu Dau, a.a.O.; Böttcher/Dau, WBO, 4. Aufl. 1997, § 1 Rn. 53 m.w.N.). Denn jedenfalls war die Weitergabe der in Rede stehenden mündlichen und schriftlichen Informationen durch den früheren Soldaten an Generalleutnant R., den damaligen Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres, nicht im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 WDO „zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Empfängers liegenden Aufgaben erforderlich“.

32Generalleutnant R., der als Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres dem Führungsstab des Heeres im Bundesministerium der Verteidigung angehörte, war dienstlich keine Aufgabe zugewiesen, deren Erfüllung die Erteilung der in Rede stehenden Auskünfte über Vorermittlungen des Wehrdisziplinaranwalts im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 WDO bedingte oder sonst notwendig machte. Eine solche kann weder den „Grundsätzen für Aufgabenzuordnung, Organisation und Verfahren im Bereich der militärischen Spitzengliederung“ als Anlage zur „Weisung zur Inkraftsetzung der Grundsätze für Aufgabenzuordnung, Organisation und Verfahren im Bereich der militärischen Spitzengliederung“ des Bundesministers der Verteidigung vom 21. Januar 2005 dort Nr. 2.2 noch den vom Bevollmächtigten des früheren Soldaten angeführten „Bestimmungen über die Personal-Beraterausschüsse“ des Abteilungsleiters im Bundesministerium der Verteidigung PSZ vom 7. August 2003 dort insbesondere Nr. 1.2 und 1.3 entnommen werden. Insbesondere aus der Teilnahmeberechtigung des Inspekteurs des Heeres im Personal-Beraterausschuss beim Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis oder aus der Existenz eines Personal-Beraterausschuss beim Inspekteur des Heeres für die Offiziere auch des Uniformträgerbereichs Heer (Nr. 1.2 der o.g. Bestimmungen) in Verbindung mit den dort unter Nr. 1.1 aufgeführten Aufgaben kann ein berechtigter Zugang zu Daten eines laufenden Vorermittlungsverfahrens nicht hergeleitet werden. Denn dabei geht es lediglich um die Besetzung bestimmter Dienstposten A 16 oder B 3 (vgl. Nr. 1.1) und um sich allein dabei stellende Fragen.

33Auch aus § 29 Abs. 3 SG ergibt sich nicht, dass es sich bei den von dem früheren Soldaten an Generalleutnant R. übermittelten Daten um „Mitteilungen im dienstlichen Verkehr“ im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 SG handelte. Generalleutnant R. war als damaliger Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres für „Personalangelegenheiten“ (§ 29 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 und Satz 3 SG) seines Sohnes nicht zuständig. Es ging insoweit auch nicht um Zwecke der „Personalführung“ oder „Personalbearbeitung“ (§ 29 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 und Satz 3 SG).

34Es handelte sich bei den vom früheren Soldaten an Generalleutnant R. weitergegebenen Informationen und Daten aus dem Vermerk (mit den Zusätzen „NICHT ZU DEN AKTEN! Information für die Amtsführung“ sowie „Persönlich! Personalangelegenheit!“) auch nicht um offenkundige Tatsachen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 SG). Darunter fallen nur Angelegenheiten, die allgemein bekannt sind oder von denen jedermann auf allgemein zugänglichen Wegen (z.B. aus der Presse oder anderen Medien, aus der Fachliteratur, elektronischen Datenbanken etc.; vgl. dazu auch Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 14 Rn. 5) Kenntnis erlangen kann (vgl. Nr. 2.2 ZDv 14/3 B 166). Dies war weder hinsichtlich der vom früheren Soldaten an Generalleutnant R. übermittelten mündlichen Informationen über die disziplinaren Vorermittlungen noch hinsichtlich der am Nachmittag desselben Tages weitergegebenen Inhalte des Vermerks der Fall.

35Die weitergegebenen Informationen und Daten waren auch nicht als Tatsachen zu qualifizieren, die „ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen“. Dazu zählen nur solche Vorgänge, durch deren Bekanntwerden keine dienstlichen Interessen berührt (vgl. Nr. 2.3 ZDV 14/3 B 166; Scherer/Alff, a.a.O., § 14 Rn. 6 m.w.N.), d.h. beeinträchtigt werden. Disziplinarsachen genießen sowohl im persönlich-privaten Interesse des betroffenen Soldaten als auch im dienstlichen Interesse einen besonderen Vertraulichkeitsschutz (vgl. auch Erlass „Auskünfte über Disziplinarmaßnahmen“ in ZDv 14/3 B 114; Beschluss vom 19. August 1964 BVerwG 6 B 15.62 BVerwGE 19, 179 <185>; Dau, a.a.O., § 9 Rn. 2 m.w.N.). Sie gehören zu den Personalangelegenheiten eines Soldaten. Die dabei anfallenden personenbezogenen Daten sind durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) besonders geschützt. Sie dürfen nur auf gesetzlicher Grundlage unter strikter Beachtung der Schutzwirkungen des Grundrechts offenbart werden. Die Wahrung des grundrechtlich gewährleisteten Vertraulichkeitsschutzes in Disziplinarangelegenheiten liegt zugleich auch im dienstlichen Interesse (Art. 1 Abs. 3 GG). Dies kommt u.a. auch in den Schutzregelungen etwa des § 50 Abs. 2 Satz 2 und § 105 Abs. 1 Satz 1 WDO sowie in der Regelung des § 14 Abs. 1 SG klar zum Ausdruck.

36Ein (objektiver) Verstoß gegen § 14 Abs. 1 SG liegt daher vor.

37Der frühere Soldat kann sich auch nicht auf Umstände berufen, die sein Verhalten rechtfertigten.

38Der bei Straftaten gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung des Verletzten (dazu Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, vor § 32 Rn. 4 m.w.N.) greift vorliegend nicht ein. Denn dieser Rechtfertigungsgrund setzt jedenfalls voraus, dass der Betroffene über das Rechtsgut überhaupt verfügen darf (Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn. 3b zur Einwilligung). Das ist hier nicht der Fall. Disziplinarsachen genießen, wie bereits dargelegt, sowohl im persönlich-privaten Interesse des betroffenen Soldaten als auch im dienstlichen Interesse einen besonderen Vertraulichkeitsschutz (vgl. auch ZDv 14/3 B 114; Beschluss vom 19. August 1964; Dau, a.a.O., § 9 Rn. 2 m.w.N.). Selbst wenn also im vorliegenden Fall der von den disziplinaren Vorermittlungen betroffene Leutnant R. der Übermittlung seiner personenbezogenen Daten zugestimmt hätte oder damit mutmaßlich einverstanden gewesen wäre, reichte dies für die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes nicht aus. Weder Leutnant R. noch sein Vater, Generalleutnant R., konnten über die jedenfalls auch im dienstlichen und damit öffentlichen Interesse geschützten Rechtsgüter eigenständig verfügen und den früheren Soldaten nicht von seiner dienstlichen Verpflichtung nach § 14 Abs. 1 SG suspendieren.

39Auch eine Berufung auf das Grundrecht aus Art. 17 GG scheidet aus, wonach jedermann gemäß § 6 Satz 1 SG auch ein Soldat „das Recht (hat), sich mit Bitten … an die zuständigen Stellen … zu wenden“. Bloße Mitteilungen oder Datenübermittlungen unterfallen, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, nicht dem Schutzbereich des Art. 17 GG. Unabhängig davon handelte es sich bei Generalleutnant R. als Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres aus den oben in anderem Zusammenhang dargelegten Gründen nicht um eine für die Entgegennahme dieser Daten über den Stand der in Rede stehenden disziplinaren Vorermittlungen „zuständige Stelle“.

40Das festgestellte und gegen § 14 Abs. 1 SG verstoßende Verhalten des früheren Soldaten war auch nicht durch den Rechtfertigungsgrund einer Pflichtenkollision gerechtfertigt. Dieser Rechtfertigungsgrund wird im Bereich des Strafrechts angenommen, wenn den Handelnden mehrere sich ausschließende verschiedenwertige Handlungspflichten treffen und er die objektiv höherwertige zum Nachteil der geringerwertigen erfüllt (Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn. 11 m.w.N.).

41Insbesondere ergab sich eine solche Pflichtenkollision nicht aus der Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG). Nach § 12 Satz 2 Halbs. 2 SG ist ein Soldat zwar verpflichtet, seinem Kameraden „in Not und Gefahr“ beizustehen. Auf der Grundlage der Wehrdisziplinarordnung durchgeführte Vorermittlungen der zuständigen Stellen begründen jedoch eine solche „Not und Gefahr“ nicht. Dies ergibt sich bereits aus dem erkennbaren Gesetzeszweck, der insbesondere in § 12 Satz 1 SG zum Ausdruck kommt. Die Pflicht zur Kameradschaft ist zur Herbeiführung und Sicherung des Zusammenhalts der Soldaten untereinander normiert worden. Soldaten sollen insbesondere vor von Kameraden begangenen Rechtsverletzungen (vgl. § 12 Satz 2 Halbs. 1 SG) und davor geschützt werden, in für sie typischen Gefahrensituationen, vor allem im Einsatz, im Stich gelassen zu werden (vgl. § 12 Satz 2 Halbs. 2 SG). Eine solche Gefahrensituation liegt aber jedenfalls dann nicht vor, wenn gegen einen Kameraden auf der Grundlage der Wehrdisziplinarordnung disziplinare Vorermittlungen durchgeführt werden, gegen die sich der Betroffene nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften, gegebenenfalls mit Hilfe eines juristischen Beistands, selbst behaupten kann. Das Gesetz eröffnet dem Betroffenen keinen Anspruch darauf, dass ein Kamerad ihm während gegen ihn oder nahe Angehörige laufender Vorermittlungen unter Verstoß gegen Verschwiegenheitspflichten nach § 14 Abs. 1 SG Beistand leistet.

42Auch sonstige Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
...

Golze Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
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