Pressemitteilung
C-316/07; C-358/07; C-360/07; C-409/07; C-410/07;
Verkündet am:
04.03.2010
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Nach Ansicht von Generalanwalt Paolo Mengozzi ist die gegenseitige Anerkennung nationaler Glücksspiellizenzen beim derzeitigen Stand des Unionsrechts nicht durchführbar Leitsatz des Gerichts: Nach Ansicht von Generalanwalt Paolo Mengozzi ist die gegenseitige Anerkennung nationaler Glücksspiellizenzen beim derzeitigen Stand des Unionsrechts nicht durchführbar Er ist der Ansicht, dass ein Mitgliedstaat Glücksspiele im Internet unter bestimmten Voraussetzungen verbieten und ein Staatsmonopol für Sportwetten sogar dann vorsehen kann, wenn diese Glücksspiele beworben werden und Spiele mit einem höheren Suchtgefährdungspotenzial von Privaten angeboten werden können In Deutschland sind die Zuständigkeiten im Bereich des Glücksspiels zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. In den meisten Ländern besteht ein regionales Monopol für die Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien, während mit der Veranstaltung von Pferdewettkampfwetten sowie dem Betrieb von Spielautomaten und Spielbanken private Wirtschaftsteilnehmer, die über die erforderliche Erlaubnis verfügen, betraut sind. Mit dem am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland (Lotteriestaatsvertrag) haben die Länder für die Veranstaltung von Glücksspielen mit Ausnahme von Spielbanken einen einheitlichen Rahmen geschaffen. In der Folge eines Urteils des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist dieser Vertrag durch den Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag), der am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, ersetzt worden. Dieser verbietet auch das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet. Generalanwalt Paolo Mengozzi trägt heute seine Schlussanträge in mehreren Rechtssachen vor, in denen verschiedene deutsche Gerichte den Gerichtshof um eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der Regelung der Glücksspiele in Deutschland mit dem Recht der Union ersucht hatten. Die Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart müssen über Rechtsstreitigkeiten entscheiden, in denen Vermittler von Sportwetten gegen die deutschen Behörden vorgehen, die ihnen verboten hatten, in den Ländern Hessen und Baden-Württemberg Sportwetten anzubieten, die von den österreichischen Unternehmen Happybet Sportwetten und web.coin, dem maltesischen Unternehmen Tipico sowie den britischen Gesellschaften Digibet und Happy Bet veranstaltet werden. Diese Unternehmen hatten in ihren jeweiligen Ländern Lizenzen für die Veranstaltung von Sportwetten erhalten. Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht dagegen hat darüber zu entscheiden, ob das Land Schleswig Holstein einen Antrag des Unternehmens Carmen Media Group, in der Bundesrepublik Deutschland über das Internet Sportwetten anbieten zu können, zu Recht zurückgewiesen hat, obwohl dieses Unternehmen in Gibraltar, wo es ansässig ist, schon eine „Offshore“-Lizenz besitzt, die es nur außerhalb von Gibraltar zur Veranstaltung von Wetten berechtigt. Nach Ansicht des Generalanwalts lässt der Gerichtshof Monopole und andere Beschränkungen für die Wirtschaftsteilnehmer im Glücksspielsektor offen und unmissverständlich zu, wenn auch unter bestimmten Voraussetzungen. Auch wenn ein Verbot bestimmter Glücksspiele oder eine Beschränkung ihres Betriebs auf eine bestimmte Zahl Konzessionäre insbesondere den freien Dienstleistungsverkehr behindere, erlaube der Gerichtshof solche innerstaatlichen Beschränkungen, wenn sie keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Landes der Niederlassung schafften, ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgten, wie die Verminderung der Gelegenheiten zum Spiel oder die Verhütung von Betrug und Straftaten, sowie im Hinblick auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig und kohärent seien. In Bezug auf das Kriterium der Kohärenz der Glücksspielpolitik eines Mitgliedstaats sei die Beurteilung nicht global, sondern individuell für jedes einzelne Spiel vorzunehmen. Die Kohärenz müsse jedoch immer unter einem gesamtstaatlichen Blickwinkel geprüft werden, so dass regionale Unterschiede in einem Mitgliedstaat dem System die Kohärenz nehmen könnten. Die bloße Tatsache dagegen, dass die Kompetenzen im Bereich der Glücksspiele zwischen mehreren Gebietskörperschaften eines Mitgliedstaats verteilt seien, gefährde als solche nicht die Kohärenz seiner Politik. Ferner müsse diese Beurteilung bestimmte Umstände berücksichtigen: Zum einen genüge die Tatsache, dass die Monopolinhaber Anreize zur Teilnahme an Glücksspielen schafften, nicht, um die betroffene Regelung für nicht kohärent zu erklären, wenn die Werbetätigkeit moderat und tatsächlich dazu bestimmt sei, die Kriminalität zu bekämpfen oder die Spiellust auf ein reglementiertes und kontrolliertes Angebot zu lenken, und nicht dazu, die Einnahmen der öffentlichen Hand zu erhöhen. Zum anderen sei auch die Annahme, dass private Veranstalter Spiele mit einem mutmaßlich gleichen oder höheren Suchtgefährdungspotenzial anböten als Spiele, die unter das Monopol fielen, im Hinblick auf die im Allgemeininteresse liegenden Ziele nicht inkohärent und mache die Entscheidung, die Wetten und Lotterien einem staatlichen Monopol zu unterstellen, als solche nicht unverhältnismäßig, sofern die Behörden eine ausreichende Überwachung der privaten Wirtschaftsteilnehmer gewährleisteten und das dem Monopol unterliegende Spielangebot geringer sei, als es bei einem privaten Leistungserbringer bestehen könnte. Die Beurteilung dieser Anforderungen sei Sache des nationalen Gerichts. Hinsichtlich der von den deutschen Bundesländern im Rahmen des Lotteriestaatsvertrags veranstalteten Sportwetten, insbesondere der Wette „ODDSET“, ergebe sich anscheinend aus dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, dass das fragliche Monopol zu der in den Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit das Kohärenzkriterium nicht erfüllt habe. Denn nach diesem Urteil sei die Werbung nicht moderat genug und habe nicht die Gelegenheiten zum Spiel begrenzen und die Spielsucht bekämpfen, sondern Einnahmen für die öffentlichen Kassen erzielen sollen. Im Übrigen ist der Generalanwalt der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten beim derzeitigen Stand des Unionsrechts nicht verpflichtet seien, die nationalen Glücksspiellizenzen gegenseitig anzuerkennen. Weder die Niederlassungs- noch die Dienstleistungsfreiheit berechtigten den Inhaber einer von einem Mitgliedstaat erteilten Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten, die nicht auf sein Hoheitsgebiet beschränkt seien, oder von ihm beauftragte Dritte, im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten Wetten anzubieten. Dies gelte erst recht bei einer reinen Offshore-Lizenz. Das Verbot, öffentliche Glücksspiele im Internet zu veranstalten und zu vermitteln, ist nach Ansicht des Generalanwalts mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, wenn diese Maßnahme verhältnismäßig und kohärent im Hinblick auf das angestrebte Ziel des Allgemeininteresses sei, auch wenn es zum Ausgleich eng begrenzte vorübergehende Ausnahmen für Unternehmen gebe, die bisher ausschließlich im Internet tätig gewesen seien. _____________________________________________________________________ HINWEIS: Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet. HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |