Text des Beschlusses
1 W 35/09;
Verkündet am:
04.12.2009
OLG Oberlandesgericht Naumburg
Vorinstanzen: 11 OH 24/09 Landgericht Magdeburg; Rechtskräftig: unbekannt! Eigenart und inhaltliche Bedeutung des selbständigen Beweisverfahrens für Verfahrensbeteiligte zwingen zu einschränkender Auslegung des Begriffs der hinreichenden Erfolgsaussicht iSv. § 114 ZPO Titelauswahl: Franz-Anton Plitt, Chisinau - Internet entrepreneurLeitsatz des Gerichts: Die Eigenart und die inhaltliche Bedeutung des selbständigen Beweisverfahrens für die Verfahrensbeteiligten zwingen zu einer einschränkenden Auslegung des Begriffs der hinreichenden Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO. Dies gilt insbesondere auch für den Antragsgegner, der regelmäßig die Anordnung der Beweiserhebung nicht verhindern kann. „Erfolg“ des Antragsgegners im Beweisverfahren kann sich grundsätzlich allein auf die Verschaffung rechtlichen Gehörs und auf die zweckentsprechende Wahrnehmung der prozessualen Rechte im Rahmen der Beweiserhebung beziehen. In dem Beweisverfahren … hier: Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Antragsgegnerin im Beweisverfahren hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann am 4. Dezember 2009 beschlossen: Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 9. September 2009 in Ziffer I seines Tenors abgeändert und, wie folgt, neu gefasst. Der Antragsgegnerin wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Beweisverfahren, rückwirkend ab dem 24. August 2009 (Antragseingang), bewilligt. Gleichzeitig wird ihr Rechtsanwalt H. aus M. zur Wahrnehmung der Rechte im Beweisverfahren beigeordnet. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen der Beteiligten werden nicht erstattet. Die Antragsteller haben im Juli 2009 beim Landgericht Magdeburg die Anordnung einer Beweisaufnahme durch Einholung eines bautechnischen Gutachtens über behauptete Mängel an einem Einfamilienhaus im selbständigen Beweisverfahren beantragt. Sie sind anwaltlich vertreten. Die Antragsgegnerin begehrt Prozesskostenhilfe für das Beweisverfahren. Sie macht u.a. zu ihrer Rechtsverteidigung geltend, dass zwischen den Beteiligten des Beweisverfahrens vertraglich ein Ausschluss der Gewährleistung für Sachmängel vereinbart worden sei, so dass es an einem Interesse der Antragsteller an der begehrten Beweisaufnahme fehle. Ein Teil der Fragestellungen im Antrag, insbesondere zum Zustand der elektrischen Hausanlagen sowie der Heizungsanlage, sei mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig. Das Landgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 9. September 2009, dort Ziffer I., zurückgewiesen. Diese Entscheidung hat die Kammer darauf gestützt, dass der Rechtsverteidigung im Beweisverfahren eine hinreichende Erfolgsaussicht fehle. Die materiell-rechtlichen Einwendungen der Antragsgegnerin gegen etwaige Gewährleistungsansprüche der Antragsteller seien im Beweisverfahren unerheblich. Für die Durchführung der Beweisaufnahme sei die Mitwirkung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich. Mit demselben Beschluss unter Ziffer II des Tenors hat das Landgericht die Beweiserhebung antragsgemäß angeordnet. Die Antragsgegnerin hat gegen den ihr am 18. September 2009 zugestellten Beschluss mit einem am 19. Oktober 2009 (Montag) beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde hinsichtlich der Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuches eingelegt. Auf den Inhalt des Beschwerdevorbringens wird Bezug genommen. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und seinen Rechtsstandpunkt im Nichtabhilfebeschluss vom 22. Oktober 2009 vertieft. Im Beschwerdeverfahren vor dem Senat hatten die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme, von der sie jeweils keinen Gebrauch gemacht haben. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat auch in der Sache Erfolg. 1. Die Kammer hat der Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin im Beweisverfahren zu Unrecht eine hinreichende Erfolgsaussicht aberkannt; mit dieser Begründung kann das Prozesskostenhilfegesuch der Antragsgegnerin nicht zurückgewiesen werden. Auch die Kammer geht allerdings zutreffend davon aus, dass die Eigenart und die inhaltliche Bedeutung des selbständigen Beweisverfahrens für die Verfahrensbeteiligten zu einer einschränkenden Interpretation des Begriffes der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S. von § 114 ZPO zwingt (vgl. Saarländisches OLG, Beschluss v. 30. April 2003, 4 W 58/03 – MDR 2003, 1436 – hier zitiert nach juris). Für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist auf den Gegenstand und den Zweck des Beweisverfahrens abzustellen und nicht etwa auf eine Prognose der Erfolgsaussichten in einem etwaigen bzw. bereits parallel anhängigen Hauptprozess (vgl. auch Geimer in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 114 Rn. 42 m.w.N.). Für die Frage, ob eine hinreichende Erfolgsaussicht des Antragstellers im Beweisverfahren besteht, kommt es regelmäßig nur auf die Zulässigkeit des Beweisantrags und die Aussicht auf Durchführung des Beweisverfahrens an, weil sonst die Anforderungen an Inhalt und Umfang der Antragsbegründung für eine bedürftige Partei gegenüber einer Person, die das Beweisverfahren auf eigene Kosten führt, sehr viel höher wären und dies mit dem Zweck der Prozesskostenhilfe – der Herstellung von Waffen- und Chancengleichheit für bedürftige Personen – nicht vereinbar wäre (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss v. 13. Februar 2002, 8 W 12/02 – MDR 2002, 910 – hier zitiert nach juris, m.w.N. in Rn. 4 f.; OLG Celle, Beschluss v. 20. April 2004, 5 W 13/04 – BauR 2004, 1659 sowie OLG Hamm, Beschluss v. 15. Dezember 2004, 17 W 43/04 – BauR 2005, 1360 – hier beide zitiert nach juris). Für den Antragsgegner in einem Beweisverfahren kann nichts Anderes gelten. Auf mögliche Einwendungen gegen die in einem Hauptprozess u.U. geltend gemachten Ansprüche des Antragstellers kommt es nicht an, wovon auch die Kammer zutreffend ausgegangen ist. Mit inhaltlichen Einwendungen kann der Antragsgegner die Durchführung eines Beweisverfahrens auch nicht verhindern; sie sind ihm letztlich abgeschnitten. In einer isolierten, einem Hauptprozess häufig zeitlich vorgezogenen Beweiserhebung ist der „Erfolg“ eines Beteiligten regelmäßig gerade nicht formal an einer Abweichung der Endentscheidung von den Anträgen der Beteiligten zu messen, weil es eine Endentscheidung typischerweise nicht gibt und der Antragsgegner oft gar keinen Antrag stellt. Eine Ausnahme hiervon liegt kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Antragsgegner Einwendungen gegen die Zulässigkeit des gesamten Antrages auf Durchführung eines Beweisverfahrens erheben kann. Im vorliegenden Verfahren wird die Unzulässigkeit des Beweisantrages in toto nicht gerügt; sie liegt auch nicht vor. Es ist jedoch verkürzt, allein aus dem Umstand, dass die Anordnung einer selbständigen Beweiserhebung in Betracht kommt oder – wie hier – bereits erfolgt ist, auf eine unzureichende Erfolgsaussicht des Antragsgegners bzw. hier der Antragsgegnerin zu schließen (vgl. Saarländisches OLG, a.a.O.; ebenso Herget in: Zöller, a.a.O., § 490 Rn. 5; a.A. – soweit ersichtlich – nur LG Karlsruhe, Beschluss v. 13. Januar 1993, 4 OH 37/92 – MDR 1993, 914). „Erfolg“ im Beweisverfahren kann sich grundsätzlich allein auf die Verschaffung rechtlichen Gehörs und auf die zweckentsprechende Wahrnehmung der prozessualen Rechte im Rahmen der Beweiserhebung beziehen. Eine so verstandene Rechtsverteidigung ist daher hinreichend Erfolg versprechend, wenn der Antragsgegner ein rechtliches Interesse daran hat, im Beweisverfahren einen Rechtsanwalt hinzuziehen, dessen Kosten sie ohne Prozesskostenhilfe zunächst zu tragen hätte (vgl. Saarländisches OLG, a.a.O.; Herget a.a.O.). Das rechtliche Interesse der Antragsgegnerin an der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigten ergibt sich hier bereits aus dem Umstand, dass für die Wahrnehmung der prozessualen Rechte im Beweisverfahren nach § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Anwaltszwang gilt (zum sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift vgl. nur Vollkommer in: Zöller, a.a.O., § 78 Rn. 13, 28 m.w.N.). Zwar sieht § 486 Abs. 4 ZPO eine Ausnahme für die Antragstellung vor, jedoch nicht für die weiteren Prozesshandlungen, wie die Teilnahme an einer Beweisaufnahme (hier: an einem etwaigen Ortstermin, vgl. §§ 357, 402, 491 f. ZPO), das Hinwirken auf eine Ergänzung bzw. Erweiterung der Beweisaufnahme (vgl. hier §§ 411 Abs. 4, 411a, 412, 491 f. ZPO) bzw. die Ablehnung oder Beeidigung eines Sachverständigen (vgl. §§ 406 bzw. 410 ZPO). Dieser Rechtsgedanke kommt auch in § 121 Abs. 1 ZPO zum Ausdruck (a.A. offensichtlich OLG Celle, Beschluss v. 4. Oktober 2000, 13 W 62/00 – OLGR 2001, 248 – hier zitiert nach juris, vgl. Rn. 4 a.E.). Selbst wenn jedoch hier kein Anwaltszwang bestünde, wäre ein rechtliches Interesse der Antragsgegnerin an der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigten und mithin eine hinreichende Erfolgsaussicht i.S. von § 114 ZPO zu bejahen. In Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 121 Abs. 2 Alt. 2 ZPO läge hier die Anerkennung eines rechtlichen Interesses an der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts schon deshalb nahe, weil die Antragsteller anwaltlich vertreten sind und das Gebot der prozessualen Waffen- und Chancengleichheit eine anwaltliche Unterstützung der Antragsgegnerin regelmäßig verlangte (vgl. LG Augsburg, Beschluss v. 20. Juli 1995, 4 T 5602/94 – WuM 1996, 233 – hier zitiert nach juris, insbes. Rn. 11, 13; LG Bielefeld, Beschluss v. 18. Mai 1999, 22 T 17/99 – BauR 1999, 1209 –zitiert nach juris; ebenso – bereits von der Kammer angeführt – Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., vor § 485 Rn. 7; MüKo-ZPO, 2. Aufl., § 114 Rn. 98). Das rechtliche Interesse der Antragsgegnerin an der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kann – entgegen der Auffassung der Kammer – auch nicht davon abhängig sein, ob von der Mitwirkung eines Rechtsanwalts ein Erkenntnisgewinn bei den technischen Feststellungen des Sachverständigen zu erwarten ist (so wohl auch OLG Celle, a.a.O.). Maßgeblich ist, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes geeignet ist, eine effektive Wahrnehmung der prozessualen Rechte im Beweisverfahren sowie ggf. eine vollständige Beantwortung der zulässigen Beweisfragen zu gewährleisten (so auch Saarländisches OLG, a.a.O.; LG Augsburg, a.a.O.). Dies ist im vorliegenden Fall, in dem es u.U. später nicht allein auf den Umstand des Bestehens von Mängeln ankommt, von besonderer Bedeutung, wie bereits die bisherigen Stellungnahmen der Antragsgegnerin zeigen. 2. Die weiteren Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor. Zwar hat die Kammer – aus ihrer Sicht konsequent – diese weiteren Voraussetzungen nicht geprüft, jedoch hat der Senat zur Beschleunigung des Verfahrens diese Prüfungen selbst vorgenommen. Die Antragsgegnerin ist nach den von ihr dargelegten und glaubhaft gemachten Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen insbesondere auch nicht in der Lage, etwaige Prozesskosten in Raten aufzubringen. Unter Berücksichtigung der in der Erklärung aufgeführten Abzüge und Zahlungsverpflichtungen sowie der Freibeträge für die Lebenshaltung für sie und ihre Tochter verbleibt kein im Rahmen von § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen. 3. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 127 Abs. 4 ZPO und §§ 1, 3 Abs. 2 GKG i.V.m. KV Nr. 1812 (Anlage 1 zum GKG). gez. Dr. Zettel Vizepräsident des Oberlandesgerichts gez. Dr. Tiemann Richter am Oberlandesgerichtgez. Wiedemann Richter am Oberlandesgericht ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |