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Text des Beschlusses
BVerwG 8 B 12.08;
Verkündet am:
29.08.2008
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
Rechtskräftig: unbekannt! Die zulässige Beschwerde der Kläger ist begründet. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. August 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser beschlossen: Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 7. Juni 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt. 1Die zulässige Beschwerde der Kläger ist begründet. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt. Das Verwaltungsgericht ist zur Auffassung gelangt, dass im vorliegenden Fall die Angemessenheit des Kaufpreises in Höhe von 2 250 000 RM bereits daraus folge, dass entsprechend der Angaben in der Auflassung vom 24. Mai 1938 der Einheitswert der verkauften Grundstücke geringer war als der Kaufpreis. Es hätte sich aber dem Verwaltungsgericht die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung aufdrängen müssen. Nur durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens konnte die Frage des angemessenen Kaufpreises für den Verkauf der umfänglichen Grundstücke geklärt werden. Mit dem angemessenen Kaufpreis im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO ist der Sache nach der Verkehrswert der veräußerten Sache gemeint. Wie der Senat in dem Urteil vom 24. Februar 1999 BVerwG 8 C 15.98 BVerwGE 108, 301 <309> = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1 S. 8) festgestellt hat, besteht ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass der Verkehrswert für ein Grundstück in der Regel höher als der Einheitswert gewesen ist. Anders als in den Fällen, in denen der Verkaufspreis den Einheitswert unterschritt (vgl. Urteil vom 27. Mai 1997 BVerwG 7 C 67.96 Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 112 S. 342 ff.), kommt bei höheren Verkaufspreisen dem Einheitswert lediglich indizielle Bedeutung für den Verkehrswert zu. Denn die bloße Betrachtung des Einheitswertes kann nur ein Hilfsmittel für die Kontrolle der aufgrund anderer Erkenntnisquellen zu gewinnenden Überzeugung von der Angemessenheit des Kaufpreises sein (vgl. ORG Berlin Entscheidung vom 17. Juli 1956 ORG/A/1032 , RzW 1956, 357). Als entscheidende Erkenntnisquelle kommt daher neben konkreten Vergleichsverkäufen in der Regel ein Gutachten eines Sachverständigen in Betracht. 2Die Beschwerde hat im Übrigen auch aufgezeigt, welches mutmaßliche Ergebnis eine Beweisaufnahme durch die Einholung eines Sachverständigengutachten gehabt hätte und deshalb in einem Sachverständigengutachten berücksichtigt worden wäre, dass der Kaufpreis im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO umfassend zu verstehen war und sich mithin auf jede Gegenleistung erstreckte, die für den entzogenen Vermögensgegenstand erbracht wurde. Demzufolge hätten damit auch die von der Beschwerde angesprochenen Auswirkungen der Liefer- und Leistungsverträge, der Holzverkaufsverträge, der Jagdpachtverträge und der Verträge über Deputate berücksichtigt werden müssen, ebenso aber auch die Übernahme von Altersversorgungen für verschiedene Gutsangestellte durch den Rechtsvorgänger der Kläger. 3Auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil des Verwaltungsgerichts auch beruhen. Es handelt sich nicht nur um eine weitere zusätzliche Begründung. Die Ausführungen, dass es bereits an einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG fehle, stellen lediglich ein obiter dictum dar, da das Verwaltungsgericht mit der Ablehnung der Beweisanträge die behaupteten Verfolgungsmaßnahmen als wahr unterstellt hat. 4Weiterhin rügt die Beschwerde zu Recht, das Verwaltungsgericht habe entscheidungserhebliche Teile des Akteninhalts übergangen und somit gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen. Das Verwaltungsgericht ist zu der Auffassung gelangt, das streitige Rechtsgeschäft wäre auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden. Es entnimmt der eidesstattlichen Versicherung der Anmelderin, dass der Rechtsvorgänger der Kläger bereits im Jahre 1929 die anderen Betriebsteile durch den Verkauf von S. zu entlasten gedachte. Zwar sei insoweit von einem Preis in Höhe noch von 4 Mill. RM die Rede, den er dabei zu realisieren gedachte. Dies sei aber für die Prüfung der Ursächlichkeit des Verkaufs von Belang. Der Verkauf reihe sich daher in den ohnehin festzustellenden Abverkauf von Teilflächen ein und unterscheide sich insoweit nicht wesentlich. Andere Tatsachen, die einen Zwangsverkauf belegen könnten, seien weder ersichtlich noch erheblich vorgetragen (vgl. UA S. 8). 5Das Verwaltungsgericht hat mit dieser Einschätzung die von der Klägerseite mit der Klagebegründungsschrift übersandten Unterlagen vom 20. Dezember 2006 bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Auch wenn diese im Wesentlichen Bewertungen des Rechtsvorgängers der Kläger und dessen Rechtsanwalts enthalten, hätten sie als zeitnahe Urkunden Eingang in die Beweiswürdigung finden müssen. Zum einen geht aus dem Schreiben des Rechtsvorgängers der Kläger an den Forstmeister B., Landesbauernschaft Pommern, Forstamt Greifswald vom 8. Januar 1945 hervor, dass nach der „Enteignung von S.“ und dem Fortfall von rund 1 000 ha Wald sich für das Gut Schönfließ ein besonderer Revierförster erübrige. Zum anderen hat in der Pachtschutzsache St. gegen von V. dessen Rechtsanwalt und Notar dem Amtsgericht Bergen/Rügen am 16. Juni 1944 mitgeteilt, dass der Rechtsvorgänger der Kläger „seinerseits sein Gut S. an die Stadt Berlin habe abgeben müssen“. Schließlich ist das Verwaltungsgericht nicht auf das Schreiben des Rechtsvorgängers der Kläger an den Polizeipräsidenten der Stadt Berlin vom 9. April 1946 eingegangen, indem dieser mitteilt, dass im Jahre 1937 „S. vom damaligen Reichsorganisationsleiter Dr. L. enteignet, später aber der Stadt Berlin an die Hand gegeben“ wurde. 6Der Senat weist darauf hin, dass bereits die Mitursächlichkeit des Nationalsozialismus für den Abschluss eines Rechtsgeschäfts ausreicht und an die Widerlegung dieser Vermutung hohe Anforderungen zu stellen sind, die das Verwaltungsgericht bisher nicht beachtet hat. Es kommt hinzu, dass das Verwaltungsgericht bereits mit seinem Beweisschluss vom 7. Juni 2007 die politische Verfolgung des Rechtsvorgängers der Kläger durch die Nationalsozialisten als wahr anerkannt hatte. 7Der Senat nimmt daher die dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, das angefochtene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. 8Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 GKG. Gödel Dr. Pagenkopf Dr. Hauser ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |