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Text des Urteils
4 U 519/07;
Verkündet am: 
 22.06.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
8 O 1052/06
Landgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
Wird im Antragsformular wegen Erkrankungen/Beschwerden des Bewegungsapparates behandelt oder untersucht wurde, so sind diese einschließlich aller Behandlungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen anzugeben
Leitsatz des Gerichts:
1. Wird im Antragsformular (auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung) danach gefragt, ob der Antragsteller (spät. VN) wegen Erkrankungen/Beschwerden des Bewegungsapparates behandelt oder untersucht wurde, so sind – unabhängig von der Schwere und dem Stadium solcher Beschwerden – diese einschließlich aller Behandlungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen anzugeben; es sei denn, es handelt sich tatsächlich nur um offenkundig belanglose und alsbald vergehende Beeinträchtigungen.

2. Bei persistierenden Wirbelsäulenbeschwerden, die über das normale Maß degenerativer Abnutzung hinausgehen und die eine kontinuierliche Behandlung erfordern, steht deren Gefahrerheblichkeit für eine Berufsunfähigkeitsversicherung außer Frage.

3. Steht die objektive Obliegenheitsverletzung des Antragstellers auf Grund einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme fest, so rechtfertigen zwar allein die falschen Angaben im Antragsformular noch nicht den Schluss auf eine (subjektive) Arglist des Antragstellers. Für dessen Täuschungsbewusstsein spricht aber, wenn er schwere, chronische und schadensgeneigte gesundheitliche Beeinträchtigungen verschweigt, die ihm offensichtlich als gefahrerheblich für das versicherte Risiko (hier BU) erscheinen mussten.

4. Liegt eine arglistige Täuschung des Antragstellers vor, ist diese regelmäßig auch als kausal für die Entschließung des Versicherers auf Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung anzusehen.

5. Auch bei unwirksamer – weil zu weitgehender – Schweigepflichtsentbindungserklärung führt die selbständig von der Versicherung eingeholte Gesundheitsauskunft (bei behandelnden Ärzten) nicht ohne weiteres zu einem Verwertungsverbot. Kann dem Versicherer dabei kein treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden, weil er sich – im Vertrauen auf die Wirksamkeit der (formal) erteilten Einwilligungserklärung – an eine langjährige Praxis gehalten hat, so führt allein die rechtswidrige Datenerhebung nicht automatisch zu einer unzulässigen Rechtsausübung; sie kann vielmehr im Prozess verwertet werden.
In dem Rechtsstreit
E. B.
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

gegen
HUK-C.
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richter am Landgericht Gollnick aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2010 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 21.05.2007 – Az.: 8 O 1052/06 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des für die Beklagte wegen der Kosten

vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des für sie vollstreckbaren Kostenbetrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Gründe:



I.

Der Kläger nimmt die Beklagte im Leistungs- und Feststellungsweg aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch.

Der Kläger stellte am 26.02.2004 den Antrag auf Abschluss einer Risiko-Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der Beklagten. Das Antragsformular (Anlage K6; Bd.I Bl. 44f) füllte – bis auf die Gesundheitsangaben unter Ziffer 7. – die bei der Beklagten fest angestellte Versicherungskauffrau B. aus. Die Gesundheitsfragen beantwortete der Kläger – nur mit Hilfe seiner Ehefrau – selbstständig; die Eintragungen bzw. Ankreuzungen zu Ziffer 7 des Antragsformulars stammen von ihm selbst. Hierbei verneinte er die Frage nach „Erkrankungen/Beschwerden des Bewegungsapparates“ innerhalb der letzten 10 Jahre (Ziff. 7 lit. i).

Tatsächlich war der Kläger jedoch in den letzten 10 Jahren vor dem 26.02.2004 insgesamt 25-mal in orthopädischer Behandlung bei der (sachverständigen) Zeugin Dr. med. A.; und zwar – nach der schriftlichen Auskunft, die die Zeugin unter dem 06.10.2005 der Beklagten erteilt hat (Anlage B4, Bd. I Bl. 67) – im Einzelnen wie folgt:

„24.10.97 wegen Cervikalsyndrom

6.11.97 Rö HWS in 2 Ebenen – Osteochondrose

13.1.98;2.2.98; 3.3.98; 17.03.98 wegen Cervikalsyndrom

4.4.98;15.5.98;19.5.98;5.10.98;26.10.98;1.12.98 wegen Lumbalgie

4.1.99;11.2.99;16.3.99;29.4.99;17.06.99 wegen Lumbalgie

15.07.99; 26.7.99; 29.7.99;3.8.99; 11.8.99;15.9.99 wegen Cervikalsyndrom

10.6.2003; 16.6.2003 wegen Lumbalgie Rö LWS in 2 Ebenen –

re.konvexe Lumbalskoliose, Osteochondrose und Spondylose

RÖ-BÜ-Pfannendachsklerose – sonst o.B.“


Behandelt wurden die Nacken- und Rückenbeschwerden – wie gleichfalls aus dem Arztbericht folgt – „konservativ; und zwar mit Bewegungstherapie, Massage und NSAR lokale Injektionen“

Seit November 1993 war der Kläger als Zimmermann und Lkw-Fahrer tätig. Diesen Beruf kann er seit Ende 2004 nicht mehr ausüben, als bei ihm eine (schmerzhafte) Morbus-Bechterew-Erkrankung in „offensichtlicher Mischform mit degenerativer Wirbelsäulenveränderung“ (vgl. hierzu den vom Kläger als Anlage K8 vorgelegten Bericht der nuklearmedizinischen Untersuchung v. 31.01.2005 der Zentralklinik Bad Berka; Bd. I Bl. 111.) festgestellt wurde.

Im Mai 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Beklagte leitete daraufhin ein

Leistungsprüfungsverfahren ein. Zu den in diesem Rahmen angeforderten medizinischen Unterlagen zählen insbesondere die Arztberichte der Orthopädin Dr. A.; nämlich der vom 28.09.2005 (Anlage B3, Bd. I Bl. 66) und der – oben in Auszügen zitierte – vom 06.10.2005.

Im Ergebnis ihrer Prüfungen trat die Beklagte mit Schreiben vom 21.10.2005 (Anlage K4, Bd. I Bl. 40) für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung vom Vertrag zurück und erklärte zugleich die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Beides begründete sie mit wahrheitswidrigen (unrichtigen) Angaben zu den auf den Bewegungsapparat bezogenen Gesundheitsfragen und verwies hierzu auf die Berichte der Orthopädin Dr. A..

Der Kläger behauptet, bei den zum Anlass der (orthopädischen) Untersuchungen und Behandlungen genommenen Beschwerden habe es sich um harmlose „Allerweltsbeschwerden“ gehandelt, die er gleichwohl der Zeugin B. mitgeteilt habe. Auf deren Anraten habe er die Rückenbeschwerden im Antragsformular unerwähnt gelassen, weil er deswegen nie krank geschrieben gewesen sei.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte sei weder zum Rücktritt noch zur Anfechtung berechtigt. Gefahrerhebliche und daher mitteilungspflichtige Umstände habe er nicht verschwiegen; jedenfalls müsse sich die Beklagte das Wissen der Zeugin B. (nach der „Auge-und-Ohr-„Rechtsprechung) anrechnen lassen.

Selbst wenn er seine vorvertragliche Anzeigepflicht objektiv verletzt haben sollte, fehle es für den Rücktritt zumindest an der Kausalität zwischen den falschen Angaben und dem Versicherungsfall (der Morbus-Bechterew-Erkrankung) und für die Anfechtung – wegen der mangelnden Ernsthaftigkeit der Rückenbeschwerden – an einem arglistigen Verschweigen.

Im Wesentlichen macht der Kläger jedoch geltend, die Beklagte habe die von der Orthopädin erlangten Erkenntnisse nicht verwerten dürfen. Die mit dem Versicherungsantrag erteilte Schweigepflichtentbindung (Anlage K10, Bd. I Bl. 113) sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss v. 23.10.2006, VersR 2006, 1669) unwirksam, da zu weitgehend und unbestimmt. Als generelle Schweigepflichtentbindungserklärung verstoße sie gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Die Beklagte behauptet, sie hätte den Versicherungsvertrag – bezogen auf die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung – bei pflichtgemäßer Angabe der Rückenbeschwerden entweder gar nicht oder (zumindest) nur unter Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen abgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen und streitigen Parteivortrags aus der ersten Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, im Ergebnis der Beweisaufnahme (Vernehmung der Zeuginnen B.nn und B.) stünde fest, dass der Kläger seine (gefahrerheblichen) Rückenbeschwerden und –behandlungen verschwiegen habe; die Zeugin B. habe hiervon nichts erfahren und auch die vom Kläger behauptete Ausfüllempfehlung (Weglassen der Rückenbeschwerden) nicht erteilt. Die Beklagte habe den (Zusatz-)Vertrag daher mit Recht angefochten bzw. sei hiervon zurückgetreten.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigtem am 23.05.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.06.2007 (einem Montag) Berufung eingelegt und diese am 21.08.2007 innerhalb der bis dahin verlängerten Frist begründet.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter; hierzu wiederholt bzw. vertieft er im Wesentlichen die bereits in der ersten Instanz vorgebrachten Argumente.

Er beantragt, unter Abänderung des am 21.05.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Erfurt (Az.: 8 O 1052/06) die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger 13.500 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 8.250 € seit dem 01.11.2005, aus einem Teilbetrag von 9.000 € seit dem 01.12.2005, aus einem Teilbetrag von 9.750 € seit dem 01.01.2006, aus einem Teilbetrag von 10.500 € seit dem 01.02.2006, aus einem Teilbetrag von 11.250 € seit dem 01.03.2006, aus einem Teilbetrag von 12.000 € seit dem 01.04.2006, aus einem Teilbetrag von 12.750 € seit dem 01.05.

2006 und aus einem Teilbetrag von 13.500 € seit dem 01.06.2006 zu zahlen,

2. an den Kläger aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Versicherungsnummer 900/862371-L-71 ab dem 01.07.2006 bis längstens zum 01.03.2019 eine Berufsunfähigkeits-Rente in Höhe von 750 € monatlich im Voraus zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungs-vertrag zur Versicherungsnummer 900/862371-L-71 wirksam fortbesteht und nicht durch Rücktritt oder Anfechtung der Beklagten beendet worden ist,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von der Beitragszahlungspflicht für die Lebensversicherung und für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Versicherungsnummer 900/862371-L-71 ab dem 01.01.2005 bis längsten zum 01.03.2019 freizustellen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat unter dem 21.08.2009 einen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erlassen (Bd. II Bl.254ff.); mit Beschluss vom 16.09.2009 wurde die Berufung (vermeintlich) endgültig zurückgewiesen; und zwar nach § 522 Abs. 2 Satz 3, Halbsatz 2 ZPO ohne weitere Begründung (Bd. II Bl. 260). Nachfolgend sind jedoch der auf den Hinweisbeschluss Stellung nehmende Klägerschriftsatz vom 21.09.2009 (Bd. II Bl. 262ff.) und – nach Zugang des Zurückweisungsbeschlusses am 22.09.2009 – die Gehörsrüge vom 24.09.2009 (Bd. II Bl. 286ff.) eingegangen.


II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig.

Sie ist statthaft (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 517, 519, 520 Abs. 2 und 3 ZPO).

In der Sache hat die Berufung aber keinen Erfolg. Auch wenn der Senat das Berufungsverfahren auf die Gehörsrüge hin fortgesetzt hat (§ 321 a Abs. 5 ZPO) und damit der die Berufung zurückweisende Beschluss vom 16.09.2009 obsolet geworden ist, hat es im Ergebnis bei der Unbegründetheit der Berufung zu bleiben.

Die Nichtberücksichtigung des – tatsächlich fristgerechten – Schriftsatzes seines Prozessbevollmächtigten vom 21.09.2009 verletzt das rechtliche Gehör des Klägers, was auf die zulässige (§ 321 a abs. 1 und 2 ZPO) und begründete Gehörsrüge zu korrigieren war.

Im Original des – in der Gerichtsakte befindlichen – Hinweisbeschlusses vom 21.08.2009 ist dem Kläger eine bis zum 15.09.2009 laufende Stellungnahmefrist gesetzt (Bd. II Bl. 255); in den Ausfertigungen (und Abschriften) des Beschlusses jedoch – aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen – eine um eine Woche längere bis zum 22.09.2009. Bei dieser Sachlage verletzt der die Berufung zurückweisende Beschluss vom 16.09.2009 das rechtliche Gehör des Klägers; schneidet ihm nämlich die (längere) Erklärungsfrist bis zum 22.09.2009 ab, auf die er nach der ihm bzw. seinem Prozessbevollmächtigtem zugegangenen Beschlussausfertigung (und –abschrift) vertrauen durfte.

Dies vorausgeschickt ist zwar die Gehörsrüge, nicht aber die Berufung selbst begründet.

Die Beklagte hat ihre zum Abschluss der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung führende Vertragserklärung (Annahmeerklärung) mit der Folge wirksam angefochten (§§ 123 Abs. 1 BGB, 22 VVG a.F.), dass sie wegen der hieraus folgenden Nichtigkeit des Zusatzversicherungsvertrages mit Rückwirkung (ex tunc, § 142 BGB) leistungsfrei ist und ihr gleichwohl die (bislang) gezahlten Prämien zustehen (§§ 40 Abs. 1, 9 VVG a.F.). Mit anderen Worten: Der Kläger kann weder die begehrte Berufsunfähigkeitsrente, noch – unter Fortbestand der Zusatzversicherung – die Freistellung von der Prämienzahlungspflicht für die Lebensversicherung verlangen; das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Fest steht, dass der Kläger die ihm bei Anbahnung des Versicherungsvertrages gestellten Gesundheitsfragen insoweit objektiv falsch beantwortet hat, als er nicht angegeben hat, dass er in den letzten 6 ½ Jahren vor der Antragstellung (am 26.02.2004) insgesamt 25-mal wegen Wirbelsäulenbeschwerden einen Orthopädin (die sachverständige Zeugin Dr. A.) aufgesucht hat.

Ohne Erfolg greift die Berufung die landgerichtliche Tatsachenfeststellung an, der Kläger habe seine Wirbelsäulenbeschwerden und –behandlungen nicht nur schriftlich (im Antragsformular), sondern auch mündlich (gegenüber der Zeugin B.) unerwähnt gelassen.

Ob das Landgericht bei dieser Feststellung – wie es die Berufung rügt – die Darlegungs- und Beweislast verkannt hat, kann offen bleiben. Auch wenn die Beklagte – ungeachtet dessen, dass nicht die Zeugin B., sondern der Kläger selbst das Antragsformular zu den Gesundheitsfragen ausgefüllt hat – für das Gegenteil der vom Kläger behaupteten (zutreffenden) mündlichen Information der Zeugin B. beweispflichtig sein sollte (zur nämlichen Beweislast des Versicherers bei Ausfüllung der Gesundheitsfragen des Antragsformulars durch den Versicherungsagenten vgl. BGH VersR 1990, 77; 2001, 1541, 2002, 1089), hat sie diesen Beweis mit der erstinstanzlichen Zeugenvernehmung geführt. Demzufolge bleibt die Feststellungsrüge des Klägers ohne Erfolg; gegen die Tatsachenfeststellung des Landgerichts gibt es - jedenfalls im Ergebnis – nichts zu erinnern.

Das Landgericht hat als Ergebnis der Beweisaufnahme (zutreffend) konstatiert, dass sich die Aussagen der Zeuginnen B. und B.nn unvereinbar gegenüberstehen. Seine Überzeugung, der Kläger habe die in den sechs Jahren vor Vertragsschluss wiederholt fachärztlich behandelten Wirbelsäulenbeschwerden (auch) der Zeugin B. gegenüber verschwiegen, hat das Landgericht durch die als „glaubhaft und überzeugend“ bewertete Aussage dieser Zeugin gewonnen; demgegenüber wirkten die Angaben der Zeugin Beckmann (der Ehefrau des Klägers) – so das Landgericht – „von Unsicherheit geprägt; ergebnisorientiert und einstudiert“.

Diese Würdigung verstößt weder gegen die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelten Kriterien der Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit sowie des Freibleibens der Beweiswürdigung von Verstößen gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze, noch begegnet sie in ihrer Überzeugungskraft vernünftigen Zweifeln (vgl. hierzu BGH NJW 2004, 2751; 2005, 1583). Vielmehr ist die Beweiswürdigung des Landgerichts mit der Folge fehlerfrei und gut vertretbar, dass die hierauf beruhende Feststellung Bindungswirkung für die zweite Instanz entfaltet (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO).

Wie den Urteilsgründen zu entnehmen ist, hat sich das Landgericht mit den Zeugenaussagen eingehend auseinandergesetzt. Die Würdigung der Aussagen, aber auch der persönlichen Glaubwürdigkeit der beiden Zeuginnen ist weder lücken-, noch fehlerhaft; sie ist auch in der Sache plausibel und gut nachvollziehbar begründet. Dass der Kläger die Zeugenaussagen in anderer Weise und mit anderem Ergebnis würdigt als das Landgericht, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Die Beweiserörterungen des Klägers sind weder zwingend, noch überzeugender als die gut vertretbare Beweiswürdigung des Landgerichts.

Die landgerichtliche Beweiswürdigung begegnet insbesondere nicht etwa deshalb Bedenken, weil sich – wie es die Berufung rügt – die Überzeugungsbildung im Wesentlichen auf eine tatsächlich unergiebige Zeugenaussage stützt. Im Gesamtkontext der Aussage der Zeugin B. hat das Landgericht den Beklagtenvortrag (verschwiegene Wirbelsäulenbeschwerden) vielmehr zu Recht als bestätigt angesehen.

Zwar findet sich im Protokoll tatsächlich die mit der Berufung zitierte Formulierung der Zeugin: „Ich kann mich nicht erinnern, dass über Rückenbeschwerden gesprochen worden ist“. Dieser Satz ist aber nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang der Aussage zu würdigen.

Dabei gilt es zu sehen, dass die Zeugin plausibel geschildert hat, um die Brisanz von Rückenbeschwerden für eine Berufsunfähigkeitsversicherung aus leidvoller persönlicher Erfahrung zu wissen; sie selbst habe wegen Rückenproblemen „einen Risikoausschluss der Halswirbelsäule“ akzeptieren müssen. Bei dieser Sachlage erscheint es naheliegend und plausibel, dass die Zeugin – wie sie bekundet hat – gerade Rückenprobleme bei der Vermittlung von Versicherungen regelmäßig sehr ernst nimmt. An diese von ihr bei Rückenbeschwerden stets geübte besondere Sorgfalt anknüpfend hat die Zeugin ebenso lebensnah und nachvollziehbar geschildert, dass sie, wenn der Kläger Rückenprobleme angegebenen hätte, nach deren Behandlung gefragt und eine Auskunft des behandelnden Arztes eingeholt hätte.

Nur im Kontext dieser insgesamt plausiblen Schilderungen ist die Formulierung zu sehen, sich nicht an ein mit dem Kläger geführtes Gespräch über Rückenbeschwerden erinnern zu können. Die überzeugend geschilderte übliche Vorgehensweise bei Angabe von Rückenbeschwerden und das für den Entscheidungsfall konstatierte Fehlen dieses üblichen Vorgehens reichen aus, um hierauf eine vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietende Überzeugung zu stützen. Dass die Zeugin B. sich das Verschweigen des Klägers „nur“ auf der Basis ihrer üblichen Vorgehensweise erschlossen hat, schmälert weder den objektiven Beweisgehalt der Aussage, noch deren Glaubhaftigkeit. Im Gegenteil zeichnet sich die Aussage gerade durch eine besondere Gewissenhaftigkeit aus; sie ist geprägt durch ein Bemühen um ein wahrhaftiges und damit als glaubhaft zu bewertendes Schildern.

Gilt es damit festzuhalten, dass der Kläger – wie es das Landgericht bindend festgestellt hat – die Gesundheitsfragen der Beklagten falsch beantwortet hat, hat er hiermit seine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt.

Wird – wie hier – im Antragsformular danach gefragt, ob der Antragsteller wegen „Erkrankungen / Beschwerden des Bewegungsapparates behandelt oder untersucht wurde“, so sind – unabhängig von deren Schwere und dem Stadium, in dem sie sich befinden – alle diesbezüglichen Beschwerden und Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich der deswegen erfolgten Behandlungen und Untersuchungen anzugeben. Es ist nach jeder nicht offenkundig belanglosen und alsbald vergehenden Gesundheitsbeeinträchtigung gefragt (BGH VersR 1994, 711; OLG Frankfurt RuS 2007, 66; KG Berlin JurBüro 2007, 386).

Bei persistierenden Wirbelsäulenbeschwerden eines körperlich (als Zimmermann) arbeitenden Antragstellers steht die Gefahrerheblichkeit in der Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Folge außer Frage (ebenso: OLG Düsseldorf VersR 2001, 1408; OLG Koblenz VersR 2003, 494; OLG Frankfurt NVersZ 2000, 130), dass dem (das Leiden verschweigenden) Kläger eine Verletzung seiner als gesetzliche Obliegenheit ausgestalteten vorvertraglichen Anzeigepflicht (§ 16 VVG a.F.) vorzuwerfen ist. Der Kläger hat nicht nur an einer einmaligen – und deshalb im vorgenannten Sinne nicht offenbarungspflichtigen – Lumbalgie (vgl. hierzu BGH VersR 1991, 578) oder ähnlich belanglosen und alsbald vergehenden Beschwerden gelitten, sondern an stetig wiederkehrenden Beschwerden am „Bewegungsapparat“, die ihn in den 6 ½ Jahren vor der Antragstellung zu 25 Untersuchungs- und Behandlungsterminen bei seiner Orthopädin veranlasst haben. Allein in den letzten 8 Monaten vor dem Versicherungsantrag suchte er die Orthopädin gleich zweimal auf.

Fest steht aber nicht nur die (objektive) Obliegenheitsverletzung, sondern auf der Grundlage der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme auch, dass der Kläger (in subjektiver Hinsicht) arglistig (§§ 123 BGB, 22 VVG a.F.) gehandelt hat.

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. hierzu z.B. BGH VersR 2007, 785) setzt die Annahme einer vom Versicherungsnehmer begangenen arglistigen Täuschung eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt. Dabei rechtfertigen falsche Angaben im Versicherungsantrag allein nicht den Schluss auf eine arglistige Täuschung, zumal es einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, nicht gibt. In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde.

Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann der – insoweit beweisbelastete – Versicherer in der Praxis zumeist nur einen Indizienbeweis führen. Hierbei spricht für ein (Täuschungs-)Bewusstsein des Versicherungsnehmers, wenn er schwere, chronische, schadensgeneigte oder immer wieder auftretende zahlreiche bzw. dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen verschweigt oder solche, die zu erheblichen Einschränkungen seines Alltags geführt haben oder die ihm offensichtlich erheblich für das versicherte Risiko erscheinen mussten. Beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als leicht(er) angesehen wurden, wird der Beweis dagegen in der Regel als nicht geführt anzusehen sein (OLGR Celle 2009, 333; OLGR Saarbrücken 2006, 147; OLGR Koblenz 2002, 339).

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall von einem arglistigen Verschweigen auszugehen; die unstreitigen und erwiesenen Umstände lassen keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Kläger mit Arglist handelte.

Der Senat verkennt nicht, dass sich aus der Aussage der (sachverständigen) Zeugin Dr. A. kein ganz schwerwiegender Befund herleiten lässt. Die Zeugin hat von „nur minimalen Wirbelsäulenabweichungen“ bzw. einer „mäßigen Skoliose und Rechtsabweichung der Wirbelsäule ohne neurologische Ausfälle“ sowie von „degenerativen Veränderungen“ im Sinne „allgemeiner Verschleißerscheinungen“ gesprochen; die Beschwerden (des Klägers) seien „bei 80 – 90 der Patienten vorhanden“.

Trotz der dem Kläger mithin als nicht dramatisch geschilderten „Verschleißerscheinungen“ gilt es zu sehen, dass er persönlich einen hohen Leidensdruck gehabt haben muss. Ohne diesen lässt es sich nicht erklären, dass er in nicht einmal 7 Jahren nicht etwa seinen Hausarzt, sondern seine Orthopädin – d.h. eine Fachärztin – insgesamt 25-mal aufgesucht hat; und zwar jedes Mal auch mit einem dann (objektiv) festgestellten Befund (Osteochondrose, Cervikalsyndrom, Lumbalgie etc.) und einer anschließenden Therapie (Massage, Krankengymnastik, verspannungslösende Spritzen etc.).

Neben dem Umstand, dass der Kläger die letzten 6 ½ Jahre vor der Antragstellung immer wieder unter behandlungsbedürftigen Wirbelsäulenbeschwerden gelitten hat, fällt der nur rund 8 Monate vor der Antragstellung (im Juni 2003) erhobene Röntgenbefund besonders schwer ins Gewicht. Die LWS des Klägers wurde wegen (wiederholter) Lumbalgien in zwei Ebenen geröngt; und zwar mit dem Befund „Lumbalskoliose, Osteochondrose und Spondylose“. Hierbei handelt es sich um einen dauerhaften orthopädischen Befund mit einem erheblichen Risikopotential für ernsthafte Beschwerden.

Da die Zeugin Dr. A. ihren Patienten zwar ohne Verwendung der Fachtermini, in der Sache aber – so ihre Aussage –„vollkommen“ aufgeklärt hat, musste der Kläger im Ergebnis des im Juni 2003 erhobenen Röntgenbefundes wissen, dass er an einer (nicht mehr rückgängig zu machenden) den Knochen der Wirbelkörper und den Knorpel der Bandscheiben betreffenden Verschleißerkrankung der LWS litt, die im Ergebnis der Formveränderung der Wirbelkörper und der Minderung des Zwischenwirbelraums durch Höhenverlust der (nicht mehr so elastischen) Bandscheiben zu einem Verschleiß der Wirbelbogengelenke, und damit zu einer Spondylarthrose führt, die so schwerwiegende Nervenirritationen hervorrufen kann, dass es notwendig wird, dem bedrängten Nerv operativ Platz zu schaffen (zur nämlichen Kurzcharakteristik der Osteochondrose vgl. den Internetauftritt von Wikipedia).

Diesem ernsthaften Erkrankungscharakter der Osteochondrose entsprechend hat die Zeugin Dr. A. bekundet, ungeachtet des (nur) Verschleißcharakters der von ihr erhobenen Befunde habe sie dem Kläger „keine Beschwerdefreiheit zugesagt“.

Da feststeht, dass die Osteochondrose, die klinisch stumm bleiben kann (Wikipedia aaO), beim Kläger immer wieder Beschwerden (Schmerzen des betroffenen Nervs im Sinne einer Lumbalgie) verursacht hat, lässt nicht nur der ihm – mit der Aussage der Zeugin Dr. A. – bekannte ernsthafte Charakter der Verschleißerkrankung, sondern auch die Häufigkeit und Intensität der deshalb bestandenen (persistierenden) Beschwerden keine andere vernünftige Erklärung zu, als dass der Kläger mit seinem Schweigen bewusst Einfluss auf die Entscheidung der Beklagten über den Abschluss der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in dem Sinne nehmen wollte, dass ein Versicherungsvertrag unter Einschluss des Risikos (ernsthafter) Wirbelsäulenerkrankungen zustande kommen sollte.

Soweit der Kläger darauf abstellt, ihm (als medizinischen Laien) habe das Bewusstsein einer ernsthaften Erkrankung gefehlt, hat er hiermit eine fehlende Arglist nicht plausibel dargelegt (zur nämlichen sekundären Darlegungslast des Versicherungsnehmers bei objektiv falschen Angaben vgl. BGH, Veschluss v. 07.11.2007, IV ZR 103,06; zitiert nach juris).

Ungeachtet des fehlenden medizinischen Fachwissens und des Umstands, dass der Kläger wegen der Wirbelsäulenbeschwerden (vor der Antragstellung) nie krank geschrieben war, ist die (behauptete) Arglosigkeit nicht glaubhaft. Von nur geringfügigen oder folgenlos abgeklungen Beschwerden kann nicht die Rede sein; und zwar – was mit der Aussage der Zeugin Dr. A. feststeht – auch nicht aus Sicht des Klägers. Dass der Charakter der (nicht rückgängig zu machenden ) Verschleißerkrankung und die Vielzahl sowie Intensität der hiermit verbundenen (schmerzhaften) Beschwerden den Kläger als erheblich kranke Person und damit als Risikofaktor für die Beklagte erscheinen lassen mussten, war ganz offenkundig und auch für den Kläger ohne weiteres erkennbar.

Liegt damit eine arglistige Täuschung des Klägers vor, ist diese auch für die Entschließung der Beklagten zum Abschluss der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (tatsächlich) ursächlich geworden. Dass die Beklagte den Vertrag bei wahrheitsgemäßer Offenbarung der Wirbelsäulenerkrankung in der gesamten Breite und Häufigkeit ihres Erscheinungsbildes nur mit einer Risikoausschlussklausel abgeschlossen hätte, liegt auf der Hand und wird zudem durch die Aussage der Zeugin B. belegt. Diese hat nachvollziehbar und überzeugend bekundet, sie selbst habe bei ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Beklagten wegen (offengelegter) Rückenbeschwerden einen „Risikoausschluss der Halswirbelsäule akzeptieren müssen.“ Mit einer vergleichbaren Ausschlussklausel hätte der – anders als die Zeugin – körperlich arbeitende Kläger umso mehr rechnen müssen.

Nachdem die Beklagte die Information von den Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers erst mit den Arztberichten der Zeugin Dr. A. vom 28.09./06.10.2005 erlangt hat, steht schließlich auch außer Frage, dass die Anfechtungserklärung vom 21.10.2005 die (einjährige) Frist des § 142 BGB wahrt; damit liegen alle Voraussetzungen einer Arglistanfechtung vor.

Bei der deshalb mit Rückwirkung (ex tunc) erfolgten Unwirksamkeit des Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungsvertrages hat es entgegen dem Dafürhalten des Klägers auch trotz der unwirksamen Schweigepflichtentbindung zu bleiben.

Zwar ist dem Kläger dahin beizupflichten, dass die (völlig) unbestimmte und (zu) weitgehende Entbindungserklärung, die er mit dem Versicherungsantrag abgegeben hat („Ich ermächtige den Versicherer, zur Nachprüfung und Verwertung der von mir über meine Gesundheitsverhältnisse gemachten Angaben alle Ärzte, Krankenhäuser und sonstigen Krankenanstalten, bei denen ich in Behandlung war oder sein werde, sowie andere Personenversicherer über meine Gesundheitsverhältnisse bei Vertragsschluss zu befragen; dies gilt auch für die Zeit vor der Antragsannahme“) im Lichte des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23.10.2006 (VersR 2006, 1669) unwirksam – weil gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßend – ist.

Aber auch wenn es damit an einer wirksamen Entbindung der Zeugin Dr. A. von der (ärztlichen) Schweigepflicht und an einer wirksamen Ermächtigung der Beklagten, bei dieser selbständig Informationen über den Gesundheitszustand des Klägers einzuholen, fehlt, führt dies weder zu einem materiellen, noch zu einem prozessualen Verwertungsverbot. Die Beklagte ist weder materiell-rechtlich daran gehindert, ihre Arglistanfechtung auf die von der Zeugin Dr. A. erlangten Informationen zu stützen, noch sind die Angaben der Orthopädin prozessual unverwertbar.

Der Bundesgerichtshof hat sich mit zwei am 28.10.2009 ergangenen Entscheidungen (IV ZR 138/08 und IV ZR 140/08, beide zitiert nach juris; letztere u.a. abgedruckt in NJW 2010, 289) zu der bis dahin in Rechtsprechung und Literatur streitig diskutierten Rechtsfrage eines materiellen oder prozessualen Verwertungsverbotes für auf der Grundlage einer zu weit gefassten Schweigepflichtentbindung – und deshalb möglicherweise rechtswidrig – gewonnene Erkenntnisse wie folgt grundlegend positioniert:

Kann dem Versicherer ein zielgerichtetes treuwidriges Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil er sich die Gesundheitsdaten „entsprechend einer langjährigen, bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.10.2006 auch vom Senat gebilligten Praxis und nicht etwa heimlich und im Bewusstsein der rechtlichen Unzulässigkeit seiner Vorgehensweise verschafft, sondern offen und im Vertrauen auf die Wirksamkeit der erteilten Einwilligungserklärung beim Arzt angefragt hat“, so führt die rechtwidrige Datenerhebung nicht automatisch zu einer unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB).

In solchen Fällen muss vielmehr – mit den Worten des Bundesgerichtshofs – „durch eine umfassende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob und inwieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition nach Treu und Glauben verwehrt werden soll. Dies muss um so mehr gelten, wenn beiden Seiten ein Rechtsverstoß zur Last fällt.“

Der hier zur Entscheidung stehende Fall fällt unter diese Vorgaben.

Der Beklagten kann kein zielgerichtetes treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden; die zur Anfechtung führenden Gesundheitsdaten hat sie sich nicht etwa heimlich, sondern ganz offen bereits im Jahr 2005 und damit auf dem Boden einer bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Herbst 2006 höchstrichterlich gebilligten Praxis verschafft.

Darüber hinaus muss sich nicht nur die Beklagte einen Rechtsverstoß vorwerfen lassen; auch auf den Kläger selbst trifft dies wegen der mit Arglist verschwiegenen Wirbelsäulenbeschwerden zu.

Die demnach – mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – gebotene Abwägung der Parteiinteressen und sonstigen Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls führt dazu, dass das Interesse des Klägers, die Verwertung der rechtswidrig erlangten Gesundheitsdaten zu seinem Nachteil zu verhindern, hinter dem Interesse der Beklagten zurückstehen muss, sich von dem (nur) mittels arglistiger Täuschung zustande gekommenen Vertrag zu lösen.

Der Senat verkennt nicht, dass das Interesse des Klägers an der Geheimhaltung seiner Gesundheitsdaten und der Kontrolle des Umgangs hiermit ein hohes Schutzgut mit Verfassungsrang (Art. 1, 2 GG) ist. Der Schutzumfang des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung wird aber in der Berufsunfähigkeitsversicherung durch die im Verletzungsfall zu Sanktionsrechten des Versicherers (Leistungsfreiheit oder Lösung vom Vertrag; §§ 6, 17, 22 VVG a.F.) führende (vor- und nachvertragliche) Informationsobliegenheit des Versicherungsnehmers (§§ 16, 34 VVG a.F.) modifiziert.

Als (verhältnismäßige) Grundrechtsschranke führen die Vorschriften des

– hier nach Art. 1 EGVVG noch geltenden „alten“ – VVG zu folgender Lösung; wobei der Senat den rundum überzeugenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs folgt:

„Das Recht missbilligt es zwar, wenn der Versicherer sich die Gesundheitsdaten ohne wirksame Einwilligung des Versicherungsnehmers selbst verschafft und schützt hierdurch dessen Dispositionsbefugnis über die ihn betreffenden Gesundheitsdaten. Die Kenntnis des Versicherers von diesen Daten und deren Verwendung werden als solche dagegen nicht beanstandet, sondern als für die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung letztlich unverzichtbar anerkannt. Ein gesetzlich anerkanntes Interesse des Versicherungsnehmers, seine relevanten Gesundheitsdaten geheim zu halten und trotzdem in den Genuss von Versicherungsleistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu kommen, besteht demgegenüber nicht“ (BGH aaO).

Hinzu kommt, dass der Kläger – wie die Versicherungsnehmer in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen beiden Fällen – seine persistierenden Wirbelsäulenbeschwerden bei Vertragsschluss arglistig verschwiegen hat, um sich einen Versicherungsschutz zu erschleichen, den er sonst nicht – zumindest nicht in dieser Form – bekommen hätte. Wegen dieses dem Kläger anzulastenden bewussten Rechtsverstoßes verdient er – trotz des abstrakt betrachtet hohen Schutzgutes – nur in begrenztem Maße Schutz.

Auf der anderen Seite der Abwägung steht das legitime Interesse des Versicherers an der Aufdeckung von Falschangaben und der Verhinderung seiner ungerechtfertigten Inanspruchnahme (BGH aaO).

Bezogen auf die Berufsunfähigkeitsversicherung bedeutet das konkret, dass der Versicherer die ihm zustehenden Informationen (§§ 16, 34 VVG a.F.) zum Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers – sowohl bei der Anbahnung des Vertrages als auch bei der Geltendmachung von Vertragsansprüchen – einholen und überprüfen können muss (BGH aaO). Deshalb besteht hier ein schützenswertes Interesse der Beklagten, die Krankenvorgeschichte des Klägers umfassend aufzuklären und hierbei (auch) dessen Angaben zu überprüfen.

Zu Gunsten der Beklagten fällt weiter – wie in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen – in die Waagschale, dass sie die Orthopädin nicht etwa bewusst und wider besseres Wissen zum Bruch der Schweigepflicht verleitet hat; im Bewusstsein der rechtlichen Unzulässigkeit hat die Beklagte bei ihren Anfragen an die Zeugin Dr. A. im Herbsst 2005 nicht gehandelt (s.o. S. 16).

Hinzu kommt, dass die Beklagte – wäre ihr die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 2006 bereits bekannt gewesen – die streitbefangenen Gesundheitsinformationen mittels gezielter Einzelermächtigung oder aber durch eine über den Kläger laufende Informationsübermittlung hätte verlangen können (vgl. hierzu BVerfG aaO). Der Kläger hätte sich dann entscheiden müssen, entweder die Orthopädin zur Auskunft zu ermächtigen bzw. deren Angaben an die Beklagte weiterzuleiten oder aber an seinem Geheimhaltungsinteresse festzuhalten und damit im Ergebnis zugleich auf seinen Leistungsanspruch zu verzichten (BVerfG aaO); die hier mit der Klage verlangte Leistung aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung hätte ihm damit in keinem Fall zugestanden.

Wägt man im Ergebnis die aufgezeigten Umstände gegeneinander ab, so steht außer Frage, dass sich das Interesse der Beklagten an der Verwertung der von der Zeugin Dr. A. erlangten Gesundheitsinformationen durchsetzt. Der (nicht bewusst begangene) Rechtsverstoß der Beklagten bei der Erhebung der Gesundheitsdaten erweist sich angesichts des vorangegangenen (bewussten) Rechtsverstoßes des Klägers als nicht derartig gewichtig, dass ihr deswegen die Arglistanfechtung (materiell) verwehrt wäre.

Auch unter prozessualen Gesichtspunkten steht einer wirksamen Arglistanfechtung der Beklagten nichts entgegen. Aus denselben Erwägungen, die zum Ausschluss eines materiellen Verwertungsverbotes führen, besteht kein Anlass, der Beklagten die Berufung auf die gewonnenen Gesundheitserkenntnisse im Prozess zu verwehren oder ein Verwertungsverbot für das Gericht zu begründen (ebenso BGH aaO).


III.

Bleibt die Berufung des Klägers nach alledem ohne Erfolg, war er mit den Kosten des Berufungsverfahrens zu belasten (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da es an Gründen hierfür fehlt (3 543 Abs. 2 ZPO). Der Senat hatte vorliegend über einen Einzelfall zu entscheiden, dessen Rechtsfragen seit den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 28.10.2009 sämtlich höchstrichterlich geklärt sind. Der Senat folgt bei der rechtlichen Bewertung des vorliegenden Einzelfalls der höchstrichterlichen Rechtsprechung; Abweichungen zu (anderer) obergerichtlicher Rechtsprechung liegen nicht vor.

(Müller) zugleich für den an der Unterschriftsleistung gehinderten RLG Gollnick (Friebertshäuser)
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