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Text des Urteils
1 Sa 755/98;
Verkündet am: 
 21.09.2000
LAG Landesarbeitsgericht
 

Erfurt
Vorinstanzen:
11/1 Ca 1760/98
Arbeitsgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
Verhaltensbedingte Kündigung und Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Leitsatz des Gerichts:
Verhaltensbedingte Kündigung und Auflösungsantrag des Arbeitgebers.

Subjektive Determinierung der Kündigungsgründe und Folgen bei einer unvollständigen Unterrichtung des Betriebsrats.
Entscheidungstenor


1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 18.09.1998, Az.: 11/1 Ca 1760/98, wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 18.05.2000 zurückgewiesen.

2) Der von der Beklagten gestellte Antrag, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wird zurückgewiesen.

3) Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, mit Ausnahme der Kosten, die durch die Säumnis der Klägerin im Termin vom 18.05.2000 entstanden sind; diese Kosten trägt die Klägerin.

4) Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d


Zwischen den Parteien ist die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung streitig.

Die am 04.06.1953 geborene Klägerin ist geschieden und für ein Kind unterhaltspflichtig. Sie ist seit 01.09.1991 bei der Beklagten als Substitutin beschäftigt und in die Gehaltsgruppe G 4 des Gehaltstarifvertrages des Großhandels eingruppiert. Sie bezog zuletzt ein Gehalt in Höhe von 3.356,00 DM brutto.

Die Beklagte sprach gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 22.10.1997 eine Änderungskündigung zum 31.12.1997 aus, mit der sie der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter der Bedingung anbot, daß die Klägerin als einfache Mitarbeiterin im Bereich Food eingesetzt wird und in die Gehaltsgruppe G 2 mit einem Gehalt von 2.800,00 DM brutto in der 35-Stunden-Woche eingruppiert wird. Dagegen erhob die Klägerin Klage (Arbeitsgericht Erfurt, Az.: 7 Ca 4497/97). Es fand am 04.12.1997 eine Güteverhandlung statt. Am 05.12.1997 erhielt die Klägerin eine Abmahnung mit der Begründung, sie habe weisungswidrig keine Sicherheitsschuhe getragen.

Am 09.12.1997 hat die Beklagte der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den ursprünglichen Bedingungen angeboten. Unter dem 22.12.1997 erhielt die Klägerin eine weitere Abmahnung wegen des Nichttragens von Sicherheitsschuhen. Beide Abmahnungen sind Gegenstand eines Verfahrens vor dem Arbeitsgericht Erfurt (Az.: 11 Ca 826/98).

Unter dem 07.01.1998 wurde gegenüber der Klägerin eine weitere Abmahnung ausgesprochen (Bl. 38 d. A.). Darin wird gerügt, daß die Klägerin während der Jahresinventur ein sog. MDE-Gerät während einer Arbeitspause im Regal unbeaufsichtigt habe liegen lassen.

Zwischen den Parteien fand am 01.04.1998 ein Personalgespräch statt, in dem die Beklagte der Klägerin erneut ein Änderungsangebot unterbreitete. Die Klägerin erhielt ein schriftliches Vertragsangebot vom 01.04.1998 (Bl. 56 d. A.), dessen Ziff. 1 wie folgt lautet:

Sie treten am 01.04.1998 als Mitarbeiterin in die Dienste unseres Unternehmens ein. Die ersten drei vollen Kalendermonate der Tätigkeit gelten als Probezeit. Als anrechenbares Eintrittsdatum gilt der 01.09.1991.

Die Vergütungsabrede des Änderungsangebots ging dahin, daß der Klägerin das bisher bezogene Gehalt in Höhe von 3.356,00 DM brutto monatlich gezahlt werden sollte, sie jedoch in die Tarifgruppe L 2 des Tarifvertrags des Großhandels eingruppiert wird. In einem nochmals geänderten Vertragsangebot vom 01.04.1998 war die Probezeitvereinbarung gestrichen (Bl. 116 d. A.). Die Klägerin erhielt eine Bedenkzeit von einer Woche, um sich zur Änderungsofferte zu äußern.

Am 08.04.1998 fand ein weiteres Personalgespräch zwischen den Parteien statt, in dem die Klägerin sich zur Änderungsofferte der Beklagten äußern sollte. Die Klägerin lehnte die Änderung ihres Arbeitsvertrages ab.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 09.04.1998 zum 30.06.1998. Ferner wurde die Klägerin von der Arbeitsleistung unter Anrechnung auf die Urlaubsansprüche freigestellt.

Mit ihrer am 20.04.1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewandt.

Sie hat beantragt, festzustellen, daß die Kündigung vom 09.04.1998 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß die Kündigung wegen der Gründe im Verhalten der Klägerin gerechtfertigt sei.

Sie hat behauptet, die Klägerin sei ihren Arbeitspflichten als Substitutin nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Dies sei bereits vor Ausspruch der Änderungskündigung vom 22.10.1997 bei einem Personalgespräch am 17.06.1997 beanstandet worden. Ihr Arbeitsverhalten habe sich nicht gebessert.

Die Klägerin habe wegen des Nichttragens von Sicherheitsschuhen abgemahnt werden müssen.

Am 03.01.1998 habe die Klägerin bei der Jahresinventur das MDE-Gerät unbeaufsichtigt im Regal liegenlassen und dadurch eine Manipulation der Inventurergebnisse in Kauf genommen. Deshalb sei ihr am 07.01.1998 eine Abmahnung erteilt worden.

Am 17.01.1998 sei die Klägerin aufgefordert worden, den Werbewechsel in der Abteilung Waschmittel durchzuführen. Eine Kontrolle am 19.01.1998 habe ergeben, daß dieser Auftrag teilweise noch nicht ausgeführt worden sei. Deshalb sei der Klägerin - ebenfalls am 07.01.1998 - eine Abmahnung erteilt worden.

Die Klägerin habe die Warenrevision und die Disposition neuer Artikel falsch gehandhabt. Bestimmte Artikel seien nicht nachbestellt worden, bei anderen Artikeln wiederum sei zuviel Ware bestellt worden. Über dieses Fehlverhalten der Klägerin seien Aktennotizen vom 09. und 27.01.1998 gefertigt worden. Dennoch habe sich das Dispositionsverhalten der Klägerin nicht geändert. Am 23.03.1998 seien 121 Leerfächer und am 30.03.1998 167 Leerfächer festgestellt worden.

Die Klägerin habe die ab 28.03.1998 laufende "Grand-Prix-Werbung" unzureichend vorbereitet. Auch darüber sei unter dem 03.04.1998 eine Aktennotiz gefertigt worden.

Beim Personalgespräch am 08.04.1998 sei die Klägerin auf ihre fehlerhafte Arbeitsweise angesprochen worden. Anläßlich dieses Gespräches sei die Klägerin entgleist und habe alle Anwesenden beschimpft. Die Vorgesetzten und der Betriebsrat seien als "Lügner und Betrüger" bezeichnet worden. Gegenüber der beim Gespräch anwesenden stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden S. habe die Klägerin geäußert: "Ihr steckt alle unter einer Decke mit der Geschäftsleitung und unterstützt mich nicht, mit euch braucht man nicht zu reden". Mit Bezug auf den Abteilungsleiter W. und den Geschäftsleiter H. habe die Klägerin geäußert, diese würden sowieso lügen und das schon immer, sie würden nie ihr Wort halten; Herr W. würde sie auch betrügen, weil er den Mitarbeiter M. fördern möchte.

Der Betriebsrat sei am 08.04.1998 über die Kündigungsabsicht unterrichtet worden. Dem Betriebsrat sei mitgeteilt worden, daß die Kündigung auf die Arbeitsmängel der Klägerin, aber auch auf die gegenüber der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat getätigten Beleidigungen gestützt werde.

Die Klägerin hat bestritten, sich arbeitsvertragswidrig verhalten zu haben. Sie habe die Abteilung Waschmittel erst kurz vorher übernommen. Die Beklagte habe nicht nachvollziehbar dargelegt, bei welchen Warenbestellungen sie Fehler gemacht habe. Auch bei der Jahresinventur habe sie sich nicht falsch verhalten. Sie habe keine Anweisungen erhalten, das MDE-Gerät während der Pause an einer Station abzugeben. Auch für die Leerfächer sei sie nicht verantwortlich. Sie habe die Abteilung am 02.01.1998 mit 191 Leerfächern übernommen. Es sei ihr wegen eines Urlaubs, des Jahreswechsels und der Inventur nicht möglich gewesen, die Leerfächer in kürzester Zeit abzustellen. Die "Grand-Prix"-Werbeaktion habe sich deshalb verzögert, weil die Ware mehrere Tage zu spät angeliefert worden sei. Unzutreffend sei schließlich, daß sie beim Gespräch am 08.04.1998 ihre Vorgesetzten als Lügner und Betrüger beschimpft habe. Sie habe nur geäußert, daß sie das Verhalten des Geschäftsleiters mißbillige und sich mit der Gewerkschaft und ihrem Rechtsanwalt beraten wolle. Dies habe der Geschäftsleiter H. zum Anlaß genommen, ihr in erregter Form zu unterstellen, sie glaube ihm nicht.

Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats hat die Klägerin mit Nichtwissen bestritten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Urteils (Bl. 63 - 70 d. A.) verwiesen.

Die Beklagte wendet sich gegen das ihr am 25.09.1998 zugestellte Urteil mit der am 22.10.1998 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und am 23.11.1998 begründeten Berufung.

Sie ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe fälschlich angenommen, der Klägerin sei nicht unmißverständlich klargemacht worden, daß sie bei Ablehnung des Änderungsangebots mit einer Kündigung zu rechnen habe. Der Klägerin sei gesagt worden, ihr werde für den Fall der Ablehnung eine Änderungskündigung ausgesprochen. Als die Klägerin im Gespräch vom 08.04.1998 jedoch auf das Änderungsangebot völlig unverhältnismäßig und mit Beleidigungen reagiert habe, habe dies zu ihrem Entschluß geführt, eine Beendigungskündigung auszusprechen. Durch die Äußerungen der Klägerin sei das Vertrauensverhältnis zu ihr, aber auch das betriebliche Vertrauensverhältnis zum Betriebsrat, erheblich gestört worden.

Die Beklagte ist ferner der Auffassung, daß eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht zu erwarten sei. Das Arbeitsverhältnis sei für den Fall, daß die Kündigung nicht sozialgemäß sei, aufzulösen. Der Auflösungsgrund ergebe sich aus den Beschimpfungen der Klägerin gegenüber dem Geschäftsleiter H. und dem Betriebsrat. Die Klägerin habe im Prozeß auch bewußt falsche Angaben über den Zugang des Kündigungsschreibens gemacht. Schließlich habe die Klägerin während der Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens erneut wegen fehlerhafter Arbeitsleistung abgemahnt werden müssen. Auch verhalte sich die Klägerin unkollegial gegenüber Mitarbeitern.

Im Termin vom 18.05.2000 erging ein das Urteil des Arbeitsgerichts abänderndes und die Klage abweisendes Versäumnisurteil gegen die Klägerin. Gegen das ihr am 23.05.2000 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 30.05.2000 Einspruch ein.

Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil vom 18.05.2000 aufrechtzuerhalten sowie hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 10.086,00 DM nicht überschreiten sollte, zum Ablauf des 30.06.1998 aufzulösen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 18.05.2000 zurückzuweisen sowie den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil mit den aus der Berufungsbeantwortung vom 28.12.1998 ersichtlichen Gründen (Bl. 109 - 111 d. A.). Sie hat ferner im Berufungsrechtszug neu vorgetragen, das Kündigungsschreiben sei ihr bereits am 08.04.1998 unmittelbar nach dem Personalgespräch ausgehändigt worden. Der Betriebsrat sei erst danach zur Kündigungsabsicht angehört worden.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen H., N., S. und B.. Wegen des Ergebnisses wird auf die Vernehmungsniederschrift (Bl. 126 - 129, 146 - 153 und 191 - 194 d. A.) Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e


Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Berufung war unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 18.05.2000 zurückzuweisen. Auch der von der Beklagten gestellte Auflösungsantrag war zurückzuweisen.

I) Die von der Beklagten mit Schreiben vom 09.04.1998 ausgesprochene ordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst, da sie wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 BetrVG rechtunwirksam ist. Die Kündigung ist darüber hinaus rechtsunwirksam, weil sie nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, § 1 Abs. 1 und 2 KSchG.

1) Dem Betriebsrat sind gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG die Kündigungsgründe mitzuteilen. Der Arbeitgeber hat mithin den Betriebsrat über alle Kündigungsgründe zu unterrichten, auf die er die Kündigung stützen will. Zwar müssen dem Betriebsrat nicht alle objektiv kündigungsrechtlich erheblichen Tatsachen mitgeteilt werden, wohl aber nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung die Umstände, die der Arbeitgeber selbst als für die Kündigung ausschlaggebend ansieht (BAG AP Nr. 57, 68 und 73 zu § 102 BetrVG 1972; Fitting u. a., BetrVG, 20. Aufl., § 102 Rnr. 18; KR-Etzel, § 102 BetrVG, Rnr. 62, 62 a).

Ausschlaggebend für die Kündigung war nach der Darstellung der Beklagten im Kündigungsschutzverfahren neben den behaupteten Leistungsmängeln der Klägerin ihre angeblich beleidigenden Äußerungen im Personalgespräch vom 08.04.1998. Nach der Überzeugung des Gerichts hat die Beklagte jedoch dem Betriebsrat gegenüber nicht hinreichend deutlich gemacht, daß auf diese Äußerungen die Kündigung gestützt werden soll.

Das Gericht hat zur Unterrichtung des Betriebsrats durch die Beklagte die Betriebsratsmitglieder S. und B. sowie den Geschäftsleiter der Beklagten, Herrn H., als Zeugen vernommen.

Die Zeugin S. ist stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Sie übte in der Betriebsratssitzung vom 08.04.1998 auch den Vorsitz aus, da der Vorsitzende des Betriebsrats an diesem Tag verhindert war. Die Zeugin S. war bei den Personalgesprächen zugegen, die mit der Klägerin am 01. und 08.04.1998 geführt wurden.

Die Zeugin S. gab bei ihrer Vernehmung an, daß der Geschäftsleiter H. gegenüber dem Betriebsrat die Kündigungsabsicht nicht näher erläutert habe. Nach dem Verständnis der Zeugin war die dem Betriebsrat bekannte Arbeitsleistung der Klägerin der Kündigungsgrund, wenn auch die vorangegangene Aussprache mit der Klägerin den Geschäftsleiter veranlaßt habe, die Kündigung auszusprechen. Der Geschäftsleiter habe aber nicht gesagt, daß er die Äußerungen der Klägerin selbst nunmehr als Kündigungsgrund verstehe. Über den Ton der Äußerungen der Klägerin habe sich Herr H. bei Übergabe des Kündigungsantrags überhaupt nicht gesondert beschwert.

Die Aussage der Zeugin ist eindeutig. Sie hat die Behauptung der Beklagten, der Betriebsrat sei darüber unterrichtet worden, daß die Kündigung auch auf Beleidigungen durch die Klägerin gestützt werde, nicht bestätigt.

Die Zeugin ist nach ihrer Einvernahme in einem persönlich abgefaßten Schreiben an das Gericht von ihrer Aussage abgerückt. Sie habe nach Einblick in das Betriebsratsprotokoll festgestellt, daß "Herr H. den Betriebsrat auch über die persönlichen Beschimpfungen seitens Frau L. als Kündigungsgrund informiert hat" (Bl. 170, 171 d. A.). Das Gericht hält diesen Vorgang für einmalig. Die Zeugin S. muß durch eine Partei oder deren Prozeßvertretung zur Abfassung des Schreibens veranlaßt worden sein, da die Zeugin selbst eine Protokollabschrift ihrer Aussage nicht erhält und eine Abschrift ihr folglich nur über eine Partei zugänglich gemacht worden sein kann. Sollte die Beklagte, was naheliegt, die Zeugin dazu veranlaßt haben, ihre Aussage richtigzustellen, so entwertet die Beklagte damit nur ihr eigenes Beweisangebot. Das Gericht ist aber trotz der nachträglichen Distanzierung durch die Zeugin von der Richtigkeit ihrer vor Gericht gemachten Aussage überzeugt. Die Zeugin hat unbefangen und ohne Druck ausgesagt. Sie konnte sich an die Ereignisse vom 08.04.1998, zu denen sie befragt wurde, sicher erinnern. Der geschilderte Geschehensablauf ist plausibel und daher glaubhaft. Schließlich rechtfertigt auch das Protokoll der Betriebsratssitzung, auf das sich die Zeugin in ihrem Schreiben an das Gericht bezog, wie noch zu erörtern sein wird, nicht die nachträgliche Distanzierung der Zeugin von ihrer vor Gericht gemachten Aussage.

Der vom Gericht ebenfalls zur Betriebsratsanhörung vernommene Zeuge B. ist Mitglied des Betriebsrats. Er hat das Protokoll der Betriebsratssitzung vom 08.04.1998 geführt und erstellt. Nach dem von der Beklagten vorgelegten Betriebsratsprotokoll (Bl. 164 d. A.) hat Herr H. als Begründung für den Antrag zur fristgerechten Kündigung der MA (Mitarbeiterin) Frau L. u. a. ausgeführt: "am 08.04.1998 persönliche Beschimpfung von MA im Markt".

Der Zeuge gab bei seiner Vernehmung einleitend an, daß es für die Begründung der Kündigung um eine ganze Reihe von Gründen gegangen sei. Insgesamt sei es darum gegangen, daß die Klägerin nicht mehr als Substitutin weiterbeschäftigt werden sollte. Wörtlich führt dann der Zeuge aus:

"Über die Kündigungsabsichten informierte uns Herr H.. Ich habe ihn so verstanden, daß bei einem Gespräch, das am Morgen zwischen der Klägerin und der Geschäftsleitung stattfand, eine geballte Ladung auf die Beteiligten zukam. Auslöser der Kündigungsabsicht war also nach meinem Verständnis das Gespräch, das vorher stattgefunden hatte und in dem es wohl zu beleidigenden Äußerungen durch die Klägerin gekommen ist. Herr H. hat diese so dargestellt, daß die Klägerin gesagt habe, daß wir alle Lügner seien, daß wir unter einer Decke stecken. Herr H. sagte auch, daß er bei dem Gespräch überhaupt nicht mehr zu Wort gekommen sei, die Klägerin habe nur rumgeschrien.

Im übrigen wurden alle die Gründe aufgeführt, die schon vorher behandelt worden waren. Der Betriebsrat hatte sich bereits vorher mehrfach mit der Situation der Klägerin beschäftigt gehabt.

Wenn ich danach gefragt werde, daß in dem von mir erstellten Protokoll der Betriebsratssitzung als Kündigungsgrund auch aufgeführt ist, daß am 08.04.1998 persönliche Beschimpfungen von Mitarbeitern im Markt durch die Klägerin vorkamen, so meine ich diese Beschimpfungen als Endpunkt einer Entwicklung. Mir war bekannt, daß sich Mitarbeiter darüber beschwert hatten, u. a. bei mir, daß die Klägerin in anderen Abteilungen über die Mitarbeiter der jeweils anderen Abteilung hetzt.

Auf Frage der Beklagtenvertreterin:

Wenn ich das von mir erstellte Protokoll der Sitzung vom 08.04.1998 nochmals so durchlese, dann betrifft die Begründung über persönliche Beschimpfungen von Mitarbeitern im Markt am 08.04.1998 wohl das Gespräch und die dort gemachten Äußerungen der Klägerin von diesem Tag.

Ich muß allerdings nachtragen, daß ich mich erinnere, daß nach dem Gespräch vom 08.04.1998 bis zur Betriebsratssitzung im Markt einiges Theater entstanden war, weil dort bereits die Klägerin ihren Frust gegenüber anderen Mitarbeitern abgelassen hatte."

Das Gericht kann der Aussage des Zeugen B. nicht mit der hinreichenden Sicherheit entnehmen, daß die Beklagte dem Betriebsrat gegenüber die angeblich beleidigenden Äußerungen der Klägerin im Gespräch vom Vormittag des 08.04.1998 als selbständigen und für die Beklagte ausschlaggebenden Kündigungsgrund neben den behaupteten Leistungsmängeln bezeichnet hat. Für den Zeugen waren die Äußerungen lediglich Auslöser der Kündigungsabsicht. Die mitgeteilten Kündigungsgründe sind nach dem Verständnis des Zeugen demgegenüber darauf hinausgelaufen, daß die Klägerin nicht mehr als Substitutin weiterbeschäftigt werden sollte. Das waren aber diejenigen Gründe, die sich auf das Leistungsverhalten der Klägerin bezogen.

