Pressemitteilung
C-550/09;
Verkündet am:
29.06.2010
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Die Beschlüsse des Rates, mit denen die DHKP-C vor Juni 2007 unter Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien in Listen aufgenommen wurde, die im Rahmen von Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus erstellt wurden, können nicht dazu beitragen, die straf Leitsatz des Gerichts: Die Beschlüsse des Rates, mit denen die DHKP-C vor Juni 2007 unter Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien in Listen aufgenommen wurde, die im Rahmen von Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus erstellt wurden, können nicht dazu beitragen, die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern der genannten Organisation zu stützen, die nicht in diese Listen aufgenommen wurden Zur Umsetzung bestimmter Resolutionen der Organisation der Vereinten Nationen erließ der Rat einen Gemeinsamen Standpunkt und eine Verordnung, in denen angeordnet wird, dass die Gelder von Personen und Organisationen einzufrieren sind, die in eine durch Beschlüsse des Rates erstellte und regelmäßig aktualisierte Liste aufgenommen wurden. Außerdem ist es nach der Verordnung untersagt, für die Personen und Organisationen auf dieser Liste direkt oder indirekt Gelder bereitzustellen. Nach deutschem Recht sind Verstöße gegen Rechtsakte der Union wie diese Verordnung mit Strafe bedroht. Am 2. Mai 2002 wurde die Organisation Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C) in die fragliche Liste aufgenommen. In der Folge erließ der Rat verschiedene Beschlüsse zur Aktualisierung dieser Liste. Die DHKP-C verblieb dabei stets auf der Liste. Bis Juni 2007 wurden diese Beschlüsse erlassen, ohne dass den in die Liste aufgenommenen Personen und Organisationen die konkreten Gründe für ihre Aufnahme mitgeteilt wurden. Im Anschluss an ein Urteil des Gerichts, mit dem die Aufnahme einer Vereinigung in die Liste insbesondere deshalb für ungültig erklärt wurde, weil der Rat ihre Aufnahme nicht begründet hatte und eine gerichtliche Überprüfung in der Sache deshalb nicht möglich war, änderte der Rat sein Aufnahmeverfahren. Als er einen neuen Beschluss zur Aktualisierung der Liste erließ, der am 29. Juni 2007 in Kraft trat, ließ er den betroffenen Personen und Vereinigungen eine Begründung für ihre Aufnahme zukommen. Herrn E und Herrn F wird vorgeworfen, vom 30. August 2002 bis zum 5. November 2008 Mitglied der DHKP-C gewesen zu sein. Sie wurden wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft genommen, und gegen sie wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Nach den Angaben in der Anklageschrift sollen sie während der gesamten Dauer ihrer Zugehörigkeit zur DHKP-C zu deren Gunsten jährliche Spendengeldkampagnen organisiert und Publikationen verkauft haben. In dem genannten Zeitraum sollen der Erstgenannte mindestens 215 809 Euro und der Letztgenannte mindestens 105 051 Euro beschafft und an die Führungsspitze der DHKP-C weitergeleitet haben. Da das Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) Zweifel in Bezug auf die Gültigkeit der Aufnahme der DHKP-C in die Liste hat, hat es dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob in Anbetracht der Urteile des Gerichts, mit denen die Aufnahme einer Reihe von Personen und Organisationen wegen eines Verstoßes gegen elementare Verfahrensgarantien für nichtig erklärt wurde, auch die Aufnahme der DHKP-C für die Zeit vor dem 29. Juni 2007 als ungültig anzusehen sei, obwohl die DHKP-C nicht gegen ihre Aufnahme in die Liste vorgegangen sei. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass in dem beim nationalen Gericht anhängigen Verfahren freiheitsentziehende strafrechtliche Sanktionen verhängt werden könnten. In diesem Zusammenhang betont er, dass die Union eine Rechtsunion ist, in der ihre Organe der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob ihre Handlungen mit dem AEU-Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Einklang stehen. Jede Partei ist berechtigt, im Rahmen eines nationalen Verfahrens die Ungültigkeit von Bestimmungen in Rechtsakten der Union, die als Grundlage für eine ihr gegenüber ergangene Entscheidung oder nationale Maßnahme dienen, geltend zu machen und das nationale Gericht zu veranlassen, dem Gerichtshof insoweit eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, sofern die Partei nicht berechtigt war, unmittelbar vor dem Gericht der EU gegen diese Bestimmungen zu klagen. Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass nicht Herr E und Herr F in die das Einfrieren von Geldern betreffende Liste aufgenommen worden sind, sondern allein die DHKP-C, und dass sich die in den Rechtsvorschriften der Union zur Bekämpfung der Finanzierung des internationalen Terrorismus aufgestellten Verpflichtungen und Verbote an eine unbestimmte Zahl von Personen richten. Folglich waren Herr E und Herr F im Unterschied zur DHKP-C nicht unbestreitbar berechtigt, im Wege der Nichtigkeitsklage vor dem Gericht der EU gegen die Aufnahme der DHKP-C in die Liste vorzugehen. Zur Gültigkeit der vor Juni 2007 ergangenen Beschlüsse des Rates stellt der Gerichtshof fest, dass keiner dieser Beschlüsse mit einer Begründung in Bezug auf die rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Verordnung auf die DHKP-C sowie einer Darlegung der besonderen und konkreten Gründe versehen war, aus denen der Rat der Ansicht war, dass die Aufnahme der DHKP-C in die Liste gerechtfertigt war oder blieb. Herr E und Herr F verfügen somit nicht über die nötigen Anhaltspunkte, um die Begründetheit der Aufnahme der DHKP-C in die Liste in der Zeit vor dem 29. Juni 2007 und insbesondere die Richtigkeit und Erheblichkeit der Elemente, die zu ihrer Aufnahme führten, zu prüfen, obwohl die Aufnahme in die Liste zu den Grundlagen der gegen sie erhobenen Anklage gehört. Das Fehlen einer Begründung für die Aufnahme der DHKP-C in die Liste ist zudem geeignet, eine angemessene gerichtliche Kontrolle ihrer materiellen Rechtmäßigkeit zu vereiteln. Die Möglichkeit einer solchen Kontrolle ist aber unerlässlich, damit ein gerechter Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus und dem Schutz der Grundfreiheiten und -rechte gewährleistet werden kann. Zu der Frage, ob die Aufnahme der DHKP-C in die Liste durch den Beschluss vom Juni 2007 rückwirkend geheilt wurde, stellt der Gerichtshof fest, dass dieser Beschluss keinesfalls dazu beitragen kann, eine strafrechtliche Verurteilung wegen Taten zu stützen, die den Zeitraum vor seinem Inkrafttreten betreffen. Eine solche Auslegung würde gegen das Verbot der Rückwirkung von Vorschriften verstoßen, die zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen können. Aufgrund dessen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass das nationale Gericht im Rahmen des Ausgangsverfahrens die vor Juni 2007 ergangenen Beschlüsse des Rates unangewendet zu lassen hat, so dass diese nicht dazu beitragen können, eine strafrechtliche Verfolgung von Herrn E und Herrn F in Bezug auf die Zeit vor dem 29. Juni 2007 zu stützen. Schließlich fügt der Gerichtshof hinzu, dass das in der Verordnung aufgestellte Verbot, für Personen oder Organisationen auf der Liste Gelder bereitzustellen, den Fall erfasst, in dem ein Mitglied einer in der Liste aufgeführten Organisation an diese Organisation Gelder weiterleitet, die bei Außenstehenden gesammelt oder von ihnen erlangt wurden. ______________________________________________________________________ HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |