Text des Beschlusses
10 W 55/09;
Verkündet am:
10.11.2009
OLG Oberlandesgericht Naumburg
Vorinstanzen: 5 O 573/03 Landgericht Halle; Rechtskräftig: unbekannt! Eine die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO aussprechende Entscheidung muss erkennen lassen, dass die Entscheidung über die streitgegenständlichen Ansprüche zumindest teilweise vom Erfolg des vorgreiflichen Verfahrens abhängig ist Leitsatz des Gerichts: Eine die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO aussprechende Entscheidung muss erkennen lassen, dass die Entscheidung über die streitgegenständlichen Ansprüche zumindest teilweise vom Erfolg des vorgreiflichen Verfahrens abhängig ist. Dies ist ausgeschlossen, wenn die Klage entweder unzulässig oder der Klagevortrag bereits unschlüssig ist. Ruht das vorgreifliche Verfahren, obwohl die Möglichkeit seiner Wiederaufnahme gegeben wäre, so widerspricht eine Aussetzungsanordnung dem Justizgewährungsanspruch der Parteien und ist ihnen deshalb nicht zuzumuten. In der Beschwerdesache … hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richterin am Oberlandesgericht Wolter als Einzelrichterin am 10. November 2009 beschlossen: Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Halle, Geschäftszeichen: 5 0 573/03, vom 05. Dezember 2008 aufgehoben. Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz aus einem VOB/B-Bauvertrag zum Bauvorhaben Neubau E. -Krankenhaus, 1. Bauabschnitt, in H. , M. straße 5 – 10, in Höhe von insgesamt 412.950,48 € in Anspruch. Die Klägerin war Bauherrin und die Beklagten persönlich haftende Gesellschafter der GbR ARGE Neubau E. -Krankenhaus, die mit den Rohbauarbeiten für den 1. Bauabschnitt beauftragt war. Die Leistungen der Beklagten wurden am 16. September 1997 abgenommen. Mit Schreiben vom 17. März 1999 und 17. Dezember 1999 wurden den Beklagten Mängel an der Bauleistung angezeigt. Die Beklagten stellten die Mängel in der Folgezeit ab und zeigten der Klägerin den Abschluss der Mängelbeseitigung mit Schreiben vom 29. Juni 2000 an. Die Klägerin behauptet, infolge der von den Beklagten durchzuführenden Gewährleistungsarbeiten an den Bewehrungsanschlüssen sei es zum Bauverzug in Bauablauf des 2. Bauabschnittes gekommen. Bei Rohbauunternehmen des 2. Bauabschnittes seien Mehrkosten entstanden. Es seien zusätzliche Planungsarbeiten erforderlich geworden, die Zusatzkosten des planenden Büros verursacht hätten. Diese Mehraufwendungen hätten die ARGE G. und B. /S. GmbH mit 269.113,07 €, die Architekten W. und W. mit 123.543,67 € und die ARGE Ingenieurbüro B. /Ingenieurbüro M. und K. mit 20.293,74 € in Rechnung gestellt. Diese Forderungen sind Gegenstand der Klage. Hilfsweise hat die Klägerin beantragt, die Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von der Inanspruchnahme dieser Unternehmen in Höhe von 412.950,48 € freizustellen. Die Klägerin wird von der S. GmbH im Verfahren vor dem Landgericht Halle, Geschäftszeichen 3 O 549/04, auf Zahlung von Schadenersatz aus demselben Bauvorhaben in Anspruch genommen. Mit Beschluss des Landgerichts vom 18. Oktober 2006 wurde im „Hinblick auf die weiteren zwischen den Parteien anhängigen Verfahren ... mit Zustimmung der Parteien“ das Ruhen des Verfahrens 3 O 549/04 angeordnet. Den Parteivertreter wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 3. Juli 2007 mitgeteilt, das Oberlandesgericht habe im Verfahren 9 O 228/04 entschieden, „es sei eine vierjährige Verjährungsfrist anzuwenden“, was bedeute, dass im Verfahren 3 O 549/04 keine Verjährung eingetreten sei. Es werde anheim gestellt, das Verfahren 3 O 549/04 wieder aufzunehmen. Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2007 hatte die hiesige Klägerin (und dortige Beklagte) sodann begehrt, dem Verfahren 3 O 549/04 Fortgang zu geben. Das Verfahren 3 O 549/04 ruht nach wie vor. Mit Beschluss vom 05. Dezember 2008 hat das Landgericht Halle das hiesige Verfahren im Hinblick auf das ruhende Verfahren 3 O 549/04 gemäß § 148 ZPO ausgesetzt. Das Landgericht hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, die geltend gemachten Regressansprüche setzten voraus, dass Ansprüche Dritter auf Ersatz von Mehrkosten wegen Bauzeitenverzögerung gegen die Klägerin bestünden. Die Aussetzung des Verfahrens sei sinnvoll, da in dem Verfahren 3 O 549/04 teilweise die Mehrkostenansprüche inhaltlich geklärt werden müssten, die Gegenstand des hiesigen Verfahrens seien. Wenn sich im Verfahren 3 O 549/04 herausstelle, dass keine Ansprüche der S. gegen die hiesige Klägerin bestünden, wäre der Regressforderung ohne Weiteres die Grundlage entzogen. Zwar sei das Verfahren 3 O 549/04 mit Rücksicht auf ein weiteres Verfahren vor dem Landgericht Halle mit dem Geschäftszeichen 9 O 228/04, in dem sich eine parallele Verjährungsproblematik ergeben habe, zum Ruhen gebracht worden. Bereits im Juli 2007 sei den Parteien aber mitgeteilt worden, dass die Verjährungsproblematik inzwischen geklärt sei und die Parteien das Verfahren 3 O 549/04 wieder aufrufen und weiter betreiben könnten. Die Gefahr eines völligen Stillstandes aller Parallelverfahren werde nicht gesehen. Es diene der Prozessökonomie mehrere miteinander verwobene Parallelrechtsstreitigkeiten nach und nach abzuwickeln. Gegen den Aussetzungsbeschluss, der den Beklagten am 22. Juni 2009 zugestellt worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 03. Juli 2009, die am 07. Juli 2009 beim Landgericht Halle eingegangen ist. Die Beklagten sind der Auffassung, die Voraussetzungen gemäß § 148 ZPO lägen nicht vor. Auf sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge verschiedener Verfahren käme es nicht an. Eine Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sei nicht gegeben. Gründe der Verfahrensökonomie könnten im Hinblick auf die überlange Verfahrensdauer nicht herangezogen werden. Die Klägerin ist der sofortigen Beschwerde entgegengetreten. Mit Beschluss vom 05. August 2009 hat das Landgericht Halle der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 252 2. Alt., 567 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 ZPO zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht. Gemäß § 568 Abs. 1 ZPO ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Einzelrichter berufen. Die angefochtene Entscheidung ist vom Einzelrichter erlassen worden. Die Voraussetzungen gemäß § 568 Satz 2 ZPO sind nicht gegeben. Die sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses. Das Gericht kann gemäß § 148 ZPO anordnen, die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand dieses anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Voraussetzung für eine Aussetzung der Verhandlung ist damit die Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung. Die Entscheidung muss jedenfalls teilweise präjudiziell für das auszusetzende Verfahren sein (Baumbach, ZPO, 67. Aufl., § 148 Rn 4; Musielak-Stadler, ZPO, 6. Aufl., § 148 Rn 5; Zöller-Greger, ZPO, 27. Aufl., § 148, Rn 5). Ziel der gesetzlichen Regelung gemäß § 148 ZPO ist es, mehrfache Prüfungen derselben Rechtsfrage in verschiedenen Prozessen und widerstreitende Entscheidungen zu vermeiden und die Prozesswirtschaftlichkeit zu fördern (vgl. Stein/Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl., § 148, RN 3; BGH, Beschluss vom 03. März 2005, Az.: IX ZP 33/04, NJW-RR 2005, 925). Das vorliegende Verfahren im Hinblick auf das Verfahren 3 O 549/04 auszusetzen, ist danach ermessensfehlerhaft. Ein Ermessen setzt ein sorgfältiges Abwägen der mit der Aussetzung des Verfahrens verbundenen Verzögerung zu den die Aussetzung möglicherweise rechtfertigenden Interessen einschließlich der für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände mit einer Prognose über den Ausgang des aus der Sicht des Gerichtes präjudizierenden Verfahrens voraus (OLG Jena, Beschluss vom 10.07.2000, Az: 7 W 346/00, NJW-RR 2001, 503). Es besteht hier keine begründete Aussicht, dass der Prozess 3 O 549/04 Fortgang nähme. Das Verfahren 3 O 549/04 ruht. Es ist trotz des Antrages der (hiesigen) Klägerin vom 3. Dezember 2007 seit zwei Jahren nicht wieder aufgenommen worden. Eine Klärung der Rechtsfragen, die das Gericht für vorgreiflich hält, ist zeitlich nicht absehbar. Eine solche Aussetzungsanordnung im Hinblick auf ein trotz Wiederaufnahmeersuchens seit Jahren ruhendes Verfahren widerspricht dem Justizgewährungsanspruch der Prozessbeteiligten und ist den Parteien nicht zuzumuten (vgl. BGH, ebenda). Ein anderweitiger zwingender Grund für eine Aussetzung lag nicht vor. Die Beklagten haben der Aussetzung des Verfahrens widersprochen. Der Beschluss war daher aufzuheben. Die Annahme der Vorgreiflichkeit ist zudem nicht nachvollziehbar. Aus den Gründen der angegriffenen Entscheidung lässt sich nicht entnehmen, dass die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin auch nur teilweise vom Erfolg der gegen sie gerichteten Klage im Verfahren 3 O 549/04 abhängig wären. Das Gericht hat erkennbar nicht geprüft, ob es auf das Ergebnis des Verfahrens 3 O 549/04 für die Entscheidung des hiesigen Rechtsstreites gegebenenfalls gar nicht ankommt. Wenn aber der Ausgang des Verfahrens in der Sache 3 O 549/04 dahinstehen kann, liegt keine Vorgreiflichkeit vor. Die Entscheidung ist nur dann abhängig von der Vorfrage des Parallelverfahrens, wenn je nach der Art der Beantwortung dieser Vorfrage das Urteil über den weiteren anhängigen Anspruch unterschiedlich ausfiele (Wieczorek-Smid, 3. Aufl., § 148, Rn 25). Hier hat das Gericht in der angegriffenen Entscheidung weder die Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptantrages noch des Hilfsantrages soweit geprüft, dass es ermessensfehlerfrei festgestellt hätte, dass die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit tatsächlich teilweise vom Ergebnis des Verfahrens 3 O 549/04 abhängig wäre. Die Entscheidung über eine unzulässige oder unbegründete Klage hängt nicht vom Ausgang des anderen Rechtsstreites ab. Eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO käme insoweit nicht in Betracht (vgl. BGH, ebenda; Stein/Jonas/Roth, a. a. O., § 148 Rn 25). Unstreitig hat die Klägerin bislang keine Mehrkosten an die ARGE G. und B. und S. GmbH sowie die Planungsbüros gezahlt. Sie trägt vor, mehreren Forderungen dieser Unternehmen ausgesetzt zu sein. Das Landgericht hat daher im Termin Zweifel an der Begründetheit des geltend gemachten Zahlungsanspruches geäußert. Insoweit scheint es nicht von einer Vorgreiflichkeit des Rechtsstreites 3 O 549/04 auszugehen. Der daraufhin hilfsweise von der Klägerin geltend gemachte Anspruch, sie von der Inanspruchnahme der - insolventen - ARGE G. und B. , der S. , des Architekturbüros W. und der ARGE B. , M. und W. in Höhe von 412.950,48 € freizustellen, aber könnte unzulässig sein, was in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Der Hilfsantrag könnte gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verstoßen. Der Streitgegenstand könnte nicht hinreichend bestimmt sein. Es liegt eine Anspruchshäufung i.S. § 260 ZPO vor. Die Klägerin begehrt tatsächlich die Freistellung von verschiedenen Forderungen, die sie nur summarisch und damit nicht hinreichend vereinzelt bezeichnet. Der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis aber muss gemäß §§ 253 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 308 ZPO stets genau bestimmt sein. Die angegriffene Entscheidung verhält sich zur Frage der Zulässigkeit der Anträge nicht. Sie lässt damit nicht nachvollziehbar erkennen, aus welchen Gründen das Gericht annimmt, die im Verfahren 3 O 549/04 zu entscheidende Rechtsfrage sei für den Ausgang des hiesigen Verfahrens maßgeblich (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.10.1994, Az: 5 UF 90/93, MDR 95, 202; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.12.1993, Az: 11 U 50/91, NJW 95, 1296). Eine Entscheidung zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens, die Teil der Prozesskosten sind, entfällt hier (Zöller-Greger, ebenda, § 252, Rnr. 3; BGH, Beschluss vom 01.06.2006, Az: IX ZB 33/04, FamRZ 2006, 1268). gez. 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