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Text des Beschlusses
BVerwG 1 WB 57.06;
Verkündet am: 
 06.09.2007
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Zu den durchsuchungsfähigen Sachen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 3 WDO gehören auch die im (Mit-)Besitz oder (Mit-)Gewahrsam eines Soldaten befindlichen dienstlichen Gegenstände
Leitsatz des Gerichts:
Zu den durchsuchungsfähigen Sachen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 3 WDO gehören auch die im (Mit-)Besitz oder (Mit-)Gewahrsam eines Soldaten befindlichen dienstlichen Gegenstände (hier: elektronische Datenträger oder EDV-Anlagen).
Gegen den Antragsteller, einen Soldaten, bestand der Verdacht eines Dienstvergehens. Im Rahmen der Ermittlungen wurde der Datenbestand der Festplatte seines dienstlichen Arbeitsplatzcomputers durchsucht, um zu prüfen, ob dort eine bestimmte Datei erstellt, vorhanden und/oder gelöscht worden sei. Der Antragsteller beantragte anschließend die gerichtliche Feststellung, diese Maßnahme sei rechtswidrig gewesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich für sachlich unzuständig erklärt und die Sache an das sachlich und örtlich zuständige Truppendienstgericht verwiesen.

Aus den Gründen:
...

12Für die Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern das Truppendienstgericht Nord sachlich zuständig.

14... Eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts anstelle des Truppendienstgerichts (§ 17 Abs. 1 WBO) besteht im gerichtlichen Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung lediglich in den Fällen der §§ 21, 22 WBO. Zwar liegt eine Entscheidung des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteurs der Streitkräftebasis vom 8. September 2006 über die Untätigkeits- bzw. weitere Beschwerde des Antragstellers vom 1. Februar 2006 und damit eine Entscheidung eines Vorgesetzten im Sinne des § 22 WBO vor. Für diese Entscheidung war der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis jedoch nicht zuständig. Im Wehrbeschwerdeverfahren ist die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nur bei Beachtung der gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen gegeben (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 17. Januar 2006 BVerwG 1 WB 3.05 Buchholz 450.1 § 21 WBO Nr. 3).

15Gegenstand des Feststellungsantrages des Antragstellers ist eine Durchsuchungsmaßnahme zur Aufklärung eines Dienstvergehens im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO.

16Für die Anfechtung einer derartigen Maßnahme durch den betroffenen Soldaten ordnet § 42 Nr. 3 Satz 1 WDO als Maßgabe zur generellen Geltung der Wehrbeschwerdeordnung eine spezielle sachliche Zuständigkeit des Truppendienstgerichts an (vgl. auch Lingens, in: GKÖD, Stand Juni 2007, Bd. I, Teil 5b, Yt § 20 Rn. 10). Eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 42 Nr. 3 Satz 2 WDO, die sich nur auf Maßnahmen nach § 42 Nr. 3 Satz 1 WDO bezieht (Beschluss vom 27. April 2007 BVerwG 2 WDB 4.06 ), ist nicht eröffnet, weil die Durchsuchung keine Maßnahme des Bundesministers der Verteidigung oder eines der in § 22 WBO genannten Vorgesetzten gewesen ist.

17Die Überprüfung des Arbeitsplatzcomputers des Antragstellers ist als Durchsuchung zur Aufklärung eines Dienstvergehens im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO zu qualifizieren.

18„Zur Aufklärung eines Dienstvergehens“ erfolgt eine Durchsuchung, wenn sie Person oder Sachen eines Soldaten betrifft, gegen den der Verdacht eines Dienstvergehens besteht. Insoweit müssen tatsächliche Anhaltspunkte und nicht nur vage Spekulationen für die Annahme vorliegen, ein bestimmter Soldat oder ein bestimmter abgrenzbarer Personenkreis habe eine konkrete Dienstpflichtverletzung begangen (Lingens, a.a.O. Yt § 20 Rn. 2; Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 20 Rn. 15). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Durchsuchung sollte nach Angaben des Abteilungsleiters X. in dem Durchsuchungsantrag „zur Überprüfung des Wahrheitsgehalts einer Meldung“ des Antragstellers vom 29. August 2005 erfolgen. ... (wird ausgeführt) Die substanziellen Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage, die der Abteilungsleiter nachträglich in seiner Meldung vom 7. September 2005 über den Verdacht eines Dienstvergehens des Antragstellers im Einzelnen dokumentiert hat, und dessen anschließende Bemühung, im Wege der Überprüfung der Festplatte beweisfähige Erkenntnisse zu gewinnen, begründen gegen den Antragsteller die Annahme des Verdachts eines konkreten Dienstvergehens wegen möglicherweise schuldhaften Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht nach § 13 Abs. 1 SG. ... (wird ausgeführt) Deshalb stellt die angegriffene Durchsuchung nicht eine Maßnahme der präventiven Dienstaufsicht dar, in deren Rahmen dienstliche Gegenstände auf Vollzähligkeit, pflegliche Behandlung, Einsatzbereitschaft, Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung überprüft werden (vgl. hierzu: Dau, a.a.O. § 20 Rn. 17; vgl. auch Urteil vom 16. März 2004 BVerwG 2 WD 3.04 BVerwGE 120, 193 <203> = Buchholz 235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 213).

19Bei der angefochtenen Maßnahme handelt es sich auch um eine Durchsuchung. Unter diesem Begriff ist die amtliche Suche notfalls gegen den Willen des Soldaten nach beweglichen Sachen zu verstehen, die als Beweismittel bei Ermittlungen wegen des Verdachts eines Dienstvergehens von Bedeutung sein können (Dau, a.a.O. § 20 Rn. 16; vgl. auch Lingens, a.a.O. Yt § 20 Rn. 2). Zu den durchsuchungsfähigen Sachen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 3 WDO gehören körperliche Gegenstände, darunter auch wie sich aus § 20 Abs. 3 Satz 3 WDO ergibt Papiere. Durchsuchungsfähige Sachen sind danach auch elektronische Datenträger oder EDV-Anlagen einschließlich der in Computerdateien und auf Festplatten verkörperten Informationen. Für den Be¬griff der Sachen, die als Beweismittel von Bedeutung sein können, kommt es nicht darauf an, ob es sich im Einzelfall um Papierunterlagen oder Briefe mit beweismittelfähigen Informationen handelt oder um elektronisch abgelegte Informationen (ähnlich: Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO und GVG, 25. Aufl., § 102 StPO Rn. 35, § 110 StPO Rn. 4 und 5). Denn nicht die Art des Mediums, sondern sein Inhalt, namentlich die Eignung der Daten als Beweismittel für ein bestimmtes Ermittlungsverfahren, ist das entscheidende Kriterium dafür, ob die Überprüfung des Mediums hier die Suche nach Dateien oder in ihnen enthaltenen Informationen als „Durchsuchung“ zu qualifizieren ist (vgl. BGH , Beschluss vom 21. Februar 2006 3 BGs 31/06, 3 BJs 32/05 4 <12> 3 BGs 31/06 StV 2007, 60; BGH, Beschluss vom 23. November 1987 1 BJs 55/81 4 1 BGs 517/87 StV 1988, 90). Auch das wesentliche Element einer Durchsuchung, nämlich das zweck- und zielgerichtete Suchen staatlicher Organe, um planmäßig verborgene Gegenstände oder eine unbekannte Information aufzuspüren, die der Adressat der Durchsuchung von sich aus nicht herausgeben oder offenlegen will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987 1 BvR 1113/85 BVerfGE 75, 318 <327>; BVerwG, Beschluss vom 6. September 1974 BVerwG 1 C 17.73 BVerwGE 47, 31 <37>), liegt vor. Denn die Durchsuchung der Festplatte des Arbeitsplatzcomputers des Antragstellers diente der Aufklärung einer fehlenden Information des Abteilungsleiters über die Erstellung bzw. den Verbleib der Datei „Y“.

20Durchsuchungsfähig im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 3 WDO sind nicht nur die im Eigentum, Besitz oder Gewahrsam des betroffenen Soldaten befindlichen privaten Gegenstände, sondern auch die in seinem Besitz oder Gewahrsam befindlichen dienstlichen Gegenstände (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung in BTDrucks 14/4660 S. 27 zu Nr. 20 <§ 16>; Dau, a.a.O. § 20 Rn. 16; Stauf, Wehrrecht II, § 20 WDO Rn. 2). Für den Besitz oder Gewahrsam an dienstlichen Gegenständen genügt auch der (faktische) Mitbesitz oder Mitgewahrsam an der Sache (ebenso: OVG Bremen, Beschluss vom 21. Juli 2006 DL A 420/05 NordÖR 2006, 414 m.w.N.). Der Antragsteller hatte an dem ihm dienstlich zur Verfügung gestellten Arbeitsplatzcomputer faktisch dadurch Mitgewahrsam, dass er abgesehen von den System-Administratoren andere Personen, insbesondere seine Disziplinarvorgesetzten, vom Zugang zu diesem Computer durch sein individuelles Passwort ausschließen konnte. Mit dem Passwort konnte der Antragsteller insbesondere seine Festplatte anders als das mehreren Angehörigen des damaligen Dezernats des Antragstellers zugängliche Gruppenlaufwerk vor dem Zugriff anderer Personen abschirmen. Damit hatte der Antragsteller faktisch die Möglichkeit, mit Hilfe des individuellen Passwortes teilweise Gewahrsam an dem Arbeitsplatzcomputer und an den in ihm gespeicherten Informationen zu begründen.

21Die durchgeführte Durchsuchung unterliegt danach dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 WDO und kann deshalb nur gemäß § 42 Nr. 3 Satz 1 WDO durch eine Beschwerde beim Truppendienstgericht angefochten werden.

Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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