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Text des Beschlusses
13 Ga 65/07;
Verkündet am:
08.08.2007
ArbG Arbeitsgericht Nürnberg
Rechtskräftig: unbekannt! Der Antragsgegnerin wird es untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Antragstellerinnen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in der 1. Instanz zu Streiks aufzurufen 1. Railiion Deutschland AG 2. DB Fernverkehr AG - Antragsteller - g e g e n Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer - Antragsgegner - 1. Der Antragsgegnerin wird es untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Antragstellerinnen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in der 1. Instanz, längstens bis zum 30.9.2007, zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben der Antragstellerinnen durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in Anlage ASt 20 genannten Inhalten durchzusetzen. 2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von EURO 250.000,00 (i. W. zweihundertfünfzigtausend), ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an ihren Bundesvorsitzenden, angedroht. 3. Die Zustellung der gerichtlichen Entscheidung wird auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen gestattet. 4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streik ist vorläufig zu untersagen. Das Gericht hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angekündigten Streiks. Zur Begründung wird insoweit auf die Antragsschrift verwiesen. Die Zweifel konnten durch die eingereichte Schutzschrift der Antragsgegnerin nicht ausgeräumt werden. Durch den Streik drohen nicht nur den Antragstellern, sondern der gesamten Volkswirtschaft insbesondere in der Hauptreisezeit immense wirtschaftliche Schäden. Ein mögliches Streikrecht der Antragsgegnerin wird durch die vorläufige Untersagung nur befristet eingeschränkt. Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist diese Einschränkung angesichts der irreversiblen Folgen derzeit eher hinzunehmen als einen möglicherweise rechtswidrigen Streik zuzulassen. Da der Streik bereits am 09.08.2007, 0.00 Uhr beginnen soll, konnte eine mündliche Verhandlung nicht mehr durchgeführt werden (§§ 62 Abs. 2 S. 2, 53 Abs. 1 ArbGG). Die Antragsschrift beinhaltet im wesentlichen folgende Erwägungen: 1. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Nürnberg zum Erlass der einstweiligen Verfügung ergebe sich als ausschließliche Zuständigkeit aus §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 937, 943 ZPO, weil auch die Hauptsache mit demselben Streitgegenstand beim Arbeitsgericht Nürnberg anhängig ist. 2. Der Verfügungsanspruch ergebe sich aus § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 BGB, da die Gewerkschaft G. mit dem Aufruf zu einem rechtswidrigen Streik und dessen Durchführung in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerinnen eingreife. 3. Der angekündigte Streik sei wegen der Störung der Arbeitskampfparität (die Antragstellerinnen könnten aus Rechtsgründen nicht mit eigenen Kampfmaßnahmen reagieren, weil im Verhältnis zu den in den anderen Gewerkschaften organisierten Mitarbeitern Friedenspflicht bestehe) und der Verletzung der Friedenspflicht rechtswidrig. (wird im einzelnen ausgeführt) 4. Insbesondere ergebe sich die Rechtswidrigkeit jedoch daraus, dass der angestrebte eigenständige Tarifvertrag für das Fahrpersonal nach dem Grundsatz der Tarifeinheit vom vorhandenen Tarifvertrag für sämtliche Bahnbedienstete ohnehin verdrängt wäre und im Betrieb nicht zur Anwendung kommen könnte. Jeglicher Streik zur Durchsetzung eines ausschließlich für das Fahrpersonal geltenden Tarifvertrages sei deswegen unverhältnismäßig. a. Im Falle des Abschlusses eines solchen eigenständigen Tarifvertrages würde der Grundsatz der Tarifeinheit in mehrfacher Hinsicht durchbrochen. Zum einen käme es in den Betrieben zur Tarifkonkurrenz. Dies gelte insbesondere hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer, die Mitglied in beiden Gewerkschaften seien. Zum anderen käme es zu einer Tarifpluralität, denn die bereits mit den großen Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge erfassten nach ihrem Geltungsbereich bereits alle Arbeitnehmer, also auch das ohnehin mehrheitlich bei diesen Gewerkschaften organisierte Fahrpersonal. b. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG stelle ein solches Nebeneinander von Tarifverträgen in einem Unternehmen oder Betrieb eine „rechtliche und tatsächliche Unzuträglichkeit“ dar. Die Anwendung mehrerer Tarifverträge, die von verschiedenen Tarifvertragsparteien abgeschlossen wurden, in einem Betrieb würde zu praktischen, kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Dementsprechend habe das BAG in ständiger Rechtsprechung vertreten, dass nach dem aus übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit folgenden Grundsatz der Tarifeinheit immer nur ein Tarifvertrag auf Betriebsebene Anwendung finden könne. c. Gerade in der betrieblichen Situation der Antragstellerinnen, wo in allen Organisationseinheiten neben dem Fahrpersonal auch andere Arbeitnehmergruppen beschäftigt seien und in allen Arbeitnehmergruppen Mitglieder aller drei Gewerkschaften sowie nicht organisierte Arbeitnehmer miteinander arbeiteten, hätte die Geltung eines eigenständigen Tarifvertrags für das Fahrpersonal unlösbare Konsequenzen: Die Antragstellerinnen könnten nicht klären, welche Tarifverträge sie für die einzelnen Arbeitnehmer des Fahrpersonals anzuwenden hätten. Ein Fragerecht des Arbeitgebers oder eine Offenbarungspflicht der Arbeitnehmer werde sei jeher von der Rechtsprechung abgelehnt. Außerdem wäre den Antragstellerinnen eine Überprüfung etwaiger Angaben über die Gewerkschaftszugehörigkeit ebenso wenig möglich wie die Sanktionierung etwaiger fehlerhafter Erklärungen. Zahlreiche Arbeitnehmer würden dazu verleitet, womöglich nach jeder Tarifrunde die Gewerkschaftszugehörigkeit zu wechseln, um jeweils in den Genuss des günstigeren Tarifvertrages zu kommen („Gewerkschafts-Hopping“). Welcher Tarifvertrag zur Anwendung käme, ließe sich nicht klären. Völlig unklar wäre es zukünftig, welche tarifvertraglichen Regelungen kraft der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln für nichtorganisierte Arbeitnehmer zur Anwendung gelangen würden. d. Der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit stehe auch entgegen, dass betriebsverfassungsrechtliche Normen und Betriebsnormen nach § 3 Abs. 2 TVG wie etwa Regelungen über abweichende Betriebsstrukturen, Arbeitszeiten und Kündigungsbeschränkungen nur einheitlich für alle Betriebe gelten könnten. e. Die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit würde eine „Balkanisierung“ der Tariflandschaft, also das Entstehen zahlreicher „Splitter-Gewerkschaften“ fördern. f. Der Grundsatz der Tarifeinheit werde vom BAG in langjähriger und ständiger Rechtsprechung vertreten. Es sei nicht angezeigt, dass die Instanzgerichte insbesondere im vorläufigen Rechtsschutz von diesem Grundsatz abwichen, zumal dies zu einer völlig veränderten Tarifstruktur führen würde. g. Das BAG stelle die Tarifeinheit dadurch her, dass es dem spezielleren Tarifvertrag den Vorrang gewähre. Hierbei handele es sich um denjenigen Tarifvertrag, der dem Betrieb – und nicht einer einzelnen Arbeitnehmergruppe – räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten stehe und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten Rechnung trage. Der angestrebte Tarifvertrag der Gewerkschaft G. sei zwar möglicherweise für das Fahrpersonal spezieller, werde aber den Erfordernissen und Eigenarten der Betriebe der Antragstellerinnen schon deshalb nicht gerecht, weil er nicht geeignet sei, die Arbeitsbedingungen der dort beschäftigten Arbeitnehmer einheitlich zu regeln; vielmehr führe er zwangsläufig zu einer Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität. Ein Tarifvertrag, der ausschließlich die Arbeitsbedingungen eines Teils der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer regle, könne nur zu einem unkoordinierten Nebeneinander von Tarifregelungen führen. h. Ein Arbeitskampf, dessen Ziel darin bestehe, einen nach dem Grundsatz der Tarifeinheit nicht zur Anwendung gelangenden Tarifvertrag durchzusetzen, sei unzulässig. Die kampfmäßige Erzwingung eines nicht zum Zuge kommenden Tarifvertrages sei nicht verfassungsrechtlich geschützt und verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Arbeitskämpfe dürften nur insoweit eingeleitet und durchgeführt werden, als sie zur Erreichung rechtmäßiger Kampfziele und des nachfolgenden Arbeitsfriedens geeignet und sachlich erforderlich seien. Arbeitskämpfe, die sich als unnötig oder ungeeignet erwiesen oder außer Verhältnis zum erstrebten Ziel ständen, seien unzulässig. 5. Die Unverhältnismäßigkeit des beabsichtigten Arbeitskampfes ergebe sich bereits aus der Abwägung der beiderseitigen Interessen und den mittelbaren Auswirkungen für die Allgemeinbevölkerung und die Volkswirtschaft. a. Bei bundesweiten Streiks sei damit zu rechnen, dass die Züge in ganz Deutschland oder ganzen Regionen nicht fahren könnten. Die Pendler könnten nicht an ihre Arbeitsstellen kommen, sonstige Kunden, insbesondere auch Ferienreisende, könnten ihre Reiseziele nicht erreichen, Familien müssten ihre Urlaubsreisen absagen oder könnten nur unter größten Schwierigkeiten aus dem Urlaub nach Hause gelangen. b. Die angekündigten Streiks im Güterverkehr könnten zu einer Gefährdung der Versorgungslage führen und die Volkswirtschaft ganz erheblich schädigen. Produktionsbetriebe – gerade der Chemie- und Automobilindustrie – seien von der pünktlichen Anlieferung von Waren und Rohstoffen an die Fertigungsstellen abhängig. Ohne die Güterlieferungen des Schienenverkehrs fehlten den deutschen Unternehmen die notwendigen Rohstoffe zur Aufrechterhaltung der Produktion. Produktionsstillstände in zahllosen Unternehmen wären die Folge. Der volkswirtschaftliche Schaden des Stillstands des Güter- und Personenverkehrs in Folge eines ganztägigen Streiks könnte sich – zusätzlich zu den Verlusten der Unternehmen der Deutschen Bahn in Höhe von ca. 42 Mio. Euro – nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf bis zu 500 Mio. Euro je Tag belaufen. c. Bei flächendeckenden Arbeitsniederlegungen könne es darüber hinaus zu Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs sowie für Leib und Leben Dritter kommen. Dies gelte insbesondere dann, wenn Züge auf offener Strecke stehen blieben oder im Gleisvorfeld zu Stehen kämen und die Fahrgäste – wie bei den Warnstreiks Anfang März 2003 geschehen – auf offener Strecke oder im Gleisvorfeld aussteigen müssten. d. Die zu erwartenden Schädigungen und Beeinträchtigungen sowohl der Antragstellerin als auch der Bevölkerung und der Volkswirtschaft ständen in einem unerträglichen Missverhältnis zu dem erstrebten Ziel, nämlich dem Abschluss eines in seiner Anwendung verdrängten Tarifvertrages. 6. Schließlich sei auch der Kreis derjenigen Gesellschaften des Konzerns, für den der Tarifvertrag erstreikt werden solle, unklar. Außerdem seien die Arbeitskampfforderungen der Gewerkschaft G. unklar und unkonkret. (bearbeitet durch die Pressestelle des Landesarbeitsgerichts Nürnberg) ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |