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Text des Schlußantrags
C‑430/05;
Verkündet am:
08.03.2007
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Wertpapiere – Prospekt – Aufnahme unrichtiger Angaben – Befugnis eines Mitgliedstaats zur Verhängung von Sanktionen 1. Nach dem Gemeinschaftsrecht ist die Zulassung von Wertpapieren einer Gesellschaft zur Börsennotierung von der Veröffentlichung eines Prospekts abhängig, der bestimmte Informationen unter Einschluss von Angaben über die dafür verantwortlichen natürlichen und juristischen Personen enthält. Das vorlegende Vorabentscheidungsersuchen des Symvoulio tis Epikratias (griechischer Staatsrat) betrifft die Befugnis der Mitgliedstaaten, Sanktionen gegen eine Gesellschaft und ein Mitglied des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft zu verhängen, wenn in einem Prospekt unrichtige Angaben gemacht werden, aber weder die Gesellschaft noch dieses Verwaltungsratsmitglied als für den Prospekt verantwortlich bezeichnet wird. Einschlägige gemeinschaftsrechtliche Vorschriften 2. Durch die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen(2) werden u. a. die Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse(3) und die Richtlinie 80/390/EWG des Rates vom 17. März 1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist(4), kodifiziert. 3. Die Richtlinien 79/279 und 80/390 waren die ersten beiden von vier Richtlinien zur Harmonisierung der Voraussetzungen, die bei und nach der Notierung zu erfüllen sind(5). 4. Die Richtlinie 79/279 regelte die Bedingungen, die eine Gesellschaft, die die Notierung ihrer Wertpapiere an einer Börse in einem Mitgliedstaat anstrebt, zu erfüllen hat; z. B. muss die Gesellschaft ihre Jahresabschlüsse für die drei dem Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung vorausgegangenen Geschäftsjahre nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hinterlegt haben; der voraussichtliche Börsenwert der Aktien, deren Zulassung angestrebt wird, muss über einem Mindestbetrag liegen; die Aktien müssen unbeschränkt handelbar sein, und mindestens 25 % der betreffenden Aktiengattung müssen im Publikum vertreten sein. 5. Die Richtlinie 80/390 regelte die Anforderungen in Bezug auf Inhalt, Form, Genehmigung und Veröffentlichung des Dokuments, das bei der Zulassung von Wertpapieren zur Notierung zu veröffentlichen ist („listing particulars“ in Englisch, „prospectus“ in Französisch(6)). 6. Wie angegeben, werden durch die Richtlinie 2001/34 die Richtlinien 79/279 und 80/390 kodifiziert(7). 7. In der Präambel der Richtlinie 2001/34 heißt es: „(5) Die Koordinierung der Bedingungen der Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung muss anfangs hinreichend elastisch sein, um die derzeitigen strukturellen Unterschiede zwischen den Wertpapiermärkten der Mitgliedstaaten berücksichtigen zu können, und auch, um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, etwa auftretenden besonderen Situationen Rechnung zu tragen. (6) Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Koordinierung zunächst auf die Festsetzung von Mindestbedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an den in den Mitgliedstaaten ansässigen oder tätigen Wertpapierbörsen zu begrenzen, ohne hierbei den Emittenten einen Anspruch auf die Börsennotierung einzuräumen. (7) Diese teilweise Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung zur amtlichen Notierung stellt einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer späteren weiter gehenden Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet dar. … (9) Im Interesse der gegenwärtigen und potenziellen Anleger sind den öffentlich zur Zeichnung auffordernden Unternehmen in den meisten Mitgliedstaaten Schutzbestimmungen vorgeschrieben, mitunter schon bei der Ausgabe der Wertpapiere, zumindest jedoch bei ihrer Zulassung zur amtlichen Notierung an einer Börse. Diese Schutzbestimmungen setzen eine angemessene und möglichst objektive Information voraus, insbesondere über die Finanzlage des Emittenten und die Merkmale der Wertpapiere, deren Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird. Als Form der Information wird gewöhnlich die Veröffentlichung eines Prospekts gefordert. (10) Die vorgeschriebenen Schutzbestimmungen unterscheiden sich indessen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowohl nach Inhalt und Form des Prospekts als auch nach Wirksamkeit, Einzelheiten und Zeitpunkt der Kontrolle der gegebenen Information. Diese Unterschiede erschweren nicht nur die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an Börsen mehrerer Mitgliedstaaten für die Unternehmen, sondern behindern auch für die Anleger eines Mitgliedstaats den Erwerb von Wertpapieren, die an Börsen anderer Mitgliedstaaten notiert werden, und somit die Unternehmensfinanzierung und Kapitalanlage in der ganzen Gemeinschaft. (11) Diese Unterschiede sind durch Koordinierung, jedoch nicht unbedingt vollständige Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften zu beseitigen, um auf ausreichendem Niveau eine Gleichwertigkeit der vorgeschriebenen Schutzbestimmungen zu erreichen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten eine angemessene und möglichst objektive Information der gegenwärtigen und potenziellen Inhaber von Wertpapieren gewährleisten.“(8) 8. Nach Art. 20 der Richtlinie 2001/34 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Zulassung von Wertpapieren zur Notierung von der Veröffentlichung eines Prospekts abhängig ist. 9. Die Hauptanforderung in Bezug auf den Inhalt eines Prospekts ist jetzt in Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2001/34 geregelt; dieser sieht vor: „Der Prospekt muss die Angaben enthalten, die entsprechend den Merkmalen des Emittenten und der Wertpapiere, deren Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird, nötig sind, um den Anlegern und ihren Anlageberatern ein fundiertes Urteil über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und die Entwicklungsaussichten des Emittenten sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte zu gestatten.“ 10. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2001/34 sieht vor: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Erfüllung der Verpflichtung nach Absatz 1 den im Anhang I in den Schemata A und B unter Nummer 1.1 genannten Personen obliegt, die für den Prospekt die Verantwortung übernehmen.“ 11. Schema A des Anhangs I schreibt das „Schema für den Prospekt für die Zulassung von Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse“ vor, Schema B das entsprechende Schema für die Zulassung von Schuldverschreibungen. 12. In Nr. 1.1 des Schemas A werden unter den Angaben, die zu machen sind, „Name und Stellung der natürlichen Personen oder Bezeichnung und Sitz der juristischen Personen, die für den Prospekt die Verantwortung übernehmen“, genannt. 13. Art. 100 der Richtlinie 2001/34 bestimmt: „Jedes bedeutsame neue Ereignis, welches die Bewertung der Wertpapiere beeinflussen kann und zwischen der Fertigstellung des Prospekts und dem Beginn der amtlichen Notierung eintritt, muss in ein ergänzendes Dokument aufgenommen werden, das unter den gleichen Bedingungen wie der Prospekt kontrolliert und nach den von den zuständigen Stellen festzusetzenden Modalitäten veröffentlicht wird.“ 14. Nach Art. 105 Abs. 1 der Richtlinie 2001/34 haben die Mitgliedstaaten die zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen zu benennen. 15. Die Richtlinie 2001/34 ist seit der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit durch die Richtlinie 2003/71(9) geändert worden. Insbesondere ist Art. 21 der Verordnung 2001/34 aufgehoben und seinem Inhalt nach durch die Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/71 ersetzt worden. 16. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2003/71 sieht vor: „Der Prospekt enthält unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 8 Absatz 2 sämtliche Angaben, die entsprechend den Merkmalen des Emittenten und der öffentlich angebotenen bzw. zum Handel an dem geregelten Markt zugelassenen Wertpapiere erforderlich sind, damit die Anleger sich ein fundiertes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten und jedes Garantiegebers sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte bilden können. Diese Informationen sind in leicht zu analysierender und verständlicher Form darzulegen.“ 17. Art. 6 der Richtlinie 2003/71 bestimmt: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass je nach Fall zumindest der Emittent oder dessen Verwaltungs-, Management- bzw. Aufsichtsstellen, der Anbieter, die Person, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, oder der Garantiegeber für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben haftet. Die verantwortlichen Personen sind im Prospekt eindeutig unter Angabe ihres Namens und ihrer Stellung – bei juristischen Personen ihres Namens und ihres Sitzes – zu nennen; der Prospekt muss zudem eine Erklärung dieser Personen enthalten, dass ihres Wissens die Angaben in dem Prospekt richtig sind und darin keine Tatsachen verschwiegen werden, die die Aussage des Prospekts verändern können. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Bereich der Haftung für die Personen gelten, die für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben verantwortlich sind. Die Mitgliedstaaten stellen jedoch sicher, dass niemand lediglich aufgrund der Zusammenfassung einschließlich einer Übersetzung davon haftet, es sei denn, die Zusammenfassung ist irreführend, unrichtig oder widersprüchlich, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird.“ 18. Art. 25 der Richtlinie 2003/71 mit der Überschrift „Sanktionen“ bestimmt: „(1) Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, und unbeschadet ihrer zivilrechtlichen Haftungsvorschriften stellen die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht sicher, dass gegen Personen, die eine Missachtung der zur Durchführung dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen zu verantworten haben, angemessene Verwaltungsmaßnahmen getroffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden können. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständige Behörde alle Maßnahmen und Sanktionen, die wegen eines Verstoßes gegen die nach dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen verhängt wurden, öffentlich bekannt machen kann, sofern dies die Stabilität der Finanzmärkte nicht ernsthaft gefährdet oder den Beteiligten keinen unverhältnismäßigen Schaden zufügt.“ Einschlägige nationale Rechtsvorschriften 19. Die Richtlinie 80/390 wurde in Griechenland durch die Präsidialverordnung Nr. 348/1985(10) umgesetzt. In Art. 24 dieser Verordnung wird Art. 23 der Richtlinie 80/390 (jetzt Art. 100 der Richtlinie 2001/34) Wort für Wort übernommen. 20. Art. 72 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 1969/1991 in der geänderten Fassung sah zu der hier maßgeblichen Zeit vor(11): „Eine Geldbuße in Höhe von bis zu 500 Millionen (500 000 000) GRD wird vom Kapitalmarktausschuss gegen natürliche oder juristische Personen verhängt, die in Bezug auf Wertpapiere, die zur amtlichen Notierung in einem organisierten Börsenhandel zugelassen werden oder zugelassen sind, auf irgendeine Weise unrichtige oder irreführende Informationen veröffentlichen oder verbreiten, die ihrer Natur nach den Preis dieser Wertpapiere oder den Handel mit ihnen beeinflussen können. … Diese Vorschrift gilt auch gegenüber den Mitgliedern des Verwaltungsrats von Gesellschaften, die die Zulassung ihrer Aktien zur amtlichen Notierung an einer anerkannten Börse beantragen, wenn die unrichtigen oder irreführenden Informationen in dem Prospekt enthalten sind, der für die oben genannte Zulassung zur amtlichen Notierung vorgeschrieben ist, oder in irgendeiner Weise veröffentlicht oder verbreitet werden.“ Ausgangsverfahren und Vorlagefrage 21. Der Sachverhalt wird in allen Einzelheiten im Vorlagebeschluss wiedergegeben und in einigen der schriftlichen Erklärungen wiederholt. Für die Beantwortung der Vorlagefrage kann die Sachverhaltsdarstellung meines Erachtens jedoch auf folgende Angaben beschränkt werden. 22. Bei den Klägern handelt es sich um Ntionik Anonymi Etaireia Emporias I/Y, Logismikou kai Parochis Ypiresion Michanografisis, eine Aktiengesellschaft (im Folgenden: Ntionik AE), deren Aktien auf dem Parallelmarkt der Athener Börse notiert sind, und um Ioannis Michail Pikoulas, eines der Mitglieder des Verwaltungsrats der Ntionik AE. Sie fechten zwei Entscheidungen der Epitropi Kefalaiagoras (des Kapitalmarktausschusses, der in Griechenland „zuständigen Behörde“ im Sinne der Richtlinie 2001/34) an, durch die i) (in beiden Fällen) gemäß Art. 72 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 1969/1991 und ii) (zusätzlich gegen die Ntionik AE) wegen Verstoßes gegen Art. 24 der Präsidialverordnung Nr. 348/1985 Geldbußen verhängt werden. 23. Der Kapitalmarktausschuss verhängte die Geldbußen, weil er der Auffassung war, dass ein von der Ntionik AE im Zusammenhang mit einer Erhöhung des Aktienkapitals im Jahr 2001 herausgegebener Prospekt unrichtige und irreführende Informationen in Bezug auf deren Gewinne und Verluste im Wirtschaftsjahr 2000 enthalte, die ihrer Natur nach geeignet seien, den Preis von oder den Handel mit Wertpapieren der Ntionik AE zu beeinflussen. 24. Weder die Ntionik AE noch Herr Pikoulas gehörten zu denjenigen, die in dem Prospekt als „Personen, welche die Verantwortung für den Prospekt übernehmen“, gemäß Nr. 1.1 des Schemas A in Anhang I der Richtlinie 2001/34 genannt waren. 25. Die Sache ist jetzt beim Staatsrat anhängig. Dieses Gericht ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 21 der Richtlinie 2001/34, wenn die Informationen im Prospekt sich als unrichtig oder irreführend erwiesen, Verwaltungssanktionen nur gegen den Emittenten und die in dem Prospekt ausdrücklich als verantwortlich bezeichneten Personen verhängen könnten. Demzufolge sei Art. 72 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 1969/1991 mit Art. 21 der Richtlinie vereinbar, soweit es die Verhängung einer Geldbuße gegen den Emittenten zulasse. Soweit Art. 72 Abs. 2 jedoch vorsehe, dass eine Geldbuße gegen Mitglieder des Verwaltungsrats des Emittenten unabhängig davon verhängt werden könnten, ob sie in dem einschlägigen Prospekt als verantwortlich für die Richtigkeit der darin enthaltenen Informationen bezeichnet würden, verstoße diese Vorschrift wohl gegen Art. 21 der Richtlinie. Der Staatsrat ist jedoch der Ansicht, dass die Auslegung des Art. 21 der Richtlinie 2001/34 nicht ganz klar sei, und hat folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Kann ein nationaler Gesetzgeber in Anbetracht der Bestimmungen in Art. 21 der Richtlinie 2001/34/EG für den Fall, dass sich die Angaben in einem Prospekt als unrichtig oder irreführend erweisen, Verwaltungssanktionen nicht nur gegen die Personen, die in diesem Prospekt ausdrücklich als verantwortlich bezeichnet werden, sondern auch gegen den Emittenten der Wertpapiere, die zur amtlichen Notierung an der Börse zugelassen werden sollen, sowie ohne Unterschied gegen die Mitglieder von dessen Verwaltungsrat unabhängig davon vorsehen, ob diese im oben genannten Sinne als verantwortlich bezeichnet worden sind? 26. Schriftliche Erklärungen sind von der Ntionik AE, der griechischen, der italienischen und der portugiesischen Regierung sowie von der Kommission eingereicht worden. Die Ntionik AE, die griechische Regierung und die Kommission sind in der mündlichen Verhandlung vertreten gewesen. Zulässigkeit 27. Die italienische Regierung trägt vor, die Frage sei unzulässig, da aus dem Vorlagebeschluss nicht klar hervorgehe, dass Art. 21 der Richtlinie 2001/34 Anwendung finde. Anscheinend sei die Ntionik AE bereits an der Börse notiert gewesen und habe lediglich mehr Aktien begeben, um ihr Kapital zu erhöhen. Art. 64 der Richtlinie sehe vor, dass in einem solchen Fall ein Prospekt nicht vorgeschrieben sei (auch wenn die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie ein solches Erfordernis aufstellen könnten). 28. Dieses Argument überzeugt mich nicht. Anscheinend nimmt Italien an, dass deshalb, weil die Ntionik AE bereits an der Börse notiert war, ihre Kapitalerhöhung keinen Antrag auf Zulassung zur Notierung erforderte. Notiert werden jedoch Wertpapiere und nicht Gesellschaften (auch wenn es ein praktisches Kürzel ist, von „notierten Gesellschaften“ zu sprechen). Zugegebenermaßen sieht die Richtlinie 2001/34 eine teilweise oder gänzliche Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Prospekts in einer Reihe von Fällen vor (Art. 23) und lässt in anderen Fällen zu, dass bestimmte Angaben im Prospekt weggelassen werden (Art. 24 bis 34). Nichts deutet jedoch darauf hin, dass im vorliegenden Fall eine dieser Vorschriften sich dahin auswirkt, dass die Ntionik AE entweder zur Herausgabe eines Prospekts überhaupt nicht verpflichtet gewesen wäre oder die nach Nr. 1.1 des Schemas A vorgeschriebenen Informationen hätte weglassen dürfen. Darüber hinaus hat die Ntionik AE in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die in Frage stehenden Aktien nicht „automatisch zugelassen“ im Sinne von Art. 64 gewesen seien, dass die Kapitalerhöhung ein Angebot an das Publikum vorbehaltlich der Vorkaufsrechte vorhandener Aktionäre gewesen sei und dass Nr. 1.1 des Schemas A daher anwendbar gewesen sei. Rechtliche Würdigung 29. Die Ntionik AE ist der Auffassung, dass die Vorlagefrage zu verneinen sei. Die drei Regierungen und die Kommission sind der entgegengesetzten Auffassung. 30. Die Ntionik AE trägt vor, die Richtlinie 2001/34 setze dem Ermessensspielraum, der den nationalen Behörden bei ihrer Umsetzung eingeräumt werde, klare und genaue Grenzen. Art. 21 Abs. 2 zeige deutlich, dass dieser Ermessensspielraum auf die Auswahl des Mechanismus für die Verhängung von Sanktionen beschränkt ist. Bei einer Wortauslegung von Art. 21 Abs. 2 zeige sich klar, dass Sanktionen für beim Abfassen des Prospekts begangene Verstöße ausschließlich gegen die dafür Verantwortlichen und nicht gegen Mitglieder des Verwaltungsrats der die Aktien emittierenden Gesellschaft verhängt werden können. Hätte durch die Richtlinie die Verantwortlichkeit für den Inhalt des Prospekts wirklich auf alle Verwaltungsratsmitglieder und die Gesellschaft selbst ausgedehnt werden sollen, so hätte die Richtlinie in Anhang I nicht vorgeschrieben, dass Angaben über die Personen zu machen sind, die die Verantwortung für den Prospekt übernehmen. 31. Damit bin ich nicht einverstanden. 32. Erstens macht die Präambel der Richtlinie 2001/34 – wie die griechische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission vortragen – im Übermaß deutlich, dass das Ziel des Erlasses dieser Rechtsvorschriften darin besteht, Mindestanforderungen festzulegen. Im Erwägungsgrund 11 insbesondere wird ausgeführt, dass die Unterschiede zwischen Schutzbestimmungen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten vorgeschrieben sind, um eine angemessene und möglichst objektive Information der gegenwärtigen und potenziellen Inhaber von Wertpapieren zu gewährleisten, „durch Koordinierung, jedoch nicht unbedingt vollständige Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften zu beseitigen [sind], um auf ausreichendem Niveau eine Gleichwertigkeit … zu erreichen“(12). 33. Diese Betrachtungsweise ist meines Erachtens nicht überraschend. Wie ich angegeben habe, wird durch die Richtlinie 2001/34 die Richtlinie 80/390 kodifiziert. Der Vorschlag für die Richtlinie 80/390 geht bis auf das Jahr 1972 zurück(13). Erwägungsgrund 11 in der Präambel der Richtlinie 2001/34 führt unmittelbar auf diesen Vorschlag zurück(14). 1972 war der Grad der bei einer Zulassung zur Börsennotierung vorgeschriebenen Publizität sehr unterschiedlich(15). Vor diesem Hintergrund wäre es äußerst ehrgeizig gewesen, wenn die Kommission mit ihrem ersten gesetzgeberischen Schritt einen fortgeschrittenen Harmonisierungsgrad angestrebt hätte. 34. Dies wurde im Ersten Bericht des Ausschusses der Weisen über die Reglementierung der europäischen Wertpapiermärkte (dem Lamfalussy‑Bericht)(16) anerkannt, in dem es im ersten Absatz des Kapitels III mit der Überschrift „Die Hauptmängel der derzeitigen europäischen Regulierung“ heißt: „[D]er derzeitige … Rechtsrahmen der EU für Wertpapiere … basiert auf der Mindestharmonisierung“(17). 35. Meines Erachtens spricht auch die Auslegung des Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2001/34 nach dem Wortlaut dafür, dass die rechtliche Regelung Mindestanforderungen, nicht aber eine vollständige Harmonisierung vorschreiben soll. Nach Art. 21 Abs. 2 haben die Mitgliedstaaten nämlich sicherzustellen, dass die Verantwortung für die Richtigkeit der Informationen in einem Prospekt die „im Anhang I in den Schemata A und B unter Nummer 1.1 genannten Personen [trifft], die für den Prospekt die Verantwortung übernehmen“. Nr. 1.1 dieser Schemata schreibt lediglich vor, dass Informationen über diejenigen, die für den Prospekt die Verantwortung übernehmen, in diesen aufgenommen werden. Mir ist nicht ersichtlich, dass diese Vorschriften in Verbindung miteinander es Mitgliedstaaten verwehren, die Personengruppen zu bestimmen, die für diese Informationen die Verantwortung tragen. Das Erfordernis in Nr. 1.1, dass diese Verantwortlichen im Prospekt zu nennen sind, soll offensichtlich Anleger schützen, die sich auf die Informationen verlassen(18), nicht aber vor einer Haftung nach nationalem Recht eindeutig als verantwortlich definierte Personen schützen, die, aus welchem Grund auch immer, im Prospekt nicht genannt sind. 36. Darüber hinaus deutet nichts in der Richtlinie 2001/34 darauf hin, dass ein Mitgliedstaat, der bestimmte Personengruppen als verantwortlich für unrichtige oder irreführende Informationen in Prospekten bezeichnet hat, keine strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen wie die hier streitigen gegen derartige Personen verhängen dürfte, wenn unrichtige oder unvollständige Informationen veröffentlicht werden. 37. Schließlich sollte ich darauf hinweisen, dass Art. 21 der Richtlinie 2001/34 seit der für das Ausgangsverfahren in der vorliegenden Rechtssache maßgeblichen Zeit durch Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/71 ersetzt worden ist(19). Sowohl die griechische als auch die italienische Regierung messen der Richtlinie 2003/71 eine gewisse Bedeutung bei. Die griechische Regierung trägt vor, dass diese Richtlinie, mit der offenkundig der höchstmögliche Harmonisierungsgrad angestrebt werde, die Frage der Haftung für in einem Prospekt enthaltene Angaben dennoch nicht einheitlich regele, sondern sie den Mitgliedstaaten überlasse. Darüber hinaus zähle die Richtlinie 2003/71 die verantwortlichen Personen nicht abschließend auf, sondern verlange lediglich, dass die Haftung „zumindest“(20) die aufgeführten Personen treffe. Die italienische Regierung trägt vor, dass ein System verwaltungsrechtlicher Sanktionen nur durch Art. 25 der Richtlinie 2003/71 geschaffen worden sei, und zwar in einer Formulierung, die die Anwendung derartiger Sanktionen eindeutig nicht auf diejenigen beschränke, die für den Prospekt formal „verantwortlich“ seien. 38. In der Tat trifft es zu, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/71 ausdrücklich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten für die Angaben in einem Prospekt eine größere Gruppe von Personen als die dort aufgeführten verantwortlich machen können und dass auch Art. 25 Abs. 1 weit gefasst ist. Da keine dieser Vorschriften in der vorliegenden Rechtssache unmittelbar im Streit ist, beabsichtige ich jedoch nicht, auf ihre mögliche Auslegung näher einzugehen. Ergebnis 39. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die vom Symvoulio tis Epikratias vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten ist: Art. 21 der Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen verwehrt es einem nationalen Gesetzgeber nicht, für den Fall, dass sich die Angaben in einem Prospekt als unrichtig oder irreführend erweisen, Verwaltungssanktionen nicht nur gegen die Personen, die in diesem Prospekt ausdrücklich als verantwortlich genannt werden, sondern auch gegen die Emittenten der Wertpapiere, die zur amtlichen Notierung an der Börse zugelassen werden sollen, sowie ohne Unterschied gegen die Mitglieder von dessen Verwaltungsrat unabhängig davon vorzusehen, ob diese im oben genannten Sinne als verantwortlich bezeichnet worden sind. 1 – Originalsprache: Englisch. 2 – ABl. L 184, S. 1. 3 – ABl. L 66, S. 21. 4 – ABl. L 100, S. 1. 5 – Bei den beiden anderen handelt es sich um die Richtlinie 82/121/EWG des Rates vom 15. Februar 1982 über regelmäßige Informationen, die von Gesellschaften zu veröffentlichen sind, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind (ABl. L 48, S. 26), und um die Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12. Dezember 1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen (ABl. L 348, S. 62). 6 – Irreführend ist dabei, dass „prospectus“ sich im Englischen traditionell auf das (bis vor Kurzem getrennt geregelte) Dokument bezog, das herausgegeben wurde, wenn zuvor nicht notierte Wertpapiere, unabhängig davon, ob sie anschließend notiert werden sollten, dem Publikum erstmals angeboten wurden. Dieses Dokument ist im Französischen ebenfalls „prospectus“, auch wenn zwischen einem „prospectus d’émission“ und einem „prospectus d’admission“ unterschieden wird. Die Anforderungen an Inhalt, Form, Genehmigung und Veröffentlichung beider Dokumente sind nun durch die Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 345, S. 64) harmonisiert worden (und beide Dokumente werden nun in Englisch, zumindest in den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, als „prospectus“ bezeichnet). Der Sachverhalt, der zum Ausgangsverfahren in der vorliegenden Rechtssache geführt hat, spielte sich vor dem Inkrafttreten (und sogar vor dem Erlass) der Richtlinie 2003/71 ab. 7 – Vgl. den ersten Erwägungsgrund in der Präambel. Die materiellen Vorschriften wurden daher nicht geändert. Anhang III der Richtlinie 2001/34 enthält eine Übereinstimmungstabelle, die für jede Vorschrift dieser Richtlinie die Ausgangsvorschrift in den vier kodifizierten Richtlinien zeigt. 8 – Die Erwägungsgründe 5 bis 7 sind gleichlautend mit den Erwägungsgründen 4 bis 6 in der Präambel der Richtlinie 79/279; die Erwägungsgründe 9 bis 11 sind gleichlautend mit den Erwägungsgründen 2 bis 4 in der Präambel der Richtlinie 80/390. 9 – Zitiert in Fußn. 6. 10 – Regierungsamtsblatt A’ 125. 11 – Art. 72 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 1969/1991 ist in der Zwischenzeit durch das Gesetz Nr. 3340/2005 aufgehoben worden. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die vorliegende Rechtssache. 12 – Hervorhebung nur hier. 13 – Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend Inhalt, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der bei der Zulassung von Wertpapieren, begeben von Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages, zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist (ABl. 1972, C 131, S. 61). 14 – Vgl. den vierten Erwägungsgrund in der Präambel des Vorschlags, der praktisch wortgleich mit dem Erwägungsgrund 11 in der Präambel der Richtlinie 2001/34 ist. 15 – Vgl. Samuel Suckow, „The European Prospectus“, American Journal of Comparative Law 1975, S. 50, auf S. 52, Richard M. Buxbaum und Klaus Hopt, Legal Harmonization and the Business Enterprise (1988), S. 189-192, Vanessa Edwards, EC Company Law (1999), S. 233, und Niamh Moloney, EC Securities Regulation (2002), S. 64. 16 – Vom 9. November 2000, zugänglich auf der Internetseite der Kommission über http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/lamfalussy/wisemen/initial-report-wise-men_de.pdf. 17 – Auf S. 15. 18 – Vgl. Erwägungsgründe 9 bis 11 in der Präambel der Richtlinie 2001/34. 19 – Vgl. Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2003/71. 20 – Hervorhebung nur hier. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |