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Pressemitteilung
C-211/08;
Verkündet am:
25.02.2010
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Nach Ansicht von Generalanwalt Paolo Mengozzi verstößt die Versagung der ergänzenden Erstattung der Kosten einer nicht geplanten Krankenhausbehandlung im Ausland gegen die Dienstleistungsfreiheit Leitsatz des Gerichts: Nach Ansicht von Generalanwalt Paolo Mengozzi verstößt die Versagung der ergänzenden Erstattung der Kosten einer nicht geplanten Krankenhausbehandlung im Ausland gegen die Dienstleistungsfreiheit Es sei auch der Teil der Kosten zu erstatten, der dem Patienten in dem Staat, in dem die Behandlung erfolgt sei, auferlegt werde, sofern das Niveau der Kostenerstattung in diesem Staat unter dem des Versicherungsstaats liege Gemäß dem spanischen Gesetz über die Gesundheit haben spanische Staatsangehörige und ausländische Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz in Spanien haben, Anspruch auf Gesundheitsschutz. Im Fall einer nicht geplanten medizinischen Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat werden nach dem spanischen System in Übereinstimmung mit dem in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Mechanismus dem Träger des Staates, in dem die Behandlung erfolgte, die ihm entstandenen Kosten zu den in diesem Staat geltenden Sätzen erstattet. Herr Chollet, französischer Staatsangehöriger, in Spanien wohnhaft und dem spanischen Sozialversicherungssystem angeschlossen, musste während eines Aufenthalts in Frankreich unvorhergesehen in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Der spanische Versicherungsträger weigerte sich, ihm den Anteil der Kosten zu erstatten, den ihm das französische Krankenhaus nach den französischen Rechtsvorschriften auferlegt hatte („ticket modérateur“). Aus diesem Grund erhob Herr Chollet Beschwerde bei der Europäischen Kommission, die gegen Spanien ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Zum Thema der Erstattung medizinischer Kosten, das bereits Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung ist, ist dies das erste Vertragsverletzungsverfahren. Die Kommission macht vor dem Gerichtshof geltend, Spanien habe dadurch, dass es den in seinem Gesundheitssystem Versicherten die ergänzende Erstattung medizinischer Kosten einer nicht geplanten Krankenhausbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat in dem Fall verweigere, dass das Niveau der Kostenerstattung in diesem Staat unter dem von den spanischen Rechtsvorschriften garantierten liege, gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs der Europäischen Union verstoßen. Die spanische Rechtsvorschrift wirke sich sowohl auf die Dienstleistungen, die der ursprüngliche Grund für den Ortswechsel und den vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat gewesen seien, als auch auf die weitere Leistung der Krankenhausdienste in diesem Staat beschränkend aus. Der Generalanwalt weist insbesondere darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1408/71 die Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften in den verschiedenen Sektoren der Sicherungssysteme herbeiführen solle. Sie sehe vor, dass, wenn die Träger eines Mitgliedstaats dazu berufen seien, einem dem System eines anderen Mitgliedstaats angeschlossenen Erwerbstätigen Behandlungen zu gewähren, die Übernahme der Kosten gemäß den Sätzen erfolge, die in dem Mitgliedstaat vorgesehen seien, in dem die Leistungen erbracht würden. Wenn die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats des Leistungsträgers (wie im vorliegenden Fall diejenigen Frankreichs hinsichtlich der Behandlung von Herrn Chollet) vorsähen, dass ein Prozentsatz der Kosten der Leistungen vom Leistungsempfänger getragen werde, gälten diese deshalb auch gegenüber dem Versicherten eines anderen Mitgliedstaats. Wie der Gerichtshof bereits entschieden habe, beschränke das Gemeinschaftsrecht nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten, und es sei Sache jedes Mitgliedstaats, zum einen die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit und zum anderen die Voraussetzungen für entsprechende Leistungsansprüche festzulegen. Jedoch müssten die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Bestimmungen über den freien Verkehr beachten. Dem Gerichtshof zufolge fielen zudem ärztliche Leistungen gegen Entgelt unabhängig davon, ob die Behandlung im klinischen Rahmen oder außerhalb davon erfolge und unabhängig von der Funktionsweise des nationalen Systems, auf dessen Leistungen diese Person Anspruch habe, in den Geltungsbereich Dienstleistungsfreiheit. In Rechtssachen schließlich, in denen es um geplante medizinische Behandlungen gegangen sei, habe der Gerichtshof bereits festgestellt, dass den Personen, die dem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats angeschlossen seien, ein Anspruch auf ergänzende Erstattung entsprechend dem Unterschied zwischen dem Niveau der Kostenerstattung des Staates, in dem die Behandlung erfolgt sei, und dem des Versicherungsstaates in den Grenzen der in diesem Staat geltenden Sätze zustehe. Denn die Regelung eines Mitgliedstaats, die – auch wenn sie den Versicherten nicht daran hindere, medizinische Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat zu erhalten – für die in dem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten nicht dasselbe Niveau der Kostenerstattung gewährleiste, das den Behandlungen im Versicherungsstaat vorbehalten sei, stelle eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Nach Auffassung des Generalanwalts ist es unerheblich, dass die Klage der Kommission Fälle betreffe, die unvorhergesehen aufträten, während sich der Patient bereits in einem anderen Mitgliedstaat befinde. Die spanische Regelung sei allein schon deshalb beschränkend, weil sie den Patienten davon abhalte, seinen Aufenthalt in dem anderen Staat zu verlängern, oder veranlasse, vorzeitig in den Wohnsitzstaat zurückzukehren, um dort die medizinische Behandlung zu erhalten. Die Beschränkung des freien Verkehrs, die sich in der Versagung der ergänzenden Erstattung konkretisiere, könne nicht durch die Gefahr finanzieller Auswirkungen auf das nationale Gesundheitssystem gerechtfertigt werden. Der Versicherungsstaat habe nämlich auf keinen Fall mehr als das zu erstatten, was er bei einer Behandlung auf seinem eigenen Staatsgebiet übernehmen müsste. Außerdem könne, so der Generalanwalt, die Tatsache, dass die Erstattung jedenfalls vom Vorliegen einer medizinischen Notwendigkeit abhänge und es außerdem Mechanismen der administrativen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit gebe, um eventuelle Missbräuche zu verhindern, das Risiko eines zunehmenden „Gesundheitstourismus“ vermeiden. Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof daher vor, festzustellen, dass Spanien gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs verstoßen hat, indem es den Empfängern von Leistungen des nationalen Gesundheitssystems die ergänzende Erstattung nicht geplanter Krankenhauskosten verweigert, die ihnen in einem anderen Mitgliedstaat, der ein niedrigeres Niveau der Kostenerstattung vorsieht als das spanische Recht, entstanden sind. _________________________________________________________________________ HINWEIS: Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet. HINWEIS: Eine Vertragsverletzungsklage, die sich gegen einen Mitgliedstaat richtet, der gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat, kann von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen. Ist die Kommission der Auffassung, dass der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachgekommen ist, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. Hat ein Mitgliedstaat der Kommission die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie nicht mitgeteilt, kann der Gerichtshof auf Vorschlag der Kommission jedoch bereits mit dem ersten Urteil Sanktionen verhängen. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |