Text des Beschlusses
2 Ws (Reh) 15/10;
Verkündet am:
13.04.2010
OLG Oberlandesgericht Naumburg
Vorinstanzen: Reh 6338/08 Landgericht Magdeburg; Rechtskräftig: unbekannt! Zur Berechnung der Einkommensgrenze für die monatliche besondere Zuwendung für Haftopfer Leitsatz des Gerichts: Zur Berechnung der Einkommensgrenze für die monatliche besondere Zuwendung für Haftopfer (hier: Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit). In dem Rehabilitierungsverfahren der … -Betroffene, Antragstellerin und Beschwerdegegnerin- gegen … , -Antragsgegner und Beschwerdeführer- hat der Rehabilitierungssenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 13. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Braun, den Richter am Oberlandesgericht Krause und die Richterin am Oberlandesgericht Ewald beschlossen: Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg vom 08. Oktober 2009 wird zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht frei von Gerichtskosten. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last. Mit Beschluss vom 25. November 1992 erklärte die 3. Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg das gegen die Betroffene verhängte Urteil des Kreisgerichts Salzwedel vom 20. Juni 1974 (Gesch.Nr.: S 50/74) wegen des Vorwurfs der Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall und der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu einem Jahr und sechs Monaten für rechtsstaatswidrig, hob es auf und stellte den Zeitraum des zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzuges für die Zeit vom 25. Januar 1974 bis zum 24. Juli 1975 fest. Am 29. August 2007 beantragte die Betroffene die Gewährung einer besonderen Zuwendung nach § 17 a StrRehaG. Mit Vorbehaltsbescheid vom 22. Juli 2008 gewährte der Antragsgegner eine besondere Zuwendung nach 17 a StrRehaG in Höhe von 250 € monatlich ab dem 1. Januar 2008. Die Gewährung der Opferpension für den Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. Dezember 2007 hat er abgelehnt, weil das zu berücksichtigende Einkommen der Betroffenen in diesem Zeitraum die maßgebliche Bedürftigkeitsgrenze des vierfachen Eckregelsatzes von 1.388 € (Stand 07/2007) um mehr als 250 € übersteige. Bei der nach § 17 a StrRehaG vorzunehmenden Ermittlung des zu berücksichtigenden monatlichen Einkommens ging der Antragsgegner jeweils von einem Nettoeinkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit i. H. v. 1.645,71 €, einem Einkommen aus Vermietung und Verpachtung i. H. v. 53 € sowie einem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 1.875,59 € mithin in Höhe von insgesamt 3.574,30 € aus. Das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit hat er ermittelt, indem er dem sich aus der betriebswirtschaflichen Auswertung für Dezember 2007 ergebenden Gewinn in Höhe von – 228,28 € die Abschreibungen i. H. v. 23.600 € abzüglich der für den Erwerb von Anlagegütern im Jahr 2007 aufgebrachten Beträge, so für ein Notebook 671,43 € sowie für GWG 193,23 €, mithin 22.735,34 € hinzugerechnet und den sich ergebenden Betrag durch zwölf geteilt hat. Der Bescheid erging vorbehaltlich des vom Finanzamt für das Berechnungsjahr festgestellten Gewinns. Mit einem am 20. August 2008 bei dem Amtsgericht Wittenberg eingegangenen Schreiben hat die Betroffene die gerichtliche Entscheidung beantragt, soweit ihr für den Zeitraum von September bis Dezember 2007 eine besondere Zuwendung versagt wurde. Sie macht geltend, dass bei der Ermittlung der Höhe des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit auch die Tilgungsleistungen für kreditfinanzierte Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen seien. Im Jahr 2007 habe sie monatlich 2.522 € auf Kredite leisten müssen. Die Eingabe gelangte am 22. August 2009 über den Antragsgegner an das Landgericht. Nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheid für 2007 zu den Akten gereicht hat, hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Februar 2009 den Antrag auf Gewährung einer besonderen Zuwendung nach § 17 a StrRehaG für den Zeitraum von September bis Dezember 2007 endgültig zurückgewiesen. Bei der Nachberechnung ist er von einem Nettoeinkommen aus nichtselbstständiger Arbeit i. H. v. 1.833,71 € und Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit i. H. v. 1.718,38 € ausgegangen. Das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hat er ermittelt, indem er dem im Steuerbescheid ausgewiesenen Verlust i. H. v. 2.105 € die Abschreibungen i. H. v. 23.595,66 € abzüglich der Anschaffungskosten i. H. v. 671,43 € (Notebook) und 193,23 € (GWG) hinzugefügt und den sich ergebenen Wert i. H. v. 20.626 € durch zwölf geteilt hat. Von dem Gesamteinkommen hat er Versicherungsleitstungen i. H. v. 787,69 € abgezogen und ein Einkommen i. H. v. 2.764,40 € ermittelt. Mit Beschluss vom 08. Oktober 2009 hat die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg den Bescheid vom 16. Februar 2009 aufgehoben, soweit für den Zeitraum vom 1. September bis zum 31. Dezember 2007 eine besondere Zuwendung nach § 17 a StrRehaG i. H. v. 0 € monatlich festgesetzt wurde und den Antragsgegner verpflichtet, den Antrag der Betroffenen vom 29. August 2007 im vorgenannten Umfang unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer erneut zu entscheiden. Zur Begründung ist ausgeführt, dass nach den für die Einkommensermittlung maßgeblichen Vorschriften der § 82 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB XII und § 4 Abs. 4 Satz 2 der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII folge, dass betrieblich notwendige Anschaffungskosten, die einen tatsächlichen Vermögensabfluss bewirken, in Abweichung von den steuerrechtlichen Maßstäben gewinnmindernd zu berücksichtigen seien. Unerheblich sei dabei, ob die Anschaffungskosten aus liquiden Mitteln des Unternehmens finanziert würden oder ob zunächst Fremdmittel in Anspruch genommen würden. Denn in beiden Fällen würden im wirtschaftlichen Ergebnis die verfügbaren finanziellen Mittel der Unternehmung geschmälert. Der Unterschied liege allein darin, dass bei der Finanzierung mit liquiden Mitteln ein sofortiger Abfluss von Mitteln im großen Umfang erfolge, während bei der Finanzierung über Darlehen ein stetiger Abfluss über einen längeren Zeitraum erfolge. Zu berücksichtigen seien daher auch die geleisteten Tilgungszahlungen. Gegen den ihm am 15. Oktober 2009 zugestellten Bescheid hat der Antragsgegner am 29. Oktober 2009 Beschwerde eingelegt. Er vertritt die Auffassung, dass die Anschaffungsbeträge für Wirtschaftsgüter unabhängig davon, ob sie aus eigenen oder aus Fremdmitteln finanziert würden, nur im jeweiligen Jahr der Anschaffung berücksichtigungsfähig seien. Demzufolge könnten die in den Folgejahren zu leistenden Tilgungen nicht nochmals berücksichtigt werden. Nach den einschlägigen Vorschriften seien nur diejenigen Aufwendungen absetzbar, die den Gewinn effektiv schmälern. Bei Tilgungszahlungen sei dies jedoch nicht der Fall. Dementsprechend seien notwendige Ausgaben im Sinne des § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII nur solche, die auch steuerrechtlich Berücksichtigung fänden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend gemeint hat, stehen der Betroffenen als Berechtigter nach § 16 Abs. 1 StrRehaG möglicherweise auch für den Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. Dezember 2007 eine besondere Zuwendung nach § 17 a Abs. 1 StrRehaG in Höhe von jeweils 250,00 EUR zu, weil bisher nicht zu erkennen ist, dass ihr Einkommen die nach § 17 a Abs. 2 StrRehaG festgelegte Bedürftigkeitsgrenze in Höhe des vierfachen Eckregelsatzes nach § 28 Abs. 2 i. V. m. § 40 SGB XII von 1.388 € (Stand 07/2007) übersteigt. Das zu berücksichtigende Einkommen ist nach § 17 a Abs. 2 Satz 2 StrRehaG entsprechend § 82 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII zu ermitteln. Gemäß § 82 Abs. 1 SGB XII gehören zum Einkommen grundsätzlich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Hierzu zählen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Ziff. 1 EStG, Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit nach §§ 15 Abs. 1 und § 18 Abs. 1 EStG sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 Abs. 1 und 3 EStG (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1, 7 Abs. 1 der DVO zu § 82 SGB XII). Gem. § 3 Abs. 3 der DVO zu § 82 SGB XII ist bei der Berechnung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von den monatlichen Bruttoeinnahmen auszugehen. Es sind die in Abs. 3 bis 7 genannten Ausgaben zu berücksichtigen. Zwischen den Beteiligten steht hier außer Streit, dass die Betroffene in dem Feststellungszeitraum Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i. H. v. 1.833,71 € monatlich erzielte. Bei der Betroffenen sind in dem Feststellungszeitraum keine weiteren Einkünfte aus selbständiger Arbeit oder aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners bestimmt sich die Höhe der Einkünfte nicht allein nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften. Als Einkünfte kann - wie hier bisher geschehen - der vom Finanzamt für das Berechnungsjahr festgestellte Gewinn angesetzt werden (§ 4 Abs. 4 Satz 2 DVO zu § 82 SGB XII). Wird der vom Finanzamt festgestellte Gewinn als Einkünfte angesetzt, so sind die in § 4 Abs. 5 Satz 1 DVO zu § 82 SGB XII im einzelnen ausgewiesenen steuerrechtlich zulässigen Absetzungen wieder hinzuzurechnen. Soweit jedoch in diesen Fällen notwendige Ausgaben für die Anschaffung oder Herstellung der genannten Wirtschaftsgüter im Feststellungszeitraum geleistet worden sind, sind sie vom Gewinn abzusetzen (§ 4 Abs. 5 S. 2 DVO zu § 82 SGB XII). Danach ist der vom Finanzamt nach steuerrechtlichen Grundsätzen ermittelte Gewinn nur Ausgangspunkt für die Berechnung der Einkünfte, die dann nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen erfolgt. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 EStG ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Sozialhilferechtlich ist Einkommen alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig zusätzlich erhält, und Vermögen, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Maßgeblich ist das, was ihm tatsächlich zugeflossen ist (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., SGB XII, § 82 Rn. 9). Der Sozialhilfeempfänger kann nur dann auf die Selbsthilfemöglichkeit verwiesen werden, wenn ihm bereite Mittel zur Verfügung stehen. Entscheidend ist die tatsächliche Lage des Hilfesuchenden. Einkommen ist ihm nur dann anzurechnen, wenn es ihm im Bedarfszeitraum tatsächlich zugeflossen ist (Wahrendorf, a.a.O., Rn. 12). Dementsprechend sind dem vom Finanzamt festgestellten Gewinn die Abschreibungen, die zu keinem Mittelabfluss geführt haben, hinzuzurechnen, während die notwendigen Ausgaben für die jeweiligen Wirtschaftsgüter im Feststellungszeitraum, die zu einem Mittelabfluss geführt haben, vom Gewinn abzusetzen sind. Zwar stellen einkommenssteuerrechtlich bei der Gewinnermittlung weder der Zufluss der Darlehensvaluta beim Darlehensnehmer und der Rückfluss der Darlehensvaluta beim Darlehensgeber eine Betriebseinnahme noch die Hingabe der Darlehensvaluta durch den Darlehensgeber und die Rückzahlung des Darlehens durch den Darlehensnehmer eine Betriebsausgabe dar, weil es trotz der durch sie bewirkten Vermögensmehrung oder -minderung an einer tatsächlichen Vereinnahmung oder Verausgabung fehlt (BFH BB 1974, 1058). Die Anschaffung von Wirtschaftsgütern auf Kredit führt lediglich zu einer Bilanzverlängerung, sie wirkt sich auf die Höhe des Gewinns nicht aus. Sozialhilferechtlich erfüllen Darlehen wegen ihres Zuflusscharakters den Einkommensbegriff (Wahrendorf, a.a.O., Rn. 27). Entsprechend sind auch Darlehensrückzahlungen zu berücksichtigen. Der weitere sozialhilferechtliche Grundsatz, nach dem es dem Zweck der Sozialhilfe zuwider laufen würde, zur Tilgung von Schulden des Hilfeempfängers beizutragen (BVerwGE 66, 342) greift hier nicht, weil er lediglich besagt, dass keine Leistungen für die Vergangenheit gewährt werden. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Berücksichtigung der Tilgungsleistungen eine Vermögensbildung aus Steuergeldern zuließe, weil die Ausgaben im Sinne des § 4 Abs. 5 S. 2 DVO zu § 82 SGB XII nur abnutzbare Wirtschaftsgüter betreffen, deren Abnutzung bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 4 Abs. 5 S. 1 DVO zu § 82 SGB XII jedoch außer Betracht bleibt. Danach ergeben sich bei der Betroffenen in dem hier maßgeblichen Zeitraum Verluste aus selbständiger Tätigkeit. Neben den bereits vom Antragsgegner berücksichtigten Aufwendungen in Höhe von 671,43 EUR und weiteren 193,23 EUR sind die Tilgungsleistungen für die betrieblich genutzten LkW in Höhe von 30.263,95 EUR zu berücksichtigen, so dass wie folgt zu rechnen ist: Abschreibungen: 23.595,66 EUR ./. Anschaffungskosten: 671,43 EUR 193,23 EUR 30.263,95 EUR Verlust 2.105,00 EUR --------------------------------------------------- - 9.637,95 EUR - 803,16 EUR monatlich Ein Verlustausgleich zwischen einzelnen Einkunftsarten findet nicht statt (§ 10 der DVO zu § 82 SGB XII). Ohne die bislang nicht abschließend festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ergibt sich somit ein Einkommen in Höhe von 1833,71 EUR. Davon sind die Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 787,69 EUR abzuziehen (§ 82 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB XII), so dass lediglich ein Betrag in Höhe von 1046,02 EUR monatlich verbliebe, der deutlich hinter dem hier maßgeblichen vierfachen Eckregelsatz zurückbleibt. Verfahrenskosten werden nicht erhoben (§14 Abs. 1 StrRehaG). Die Auslagenentscheidung folgt aus §§ 14 Abs. 4 StrRehaG, 464 Abs. 1 und 467 Abs. 1 StPO entsprechend. gez. Braun gez. Krause gez. Ewald ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? 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