Text des Urteils
1 U 106/09;
Verkündet am:
11.02.2010
OLG Oberlandesgericht Naumburg
Vorinstanzen: 2 O 891/08 Landgericht Dessau-Roßlau; Rechtskräftig: unbekannt! Hat die Zustellung eines Schriftstücks von Amts wegen zu erfolgen, treffen sowohl den Gegner des Zustellungsempfängers als auch das Gericht die Pflicht zur selbständigen Prüfung der Voraussetzungen von § 185 ZPO Leitsatz des Gerichts: Hat die Zustellung eines Schriftstücks von Amts wegen zu erfolgen, treffen sowohl den Gegner des Zustellungsempfängers als auch das Gericht die Pflicht zur selbständigen Prüfung der Voraussetzungen von § 185 ZPO. Wieweit diese Pflicht des Gerichts geht, kann offen bleiben. Jedenfalls erfordert sie, dass die justizinternen Informationsquellen dann ausgeschöpft werden müssen, wenn dies ohne jeden Aufwand möglich und dem Kläger die Informationsbeschaffung auf diesem Wege nicht möglich ist. In dem Rechtsstreit … hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 4.2.2010 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel, den Richter am Oberlandesgericht Grimm und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann für Recht erkannt: Auf die Berufung des Beklagten wird das am 15.9.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau (2 O 891/08) abgeändert und wie folgt neu gefasst: Das Versäumnisurteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 11.5.2009 (2 O 891/08) wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. und beschlossen: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.137,09 Euro festgesetzt. Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen geltend. Streitgegenständlich sind die Monate Januar bis März 2005 (insgesamt: 12.137,09 Euro). Der Beklagte wurde (u.a. auch wegen der hier streitgegenständlichen Monate – Bl. 4R BA -) vom Amtsgericht Dessau-Roßlau mit Urteil vom 18.3.2008 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Als Bewährungsauflage wurde ihm (u.a.) aufgegeben, seinen jeweiligen Wohnsitz dem Amtsgericht gegenüber anzugeben. Dem vom Senat beigezogenen Bewährungsheft (11 BRs 45/08) kann entnommen werden, dass der Beklagte mit Schreiben vom 14.8.2008, 10.10.2008, 14.4.2009 und 14.6.2009 dem Amtsgericht gegenüber seinen Wohnsitz (bzw. einen Wohnsitzwechsel) in K. (Ukraine) mitgeteilt hat. Die Klägerin hat zunächst einen Mahnbescheid beim AG Aschersleben beantragt und als Adresse des Beklagten angegeben: W. 5A in D.. Unter dieser Anschrift konnte der Mahnbescheid nicht zugestellt werden, was das Zentrale Mahngericht der Klägerin mit Schreiben vom 15.1.2008 (Bl. 25) mitteilte. Die unter der Adresse W. 5A wohnhafte Frau P. V., die Lebensgefährtin des Beklagten, zeigte der Klägerin mit Schreiben vom 7.1.2008 (Bl. 26) an, dass der Beklagte nicht mehr bei mir in D. wohnt. Eine erneute Anfrage beim Einwohnermeldeamt D. vom 18.1.2008 ergab als neue Adresse (Bl. 27): T. 97a, B./Italien Auch dort konnte eine Zustellung des Mahnbescheides durch das Zentrale Mahngericht nicht erfolgen (Mitteilung vom 25.7.2008 – Bl. 28 -). Auf eine Anfrage des Zentralen Mahngerichts teilte die Staatsanwaltschaft Bozen mit, dass der Beklagte im Mai 2008 – wieder – nach D. verzogen sei (Bl. 33). Eine erneute Anfrage beim Einwohnermeldeamt D. ergab die Mitteilung, dass der Beklagte noch in B. gemeldet sei. Am 14.8.2008 begab sich ein Vollzugsbediensteter der Klägerin, der Zeuge M., zur Adresse W. 5A und traf dort auf die Zeugin P. V.. Das Gespräch als solches ist unstreitig. Zu seinem Inhalt machen die Parteien unterschiedliche Angaben: Die Klägerin hat in der Klageschrift vorgetragen (Bl. 14), die Zeugin V. habe erklärt, dass sie weder Post des Beklagten entgegen nehme, noch dessen Adresse in K. angeben wolle. Im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 24.8.2009 (Bl. 104/105) hat der Beklagte demgegenüber vorgetragen, dass sich der Zeuge M. der Zeugin V. nicht vorgestellt habe. Seine Frage nach dem Aufenthaltsort des Beklagten habe sie wahrheitsgemäß mit K. beantwortet. Auf die weitere Frage: Die genaue Adresse wollen sie mir wohl nicht nennen, habe die Zeugin mit Nein beantwortet. Darauf sei der ihr unbekannte Mann kommentarlos gegangen. Die Klägerin hat weiter vorgetragen, dass ihr das Strafurteil vom 18.3.2008 erst am 6.8.2009 bekannt geworden sei. In der Ukraine existiere zudem kein Meldesystem. Mit Schriftsatz vom 12.12.2008 hat die Klägerin Klage erhoben und die öffentliche Zustellung beantragt, was das Landgericht mit Beschluss vom 18.3.2009 (Bl. 35) bewilligt hat, wobei zwischen den Parteien nicht im Streit steht, dass die Förmlichkeiten beachtet wurden. Am 12.5.2009 hat das Landgericht antragsgemäß ein Versäumnisurteil erlassen (Bl. 46) und mit Beschluss vom 18.5.2009 (Bl. 50) die öffentliche Zustellung auch dieses Urteils bewilligt. Mit Schriftsatz vom 4.6.2009 hat der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt. Er ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung der Klageschrift und des Versäumnisurteils nicht vorgelegen hätten. In der Sache erhebt er die Einrede der Verjährung. Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht das Versäumnisurteil vom 12.5.2009 aufrechterhalten. Da die öffentliche Zustellung rechtmäßig erfolgt sei, könne der Beklagte mit der Einrede der Verjährung nicht durchdringen. Erhebliche Einwände gegen den Klageanspruch in der Sache habe er nicht erhoben. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der Berufung, mit der er seine Rechtsstandpunkte zur Rechtswidrigkeit der öffentlichen Zustellung und zur Frage der Verjährung wiederholt. Der Senat hat das Bewährungsheft des AG Dessau-Roßlau (11 BRs 45/08) beigezogen. Mit der Ladungsverfügung (Bl. 136) wurde der Klägerin aufgegeben vorzutragen, ob sie über den bisherigen Vortrag hinaus weitere Versuche der Aufenthaltsermittlung des Beklagten unternommen habe. Ergänzenden Vortrag dazu hat die Klägerin nicht gehalten. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Einem Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß den §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a, 14 StGB wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen für die Monate Januar bis März 2005 in Höhe der Klageforderung steht die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die Verjährungsfrist für die streitgegenständliche Forderung beträgt nach allgemeinen Regeln (§ 195 BGB) 3 Jahre und beginnt am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; dass die Voraussetzungen von Nr. 2 vorliegen, ist zwischen den Parteien nicht streitig.). Die Arbeitnehmerbeiträge waren zum 15. des Folgemonats fällig (die Beiträge für März spätestens zum 15.4.2005), sodass die Verjährungsfrist mit dem 31.12.2005 zu laufen begann und zum 31.12.2008 Verjährung eintrat. Bis zum 31.12.2008 hat die Klägerin keine – wirksamen – Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung ergriffen. Zwar ging die Klageschrift (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) am 15.12.2008 beim Landgericht ein. Auch der Gerichtskostenvorschuss wurde in unverjährter Zeit gezahlt (22.12.2008), sodass grundsätzlich die Rechtshängigkeit auch noch rückwirkend bezogen auf den 31.12.2008 eintreten konnte, wenn die Zustellung demnächst erfolgte (§ 167 ZPO). Dem steht nicht entgegen, dass die öffentliche Zustellung erst mit Beschluss des Landgerichts vom 18.3.2009 (Bl. 35) bewilligt wurde. Bei der Beurteilung, ob die Rückwirkung des § 167 ZPO noch eingreift, kann nicht allein auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Vielmehr sollen, da die Zustellung von Amts wegen erfolgt, die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebes bewahrt werden, weil diese Verzögerungen von ihnen nicht beeinflusst werden können. Es gibt deshalb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als demnächst anzusehen ist. Dies gilt selbst bei mehrmonatiger Verzögerung. Denn Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung durch das Gericht verursacht sind, muss sich der Kläger grundsätzlich nicht zurechnen lassen (BGHZ 168, 306, 310/11 [Rn. 17] m.w.N.). Die Klägerin hatte mit der rechtzeitigen Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses ihrerseits alles getan, damit eine Zustellung demnächst erfolgen konnte. Die Verzögerung hat allein das Landgericht zu vertreten, wobei sich die Gründe, warum erst am 18.3.2009 über die öffentliche Zustellung entschieden wurde, der Gerichtsakte nicht entnehmen lassen. Die Verjährung konnte aber deshalb nicht gehemmt werden, weil die Voraussetzungen von § 185 ZPO nicht vorlagen: Vorab ist anzumerken, dass der Beklagte im Inland nicht gegen die gesetzlichen Meldepflichten verstoßen hat. Wer aus einer Wohnung auszieht und keine neue Wohnung im Inland bezieht, hat sich innerhalb einer Woche nach dem Auszug bei der Meldebehörde abzumelden (§ 9 Abs. 2 MG-LSA). Dass der Beklagte gegen diese Verpflichtung verstoßen hätte, kann nicht festgestellt werden, weil das Einwohnermeldeamt der Stadt D. in der Lage war, die Adresse in Italien (B., T. 97a) der Klägerin korrekt mitzuteilen. Dass der Beklagte nach italienischem Recht verpflichtet gewesen wäre, einen Wohnungswechsel nach K. anzuzeigen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, kann aber letztlich dahinstehen, weil keine erkennbare Verpflichtung bestand, einen Umzug von Italien in die Ukraine einer deutschen Meldebehörde mitzuteilen. Dass der Beklagte zwischenzeitlich wieder eine Wohnung (i.S.v. § 7 MG-LSA) in D. unterhielt und deshalb dort erneut meldepflichtig war (§ 9 Abs. 1 MG-LSA), kann dem Vortrag der Klägerin nicht hinreichend entnommen werden. Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Bozen vom 19.7.2008 (Bl. 33) ist dafür allein nicht aussagekräftig, weil ihr nicht entnommen werden kann, auf welcher Tatsachenbasis die Information beruht, dass der Beklagte im Mai 2008 nach D. umgezogen sei. Hat die Zustellung eines Schriftstücks von Amts wegen zu erfolgen (§ 166 Abs. 2 ZPO), treffen sowohl den Gegner des Zustellungsempfängers (= Klägerin) als auch das Gericht die Pflicht zur selbständigen Prüfung der Voraussetzungen von § 185 ZPO (KG KGR 1995, 273; im Ergebnis ebenso: OLG Braunschweig, Beschluss vom 11.1.2008 – 3 W 73/07 – [z.B. NJW-RR 2008, 1523]; hier: zitiert nach juris [insbesondere Rn. 5]; OLG Bamberg OLGR 2000, 165; Zöller/Stöber ZPO, 28.Aufl, § 185, Rn. 2 m.w.N.). Inwieweit die Klägerin selbst weitere Informationen zu ermitteln hatte (KG a.a.O. einerseits; OLG Naumburg, Beschluss vom 16.1.2001 – 12 W 43/00 – [NJW-RR 2001, 1148]; hier: zitiert nach juris [insbesondere Rn.10] andererseits), bzw. dies überhaupt tun konnte, bedarf letztlich keiner Entscheidung (insbesondere kann dahinstehen, welchen genauen Inhalt das Gespräch zwischen den Zeugen M. und K.. hatte). Das Landgericht hat – soweit dem Akteninhalt zu entnehmen ist – selbst keine weiteren Ermittlungen angestellt. Für den vorliegenden Fall ist aber zu berücksichtigen, dass die relevanten Informationen justizintern sämtlich vorlagen. Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau (unabhängig von der Frage, wann die Klägerin von der Verurteilung des Beklagten Kenntnis erlangt hat) wusste von dem gegen den Beklagten geführten Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft hätte die Information auf die Verurteilung zur Bewährung durch das Amtsgericht Dessau-Roßlau liefern können. Eine einfache Nachfrage dort hätte zu dem Bewährungsvorgang 11 BRs 45/08 geführt, aus dem heraus die jeweils aktuellen Adressen des Beklagten in K. hätten entnommen werden können. D.h.: Rein tatsächlich wäre es dem Landgericht ohne jeden Aufwand (durch zwei Telefonate z.B. der Geschäftsstelle) möglich gewesen, die relevante Information zu beschaffen. Ob die vom Kammergericht (a.a.O.) genannten einzelnen Maßnahmen in jedem Fall ergriffen werden müssen, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Gefordert werden muss aber, dass die justizinternen Informationsquellen jedenfalls dann ausgeschöpft werden müssen, wenn dies – wie vorliegend – ohne jeden Aufwand möglich ist und dem Kläger die Informationsbeschaffung auf diesem Wege nicht möglich ist. Dem Bewährungsheft kann entnommen werden, dass die Staatsanwaltschaft eine Anfrage einer Bank nach dem Aufenthaltsort des Beklagten abschlägig beschieden hat und somit davon auszugehen ist, dass sie auch bei einer Anfrage der Klägerin so verfahren wäre. Da die Voraussetzungen von § 185 ZPO im Ergebnis nicht vorliegen, konnte mit der Anordnung der öffentlichen Zustellung die rückwirkende Hemmung der Verjährung bezogen auf den 31.12.2008 nicht herbeigeführt werden, sodass die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durchgreift. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht vorliegen. gez. Dr. Zettel gez. Dr. Tiemann RiOLG Grimm Befindet sich im Urlaub und ist an der Unterschrift gehindert gez. Dr. Zettel ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |