|
Text des Beschlusses
1 UF 29/10 ;
Verkündet am:
01.03.2010
OLG Oberlandesgericht Jena
Vorinstanzen: 2 F 320/08 Amtsgericht S.; Rechtskräftig: unbekannt! Art. 111 Abs. 1 FGG-RG und Beschwerdeverfahren Leitsatz des Gerichts: Gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG gelten auch für das Beschwerdeverfahren die bis zum 31.08.2009 geltenden Verfahrensregeln, wenn das Verfahren I. Instanz vor dem 01.09.2009 eingeleitet worden ist. Art. 111 Abs. 2 FGG-RG steht nicht entgegen. In der Familiensache des minderjährigen Kindes T. A., geboren am 02.08.2001, Beteiligte: 1. die Kindesmutter S. A. - Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin der Kindesvater B. A. - Antragsteller und Beschwerdegegner - Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Landratsamt S., Jugendamt, hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Parteina, Richterin am Oberlandesgericht Martin und Richter am Oberlandesgericht Knöchel am 01.03.2010 b e s c h l o s s e n: Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht – S. vom 25.11.2009 – 2 F 320/08 - wird als unzulässig verworfen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde wird der Antragsgegnerin verweigert. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die Antragsgegnerin hat den übrigen Beteiligten deren außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3000,- € festgesetzt. Der Antragsgegnerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren verweigert. Durch den angefochtenen Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind der Parteien T. A., geboren am 02.08.2001, dem Antragsteller alleine übertragen und den Antrag der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Der Beschluss des Familiengerichts wurde der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 14.12.2009 zugestellt (Bl. 152b d A). Die Antragsgegnerin hat durch ihren erstinstanzlichen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14.01.2010 befristete Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss beim Amtsgericht eingelegt und gleichzeitig beantragt, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Sie trägt vor, nach dem neuen FamFG habe jeder Beschluss eine Rechtsmittelbelehrung zu tragen, d.h., er müsse enthalten, wie, bis wann und wo er anfechtbar sei. Nachdem dies vorliegend unterblieben sei, werde von der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausgegangen. Der erstinstanzliche Bevollmächtigte habe die Beschwerde nur fristwahrend eingelegt und werde die Antragsgegnerin in dieser Angelegenheit nicht weiter vertreten. Es werde sich zeitnah eine andere Rechtsanwaltskanzlei melden. Die an das Amtsgericht adressierte Beschwerdeschrift der Antragsgegnerin vom 14.01.2010 ist dort am 14.01.2010 gegen 17.48 Uhr – nach Dienstschluss - eingegangen und wurde gemäß Verfügung der Familienrichterin vom 19.01.2010 nebst Akten an das Thüringer Oberlandesgericht übersandt, wo die Akten ausweislich des Eingangsstempels am 21.01.2010 eingegangen sind (Bl. 159 d A). Mit Verfügung vom 22.01.2010 hat der Senat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass auf das vorliegende Beschwerdeverfahren das vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltende Recht weiterhin anwendbar sei, denn das Verfahren sei vor diesem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen. Das Amtsgericht habe am 19.01.2010 die Weiterleitung der Beschwerde an das Thüringer Oberlandesgericht verfügt. Diese Verfügung sei am selben Tage ausgeführt worden. Die Akte sei mit der Beschwerde am 21.01.2010 und mithin nach Ablauf der Beschwerdefrist bei dem Thüringer Oberlandesgericht eingegangen. Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 01.02.2010 Wiedereinsetzung beantragt und sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – S. vom 25.11.2009 eingelegt. Die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin trägt vor, sie sei am 21.01.2010 von der Antragsgegnerin bevollmächtigt worden. Erst durch einen Artikel in der Zeitschrift „forum familienrecht 1/2010“, ihr zugegangen vor ca. 3 Tagen, habe sie sichere Kenntnis unter Verweis auf eine noch in allen Zeitschriften veröffentlichte Entscheidung des BGH vom 25.11.2009 – Az. XII ZR 8/08 darüber erhalten, dass der BGH das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht in den Verfahren anwende, in denen der Rechtsstreit – wie hier – vor dem 01.09.2009 eingeleitet worden sei. Die bisher unklare Rechtslage zur Einlegung von Rechtsmitteln bei „Altfällen“ könne nicht zu Lasten der Antragsgegnerin gehen, so dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattzugeben sei. Der Antragsteller beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung abzuweisen und ihm für das Wiedereinsetzungsverfahren Verfahrenskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung zu bewilligen. Er führt an, die Versäumung der Frist sei nicht nur darauf zurückzuführen, dass die Beschwerde beim falschen Gericht eingelegt worden sei, sondern auch, dass die Einlegung des Rechtsmittels erst am letzten Tag des Ablaufes der Rechtsmittelfrist, nämlich am 14.01.2010 erfolgt sei. Eine unklare Rechtslage sei nicht anzunehmen. Die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs habe bereits am 25.11.2009 vorgelegen und sei in der Datenbank des Bundesgerichtshofs auf der Homepage veröffentlicht worden. Mehr als 1,5 Monate nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs könne sich die Antragsgegnerin nicht auf eine unklare Rechtslage berufen. Die Beschwerde der Antragsgegnerin war gemäß §§ 621e Abs. 1 u. 3, 621 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden ist (§§ 621e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO). Gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG finden auf das am 12. August 2008 eingeleitete Verfahren die bis zum 31. August 2009 geltenden gesetzlichen Vorschriften Anwendung. Dies gilt auch für das Beschwerdeverfahren (BGH, FamRZ 2010, 189; OLG Stuttgart, OLGR 2009, 872; OLG Düsseldorf, MDR 2009, 1352; OLG Köln, FamRZ 2009, 1852), da es auf die Einleitung des Verfahrens ankommt. Soweit in der Literatur von Prütting (Prütting/Helms, FamFG, Art. 111 FGG-RG, Rz. 5) unter Hinweis auf Art 111 Abs. 2 FGG-RG die Auffassung vertreten wird, aus jener Norm ergebe sich, dass jede Instanz als selbständiges Verfahren im Sinne der Übergangsvorschriften zu behandeln sei, findet diese – vereinzelt gebliebene – Auffassung in den Gesetzesmaterialien keine Grundlage. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum FGG-RG (BT-Drucksache 16/6308, 359) erfolgt in Fällen, in denen – wie hier - das Verfahren in erster Instanz noch nach dem bisherigen Recht eingeleitet worden ist, auch die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nach dem bisher geltenden Recht. Das Beschwerdeverfahren, das am 14.01.2010 eingeleitet wurde, ist kein selbständiges Verfahren i.S. des Abs. 2 der Übergangsvorschrift (Zöller/Feskorn, ZPO, 28. Auflage, vor § 58 FamFG, Rdnr. 7). Der Senat folgt insoweit nicht der von Geimer ( in Zöller, a.a.O., Einl. FamFG, Rdnr. 54) vertretenen Auffassung, dass der „Reparaturgesetzgeber“ mit Abs. 2 dem neuen Rechtsmittelrecht eine schnellere Anwendung verschaffen wollte. Der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 16/6308, S. 359) ist zu entnehmen, dass die Übergangsvorschrift des Art. 111 Abs. 1 FGG-RG sich einheitlich auf die Durchführung des Verfahrens in allen Instanzen gleichermaßen erstreckt. Ist das Verfahren in erster Instanz noch nach dem bisherigen Recht eingeleitet worden, so erfolgt auch die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nach dem bisher geltenden Recht. Ausschließlich soweit auch bereits das erstinstanzliche Verfahren nach den Vorschriften des FGG-Reformgesetzes durchzuführen war, richtet sich auch die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nach den Regelungen des FGG-Reformgesetzes. An dieser Auffassung hat der Gesetzgeber im Zeitpunkt der Einführung der Absätze 2 – 5 zu Art. 111 FGG-RG festgehalten. Abs. 2 stellt klar, dass in Bestandsverfahren wie Betreuung, Vormundschaft oder Beistandschaft jeder selbständige Verfahrensgegenstand, der mit einer durch Beschluss (§ 38 FamFG) zu erlassenden Endentscheidung zu erledigen ist, ein neues selbständiges Verfahren begründet. Durch die spätere Einfügung des Art 111 Abs. 2 FGG-RG hat sich an diesem Grundsatz nichts geändert, da durch Absatz 2 lediglich klargestellt werden sollte, welche Verfahren grundsätzlich nicht von der Übergangsvorschrift erfasst werden sollen, nämlich diejenigen, die nicht mit einer Endentscheidung im Sinne von § 38 FamFG abgeschlossen werden können (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 23.11.2009, Az. 9 UF 118/09, Quelle: www.juris.de; Keidel/Engelhardt, FamFG, 16. Auflage, Rdnr. 3 zu Art 111 FGG-RG). Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien: Im abschließenden Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs (VAStrRefG) - BT-Drucksache 16/11903, S. 61 - wird zur Begründung jener Norm darauf hingewiesen, Art. 111 Absatz 2 FGG-RG stelle klar, dass in Bestandsverfahren wie Betreuung, Vormundschaft oder Beistandschaft jeder selbständige Verfahrensgegenstand, der mit einer durch Beschluss (§ 38 FamFG) zu erlassenden Endentscheidung zu erledigen ist, ein neues, selbständiges Verfahren begründe. Hierunter falle insbesondere die gerichtliche Aufsichts- und Genehmigungstätigkeit im Rahmen einer Vormundschaft oder einer Betreuung. Werde ein solches Verfahren nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des FGG-Reformgesetzes eingeleitet, so sei darauf neues Verfahrensrecht anzuwenden. Dadurch werde sichergestellt, dass es auch in Bestandsverfahren zu einer zügigen Umstellung auf das neue Verfahrensrecht komme (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.). Als die – entgegen § 621e Abs. 3 S. 1 ZPO an das Amtsgericht adressierte - Beschwerdeschrift der Antragsgegnerin infolge Weiterleitung am 21.01.2010 bei dem Senat einging, war die einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde (§§ 621e Abs. 2 S. 2, 517 ZPO) bereits am 14.01.2010 um 24.00 Uhr abgelaufen, weswegen das Rechtsmittel als verspätet unzulässig ist. Die Voraussetzungen für die begehrte – im Übrigen auch amtswegig in Betracht kommende - Wiedereinsetzung liegen nicht vor. Bei der gegebenen Sachlage kann nicht angenommen werden, dass die - anwaltlich vertretene – Antragsgegnerin die Beschwerdefrist unverschuldet versäumt hat. Zwar darf die Antragsgegnerin, wenn - wie hier - eine Beschwerde vorschriftswidrig bei dem Ausgangsgericht eingelegt worden ist, darauf vertrauen, dass sie im ordnungsgemäßen Geschäftsgang an das Beschwerdegericht weitergeleitet wird. Auch darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht, wenn die Beschwerde so zeitig beim erstinstanzlich befassten Gericht eingereicht worden ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann. Geschieht dies nämlich tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Denn mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus (BVerfG, FamRZ 1995, 1559, 1560 f; BGH, FamRZ 2007. 1640; Zöller/Philippi, ZPO 27. Auflage, § 621e, Rdnr. 35). Vorliegend durfte die Antragsgegnerin auf eine fristgerechte Weiterleitung ihres Rechtsmittels an das Beschwerdegericht im ordentlichen Geschäftsgang nicht vertrauen, weil das Rechtsmittel erst am 14.10.2010 und damit am Tag des Ablaufes der Beschwerdefrist (nach Dienstschluss) beim Familiengericht eingegangen ist und bei dieser Sachlage mit einem fristgerechten Eingang beim Beschwerdegericht im normalen Geschäftsgang nicht gerechnet werden konnte, zumal sich das Ausgangsgericht und das Beschwerdegericht nicht am gleichen Ort befinden. Ein – nur in engen Grenzen in Betracht zu ziehender – die Wiedereinsetzung rechtfertigender entschuldbarer Rechtsirrtum der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin (§ 85 Abs. 2 ZPO) ist deren Vorbringen nicht substantiiert zu entnehmen. Der Antragsgegnerin kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden, da die Fristversäumnis nicht unverschuldet ist, § 233 ZPO. Dass in der Literatur oder in Fortbildungen die Ansicht der Antragsgegnerin vertreten worden ist, trägt die Antragsgegnerin nicht vor und widerspricht auch der Gesetzesbegründung. Von einem Rechtsanwalt wird erwartet, dass er bei zweifelhafter Rechtslage vorsorglich so handelt, wie es bei einer für seine Partei ungünstigen Entscheidung zur Wahrung ihrer Belange erforderlich ist (s. Zöller/Greger, ZPO, 28.Auflage, § 233 ZPO, Rdnr. 23 zum Stichwort „Rechtsirrtum“). Hätte der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin angesichts der neuen Rechtslage die Frage der Beschwerdeeinlegung explizit geprüft hat, hätte er bei Zöller/Feskorn, ZPO, 28. Auflage, vor § 58 FamFG, Rdnr. 7) bemerken müssen, dass für den Fall, dass das Verfahren I. Instanz nach dem bisherigen Recht eingeleitet worden ist, auch das Rechtsmittelverfahren nach dem bisherigen Recht durchzuführen ist. Demnach war die Beschwerde der Antragsgegnerin - wie vom Senat angekündigt - zu verwerfen. Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 111 FGG-RG, § 131 Abs. 3 KostO, § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Der Beschwerdewert ergibt sich aus Art. 111 FGG-RG, § 30 Abs. 2 und Abs. 3 KostO. Der Antragsgegnerin war die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz mangels Erfolgsaussicht der zweitinstanzlichen Rechtsverfolgung (Art. 111 FGG-RG, §§ 14 FGG, 114 ZPO) zu verweigern. Parteina Knöchel Martin ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |