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Text des Beschlusses
BVerwG 1 WB 46.06;
Verkündet am: 
 18.10.2007
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten; Entzug der Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr; erhebliche charakterliche oder geistige Mängel; Bindung an eine disziplinargerichtliche Entscheidung; endgültiger Entzug der Erlaubnis.
Leitsatz des Gerichts:
1. Für Streitigkeiten über die Erteilung oder die Versagung bzw. den Entzug militärischer Erlaubnisse, deren Vorliegen Voraussetzung für eine bestimmte Verwendung des Soldaten ist, ist der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten eröffnet.

2. Die Beurteilung des zuständigen Vorgesetzten, ob bei dem Inhaber einer Erlaubnis oder Berechtigung zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr „erhebliche charakterliche oder geistige Mängel“ vorliegen, wegen derer die Erlaubnis oder Berechtigung zu entziehen ist (Nr. 124 Satz 1 1. Spiegelstrich ZDv 19/11), unterliegt uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle (Aufgabe der in dem Beschluss des Senats vom 21. Juni 1988 BVerwG 1 WB 40.87 BVerwGE 86, 33 <41> - und seitdem vertretenen Auffassung).

3. Der „endgültige“ Entzug der Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr (Nr. 124 Satz 2 ZDv 19/11) ist als Entscheidung auf unbestimmte Dauer, nicht aber im Sinne eines Verbots der erneuten Erteilung der Erlaubnis zu verstehen. Der zuständige Vorgesetzte kann die Erlaubnis „endgültig“ entziehen, wenn er einen grundsätzlich dauerhaften Eignungsmangel, dessen Wegfall nicht absehbar ist, feststellt; er ist auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht verpflichtet, eine Befristung zu treffen, für die ihm gesicherte tatsächliche Anhaltspunkte fehlen.
Der Antragsteller wendet sich gegen den endgültigen Entzug seiner Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr.

Der Antragsteller war als Luftfahrzeugeinsatzstabsoffizier/Stellvertretender Kommodore eines Jagdbombergeschwaders eingesetzt. Wegen Dienstpflichtverletzungen im Zusammenhang mit einer Flugvorführung, die er auf einem Familientag anlässlich eines Jubiläums seines Geschwaders durchgeführt hatte, sowie wegen weiterer Dienstpflichtverletzungen im Nachgang zu dieser Veranstaltung verhängte das Truppendienstgericht gegen ihn ein Beförderungsverbot für die Dauer von 30 Monaten verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von 12 Monaten.

Aufgrund derselben Vorkommnisse stellte der Befehlshaber des Luftwaffenführungskommandos bei dem Antragsteller erhebliche charakterliche Mängel fest und entzog ihm deshalb die Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr. Der Entzug der Erlaubnis erfolgte „endgültig“.

Die vom Antragsteller hiergegen eingelegte Beschwerde und seine weitere Beschwerde blieben ohne Erfolg.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem der Antragsteller die Aufhebung der Entzugsverfügung und der Beschwerdebescheide begehrte, zurückgewiesen.


Aus den Gründen:
...

20Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

21Für die Überprüfung des Entzugs einer Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr ist der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten hier zum Bundesverwaltungsgericht als sachlich zuständigem Gericht (§ 21 Abs. 1 WBO) eröffnet (vgl. zuletzt Beschluss vom 8. Mai 2001 BVerwG 1 WB 15.01 Buchholz 442.40 § 30 LuftVG Nr. 6 = NZWehrr 2001, 165). Militärische Erlaubnisse, deren Vorliegen Voraussetzung für eine bestimmte Verwendung ist, stehen in einem untrennbaren sachlichen Zusammenhang mit dieser Verwendung. Streitigkeiten über die Erteilung oder die Versagung bzw. den Entzug solcher Erlaubnisse betreffen deshalb - ebenso wie Streitigkeiten über die entsprechende Verwendungsentscheidung - truppendienstliche Maßnahmen und sind nicht vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, sondern vor den Wehrdienstgerichten zu führen (vgl. ebenso für die Entziehung der Kraftfahrzeugfahrerlaubnis der Bundeswehr Beschlüsse vom 15. Februar 1968 BVerwG 1 WB 37.67 BVerwGE 33, 62 <64>, vom 20. Dezember 1978 BVerwG 1 WB 61.78 ZBR 1981, 134 und vom 16. Januar 1980 BVerwG 1 WB 93.79 ; für die Erteilung bzw. den Widerruf der Anerkennung als amtlich anerkannter Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr Beschlüsse vom 22. November 1983 BVerwG 1 WB 20.82 NZWehrr 1986, 257 und vom 30. Januar 1996 BVerwG 1 WB 87.95 Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 9).

22Der endgültige Entzug der Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr (nebst Beiblatt „F“ zum Militärluftfahrzeugführerschein) ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

231. Die Bundeswehr kann gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) von den Vorschriften des Ersten Abschnitts dieses Gesetzes ausgenommen die §§ 12, 13 und 15 bis 19 sowie von den zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften insbesondere der Luftverkehrszulassungsordnung (LuftVZO) abweichen, soweit dies zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist. Aufgrund dieser Ermächtigung hat der Bundesminister der Verteidigung die „Zulassungsordnung für Führer von Luftfahrzeugen der Bundeswehr“ (ZDv 19/11) erlassen. Sie sieht unter anderem spezielle Regelungen für den Entzug von Erlaubnissen und Berechtigungen vor, die im militärischen Bereich an die Stelle der für den zivilen Luftverkehr geltenden Vorschriften über den Widerruf und das Ruhen der Erlaubnis (§ 4 Abs. 1 und 3 LuftVG, § 29 LuftVZO) treten.

24Danach sind Erlaubnisse und Berechtigungen zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr unter anderem dann zu entziehen, wenn bei ihrem Inhaber erhebliche charakterliche oder geistige Mängel, besonders Mangel an Verantwortungsbewusstsein oder Willenskraft, festgestellt worden sind (Nr. 124 Satz 1 1. Spiegelstrich ZDv 19/11). Der Entzug kann befristet oder endgültig erfolgen (Nr. 124 Satz 2 ZDv 19/11). Diese Regelungen sind, wie der Senat mehrfach entschieden hat, rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschlüsse vom 16. Januar 1985 BVerwG 1 WB 27.84 , vom 28. November 1991 BVerwG 1 WB 74.91 und vom 8. Mai 2001 a.a.O.).

25Allerdings ist der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 21. Juni 1988 BVerwG 1 WB 40.87 BVerwGE 86, 33 <41> = NZWehrr 1989, 72 und vom 8. Mai 2001 a.a.O. mit zahlreichen Nachweisen) davon ausgegangen, dass der Begriff der „charakterlichen oder geistigen Mängel“ (bzw. als dessen Gegenstück der „charakterlichen oder geistigen Eignung“ im Sinne von Nr. 113 1. Spiegelstrich ZDv 19/11) einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, bei dessen Ausfüllung dem zuständigen Vorgesetzten ein Beurteilungsspielraum zusteht. Demzufolge beschränkte sich die gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle darauf, zu prüfen, ob der Vorgesetzte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat.

26An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht fest. Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „charakterlichen oder geistigen Mängel“ ebenso wie der übrigen Entzugstatbestände der Nr. 124 Satz 1 2. bis 4. Spiegelstrich ZDv 19/11 („unzureichende fachliche Kenntnisse oder Leistungen“, „schwere schuldhafte Verstöße gegen die für Sicherheit und Ordnung in der Luftfahrt erlassenen Bestimmungen“, „andere die Flugsicherheit gefährdende Tatsachen“) unterliegen in vollem Umfang der Nachprüfung durch die Wehrdienstgerichte. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet dem Einzelnen, der sich durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt glaubt, nicht nur den Zugang zu den Gerichten, sondern auch einen wirksamen Rechtsschutz; daraus ergibt sich grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtene Entscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Nur ausnahmsweise und bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen ist es gerechtfertigt, der Verwaltungsbehörde oder sonstigen Stelle einen eigenen, gerichtlicher Kontrolle nicht oder nur beschränkt zugänglichen Beurteilungsspielraum einzuräumen (Urteil vom 21. Dezember 1995 BVerwG 3 C 24.94 BVerwGE 100, 221 <225> = Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 20 sowie Beschluss vom 22. September 2005 BVerwG 1 WB 4.05 Buchholz 236.110 § 2 SLV 2002 Nr.6, jeweils m.w.N.; vgl. ferner Urteil vom 6. Oktober 1998 BVerwG 6 C 11.98 BVerwGE 107, 245 <253> = Buchholz 448.0 § 13a WPflG Nr. 25).

27Ein solcher Ausnahmefall ist bei dem Begriff der „charakterlichen oder geistigen Mängel“ im Sinne von Nr. 124 Satz 1 1. Spiegelstrich ZDv 19/11 nicht gegeben. Zweck der Vorschriften über den Luftverkehr und dabei insbesondere der Vorschriften über die Erteilung und den Widerruf bzw. Entzug von Luftfahrerlaubnissen ist die Gewährleistung der Flugsicherheit. Für den zivilen Bereich ist anerkannt, dass sich deshalb die Beurteilung der „Zuverlässigkeit“ eines Bewerbers im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG allein an dem Zweck, Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Luftverkehrs zu vermeiden, zu orientieren hat (vgl. Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 3. Aufl. 2005, S. 443). Nichts anderes gilt im militärischen Bereich, wie sich aus den Entzugstatbeständen der Nr. 124 Satz 1 ZDv 19/11, insbesondere dem Auffangtatbestand der Nr. 124 Satz 1 4. Spiegelstrich ZDv 19/11 („andere die Flugsicherheit gefährdende Tatsachen“) ergibt. Für die Beurteilung bestimmter Umstände oder Vorkommnisse und für die Frage, ob aufgrund dessen das Vorliegen „charakterlicher oder geistiger Mängel“ anzunehmen ist, kann im Einzelfall die Heranziehung eines Sachverständigen erforderlich sein. Es ist jedoch ausgehend von dem Gesetzeszweck der Gewährleistung der Flugsicherheit nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um eine allein dem Dienstherrn bzw. dem Vorgesetzten vorbehaltene und deshalb einen Beurteilungsspielraum rechtfertigende fachliche Bewertung handelt. Deshalb unterliegt die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „charakterlichen oder geistigen Mängel“ im Sinne von Nr. 124 Satz 1 1. Spiegelstrich ZDv 19/11 ebenso wie die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Zuverlässigkeit“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG (vgl. Hofmann/Grabherr, Luftverkehrsgesetz, Stand Mai 2006, § 4 Rn. 28 und 60; Schmid, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, Stand Oktober 2007, § 4 Rn. 61 m.w.N.) und ähnlicher, im Gefahrenabwehrrecht häufig verwendeter Eignungsmerkmale in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Dies entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Senats zu anderen militärischen Erlaubnissen, bei denen die Anwendung vergleichbarer, auf die Eignung bezogener unbestimmter Rechtsbegriffe ebenfalls einer vollen gerichtlichen Kontrolle unterstellt ist (vgl. zur Eignung zum Führen von Bundeswehrkraftfahrzeugen Beschlüsse vom 15. Februar 1968 BVerwG 1 WB 37.67 BVerwGE 33, 62 <65> und vom 20. Dezember 1978 BVerwG 1 WB 61.78 ZBR 1981, 134; zur körperlichen Eignung für die Tätigkeit als amtlich anerkannter Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr Beschluss vom 30. Januar 1996 BVerwG 1 WB 87.95 Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 9; zur charakterlichen Eignung für den Flugsicherungskontrolldienst Beschlüsse vom 6. Dezember 1972 BVerwG 1 WB 137.71 und vom 27. Juni 1973 BVerwG 1 WB 17.73 ).

282. Bei dem Antragsteller liegen erhebliche charakterliche Mängel im Sinne von Nr. 124 Satz 1 1. Spiegelstrich ZDv 19/11 vor. Die Erlaubnis des Antragstellers zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr war daher zwingend zu entziehen.

29Im Verfahren über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen Maßnahmen, denen wie hier unmittelbar oder mittelbar der Vorwurf eines Dienstvergehens zugrunde liegt, ist der Senat an die tatsächlichen Feststellungen und die rechtliche Würdigung gebunden, auf denen die Entscheidung im sachgleichen disziplinargerichtlichen Verfahren beruht (§ 145 Abs. 2 WDO; vgl. Beschluss vom 21. Juni 1988 BVerwG 1 WB 40.87 BVerwGE 86, 33 = NZWehrr 1989, 72). Das Truppendienstgericht Nord hat den Antragsteller mit rechtskräftigem Urteil zwar von einer Reihe von Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Geschehen, das auch dem Entzug der militärischen Flugerlaubnis zugrunde liegt, aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen freigestellt. Überwiegend hat es jedoch in den gegen den Antragsteller erhobenen Anschuldigungen Dienstpflichtverletzungen erkannt und gegen ihn wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 30 Monaten verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von 12 Monaten verhängt.

30Als Dienstpflichtverletzungen hat das Truppendienstgericht insbesondere die folgenden Punkte gewürdigt: Der Antragsteller habe bei der Vorbereitung seiner Flugvorführung auf dem Familientag am 4. Juli 2003 fahrlässig widersprüchliche Angaben in Flugauftrag und Flugplan eingetragen; ferner habe er es, nach¬dem am Familientag die Wetterverhältnisse gewechselt hätten, fahrlässig unterlassen, den Flugauftrag zu ändern und das Flugdatenblatt abzugeben. Der Antragsteller habe Übungsangriffe ohne die entsprechende Beauftragung im Flugauftrag geplant und hierfür vorsätzlich zu niedrige Mindestangriffshöhen festgesetzt. Im Rahmen seiner Flugvorführung am Familientag habe der Antragsteller bei drei Übungsangriffsflügen vorsätzlich die zulässige Mindestangriffshöhe unterschritten; vorsätzlich habe er außerdem in insgesamt elf Fällen die zulässige Höchstfluggeschwindigkeit überschritten und in einem Fall entgegen den Bestimmungen des Flugbetriebshandbuchs den Nachbrenner benutzt. Ebenfalls vorsätzlich habe der Antragsteller während seiner Flugvorführung gleichzeitig die Aufgabe der Flugdienstleitung übernommen, obwohl sich der Flugdienstleiter während seines Dienstes nach der eindeutigen Dienstanweisung auf dem Fliegerhorst aufzuhalten habe. Nachdem gegen ihn wegen der Vorfälle auf dem Familientag ein Flugverbot verhängt worden sei, habe der Antragsteller unter wahrheitswidrigen Angaben gegenüber dem Staffelkapitän den Befehl erteilt, ihn für den Flugtag am 30. Juli 2003 einzuplanen, und an diesem Tag auch tatsächlich zwei Flüge, davon einen als Fluglehrer, durchgeführt. Außerdem habe er am 1. September 2003 dem Kommandeur der Luftwaffendivision fahrlässig eine objektiv unrichtige Meldung über die näheren Umstände des gegen ihn, den Antragsteller, verhängten Flugverbots erstattet. Ferner habe er am 2. September 2003 einer Meldung an den Befehlshaber des Luftwaffenführungskommandos vorsätzlich zwei auf den 7. Juli 2003 datierte Verfügungen über den Entzug seines Militärflugzeugführerscheins bzw. des Militärluftfahrzeugbesatzungsscheins des am Familientag mitfliegenden Waffensystemoffiziers beigefügt, obwohl er gewusst habe, dass diese Verfügungen erst am 27. August 2003 verfasst worden und zudem inhaltlich unrichtig gewesen seien. Schließlich habe der Antragsteller ihm unterstellten Soldaten zu nicht dienstlichen Zwecken befohlen, bei Flügen am 16. Juli und 7. August 2003 eine Videokamera im Cockpit mitzuführen und Luftbildaufnahmen zu fertigen, was diese der Gefahr disziplinarer Verfolgung ausgesetzt habe; im Falle des ersten Flugs habe der Antragsteller die von ihm beantragte Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für diese Aufnahmen nicht abgewartet, im Falle des zweiten Flugs habe er den Befehl in Kenntnis der Ablehnung der Genehmigung durch das Luftwaffenführungskommando erteilt.

31Die Summe dieser Vorfälle lässt bei dem Antragsteller erhebliche charakterliche Mängel erkennen, die den Entzug der militärischen Luftfahrerlaubnis rechtfertigen. Es ist zu befürchten, dass der Antragsteller sich auch künftig über Vorschriften zur Gewährleistung der Flugsicherheit hinwegsetzt und dadurch die Sicherheit und Ordnung des Luftverkehrs gefährdet.

32Dem Antragsteller fallen in zunächst rein quantitativer Hinsicht eine Vielzahl von Dienstpflichtverletzungen zur Last. Es handelt sich dabei nicht, wie es die Antragsbegründung darstellt, um einen künstlich in Einzelverstöße aufgespaltenen einheitlichen Lebenssachverhalt. Die Pflichtverletzungen erstrecken sich vielmehr über einen Zeitraum von rund zwei Monaten und umfassen deutlich voneinander abgesetzte Geschehen wie die Vorbereitung des Familientags, die Flugvorführung am Familientag (4. Juli 2003), die weiteren Flüge nach Verhängung des Flugverbots (30. Juli 2003), die unrichtigen Meldungen an Vorgesetzte (1. und 2. September 2003) sowie die Befehle zu nicht dienstlich veranlassten Luftbildaufnahmen (Flüge vom 16. Juli und 7. August 2003). Das Verhalten des Antragstellers kann deshalb auch nicht als ein „einmaliges persönlichkeitsfremdes Versagen“ gedeutet werden. Der Antragsteller hatte zwischen den einzelnen Sachverhaltskomplexen nicht nur mehrfach die von ihm nicht genutzte Gelegenheit, sich über sein Handeln Rechenschaft abzulegen und zur besseren Einsicht zu gelangen. Ihm ist vielmehr darüber hinaus vorzuwerfen, dass er sich selbst von konkreten Maßnahmen, wie dem gegen ihn verhängten Flugverbot (Nr. 125 Abs. 3 ZDv 19/11) oder der Ablehnung der Ausnahmegenehmigung für die Luftbildaufnahmen, nicht hat ansprechen und von weiteren Pflichtverletzungen abhalten lassen.

33Die von dem Truppendienstgericht festgestellten Pflichtverletzungen betreffen sämtlich das fliegerische und flugbezogene Verhalten des Antragstellers und haben deshalb für die Beurteilung seiner Eignung zum Führen von militärischen Luftfahrzeugen besonderes Gewicht. Der Antragsteller zeigt insoweit wie auch die angefochtenen Bescheide zurecht herausgestellt haben eine nicht hinnehmbare hohe Bereitschaft, sich über Rechts- und Dienstvorschriften, Befehle und Maßnahmen hinwegzusetzen, wenn er deren Beachtung nach eigener Einschätzung für nicht erforderlich hält. Seine Dienstpflichtverletzungen betreffen zentrale soldatische Pflichten wie die Pflicht zum Gehorsam gegenüber Vorgesetzten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SG), die Pflicht, Befehle nur zu dienstlichen Zwecken zu erteilen (§ 10 Abs. 4 SG), die Pflicht zur Wahrheit in dienstlichen Angelegenheiten (§ 13 Abs. 1 SG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) , deren Erfüllung nicht nur für den militärischen Dienst im Allgemeinen, sondern gerade auch für den auf uneingeschränkte Vorschriften- und Befehlstreue angewiesenen Flugbetrieb unerlässlich ist (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Dezember 1990 BVerwG 7 C 20.90 Buchholz 442.40 § 4 LuftVG Nr. 4). Der diesbezügliche Mangel an Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein bei dem Antragsteller und dessen deutlich hervortretende Tendenz zu eigenmächtigem Handeln berühren eine der Grundvoraussetzungen eines sicheren Flugbetriebs.

34Ein sich wiederholendes Verhaltensmuster stellt ferner dar, dass sich der Antragsteller in Konfliktsituationen, in die er sich meist ohne Not selbst begeben hat, nicht von dienstlicher Korrektheit, sondern von einer falsch verstandenen Form von „Beharrlichkeit“ leiten lässt. Beispiele hierfür sind die Erteilung eines widersprüchlichen Flugauftrags und Flugplans, um letztlich die beabsichtigte „spektakuläre“ Flugvorführung einschließlich der damit verbundenen zahlreichen Verstöße gegen fliegerische Vorschriften durchführen zu können, die gleichzeitige Übernahme der Flugdienstleitung während der Flugvorführung entgegen der Dienstanweisung, dass sich der Flugdienstleiter auf dem Fliegerhorst aufzuhalten hat, die Erstattung unrichtiger Meldungen gegenüber seinen Vorgesetzten auch aus (vermeintlich geschuldeter) Loyalität zu seinem Geschwaderkommodore sowie schließlich die Missachtung eines ausdrücklichen Verbots und die Erteilung rechtswidriger Befehle an Untergebene, um das einmal beschlossene Vorhaben, Luftaufnahmen der Gemeinden Jever und Schortens anzufertigen, durchzusetzen. Auch dieser Charakterzug stellt die Eignung des Antragstellers zum Führen von militärischen Luftfahrzeugen in Frage.

35Soweit der Antragsteller zu seiner Entlastung auf seine Beurteilungen verweist, die ihn als tadellosen und in allen Belangen vorbildlichen Generalstabsoffizier beschreiben, sind die der Entzugsverfügung zugrunde liegenden Vorkommnisse in der Tat wie auch das Truppendienstgericht ausgeführt hat nicht ohne weiteres mit dem dort gezeichneten positiven Persönlichkeitsbild in Einklang zu bringen. Allerdings muss sich der Antragsteller vorhalten lassen, dass er gerade in den seine Persönlichkeit fordernden Funktionen und Situationen gravierende charakterliche Schwächen offenbart hat. Der Antragsteller hat bei dem Familientag, bei dem er als Stellvertretender Kommodore für die Darstellung des Verbands nach außen mitverantwortlich war, vor den ihm unterstellten Soldaten, ihren Familien und den weiteren Besuchern in massiver und offenkundiger Weise gegen fliegerische Vorschriften verstoßen. Er hat als Fluglehrer trotz des gegen ihn verhängten Flugverbots einen Ausbildungsflug mit einem Flugschüler durchgeführt. Er hat als amtierender Geschwaderkommodore seinen höheren Vorgesetzten unrichtige Meldungen erstattet. Als Vorgesetzter hat er sich über die berechtigten Einwände des ihm untergebenen Waffensystemoffiziers hinweggesetzt und diesen in die disziplinarisch geahndeten Vorgänge im Zusammenhang mit der Flugvorführung am Familientag „mit hineingezogen“; ähnlich hat er im Falle der Anordnung, bei den Tornadoflügen vom 16. Juli und 7. August 2003 Luftbildaufnahmen anzufertigen, die beteiligten Soldaten in die Gefahr disziplinarer Verfolgung gebracht. Als Vorgesetzter hat er schließlich seine Befehlsgewalt sowohl durch die Anweisung, ihn trotz des Flugverbots für zwei Flugtage einzuplanen, als auch wiederum bei der Anordnung der Luftbildaufnahmen missbraucht.

36Insgesamt sind deshalb bei dem Antragsteller so erhebliche charakterliche Mängel festzustellen, dass ihm nach Nr. 124 Satz 1 1. Spiegelstrich ZDv 19/11 die militärische Luftfahrerlaubnis zu entziehen ist.

373. Auch die Entscheidung der zuständigen Stellen, die Erlaubnis des Antragstellers zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr endgültig zu entziehen, ist nicht zu beanstanden.

38Gemäß Nr. 124 Satz 2 ZDv 19/11 kann der Entzug der Luftfahrerlaubnis befristet oder endgültig erfolgen. Diese Ermessensentscheidung kann vom Gericht (nur) darauf überprüft werden, ob der zuständige Vorgesetzte den Soldaten durch Überschreiten oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in seinen Rechten verletzt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO) bzw. die gesetzlichen Grenzen des ihm insoweit zustehenden Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO analog; stRspr, vgl. Beschluss vom 8. Mai 2001 BVerwG 1 WB 15.01 Buchholz 442.40 § 30 LuftVG Nr. 6 = NZWehrr 2001, 165 mit zahlreichen Nachweisen). Bei der Ausübung des Ermessens ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. Beschluss vom 28. November 1991 BVerwG 1 WB 74.91 ).

39Die angefochtenen Bescheide gehen bei der Entscheidung über die Dauer des Entzugs von der zuvor getroffenen Feststellung „erheblicher charakterlicher Mängel“ des Antragstellers aus. Schwere und Häufigkeit der Verfehlungen, dabei insbesondere auch der Umstand, dass sich die Verstöße gegen fliegerische Vorschriften und soldatische Pflichten aus unterschiedlichen und zeitlich gestaffelten Lebenssachverhalten ergeben würden, führten zu der Prognose, dass der Antragsteller dauerhaft nicht die Gewähr dafür biete, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit des Luftverkehrs bestehenden Vorschriften einzuhalten. Diese Entscheidung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
...

41Der Entzug der militärischen Luftfahrerlaubnis musste auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit befristet werden. Eine Befristung (zu zeitlichen Abstufungen und den entsprechenden Zuständigkeiten siehe Nr. 509 ff. ZDv 19/11) kann zum Beispiel bei offenkundig einmaligen oder geringfügigen Verstößen geboten sein, wenn anzunehmen ist, dass die von dem befristeten Entzug ausgehende Warnung ausreicht, den Inhaber der Erlaubnis zu einem künftig einwandfreien Verhalten anzuhalten und damit den präventiven Zweck der Maßnahme zu erfüllen; ein solcher Fall liegt nach dem oben unter 2. Gesagten hier jedoch nicht vor. Eine Befristung des Entzugs kommt ferner dann in Betracht, wenn der festgestellte Eignungsmangel seiner Natur nach vorübergehend ist oder wenn gesicherte Erkenntnisse dafür vorliegen, dass die Eignung nach Ablauf der bestimmten Frist wiederhergestellt sein wird; auch eine derartige Fallkonstellation ist vorliegend nicht gegeben. Die Zulässigkeit eines „endgültigen“ Entzugs der Flugerlaubnis erfordert andererseits nicht, dass der zuständige Vorgesetzte es für ausgeschlossen halten muss, dass der Betroffene jemals wieder die Eignungsvoraussetzungen erfüllen wird. Es genügt vielmehr wie hier , dass der Vorgesetzte einen grundsätzlich dauerhaften Eignungsmangel, dessen Wegfall nicht absehbar ist, feststellt; er ist nicht verpflichtet, eine Befristung zu treffen, für die ihm gesicherte tatsächliche Anhaltspunkte fehlen.

42Hieraus folgt zugleich, dass der „endgültige“ Entzug der militärischen Luftfahrerlaubnis im Sinne einer Entscheidung auf unbestimmte Dauer, nicht aber darüber hinausgehend im Sinne eines definitiven Verbots der erneuten Erteilung der Erlaubnis zu verstehen ist. Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen kann die zuständige Stelle die Entzugsverfügung ausdrücklich oder stillschweigend aufheben und erneut eine Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr erteilen, wenn der Antragsteller die für die Erteilung geltenden Voraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt (wieder) erfüllen sollte (vgl. für die zivile Flugerlaubnis Schmid, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, Stand August 2007, § 4 Rn. 78). Allerdings hat der Antragsteller, auch wenn er die Voraussetzungen erfüllt, auf die erneute Erteilung der militärischen Luftfahrerlaubnis (und eine entsprechende militärische Verwendung) ebenso wenig einen Rechtsanspruch wie er ihn auf die erstmalige Erteilung (und Verwendung) hatte.

Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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