Der Zeuge B. hat auch den in seinem Protokoll genannten Kündigungsgrund (am 08.04.1998 persönliche Beschimpfungen von MA im Markt) nicht hinreichend bestimmt auf die angebliche Beleidigung des Geschäftsleiters und des Betriebsrats durch die Klägerin bezogen. Er gab zunächst an, daß er diese Beschimpfungen als Endpunkt einer Entwicklung gemeint habe, die Klägerin habe in anderen Abteilungen über die Mitarbeiter der jeweils anderen Abteilung gehetzt. Diese Bewertung des Zeugen paßt zum Text des Protokolls, denn mit den "MA im Markt" sind Arbeitskollegen der Klägerin gemeint, also weder die Geschäftsleitung, noch die Mitglieder des Betriebsrats. Wenn der Zeuge vom Endpunkt einer Entwicklung spricht, bezieht er sich auf ein vorangegangenes Verhalten der Klägerin, das diese eben auch wieder am 08.04.1998 "im Markt" gezeigt habe. Die angeblichen Beleidigungen während des Personalgesprächs am 08.04.1998 können von daher nicht gemeint gewesen sein, denn auch nach der Behauptung der Beklagten hatten sie keine Vorgeschichte, sondern wurden erstmals am 08.04.1998 so geäußert. Daß der Zeuge B. auf Frage der Beklagtenvertreterin dann aussagt, er habe im Protokoll "wohl" das Gespräch vom 08.04.1998 und die dort gemachten Äußerungen der Klägerin gemeint, wirkt im gegebenen Zusammenhang wenig überzeugend. Dies auch deshalb, weil der Zeuge nach dieser Bemerkung wieder von Äußerungen der Klägerin spricht, die diese in der Zeit zwischen der Beendigung des Personalgespräches und dem Beginn der Betriebsratssitzung im Markt gegenüber Mitarbeitern getätigt habe. Im Markt sei deswegen "einiges Theater" entstanden. Dieses Verhalten der Klägerin ist es, was der Zeuge mit dem Endpunkt einer Entwicklung bezeichnet hat.

Wenn die Beklagte demnach tatsächlich gegenüber dem Betriebsrat auch Äußerungen der Klägerin als Kündigungsgrund angegeben hat, war diese Information so wenig bestimmt, daß sie jedenfalls die beiden als Zeugen gehörten Betriebsratsmitglieder nicht dem von der Beklagten im Prozeß behaupteten Kündigungsgrund zugeordnet haben.

Aber auch der Aussage des Zeugen H. kann nicht entnommen werden, daß die angeblichen Beleidigungen der Klägerin dem Betriebsrat als Kündigungsgrund benannt wurden. Der Zeuge hat dem Betriebsrat den bereits bekannten Sachverhalt - also das Leistungsverhalten der Klägerin - dargestellt. Er hat zunächst erläutert, daß die Klägerin als Mitarbeiterin, aber nicht mehr als Substitutin weiterbeschäftigt werden könne. Dann führt der Zeuge aus, es habe aber keinen Sinn mehr, die Klägerin überhaupt weiterzubeschäftigen, weil es mit ihr nicht gut gehe. In diesem Zusammenhang hat er von den Beschimpfungen berichtet, die er dann im einzelnen näher beschrieben hat. Abschließend faßt der Zeuge zusammen, daß er zwar einleitend dem Betriebsrat vom Weiterbeschäftigungsangebot auf der Stelle einer einfachen Mitarbeiterin berichtet habe, dann jedoch gesagt habe, daß eine Weiterbeschäftigung als Ergebnis des Gesprächs vom Vormittag insgesamt nicht in Betracht komme.

Das Gericht kann auch die Aussage des Zeugen H. nur so verstehen, daß dem Betriebsrat das Leistungsverhalten der Klägerin als Kündigungsgrund angegeben wurde. Ursprünglich hat der Zeuge den Ausspruch einer Änderungskündigung beabsichtigt, wegen des Gesprächs vom Vormittag sich aber dann zu einer Beendigungskündigung entschlossen. Auch hier wird folglich das Gespräch als Auslöser für die Entscheidung dargestellt, eine Beendigungskündigung statt der ursprünglich beabsichtigten Änderungskündigung auszusprechen. Daß diese Beendigungskündigung neben den behaupteten Leistungsmängeln zusätzlich auf einen weiteren verhaltensbedingten Kündigungsgrund, nämlich die angeblichen Beleidigungen, gestützt werden soll, konnte dem Betriebsrat auch nach der Mitteilung der Kündigungsgründe in der Version des Zeugen H. nicht klargeworden sein. Von daher ist es nachvollziehbar, daß die Zeugen S. und B. den Zeugen H. so verstanden haben, wie er selbst die Unterrichtung des Betriebsrats dargestellt hat. Die Absicht der Beklagten, die Kündigung auch auf die behaupteten Beleidigungen durch die Klägerin zu stützen, ist beim Betriebsrat jedenfalls nicht angekommen.

Unerheblich für die Wirksamkeit der Kündigung ist, daß der Betriebsrat der Kündigung auch ohne vollständige Unterrichtung über die von der Beklagten für maßgeblich gehaltenen Kündigungsgründe zugestimmt hat. Dadurch wird eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats nicht geheilt.

Dahinstehen kann schließlich, ob die im Berufungsrechtszug neu aufgestellte Behauptung der Klägerin zutrifft, die Beklagte habe ihr das unter dem Datum vom 09.04.1998 gefertigte Kündigungsschreiben bereits am 08.04.1998 und damit vor der Anhörung des Betriebsrats ausgehändigt. Die Klägerin hat diese Behauptung aufgestellt, nachdem der Zeuge H. bei seiner ersten Vernehmung ausgesagt hatte, daß er nach dem Personalgespräch vom 08.04.1998 die Klägerin von der Arbeitsleistung freigestellt habe und ihr gesagt habe, sie solle nach Hause, er wolle sie im Betrieb nicht mehr sehen. Aufgrund der Aussage der Zeugin N. ist jedoch davon auszugehen, daß die Klägerin noch am 09.04.1998 zur Arbeit im Betrieb erschienen ist und ihr erst an diesem Tag das Kündigungsschreiben ausgehändigt wurde.

2) Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung ist auch insoweit rechtsunwirksam, als sie nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin gem. § 1 Abs. 1 und 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist.

Die Erörterung zur Sozialgemäßheit der Kündigung erfolgt vorsorglich und für den Fall, daß angenommen werden sollte, daß die fehlende Mitteilung von Kündigungsgründen gegenüber dem Betriebsrat nur dazu führt, daß der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren die Kündigung nicht auf diese Gründe stützen darf. Nach zutreffender und vom Gericht geteilten Auffassung ist jedoch die Abgrenzung zwischen einem fehlerhaften Anhörungsverfahren und dem Verbot, die nicht mitgeteilten Gründe im Kündigungsschutzverfahren nachzuschieben, danach vorzunehmen, ob die dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe hinter dem zurückbleiben, was der Arbeitgeber in seinen Überlegungsprozeß einbezogen hat. Im letztgenannten Fall liegt ein Verstoß gegen § 102 Abs. 1 BetrVG vor, nicht dagegen dann, wenn die Mitteilung der Kündigungsgründe nur bei objektiver Würdigung unvollständig ist (Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rnr. 270). Hier bleibt die Mitteilung der Kündigungsgründe hinter der von der Beklagten selbst vorgenommenen (subjektiven) Determinierung zurück, so daß die Kündigung bereits gem. § 102 BetrVG unwirksam ist.

a) Bei der Prüfung der Sozialgemäßheit der Kündigung am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes können nur die Kündigungsgründe erheblich sein, die dem Betriebsrat mitgeteilt wurden. Dies sind die behaupteten Leistungsmängel der Klägerin. Sie vermögen die Kündigung nicht zu rechtfertigen.

Die Beklagte macht geltend, daß die Klägerin als Substitutin ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Sie ist andererseits der Meinung, daß die Klägerin als einfache Mitarbeiterin ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt und im übrigen eine fleißige Arbeitnehmerin ist. Bereits von daher kann dasjenige Fehlverhalten, das die Beklagte abgemahnt hat, zur Rechtfertigung der Kündigung nicht herangezogen werden. Die Abmahnungen vom 05. und 22.12.1997 betreffen das Nichttragen von Sicherheitsschuhen, die Abmahnung vom 07.01.1998 den Umstand, daß die Klägerin ein bei der Jahresinventur verwendetes sog. MDE-Gerät während der Pausen im Regal liegen ließ. Das insoweit abgemahnte Verhalten der Klägerin hat mit den Aufgaben und Pflichten speziell einer Substitutin nichts zu tun. Auch ein einfacher Mitarbeiter muß Sicherheitsschuhe tragen und - von der Klägerin im übrigen bestrittene - Weisungen für die Handhabung des MDE-Geräts beachten. Der Vortrag der Beklagten ist demnach insoweit unschlüssig, als sie die Kündigung auch auf das abgemahnte Verhalten der Klägerin stützt. Es ist nicht ersichtlich, was dieses Verhalten mit einer angeblich unzureichenden Leistung der Klägerin als Substitutin zu tun hat.

Die auf die Tätigkeit einer Substitutin bezogenen Kündigungsgründe, wie Fehler bei der Warendisposition und ähnliches, können die Kündigung bereits deshalb nicht rechtfertigen, weil sie nicht abgemahnt wurden. Die Beklagte hat zwar Aktennotizen über das behauptete Fehlverhalten vorgelegt. Diese stellen jedoch keine Abmahnung dar. Die Beklagte hat noch nicht einmal behauptet, daß sie der Klägerin die Aktennotizen überhaupt zur Kenntnis gebracht hat. Die Klägerin hat bestritten, daß sie die Aktennotizen vom 09. und 27.01.1998 erhalten hat.

Die Beklagte hat auch nicht, wie sie zunächst behauptet hat (Klageerwiderung vom 03.08.1998 - Seite 3 = Bl. 34 d. A.), die Klägerin wegen eines fehlerhaft durchgeführten Werbewechsels am 07.01.1998 abgemahnt. Die Klägerin hat bereits darauf hingewiesen, daß der am 17. und 19.01.1998 durchgeführte Werbewechsel kaum Gegenstand einer unter dem 07.01.1998 erteilten Abmahnung gewesen sein kann. Die tatsächlich vorhandene Abmahnung vom 07.01.1998 hat denn auch nicht den Werbewechsel zum Gegenstand, sondern die Handhabung des MDE-Geräts.

Die auf Leistungsmängel im Aufgabenbereich einer Substitutin gestützte Kündigung ist schließlich deshalb unwirksam, weil die Beklagte der Klägerin für den Fall der Ablehnung der Änderungsofferte vom 01.04.1998 nicht eine Beendigungskündigung angedroht hat. Die Beklagte hat bis zuletzt vorgetragen, der Klägerin sei für den Fall der Ablehnung der Änderungsofferte eine Änderungskündigung in Aussicht gestellt worden. Auch von daher ist die Beendigungskündigung unverhältnismäßig. Es scheinen bei der Beklagten aber auch falsche Vorstellungen über die Konsequenzen bei der Ablehnung einer Änderungsofferte bestanden zu haben. Der Geschäftsleiter der Beklagten gab nämlich bei seiner Vernehmung als Zeuge an, er habe der Klägerin als Ergebnis des Gesprächs vom 08.04.1998 gesagt, sie müsse eben ersatzweise mit einer Kündigung rechnen, wenn sie eine Änderungskündigung nicht haben wolle. Abgesehen davon, daß der Geschäftsführer H. eine Änderungsofferte mit einer Änderungskündigung verwechselt hat, scheint er den eigentlichen Kündigungsgrund auch darin gesehen zu haben, daß die Klägerin die Änderungsofferte abgelehnt hat.

b) Die Kündigung wäre auch dann unwirksam, wenn sie die Beklagte noch auf die Äußerungen der Klägerin beim Personalgespräch vom 08.04.1998 stützen könnte.

Es muß bereits bezweifelt werden, daß die Äußerungen so gefallen sind, wie von der Beklagten dargestellt. Die Zeugin S., die ebenfalls am Gespräch teilgenommen hatte, konnte sich nicht daran erinnern, daß die Klägerin das Wort "Lügner" verwendet hat. Sie bestätigte nur, daß die Klägerin geäußert hat, die Geschäftsleitung und der Betriebsrat steckten unter einer Decke. Von dieser ihrer Aussage ist die Zeugin jedenfalls nicht im Nachhinein abgerückt.

Der Zeuge H. gibt die Äußerungen der Klägerin wie folgt wieder:

"Die Klägerin warf mir dann vor, daß ich sowieso mein Wort nicht halte und daß ich sowieso lüge. Sie sagte auch, daß der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung unter einer Decke steckt. Wiederum sagte sie, daß man sie nur loswerden wolle.

Die Klägerin fuhr damit fort, uns wüst zu beschimpfen. Sie sagte, daß wir alle Lügner seien, daß ich mein Wort sowieso nicht halte, sie sagte, daß sie sowieso nichts von mir halte. Sie sagte, wir würden lügen und betrügen."

Selbst wenn die Äußerungen so zutreffend wiedergegeben worden sein sollten, muß der Klägerin als Entschuldigungsgrund zugute gehalten werden, daß sie mit guten Gründen an der Seriosität der Änderungsofferte vom 01.04.1998 und der Stichhaltigkeit der Kritik der Beklagten an ihrem Leistungsverhalten als Substitutin zweifeln konnte. Das von der Beklagten beim Personalgespräch am 08.04.1998 stets betonte Fehlverhalten konnte unter diesen Umständen in der Klägerin eine Drucksituation erzeugt haben, die eine - ggf. auch unangemessene - Reaktion verständlich machen kann.

Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang stets auf das vorangegangene Verhalten der Beklagten verwiesen, das schließlich im Gespräch vom 08.04.1998 eskalierte. Danach mußte sich der Klägerin der Eindruck aufdrängen, die Beklagte habe sie unter allen Umständen aus ihrer Position als Substitutin verdrängen wollen. Die Beklagte hatte bereits mit diesem Ziel am 22.10.1997 eine Änderungskündigung ausgesprochen. Die dagegen gerichtete Klage führte dazu, daß die Klägerin bereits einen Tag nach dem in dieser Sache durchgeführten Gütetermin eine erste Abmahnung erhielt (Nichttragen von Sicherheitsschuhen). Zwar lenkte anschließend die Beklagte insoweit ein, als sie die offensichtlich völlig unvorbereitete Änderungskündigung am 09.12.1998 "zurücknahm". Es folgten dann jedoch in dichter zeitlicher Abfolge Maßnahmen, die geeignet waren, den Druck auf die Klägerin zu erhöhen. Am 22.12.1997 erhielt die Klägerin eine zweite Abmahnung wegen Nichttragens der Sicherheitsschuhe und am 07.01.1998 eine Abmahnung wegen der fehlerhaften Verwahrung des MDE-Geräts. Es folgten dann in dichter Folge Beanstandungen im Arbeitsbereich der Klägerin. Die Klägerin hat eigens darauf hingewiesen, daß ihr dieser Bereich (Waschmittel) erst kurz zuvor übertragen worden war. Auf etwaige Probleme, die auch daraus entstanden sein konnten, daß die Klägerin sich im neuen Aufgabengebiet erst einarbeiten mußte, ist die Beklagte nicht eingegangen. Die Beklagte hat sodann der Klägerin im Personalgespräch vom 01.04.1998 wiederum ein Änderungsangebot mit dem Ziel unterbreitet, sie von der Position einer Substitutin auf die Postition einer einfachen Mitarbeiterin zurückzustufen. Dieses Vertragsangebot war so gestaltet, daß es die Klägerin nicht als korrekte Interessenwahrnehmung durch die Beklagte auffassen konnte. Die Beklagte hatte zunächst eine Probezeitvereinbarung in die Änderungsofferte aufgenommen. Auch als dieser Passus gestrichen war, war im Änderungsvertrag immer noch der 01.04.1998 als Dienstbeginn angegeben. Zwar wird als anrechenbares Eintrittsdatum der tatsächliche Vertragsbeginn, nämlich der 01.09.1991 festgehalten. Es konnte aber für die Klägerin auch nach einer Rechtsberatung nicht einsichtig sein, weshalb die Beklagte einen Vertragsbeginn festlegen will, der ganz offensichtlich unzutreffend ist.

Vor diesem Hintergrund wurde dann die Klägerin im Gespräch vom 08.04.1998 wiederum zur Annahme der Änderungsofferte gedrängt. Es mag sein, daß zusätzlich unterschwellig eine Drucksituation dadurch entstand, daß der bisherige Geschäftsleiter H. die Angelegenheit der Klägerin als gleichsam letzte Amtshandlung abschließend regeln wollte, denn er hatte kurz vorher von seiner Versetzung in eine andere Niederlassung der Beklagten erfahren und übergab die Dienstgeschäfte an diesem 08.04.1998 an seinen Nachfolger.

Es ist nach allem nachvollziehbar, wenn die Klägerin annahm, die Beklagte habe eine bewußt inszenierte Drucksituation aufgebaut, um sie zum Verzicht auf vertragliche Rechte zu veranlassen. Die Beklagte kann der Klägerin eine durch unangebrachte und möglicherweise beleidigende Äußerungen gegebene Vertrauensverletzung nicht entgegenhalten, wenn sie selbst zu einer vorangegangenen Störung des Vertrauensverhältnisses beigetragen hat.

II) Der von der Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht gestellte Antrag, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin gem. § 9 KSchG aufzulösen, ist unbegründet.

Der Beklagten steht ein Auflösungsanspruch bereits deshalb nicht zu, weil die von ihr ausgesprochene Kündigung auch aus einem anderen Grund als demjenigen der Sozialwidrigkeit unwirksam ist. Daran ändert auch die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 10.11.1994, NZA 95, 309) nichts, denn das Bundesarbeitsgericht bleibt jedenfalls dann, wenn die Unwirksamkeit Folge eines Verstoßes gegen eine Schutznorm zugunsten des Arbeitnehmers ist, bei seiner bisherigen Rechtsprechung. Danach kann sich der Arbeitgeber nur dann auf einen Auflösungsanspruch berufen, wenn die Kündigung sozialwidrig, nicht aber aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. § 102 BetrVG ist ein Schutzgesetz zugunsten des Arbeitnehmers i. S. dieser Rechtsprechung.

Unabhängig davon liegen auch keine Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht erwarten lassen.

Soweit die Beklagte auf beleidigende Äußerungen gegenüber dem Geschäftsleiter H. abstellt, ist ihr entgegenzuhalten, daß dieser nicht mehr in der Betriebsleitung tätig ist und daher in der Zusammenarbeit mit der Klägerin kein Konfliktpotential gegeben sein kann. Im übrigen handelt es sich bei den Äußerungen der Klägerin um einen einmaligen Vorgang aufgrund eines ganz konkreten Anlasses. Es ist nicht zu besorgen, daß die Klägerin solche Äußerungen wiederholt und dadurch die betriebliche Zusammenarbeit stört.

Die aus der Aussage des Zeuge B. entnommene Begründung des Auflösungsantrages, die Klägerin hetze im Markt die Kollegen gegeneinander auf, ist zu unsubstantiiert, um verwertbar zu sein.

Auszuschließen ist ferner, daß das von der Beklagten beanstandete Prozeßverhalten der Klägerin Auswirkungen auf die betriebliche Zusammenarbeit haben könnte. Die Klägerin hat mit ihren Angaben zur Aushändigung des Kündigungsschreibens bereits am 08.04.1998, wie bereits erörtert, lediglich auf die Aussagen des Zeugen H. reagiert, der angab, er habe sie bereits an diesem Tag nach Hause geschickt und von der Arbeitsleistung freigestellt. Demnach wäre es auch denkbar gewesen, daß die Klägerin bereits an diesem angeblich letzten Arbeitstag das Kündigungsschreiben erhalten hat. Daß die Klägerin diesen Sachverhalt im Anschluß an die Zeugenaussage auch nach der Überzeugung des Gerichts falsch erinnert hat, macht ihren Vortrag noch nicht zu einer bewußt unwahren Prozeßbehauptung, wie die Beklagte meint.

Nicht rechtfertigen kann den Auflösungsantrag schließlich, daß die Beklagte Leistungsmängel der Klägerin aus der Zeit nach Ausspruch der Kündigung behauptet. Die Beklagte macht damit im Nachhinein Kündigungsgründe geltend. Weshalb diese geeignet sein sollen, den Auflösungsantrag zu rechtfertigen, wurde nicht erläutert.

Die Beklagte hat gem. § 98 ZPO die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Ausgenommen hiervon sind die Kosten, die die Klägerin gem. § 344 ZPO zu tragen hat. Die letztgenannte Kostenfolge ist auszusprechen, obwohl das Gericht den Termin, in dem die Klägerin säumig war, nach pflichtgemäßem Ermessen gem. § 227 ZPO hätte vertagen sollen, da der Prozeßvertreter der Klägerin sein Nichterscheinen entschuldigt hatte.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
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