|
Text des Urteils
BVerwG 2 WD 8.07; BVerwG 2 WD 17.07;
Verkündet am:
21.05.2008
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
Rechtskräftig: unbekannt! Wahrheitspflicht; treues Dienen; Achtungs- und Vertrauenswahrungsgebot; Reisekostenantrag; Einstellung des Verfahrens. Leitsatz des Gerichts: 1. Der Dienstherr kann angesichts einer im Vorfeld der gerichtlichen Klärung für alle Beteiligten offenkundig unklaren Rechts- und Vorschriftenlage, die er sich zurechnen lassen muss, gegenüber Soldaten nicht den Vorwurf eines Verstoßes gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) erheben, wenn diese mit unrichtigen Angaben zu den tatsächlich ihnen entstandenen Reisekosten versucht haben, einen Teil des ihnen reisekostenrechtlich objektiv Zustehenden zu erhalten. 2. Zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei vorsätzlicher Verletzung der Pflichten zur Wahrheit (§ 13 Abs. 1 SG) und zur Achtungs- und Vertrauenswahrung (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) in Reisekostenanträgen, wenn ein Vermögensschaden des Dienstherrn weder eingetreten ist noch nach der Rechtslage eintreten konnte und die Antragsteller über Art und Höhe ihres Anspruchs nicht hinreichend aufgeklärt wurden. Die angeschuldigten Soldaten gaben nach Rückkehr von einer gemeinsam zu einem militärischen Standort in Frankreich durchgeführten Dienstreise in ihren Reisekostenanträgen wahrheitswidrig an, ihnen seien für die angefallenen zwei Übernachtungen in der näher bezeichneten Unterkunft der französischen Streitkräfte Kosten in Höhe von jeweils 15 € pro Nacht entstanden, obwohl sie tatsächlich jeweils lediglich 3 € pro Nacht bezahlt hatten. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, das einer der beiden Soldaten gegen die Truppenverwaltung angestrengt hatte, wurde rechtskräftig festgestellt, dass diesem Soldaten für die in Rede stehende Dienstreise mit zwei Übernachtungen ein Betrag in Höhe von 30 € pro Nacht zustand, und zwar unabhängig davon, dass er tatsächlich nur 3 € pro Nacht in Frankreich hatte zahlen müssen. In den gegen beide Soldaten eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren verurteilte das Truppendienstgericht diese jeweils wegen Verletzung ihrer soldatischen Pflichten, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG), in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr soldatischer Dienst erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), zu einem Beförderungsverbot für die Dauer von 12 Monaten. Im Berufungsverfahren hob das BVerwG (2. Wehrdienstsenat) die beiden erstinstanzlichen Urteile auf und stellte das Verfahren bei gleichzeitiger Feststellung ein, dass beide Soldaten schuldhaft gegen § 13 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 Satz 2 SG, jedoch nicht gegen § 7 SG verstoßen haben. Aus den Gründen: ... 63Zwar begründet nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats eine Straftat, auch wenn es sich um eine Versuchsstraftat handelt, in der Regel eine Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG). Zu der in § 7 SG normierten Pflicht zum „treuen Dienen“ gehört vor allem die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, insbesondere die Beachtung der Strafgesetze (Urteile vom 28. September 1990 BVerwG 2 WD 27.89 BVerwGE 86, 321 <326>, vom 28. Januar 2004 BVerwG 2 WD 13.03 BVerwGE 120, 105 <107>, vom 22. März 2006 BVerwG 2 WD 7.05 Buchholz 450.2 § 107 WDO 2002 Nr. 2 = DokBer 2006, 274 jeweils m.w.N. und Urteil vom 26. September 2006 BVerwG 2 WD 2.06 BVerwGE 127, 1 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55). 64Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles kann offenbleiben, ob die Soldaten sich eines versuchten untauglichen Betruges schuldig gemacht haben. Denn selbst bei Vorliegen eines solchen untauglichen Versuchs, bei dem das Vermögen des Dienstherrn nicht geschädigt wurde und aufgrund der für den vorliegenden Fall gerichtlich geklärten Rechtslage im Reisekostenrecht auch nicht hätte geschädigt werden können, handelte es sich hier um keinen Verstoß gegen § 7 SG. Jedenfalls wöge dann die Pflichtverletzung auch in Ansehung der festgestellten gleichzeitigen Verletzung der Wahrheitspflicht (§ 13 SG) nicht so schwer, dass die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme erforderlich und geboten wäre. Denn jedes Treueverhältnis beruht auf Gegenseitigkeit. „Treugeber“ und „Treunehmer“ schulden einander wechselseitige Treue, also vor allem Loyalität sowie Sorgfalt und Verlässlichkeit bei der Erfüllung der wechselseitigen Pflichten. Im vorliegenden Fall schuldete der Dienstherr beiden Soldaten für die in Rede stehende Dienstreise nach L. deutlich mehr an Übernachtungskosten, als diese von ihm begehrten. Die Soldaten gingen irrigerweise davon aus, ihnen würden nur die tatsächlich von ihnen verauslagten Kosten (2 x 3 €) zustehen, obwohl sie in Wirklichkeit pauschal mehr hätten abrechnen können. Denn aus den zuvor dargelegten Gründen standen ihnen von Rechts wegen für ihre in Rede stehende Dienstreise jeweils 30 € Reisekostenvergütung pro Nacht zu, die der Dienstherr hätte leisten müssen. Dies hat er jedoch aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht getan, wobei offen bleiben kann, worauf dieses nach der rechtskräftig festgestellten Rechtslage objektive Versäumnis des Dienstherrn im Einzelnen beruhte und aus welchem Grunde er es unterließ, die Soldaten auf die (wirkliche) Rechtslage hinzuweisen. Jedenfalls kann der Dienstherr angesichts einer im Vorfeld der gerichtlichen Klärung für alle Beteiligten offenkundig unklaren Rechts- und Vorschriftenlage, die er sich zurechnen lassen muss, und damit eines eigenen objektiven Versäumnisses gegenüber den Soldaten nicht den Vorwurf treuwidrigen Verhaltens erheben, wenn diese versucht haben, einen Teil des ihnen objektiv Zustehenden zu erhalten. Der Dienstherr hätte auch keinen Anspruch darauf gehabt, von den beiden Soldaten den von ihnen geltend gemachten Betrag zurückzuverlangen, selbst wenn diese bei der Beantragung der Reisekostenvergütung teilweise unrichtige Angaben gemacht hatten. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Truppenverwaltung ausweislich der Akten von beiden Soldaten die Abgabe einer dienstlichen Erklärung über die Höhe der tatsächlich in L. geleisteten Zahlungen verlangte, obwohl ihr diese Beträge bereits aufgrund einer telefonischen Erkundigung beim französischen „Service Restauration Loisir“ und dessen Schreiben vom ... bekannt waren. Stattdessen hätte es im Rahmen des wechselseitigen Treueverhältnisses nahe gelegen, die Soldaten mit dem Ergebnis der Ermittlungen zu konfrontieren und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. So konnte der Eindruck entstehen, den Soldaten sei eine Falle gestellt worden. 65Insgesamt haben die Soldaten gemäß § 23 SG i.V.m. § 13 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 1 SG jeweils ein Dienstvergehen begangen, wobei sie als Vorgesetzte der verschärften Haftung des § 10 Abs. 1 SG unterliegen. 66Die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme hat der Senat nicht für erforderlich gehalten. ... 79Auch wenn die Verstöße gegen § 13 Abs. 1 SG und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG nicht leicht wiegen, liegen insbesondere bezogen auf die Eigenart der Dienstvergehen, das Maß der Schuld und die Persönlichkeit der Soldaten gewichtige Gründe vor, die im Hinblick auf den spezifischen Zweck des Disziplinarrechts, zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung eines geordneten Dienstbetriebs beizutragen (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 2. Juli 1997 BVerwG 2 WD 12.97 , vom 13. Juli 1999 BVerwG 2 WD 4.99 Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 30, vom 28. Oktober 2003 BVerwG 2 WD 8.03 DokBer 2004, 78 und vom 13. November 2007 BVerwG 2 WD 20.06 juris), ein Abweichen vom Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, nämlich der Dienstgradherabsetzung, unausweichlich machen. 80Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (Art. 3 Abs. 1 GG) in Fällen des Zugriffs eines Soldaten auf Vermögen des Dienstherrn hat der Senat seit seiner Entscheidung vom 27. August 2003 BVerwG 2 WD 5.03 (BVerwGE 119, 1 <3 f.> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 10, siehe auch Urteil vom 22. März 2006 BVerwG 2 WD 7.05 DokBer 2006, 274) in gefestigter Rechtsprechung an der früheren nicht hinreichend nach der Schwere des Dienstvergehens differenzierenden Judikatur nicht mehr festgehalten. Denn gerade auch im Disziplinarrecht gilt, dass die Disziplinarmaßnahme stets in einem angemessenen Verhältnis zum Dienstvergehen und seinem Unrechtsgehalt (vgl. § 38 Abs. 1 WDO „Eigenart und Schwere“) stehen muss (vgl. Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 15 Rn. 13). Aus diesem Grund ist bei allen Dienstvergehen, die einen Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn zum Gegenstand haben, eine Differenzierung nach der Schwere des Dienstvergehens geboten, und zwar nicht nur nach „oben“, sondern auch nach „unten“. Da im vorliegenden Fall ausweislich der rechtskräftigen Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichts aus den dargelegten Gründen ein Schaden des Dienstherrn von Rechts wegen nicht eintreten konnte, muss hier bereits deshalb eine erhebliche Abweichung nach unten erfolgen. 81Vorliegend ist entscheidend zu berücksichtigen, dass die Soldaten objektiv einen pauschalen Anspruch auf Übernachtungskosten pro Nacht von 30 € hatten und dass sie hierüber von der Truppenverwaltung nicht hinreichend aufgeklärt wurden. Das war letztlich die maßgebliche Ursache für die Dienstpflichtverletzungen, zu denen es anderenfalls offenkundig nicht gekommen wäre. Bei hinreichender Aufklärung über die Rechtslage wäre es keinem der Soldaten in den Sinn gekommen zu verschweigen, dass ihnen jeweils pro Nacht lediglich 3 € Übernachtungskosten entstanden waren, und stattdessen anzugeben, es seien tatsächlich 15 € gewesen. Denn der Pauschalbetrag von 30 € stand ihnen, sofern sie keine höheren tatsächlichen Aufwendungen für die Übernachtung nachweisen konnten, unabhängig davon zu, wie hoch diese tatsächlich waren. 82Unter diesen besonderen Umständen ist auch die Schuld der Soldaten als so gering anzusehen, dass wovon auch der Disziplinarvorgesetzte der Soldaten im Vorfeld der Entscheidung der Einleitungsbehörde ausging eine einfache Disziplinarmaßnahme angemessen gewesen wäre, um sie in Zukunft zu einem dienstpflichtgemäßen Handeln, insbesondere zu einer strikten Beachtung ihrer Wahrheitspflicht, anzuhalten. 83Eine einfache Disziplinarmaßnahme darf aber vorliegend gemäß § 17 Abs. 2 WDO wegen Zeitablaufs nicht mehr verhängt werden. 84Eine „Bagatellisierung“ der beiden Dienstvergehen ist damit nicht verbunden. Mit dem vorliegenden Urteil wird unmissverständlich festgestellt, dass die beiden Soldaten mit den schuldhaften Pflichtverletzungen (§ 13 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG) jeweils Dienstvergehen begangen haben. Lediglich die dargelegten besonderen Umstände, unter denen es zu den Pflichtverletzungen kam, rechtfertigen und erfordern es, von der Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme abzusehen. Es steht angesichts dessen nicht zu befürchten, dass andere in ihrem Rechtsbewusstsein und in ihrer Bereitschaft zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Dienstpflichten insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung ihrer Wahrheitspflicht beeinträchtigt werden. 85Das Verfahren ist daher mit Zustimmung des Bundeswehrdisziplinaranwalts unter Feststellung eines begangenen Dienstvergehens nach § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO einzustellen. Golze Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |