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Text des Beschlusses
1 Ws 78/10;
Verkündet am: 
 26.02.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Naumburg
Vorinstanzen:
508 StVK 128/09
Landgericht
Stendal;
Rechtskräftig: unbekannt!
Im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Weisung an den Verurteilten „eine Verhaltenstherapie zur Auseinandersetzung und Behandlung seines latenten Gewaltpotentials durchzuführen“ genügt ihrem Inhalt nach nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz
Leitsatz des Gerichts:
Die im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Weisung an den Verurteilten „eine Verhaltenstherapie zur Auseinandersetzung und Behandlung seines latenten Gewaltpotentials durchzuführen“ genügt ihrem Inhalt nach nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz. Das Gericht hat, soweit dies im Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer bereits möglich ist und anderenfalls, sobald eine geeignete Einrichtung gefunden ist, in einer gesonderten Entscheidung, nicht nur die Art der Therapie, sondern auch die betreffende Therapieeinrichtung sowie den Zeitpunkt des Therapiebeginns zu bezeichnen.
In der Strafvollstreckungssache
des …
wegen Totschlags

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 26. Februar 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krüger, den Richter am Oberlandesgericht Halves und den Richter am Landgericht Ringel beschlossen:

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 8. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer – des Landgerichts Stendal vom 16. Dezember 2009 aufgehoben, soweit der Verurteilte angewiesen wurde, eine Verhaltenstherapie zur Auseinandersetzung und Behandlung seines latenten Gewaltpotentials durchzuführen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten der Beschwerde – an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal zurückverwiesen.



Gründe:


I.

Der Verurteilte wird bis zum 3. Mai 2010 vollständig eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren wegen Totschlags aus dem Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 30. März 2004 (21 Ks 4/04) verbüßt haben. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2009 hat die 8. Strafkammer – Strafvollstreckungskammer – des Landgerichts Stendal (508 StVK 128/09) angeordnet, dass die kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht nicht entfällt, und deren Dauer auf fünf Jahre festgesetzt. Darüber hinaus hat die Kammer den Verurteilten unter anderem angewiesen, „eine Verhaltenstherapie zur Auseinandersetzung und Behandlung seines latenten Gewaltpotentials durchzuführen.“

Gegen diese Weisung wendet sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde vom 12. Januar 2010.


II.

Das gemäß §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 1 StPO zulässige Rechtsmittel hat in der Sache (vorläufig) Erfolg.

Der über § 463 Abs. 2 StPO anwendbare § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO beschränkt die Überprüfung durch das Beschwerdegericht auf eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit. Eine Anordnung ist gesetzwidrig, wenn sie nicht hinreichend bestimmt, im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen eingeräumten Ermessens überschreitet (OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 27; OLG Jena NStZ 2006, 39; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 453 Rz. 12).

Unter Zugrundelegung dieses Überprüfungsmaßstabes kann die angefochtene Weisung keinen Bestand haben.

1. Der Beschluss vom 16. Dezember 2009 enthält keinerlei Begründung der angefochtenen Weisung und lässt daher schon dem Grunde nach eine Abwägung maßgeblicher Umstände und damit eine Ermessensausübung vermissen.

Dies genügt den Anforderungen an eine zielgerichtete und ermessensfehlerfreie Ausgestaltung der Führungsaufsicht nicht. Die Strafvollstreckungskammer hat vielmehr im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht die für ihre Entscheidungsfindung maßgeblichen Tatsachen festzustellen und in eine ordnungsgemäße Ermessensabwägung einzubeziehen. Das Institut der Führungsaufsicht nach § 68f StGB hat nämlich die Aufgabe, gefährliche oder rückfallgefährdete Täter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten (BVerfGE 55, 28, 29). Die Führungsaufsicht soll damit nicht nur Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit geben, sondern auch den Verurteilten führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisierungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen voraus, die auf den Täter, die Taten, deretwegen er verurteilt wurde und damit zusammenhängend auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abzustimmen sind. Um dieser kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht zu werden, ist eine Schematisierung der zu erteilenden Weisung nicht möglich (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 260; OLG Dresden, StV 2008, 317). Die Strafvollstreckungskammer hat deshalb bei der Auswahl der erforderlichen Weisungen einen Ermessensspielraum. Die Ausübung dieses pflichtgemäßen Ermessens auf Grundlage festgestellter Tatsachen muss jedoch in einer Anordnungsbegründung enthalten sein. Fehlt sie wie hier, kann das Beschwerdegericht die Rechtsfehlerfreiheit der Weisungen nicht prüfen, weshalb bereits aus diesem Grund die Beschwerde begründet ist, auch wenn die angeordnete Weisung nach dem bisherigen Akteninhalt sachgerecht sein könnte (OLG Hamm a.a.O.).

2. Darüber hinaus ist die Weisung auch nicht hinreichend bestimmt.

a) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 11. Februar 2010 ist der Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot hier allerdings nicht bereits darin zu sehen, dass die Strafvollstreckungskammer es unterlassen hat, die Rechtsgrundlage für die angefochtene Weisung (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 11 bzw. § 68b Abs. 2 S. 2 StGB) zu benennen.

Zwar ist einzuräumen, dass die ausdrückliche Bezeichnung der Rechtsgrundlage regelmäßig eine klarstellende Wirkung hat. Die Frage nach der hinreichenden Bestimmtheit einer Maßnahme bestimmt sich jedoch in erster Linie nach ihrem Inhalt. Weder macht das Fehlen der Bezeichnung der Rechtsgrundlage eine inhaltlich hinreichend bestimmte Weisung unbestimmt, noch gewinnt eine inhaltlich nicht hinreichend bestimmte Weisung durch die Bezeichnung der ihr zu Grunde liegenden Rechtsnorm an Bestimmtheit. Lediglich in Zweifelsfällen, in denen eine hinreichend bestimmte Weisung auf zwei Rechtsgrundlagen beruhen kann, vermag der Bezeichnung der ihr zu Grunde gelegten Norm eine entscheidende Bedeutung zukommen.

Ein solcher Zweifelsfall ist hier nicht gegeben.

Die Weisung an den Verurteilten, „eine Verhaltenstherapie zur Auseinandersetzung und Behandlung seines latenten Gewaltpotentials durchzuführen“, stellt nach Wortlaut und Inhalt eine Therapieweisung im Sinne von § 68b Abs. 2 S. 2 StGB dar. Der Wortlaut der Weisung lehnt sich eng an denjenigen der vorgenannten Vorschrift an, während er keine Parallele zu dem in § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 11 StGB verwendeten Wortlaut aufweist. Auch inhaltlich wird aus der Weisung hinreichend deutlich, dass sie nicht bezweckt, lediglich den Kontakt des Verurteilten zu den in § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 11 StGB bezeichneten Stellen sicherzustellen (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 68b Rz. 14), sondern von diesem verlangt, sich einer Therapie zu unterziehen.

b) Allerdings ist die angefochtene Weisung ihrem Inhalt nach zu unbestimmt.

Nach dem Bestimmtheitsgrundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips hat das Gericht eine Weisung so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat (OLG Jena a.a.O.; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 68b Rz. 15).

Bei einer Therapieweisung gemäß § 68b Abs. 2 S. 2 StGB ist vom Gericht daher nicht nur die Art der Therapie (z.B. ambulante Alkoholtherapie), sondern auch die betreffende Therapieeinrichtung zu bezeichnen. Soweit eine solche Bezeichnung im Zeitpunkt des Beschlusses noch nicht möglich ist (etwa weil noch nicht abzusehen ist, in welcher geeigneten Einrichtung der Verurteilte Aufnahme finden kann), kann sich das Gericht zunächst auf die Weisung beschränken, die Therapie in einer „noch zu benennenden“ Einrichtung durchzuführen; sobald – gegebenenfalls unter Mitwirkung des Bewährungshelfers – eine geeignete Einrichtung gefunden ist, ist diese vom Gericht sodann in einem gesonderten Beschluss zu bezeichnen.

Des Weiteren genügt es dem Bestimmtheitsgebot nicht, den Verurteilten lediglich anzuweisen, die Therapie „durchzuführen“. Vielmehr ist der Verurteilte zumindest anzuweisen, die Therapie unverzüglich, besser noch – nach Rücksprache mit der Therapieeinrichtung – zu einem bestimmten Zeitpunkt zu beginnen und nicht ohne ärztliche Bescheinigung zu beenden.

Eine darüber hinaus teilweise geforderte nähere Ausgestaltung der Therapie hinsichtlich der Häufigkeit der wahrzunehmenden Termine und der Gesamtdauer der Maßnahme durch das Gericht (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 27, 28) ist hingegen abzulehnen. Sowohl Behandlungsintervall als auch -dauer sind abhängig von der aufzuarbeitenden Problematik und dem Verlauf der Therapie, weshalb die diesbezügliche Entscheidung dem jeweiligen Therapeuten überlassen bleiben muss (OLG Hamm NStZ 2000, 373; Schneider in Leipziger Kommentar, StGB, § 68b Rz. 9).

Dem Senat ist es als Folge seiner nur eingeschränkten Prüfungskompetenz gemäß § 453 Abs. 2 S. 2 StPO aus Rechtsgründen verwehrt, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer zu setzen, weshalb der Beschluss vom 16. Dezember 2009 hinsichtlich der angefochtenen Weisung aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen war.

Da eine Weisung nach § 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz zumindest nähere terminliche Bestimmungen insbesondere über den Meldeturnus enthalten muss (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 68b Rz. 9), weist der Senat für künftige Fälle darauf hin, dass gegen die – hier nicht angefochtene und daher rechtskräftige – Weisung der Strafvollstreckungskammer, „sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle, einer bestimmten Dienststelle oder der Bewährungshilfe zu melden“, ebenfalls erhebliche Bedenken bestehen.

gez. Krüger gez. Halves gez. Ringel
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