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Text des Beschlusses
1 Verg 11/09;
Verkündet am: 
 22.04.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Naumburg
Rechtskräftig: unbekannt!
§ 240 ZPO in analoger Anwendung findet - sofern seine sonstigen Voraussetzungen gegeben sind - auch Anwendung im Vergabenachprüfungsverfahren wenn die Vergabestelle insolvent wird
Leitsatz des Gerichts:
§ 240 ZPO in analoger Anwendung findet - sofern seine sonstigen Voraussetzungen gegeben sind - auch Anwendung im Vergabenachprüfungsverfahren wenn die Vergabestelle insolvent wird. Darin liegt kein Widerspruch zur Entscheidung des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. 08.2009 - L 6 B 186/09 -, welches seine Anwendung für den Fall der Insolvenz eines Bieters abgelehnt hat. Die für diesen Fall maßgeblichen Erwägungen können auf den Fall der Insolvenz der Vergabestelle nicht übertragen werden.
In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren) betreffend den Verkauf und die Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils an der Firma W. GmbH an die R. Beteiligungs- und Verwaltungs- GmbH,

Verfahrensbeteiligte:
1. …
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt …

gegen
2. …
Antragsgegner und Beschwerdegegner zu 1)
3. …
Beschwerdegegner zu 2),
Verfahrensbevollmächtigter zu 2 und 3:
Rechtsanwalt …
Beigeladene:
4. …
5. …

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel, sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und Grimm nach mündlicher Verhandlung vom 13. April 2010 am 22. April 2010 beschlossen:

Seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E. GmbH mit Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 27.10.2009 ist das gerichtliche Beschwerdeverfahren gemäß § 240 ZPO analog unterbrochen.


Gründe


I.

Die Antragstellerin, ein Unternehmen der privaten Entsorgungswirtschaft, das einem bundesweit agierenden Entsorgungskonzern angehört, macht mit dem vorliegenden Nachprüfungsverfahren Ansprüche wegen einer Veräußerung von Geschäftsanteilen geltend, der kein Vergabeverfahren vorausging.

Die E. GmbH (E. ), die ursprüngliche Antragsgegnerin, deren alleiniger Gesellschafter der Landkreis M. ist, war mit 51 % der Anteile Gesellschafterin der W. GmbH (kurz: W. ), die in den Jahren 2002 und 2004 von den früheren Landkreisen S. und M. L. mit der Entsorgung von Restabfällen beauftragt worden war.

Die weiteren 49 % der Gesellschaftsanteile an der W. hält die N. GmbH (im Folgenden kurz: N. ). Die Gesellschaftsanteile an der N. wiederum halten die E. zu 51 % und die K. GmbH, eine Tochtergesellschaft der Antragstellerin, zu 49 %. Über das Vermögen der N. wurde mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 04.06.2009 (Az. 59 IN 235/09) das Insolvenzverfahren eröffnet.

Am 04.07.2009 veräußerte die E. die von ihr gehaltenen Gesellschaftsanteile an der W. an die R. -GmbH (im Folgenden kurz: R. GmbH), die Beigeladene Ziff. 5.

Die Antragstellerin hat die Ansicht vertreten, die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen an der W. unterfalle als solche dem Anwendungsbereich des Vergaberechts. Daher hätte nach ihrer Rechtsansicht der Verkauf der Gesellschaftsanteile im Wege eines vergaberechtskonformen Verfahrens nach Ausschreibung erfolgen müssen. Dass dies nicht geschehen sei, stelle eine unzulässige De-facto-Vergabe dar und mache den Verkauf der Gesellschaftsanteile unwirksam.

Die Antragstellerin hat vor der Vergabekammer zunächst beantragt, festzustellen, dass sie in ihren Rechten verletzt wird, und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die von ihr gehaltenen Gesellschaftsanteile an der W. nur nach Durchführung eines vorherigen Vergabeverfahrens gemäß §§ 97 ff. GWB zu verkaufen. Hilfsweise hat sie beantragt, den zwischen der Antragsgegnerin und der R. GmbH abgeschlossenen Vertrag über den Erwerb von Geschäftsanteilen an der W. für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin hat den Nachprüfungsantrag als unzulässig angesehen. Weder sei sie als öffentlicher Auftraggeber tätig geworden, noch handele es sich bei dem Geschäftsanteilsverkauf um einen ausschreibungspflichtigen Vorgang.

Auch die ursprüngliche Antragsgegnerin (E. ) wurde im Laufe des Nachprüfungsverfahrens insolvent. Mit Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 11.08.2009 (Az. 59 IN 679/09) wurde der heutige Antragsgegner zunächst zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Antragsgegnerin bestellt. Ein allgemeines Verfügungsverbot wurde jedoch noch nicht angeordnet.

Mit Beschluss vom 07.10.2009 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag verworfen. Sie hielt den Nachprüfungsantrag für unzulässig, weil der streitgegenständliche Vertrag keinen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB darstelle. Ein Beschaffungscharakter liege weder unmittelbar noch mittelbar vor. Der Verkauf von Gesellschaftsanteilen selbst sei kein Beschaffungsvorgang.

Gegen den ihr am 12.10.2009 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 21.10.2009 sofortige Beschwerde eingelegt. Zugleich hat sie beantragt, das Beschwerdeverfahren auf den Landkreis M. zu erweitern, und hat hierzu einen weiteren Hilfsantrag gestellt, der auf die Feststellung der Unwirksamkeit der zwischen den früheren Landkreisen S. und M. L. in den Jahren 2002 und 2004 geschlossenen Entsorgungsverträge gerichtet war. Diesen Antrag hat die Antragstellerin später nach Hinweisen des Gerichts mit Schriftsatz vom 01.04.2010 zurückgenommen und ihre Beschwerdeanträge auf den Antragsgegner beschränkt.

Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 27.10.2009 wurde auch über das Vermögen der E. das Insolvenzverfahren eröffnet und der heutige Antragsgegner zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 01.04.2010 hat deshalb der Senat darauf hingewiesen, dass er zunächst über die Frage zu entscheiden habe, ob nach der Insolvenz der Antragsgegnerin § 240 ZPO entsprechend anzuwenden sei.

Hierzu hat die Antragstellerin die Ansicht vertreten, dass § 240 ZPO mangels gesetzlicher Verweisung im Verfahren nach §§ 116 ff. GWB keine Anwendung finden könne. Eine Analogie käme nur in Betracht, wenn die Interessenlage der Beteiligten dies erforderte. Das sei im vorliegenden Fall aber zu verneinen, weil die Unterbrechung des Verfahrens die Durchsetzung der Ansprüche der Antragstellerin weiter verzögern würde. Diese Verzögerung verletzte das im Vergaberecht herrschende Beschleunigungsgebot und führe letztlich zu einer Vereitelung jeglichen Rechtsschutzes. Außerdem, so meint die Antragstellerin, sei auch der Tatbestand des § 240 ZPO nicht erfüllt, weil Gegenstand des Verfahrens allein ein Anspruch der Antragstellerin aus § 97 Abs. 7 GWB sei, so dass das Nachprüfungsverfahren die Insolvenz¬masse nicht betreffe.

Die Antragstellerin hält deshalb § 240 ZPO nicht für entsprechend anwendbar und beantragt zuletzt,

1. den Beschluss der Vergabekammer vom 07.10.2009 im Verfahren 1 VKLVwA 48/09 aufzuheben,

2. festzustellen, dass der am 04.07.2009 zwischen der ursprünglichen Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2) abgeschlossene, den Erwerb von Geschäftsanteilen an der Beigeladenen zu 1) betreffende Geschäftsanteilskauf- und abtretungsvertrag unwirksam ist.

Hilfsweise beantragt die Antragstellerin,

3. den am 04.07.2009 zwischen der ursprünglichen Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2) abgeschlossene, den Erwerb von Gesellschaftsanteilen an der Beigeladenen zu 1) betreffenden Geschäftsanteilskauf- und abtretungsvertrag für unwirksam zu erklären.

Der Antragsgegner beruft sich auf § 240 ZPO und lehnt es daher ab, einen Antrag zur Sache zu stellen.

Er ist der Meinung, auch im Beschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. GWB müsse § 240 ZPO analog gelten, um dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit zu geben, die Situation einzuschätzen und eine zum Wohle der Vermögensmasse sachgerechte Entscheidung zu treffen. Die bestehende gesetzliche Regelungslücke müsse ausgefüllt werden, denn die durch die Insolvenz der Vergabestelle eingetretene Änderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Situation erfordere eine entsprechende Verfahrensunterbrechung, die auch in anderen, nicht zivilrechtlichen Verfahren als Grundsatz anerkannt sei. Dem stehe auch der im Vergabenachprüfungsverfahren geltende Beschleunigungsgrundsatz nicht entgegen. Denn zum einen sei dem Schutz der Insolvenzmasse Vorrang zu gewähren, zum anderen könne das Interesse eines Beteiligten an der Vermeidung der Unterbrechung im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht höher bewertet werden als das Beschleunigungsinteresse der Partei eines Eilverfahrens, in denen § 240 ZPO ebenfalls Anwendung finde.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.


II.

Das Verfahren ist gemäß § 240 ZPO analog seit dem 27.10.2009 unterbrochen.

Nach Ansicht des Senates muss § 240 ZPO im gerichtlichen Beschwerdeverfahren eines Vergabenachprüfungsverfahrens nach § 116 GWB jedenfalls in den Fällen Anwendung finden, in denen über das Vermögen der beteiligten Vergabestelle das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

1. Eine analoge Anwendung des § 240 ZPO ist nicht ausgeschlossen.

a) Der Senat verkennt nicht, dass es sich um ein Vergabenachprüfungsverfahren handelt, in welchem auch in der Beschwerdeinstanz besondere prozessuale Regelungen durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) getroffen werden.

Eine ausdrückliche gesetzliche Verweisung auf § 240 ZPO gibt es im Vergabeverfahrensrecht nicht. Nach § 120 GWB finden die §§ 69, 70 Abs. 1 bis 3., § 71 Abs. 1 und 6, §§ 72, 73 mit Ausnahme der Verweisung auf § 227 Abs. 3 der Zivilprozessordnung und die §§ 78, 111 und 113 Abs. 2 Satz 1 entsprechende Anwendung. In dieser Aufzählung findet sich die Vorschrift des § 240 ZPO nicht.

b) Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend.

Nach Ansicht des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 17.08.2007, 1 Verg 5/07, VergabeR 2008, 291 ff.) ist das Beschwerdeverfahren vor den Vergabesenaten trotz der unmittelbaren und mittelbaren Verweisungen in § 120 Abs. 2 GWB nicht vollständig geregelt. Um Rechtslücken zu schließen, ist wegen der Nähe zum Kartellverfahrensrecht zunächst auf diese Bestimmungen zurückzugreifen (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 45, 48 und 2001, 164 f.). Jedenfalls darf aus dem fehlenden Verweis in § 120 GWB auf andere Normen des kartellrechtlichen Beschwerdeverfahrens nicht auf die Nichtanwendbarkeit dieser Normen geschlossen werden (vgl. OLG Frankfurt, NZBau 2004, 567, 568). Subsidiär kommen eine analoge Anwendung der VwGO und der ZPO in Betracht (so insgesamt auch Storr in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 120 Rdn. 5; Stockmann in Dreher/Stockmann, Kartellvergaberecht, 4. Aufl. 2008, § 120 Rdn. 25; Willenbruch/Bischoff, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 120 GWB, Rdn. 23 ff.). Die Frage der Schließung solcher Lücken muss allerdings für jede einzelne Verfahrensfrage gesondert geprüft werden (Senatsbeschluss vom 17.08.2007, a.a.O.; insoweit zustimmend auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.08.2009, Aktenzeichen L 6 B 186/09, zitiert nach juris; Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2005, § 120 Rdn. 1207; für eine „problembezogene“ Analogie: Stockmann a.a.O.).

2. Die Bedeutung des § 240 ZPO geht unbestritten über das Zivilverfahren hinaus.

Denn die Regelung beruht auf verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit nach Art. 20 Abs. 3 GG mit dem Gebot eines fairen Verfahrens und des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (Baumbach/Lauterbach/ Albers/ Hartmann, 68. Aufl. 2010, § 240 Rdn. 1 i.V.m. Übers vor § 239, Rdn. 2 m.N.; so wohl auch BGH, NJW 1997, 2525 ff.), deren Einhaltung auch in anderen gerichtlichen Verfahrensarten zu gewährleisten ist. Mit § 240 reagiert das Gesetz auf einen außerhalb des jeweiligen gerichtlichen Verfahrens eintretenden Umstand, nämlich die Insolvenz einer Partei. § 240 ZPO trägt dabei dem Umstand Rechnung, dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Gemeinschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch seine Prozessführungsbefugnis verliert und diese gemäß § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht (vgl. BGH, NJW 1997, a.a.O.). Dieser soll ausreichend Bedenkzeit haben, über die Fortsetzung des Prozesses zu entscheiden (BGHZ 9, 308 ff.; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 240 Rdn. 1; Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl., § 240 Rdn. 1). Dieser Zweck ist tangiert, wenn der Gemeinschuldner Partei des Verfahrens mit eigenen Rechten ist (vgl. OLG Bamberg, ZIP 2006, 1066 f.).

3. Da diese Situation unabhängig von der Verfahrensordnung in allen kontradiktorischen Verfahren auftreten kann, wird § 240 ZPO auch in allen Urteilsverfahren jeder zivilen Prozessart und in allen Instanzen angewendet (vgl. Greger, a.a.O., § 239 Rdn. 8).

Die §§ 239 ff. ZPO gelten auch für solche Verfahren, die eine mündliche Verhandlung nicht notwendig voraussetzen, wie Mahnverfahren, Kostenfestsetzungsverfahren, Beschwerdeverfahren. § 240 ZPO gilt auch in besonders eiligen Verfahren wie Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren (vgl. BGH, NJW 1962, 591) sowie selbständigen Beweisverfahren (BGH, NJW 2004, 1388). Eine entsprechende Anwendung findet auch in arbeitsgerichtlichen (§§ 46 Abs. 2, 64 VI, 72 V ArbGG) und sozialgerichtlichen Verfahren statt sowie schon vor dessen Normierung im Verwaltungsprozess (OVG Hamburg, MDR 1953, 442) und im steuerrechtlichen Streitverfahren (BFH, BB 1970, 1163).

4. Im Vergabeverfahren liegen die Interessen der Beteiligten zumindest dann ähnlich, wenn die Vergabestelle insolvent wird.

Dies wird vergleichsweise selten geschehen, weil öffentliche Aufträge überwiegend nicht von Privaten erteilt werden. Mit der zunehmenden Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in privaten Rechtsformen, der § 98 Nr. 2 GWB Rechnung trägt, kann aber auch die Insolvenz einer privatrechtlich organisierten Vergabestelle an Bedeutung gewinnen.

a) Bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Analogie kann die Frage, ob § 240 ZPO angewandt werden soll, nicht von Fall zu Fall anhand der individuellen Interessenlage entschieden werden, sondern nur allgemein für eine abstrakt abzugrenzende Verfahrenssituation.

Daher kommt es entgegen der Ansicht der Antragstellerin letztlich nicht darauf an, welche individuellen Folgen die Unterbrechung im hier vorliegenden Verfahren für sie hat, sondern allenfalls auf den Vergleich der grundsätzlichen Interessenlagen der Beteiligten mit der Situation in anderen Streitverfahren, in denen § 240 ZPO Anwendung findet. Insofern erscheint eher das Argument des Antragsgegners zuzutreffen, der das Interesse eines Bieters an der Vermeidung der Unterbrechung im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht höher bewerten will als das Beschleunigungsinteresse der Partei eines zivil- oder verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens, in denen § 240 ZPO ebenfalls Anwendung findet.

b) Zu berücksichtigen sind zunächst die grundlegenden Ähnlichkeiten des (gerichtlichen) Vergabenachprüfungsverfahrens zum Zivilprozess und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Wie dort handelt sich bei den Vergabenachprüfungsverfahren um Streitverfahren, die nur auf Antrag eröffnet werden. Wie im Zivilprozess haben die Beteiligten damit die Herrschaft über den Verfahrensbeginn, über den Verfahrensgegenstand und über das Verfahrensende. Die Interessenlage der sich als Parteien gegenüber stehenden Verfahrensbeteiligten ist ähnlich wie im Zivil- oder Verwaltungsprozess.

c) Das Vergabeverfahren bleibt von der Insolvenz der Vergabestelle nicht unberührt.

Wird sie insolvent, kann die Vergabestelle den ausgeschriebenen oder bereits erteilten Auftrag nicht mehr ohne Weiteres erfüllen. Zumindest ist ihre Geschäftsführung rechtlich daran gehindert. An ihre Stelle tritt der Insolvenzverwalter, der seine Funktion im öffentlichen Interesse ausübt. Er braucht Bedenkzeit, um über die Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden. Im Vergabeverfahren stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob die Ansprüche des Bieters im konkreten Vergabeverfahren berechtigt sind und gegebenenfalls gegenüber der insolventen Vergabestelle durchgesetzt werden könnten. Vielmehr muss der Insolvenzverwalter zunächst klären, ob die Vergabestelle das ausgeschriebene Projekt überhaupt noch durchführen kann.

d) Dass gegenüber dieser Interessenlage der insolventen Vergabestelle und ihrer Gläubiger dem Interesse der Bieter an einem effektiven Rechtsschutz (Art. 1 Abs. 1 UA 3, Art. 2 Abs. 1 a) der Richtlinie 2007/66/EG) durch unverzügliche Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens trotz Insolvenz der Vergabestelle der Vorrang zu gewähren wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Typischerweise dient das von einem unterlegenen Bieter eingeleitete Nachprüfungsverfahren dem Zweck, die Erteilung eines beabsichtigten Zuschlags an einen Mitbieter zu verhindern, die Wiederholung der Vergabeentscheidung bzw. der gesamten Ausschreibung zu erreichen oder zumindest eine Verletzung der Rechte des Antragstellers festzustellen. Die wirksame Durchsetzung dieser und anderer durch § 97 GWB geschützter Bieterinteressen kann aber ihre Grenze finden, wenn die Vergabestelle insolvent wird. Insofern ist der Antragstellerin zuzustimmen, dass ein vergaberechtlicher Anspruch gegenüber einer insolventen Vergabestelle unter Umständen dauerhaft nicht mehr durchgesetzt werden kann. Damit teilt der im Vergaberecht begründete Anspruch das mögliche Schicksal anderer Verwaltungs- oder zivilrechtlicher Ansprüche. Diese Folge beruht aber allein auf der Insolvenz der privatrechtlich organisierten Vergabestelle. Wie Ansprüche und Rechte gegen insolvente private juristische Personen durchgesetzt werden können, regelt das nationale Insolvenzrecht abschließend.

e) Ein die Unterbrechung nach § 240 ZPO ausschließendes, überragendes Interesse des unterlegenen Bieters sieht der Senat im Fall der Insolvenz der beteiligten Vergabestelle gerade nicht.

Im Regelfall wird das Interesse eines unterlegenen Bieters an dem Zuschlag eher sinken, wenn der Auftraggeber insolvent wird und damit die Erteilung des ausgeschriebenen Auftrages ungewiss ist. Sollte die Zuschlagserteilung noch möglich werden, weil die Insolvenz der Vergabestelle überwunden wird, so entfiele mit dem Ende des Insolvenzverfahrens auch die unterbrechende Wirkung des § 240 ZPO, so dass der Antragsteller seine Ansprüche in dem fortzusetzenden Beschwerdeverfahren weiterverfolgen könnte. Sollte andererseits der Insolvenzverwalter das Verfahren aufnehmen, weil er den Auftrag trotz Insolvenz der Vergabestelle erteilen möchte, müsste das Verfahren ebenfalls fortgesetzt werden. Selbst der Feststellungsantrag dient nur der Vorbereitung eines möglichen Schadensersatzanspruchs des unterlegenen Bieters gegen die insolvente Vergabestelle, den dieser im Obsiegensfall nur zur Tabelle anmelden könnte.

f) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin spricht auch der Grundsatz der Beschleunigung des Vergabenachprüfungsverfahrens, auch des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens, nicht gegen eine Unterbrechung bei Insolvenz der Vergabestelle.

aa) Das Beschleunigungsgebot kann möglicherweise von Bedeutung sein, wenn in einem Nachprüfungsverfahren einer von zahlreichen Bietern insolvent wird, wie das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern in seiner Entscheidung vom 24.08.2009 (a.a.O.) ausgeführt hat:

So bestünde bei einer Unterbrechung die Gefahr, dass regelmäßig Ausschreibungen nicht binnen angemessener Zeit beendet werden könnten, wenn sich insolvenzgefährdete Bieter an der Ausschreibung beteiligten. Dies wäre im Hinblick auf die Belange der Vergabestelle bedenklich, die ein Interesse an der zügigen Vergabe des von ihr ausgeschriebenen Auftrages habe. Die Insolvenz eines Bieters solle aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht den Fortgang des Verfahrens hindern. Dies gelte erst recht, wenn ein Bieter erst während des bereits anhängigen Beschwerdeverfahrens in Insolvenz falle.

bb) Diese in sich schlüssige Argumentation auf Grundlage des Beschleunigungsgrundsatzes verkehrt sich aber in ihr Gegenteil, wenn nicht ein Bieter, sondern die Vergabestelle während des Nachprüfungsverfahrens insolvent wird.

Zunächst entfällt ihr Interesse an einer raschen Zuschlagserteilung, denn sie darf ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters keine neuen Verträge eingehen oder Aufträge erteilen. In einem Nachprüfungsverfahren, das sich aber regelmäßig auf die Erteilung oder Nichterteilung des Zuschlags bezieht, kann die insolvente Vergabestelle in der Regel kein berechtigtes Interesse haben, das Verfahren weiter zu führen, bevor der Insolvenzverwalter sich ein Bild über die Zukunftsaussichten des Betriebes gemacht und gegebenenfalls für eine Aufnahme des Nachprüfungsverfahrens entschieden hat. § 240 ZPO dient auch dem Schutz der Gläubiger, deren Interesse darauf gerichtet ist, keine Vermögenswerte der Gemeinschuldnerin in Einzelverfahren zu verlieren.

Dies gilt erst Recht im Passivprozess der insolventen Vergabestelle. Auch den am Nachprüfungsverfahren beteiligten Bietern kann nicht zugemutet werden, sich „aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung“ noch an eine insolvente Vergabestelle zu binden. Insgesamt sprechen also die Interessen der Beteiligten grundsätzlich eher für eine Unterbrechung nach § 240 ZPO.

5. Die Insolvenzmasse ist im vorliegenden Verfahren betroffen i.S.d. § 240 S. 1 ZPO.

Diese Voraussetzung des § 240 ZPO ist im Gegensatz zu der allgemeinen Frage der Zulässigkeit einer Analogie nicht generell, sondern bezogen auf den konkreten Verfahrensgegen¬stand individuell zu prüfen. Sie liegt vor, wenn das Verfahren einen Vermögenswert betrifft, der zur Insolvenzmasse gehören kann (vgl. BGH Report 2004, 1446). Während dieser Massebezug bei Insolvenz der Vergabestelle in manchem Nachprüfungsverfahren möglicherweise fehlen kann, ist er in dem hier vorliegenden Fall offensichtlich gegeben. Denn Gegenstand des Verfahrens ist auf Grund des Hauptantrages der Antragstellerin in erster Linie die Frage, ob Geschäftsanteile an einer dritten Gesellschaft noch zum Vermö¬gen der insolventen Antragsgegnerin gehören oder nicht.

Mit den von der Antragstellerin gewählten Anträgen, hat sie den Verfahrensgegenstand bestimmt. Würde ihrem Hauptantrag stattgegeben und die Unwirksamkeit des privatrechtlichen Verkaufs der Geschäftsanteile gerichtlich festgestellt werden, hätte dies eine unmittelbare Auswirkung auf den Bestand und Umfang der Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO), weil die Geschäftsanteile dann zur Masse zu rechnen wären.

Ohne dass es im vorliegenden Fall darauf ankäme, weist der Senat darauf hin, dass der Tatbestand des § 240 ZPO wohl auch dann erfüllt wäre, wenn die Antragstellerin nur einen Antrag auf Feststellung der Rechtsverletzung nach § 123 S. 3 GWB gestellt hätte. Denn in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch mittelbare Auswirkungen auf die Masse für die Anwendbarkeit des § 240 ZPO ausreichen. Das gilt insbesondere wenn ein vorbereitender Prozess geführt wird, der einen im Hintergrund stehenden Geldanspruch (hier: Schadensersatzanspruch) gegen die Masse betrifft (Feiber in Münch-Komm-ZPO, 2. Aufl. 2000, § 240 Fn. 4 m.N.).

6. Die Unterbrechung des Verfahrens ist erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, § 240 S. 1 ZPO.

Die hier vorausgegangene Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters hätte die Unterbrechungswirkung gemäß § 240 S. 2 ZPO nur dann herbeiführen können, wenn sie mit einem allgemeinen Verfügungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO verbunden worden wäre. Dies war jedoch hier nicht der Fall, wie sich aus der Anordnung nach § 22 Abs. 2 InsO klar ergibt. Die Anordnung anderer Sicherungsmaßnahmen, wie hier nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 und 22 Abs. 2 InsO rechtfertigen die Anwendung des § 240 S. 2 ZPO nicht (vgl. BGH, NJW 1999, 2822; OLG Celle, OLGR 2000, 107; Kammergericht, KGR 2001, 38).

7. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hat der Antragsgegner als Insolvenzverwalter das Verfahren nicht aufgenommen.

Vielmehr hat er mit Schriftsatz vom 29.10.2009 lediglich mitgeteilt, dass über das Vermögen der E. das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Einen Antrag zur Sache hat er nicht gestellt. Selbst nachdem ihm die damals noch anders lautende Rechtsansicht des Senates mitgeteilt worden war, hat er mit Schriftsatz vom 09.11.2009 noch mitgeteilt, er sei aber „zunächst von der Unterbrechung des Rechtsstreits gemäß § 240 ZPO ausgegangen“. Die Antragstellung vom 20.11.2009, in der die Antragstellerin eine Aufnahme des Rechtsstreits sieht, kann daher nur als Reaktion auf die angekündigte Versagung der Unterbrechung durch das Gericht gewertet werden, unter dem Vorbehalt also, dass der Senat das Verfahren entgegen § 240 ZPO fortsetzen würde, während eine Aufnahme des Verfahrens eine bewusste Entscheidung in Kenntnis der Wahlmöglichkeit hätte sein müssen.


III.

Der Senat sah keine Veranlassung, sich einer eigenen Entscheidung zu enthalten, um die Frage der Anwendbarkeit des § 240 ZPO im Vergabenachprüfungsverfahren bei Insolvenz der Vergabestelle dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Denn die mögliche grundsätzliche Bedeutung dieser Frage reicht hierzu gemäß § 124 Abs. 2 GWB allein nicht aus. Die für eine Vorlage notwendige Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Obergerichts liegt indes nicht vor. Insbesondere hat das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern in seiner Entscheidung vom 24.08.2009 (a.a.O.) ausdrücklich nur die Frage geprüft und entschieden, ob im Fall der Insolvenz eines Bieters ein Vergabenachprüfungsverfahren unterbrochen ist. Die hier vom Senat allein zu beantwortende Frage, ob § 240 ZPO im Falle der Insolvenz der Vergabestelle für das Beschwerdeverfahren gilt, war nicht Gegenstand jener Entscheidung.

gez. Dr. Zettel gez. Dr. Tiemann gez. Grimm
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