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Text des Urteils
BVerwG 5 C 15.07;
Verkündet am:
14.02.2008
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
Rechtskräftig: unbekannt! Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Der Kläger ist ein am 15. Dezember 1966 geborener ehemals pakistanischer Staatsangehöriger. hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2008 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit für Recht erkannt: Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. März 2007 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. 1Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. 2Der Kläger ist ein am 15. Dezember 1966 geborener ehemals pakistanischer Staatsangehöriger. Im Dezember 1984 schloss er in Pakistan die Ehe mit einer Pakistanerin. Aus dieser Ehe sind vier in den Jahren 1986, 1989, 1993 und 1998 geborene Kinder hervorgegangen. Anfang März 1989 heiratete er in Lahore/Pakistan eine deutsche Staatsangehörige und reiste im Juni 1989 im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland ein. Aus dieser zweiten Ehe stammt eine am 3. Januar 1990 geborene Tochter. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik erteilte ihm die Ausländerbehörde zunächst eine befristete, nachfolgend eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Die Ehe des Klägers mit der deutschen Staatsangehörigen wurde am 7. Juni 1995 geschieden. 31992 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. In dem Antragsformular gab er an, seine erste Ehe am 8. März 1989 geschlossen zu haben, und verneinte die Frage nach etwaigen früheren Ehen. Die in dem Antragsformular vorgesehene Rubrik „getrennt lebend seit…“ ließ der Kläger unausgefüllt; ebenso verneinte er die Frage nach weiteren, auch aus früheren Ehen hervorgegangenen und nicht mit einzubürgernden Kindern. In einem dem Antrag beigefügten handschriftlichen Lebenslauf gab der Kläger lediglich die Eheschließung mit seiner deutschen Ehefrau an und ließ seine Ehe mit der pakistanischen Staatsangehörigen sowie die aus dieser hervorgegangenen (damals zwei) Kinder unerwähnt. Als Begründung seines Einbürgerungsantrags gab er an, er wolle für immer bei seiner deutschen Frau und seinem Kind in Deutschland leben. Am 8. April 1993 wurde der Kläger eingebürgert. 4Anlässlich eines Antrags auf Erteilung von Visa zur Familienzuführung für die pakistanische Ehefrau und die gemeinsamen Kinder stellte die deutsche Auslandsvertretung in Islamabad/Pakistan fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen bereits in Pakistan eine rechtsgültige Ehe eingegangen war. Dieser Sachverhalt wurde der Ausländerbehörde mitgeteilt. Bei der Anhörung zu der beabsichtigten Rücknahme seiner Einbürgerung trug der Kläger vor, nach pakistanischem Recht sei eine Doppelehe zulässig; in Deutschland habe er lediglich mit seiner zweiten Ehefrau gelebt. 5Mit Bescheid vom 8. Juli 2004 nahm das beklagte Land die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband nach § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und ordnete unter Androhung eines Zwangsgeldes die Rückgabe der Einbürgerungsurkunde an. Die Einbürgerung des Klägers sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Die Voraussetzungen für eine Einbürgerung auf der Grundlage von § 9 RuStAG hätten nicht vorgelegen, da der Kläger die Einbürgerungsbehörde arglistig über seine Zweitehe getäuscht habe. Im Laufe des Berufungsverfahrens änderte der Beklagte mit Verfügung vom 12. Februar 2007 den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass die Rücknahme der Einbürgerung nunmehr mit Wirkung ex nunc verfügt wurde. 6Mit Urteil vom 12. Juli 2005 hat das Verwaltungsgericht die hiergegen erhobene Klage mit der Erwägung abgewiesen, dass § 48 VwVfG nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung darstelle. 7Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 29. März 2007 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Bescheid des Beklagten vom 8. Juli 2004 in der Gestalt vom 12. Februar 2007 aufgehoben. 8Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es folge der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24. Mai 2006 2 BvR 669/04 ), nach der die zeitliche Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung auf der Grundlage des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts grundsätzlich zulässig sei und nicht das in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG statuierte Verbot der Entziehung der Staatsangehörigkeit verletze. Der Kläger habe auch seine Einbürgerung erschlichen, indem er über seine in Pakistan geschlossene Zweitehe arglistig getäuscht habe. Der Begriff „zeitnah“ beziehe sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum. Im vorliegenden Fall könne dahingestellt bleiben, wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verlaufe, da bei dem verstrichenen Zeitraum von elfeinviertel Jahren jedenfalls nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden könne. 9Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei hier die Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung auf der Grundlage von § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin auch elfeinviertel Jahre nach der Einbürgerung noch möglich. Denn dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts lasse sich nicht entnehmen, dass eine Rücknahme auf der Grundlage des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts lediglich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne möglich sein solle; auch der Grundsatz der Vorhersehbarkeit der Entscheidung gebiete diese Annahme nicht. 10Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. 11Die Revision des Beklagten ist unbegründet. 12Das Berufungsgericht hat den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 8. Juli 2004 in der Gestalt vom 12. Februar 2007 zu Recht aufgehoben. Im Einklang mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) ist es davon ausgegangen, § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin stelle keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rücknahme der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erschlichenen Einbürgerung des Klägers dar, weil diese nicht zeitnah erfolgt ist. 13Der Senat hat mit dem gleichzeitig ergehenden Urteil im Verfahren BVerwG 5 C 4.07, auf das er Bezug nimmt, im Einzelnen ausgeführt, dass er der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 2 BvR 669/04 BVerfGE 116, 24) folgt, nach der mit Rücksicht auf den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der deutschen Staatsangehörigkeit § 48 VwVfG hier i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin nur in bestimmten Fällen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme von Einbürgerungen bietet. Danach steht die Anwendung der allgemein geltenden Rücknahmeermächtigung nur „für den Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst erwiesenermaßen getäuscht hat“ in Einklang mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Nur für diesen Fall enthält § 48 VwVfG ein für den Betroffenen berechenbares rechtsstaatliches Abwägungsprogramm und ist dessen Anwendung auch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung unbedenklich (BVerfG a.a.O. S. 52). 14An einer solchen zeitnahen Rücknahme fehlt es hier, wie auch das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat. Bei dem zwischen der Einbürgerung der Kläger am 8. April 1994 und deren Rücknahme am 8. Juli 2004 verstrichenen Zeitraum von mehr als elf Jahren kann nach der Überzeugung des Senats nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden (vgl. auch insoweit die Ausführungen in dem gleichzeitig ergehenden Urteil im Verfahren BVerwG 5 C 4.07). 15Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Hund Schmidt RiBVerwG Dr. Franke ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Hund Dr. Brunn Prof. Dr. Berlit Beschluss Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 € festgesetzt. Hund Schmidt Dr. Brunn ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? 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