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Text des Urteils
4 U 797/09;
Verkündet am: 
 15.06.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
2 O 1170/05
Landgericht
Gera;
Rechtskräftig: unbekannt!
Kern der Aufklärung eines Patienten ist die Behandlungsaufklärung - d.h. die Erläuterung des Arztes über die Art der konkreten Behandlung (Medikation, Operation)
Leitsatz des Gerichts:
1. Kern der Aufklärung eines Patienten ist die Behandlungsaufklärung; d.h. die Erläuterung des Arztes über die Art der konkreten Behandlung (Medikation, Operation). Als Nebenpflicht des Behandlungsvertrages erfordert sie auch die Erläuterung der Tragweite des beabsichtigten Eingriffs.

2. Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode grundsätzlich Sache des Arztes. Das bedeutet, dass der Arzt dem Patienten nicht ungefragt erläutern muss, welche Behandlungsmethode in Betracht kommt und was für bzw. gegen die eine oder andere Methode spricht, so lange der Arzt eine Behandlungsmethode wählt, die dem medizinischen Standard – zum Zeitpunkt der Behandlung – entspricht.

3. Wählt der Arzt eine medizinisch indizierte, dem ärztlichen Standard entsprechende Behandlungsmethode, bedarf es der Aufklärung über eine anderweitige, gleichfalls dem ärztlichen Standard entsprechende (alternative) Methode dann nicht, wenn die gewählte Therapiemethode hinsichtlich ihrer Heilungschancen einerseits und den mit der Behandlung für den Patienten verbundenen Belastungen andererseits gegenüber der alternativen Methode gleichwertig oder sogar vorzuziehen ist.

4. Eine Aufklärung (über die Behandlungsalternative) ist nur dann erforderlich, wenn die in Betracht kommenden Methoden unterschiedliche Risiken/Belastungen und Erfolgschancen bieten, insbesondere die Behandlungsalternative risikoärmer ist bei gleich anzusetzendem Erfolg.
In dem Rechtsstreit
Universitätsklinikum J.
- Beklagter zu 1., Berufungskläger und Anschlussberufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

gegen
J. Sp.
- Kläger, Berufungsbeklagter und Anschlussberufungskläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2010 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Beklagten zu 1. wird das Teil- und Grundurteil des Landgerichts Gera vom 03.06.2009 - 2 O 1170/05 -, soweit es die Parteien des Berufungsrechtsstreits betrifft, aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.



Gründe:


I.

Die Parteien des Berufungsrechtzugs streiten noch darüber, ob dem Kläger Ansprüche auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten zu 1. hinsichtlich zukünftig entstehender materieller und immaterieller Zukunftsschäden zustehen könnten. Nach Auffassung des Klägers sei seine Einwilligung in die am 06.07.2004 im Hause des Beklagten durchgeführte Laminektomie mit anschließender dorsaler Stabilisierung nicht wirksam erteilt worden. Es sei zu Aufklärungsmängeln gekommen. Den geltend gemachten Ansprüchen sei aber auch deswegen stattzugeben, weil es bei Durchführung der Operation zu Behandlungsfehlern gekommen sei.

Hinsichtlich des unstreitigen Tatsachenvortrages, des streitigen Parteivortrages und der in erster Instanz gestellten Anträge wird gemäß § 543 Absatz 2 Satz 2 auf den Tatbestand des angefochtenen Teil- und Grundurteils des Landgerichts Gera vom 03.06.2009, 2 O 1170/05, Bezug genommen.

In dem vorbezeichneten Urteil ist das Landgericht Gera zu dem Ergebnis gelangt, zu einem Behandlungsfehler sei es im Hause des Beklagten zu 1. nicht gekommen. Dem Kläger stünden gegen den Beklagten zu 1. Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche dem Grunde nach zu, da der operative Eingriff vom 06.07.2004 nicht durch eine Einwilligung des Klägers gerechtfertigt gewesen sei. Denn über eine vorhandene Behandlungsalternative sei pflichtwidrig nicht aufgeklärt worden. Zu dem geltend gemachten Feststellungsanspruch hat sich das Landgericht nicht geäußert.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte zu 1. Zu einem Aufklärungsfehler sei es nicht gekommen. Wie aus dem Ergänzungsgutachten des Gerichtssachverständigen vom 03.03.2008 hervorgehe, habe es für die Erkrankung des Klägers lediglich zwei denkbare Behandlungsmethoden gegeben, die als gleichwertig und mit gleichem Risiko behaftet seien. Unter diesen Umständen habe keine Verpflichtung bestanden, den Kläger über das Bestehen einer weiteren Behandlungsmethode als der im Hause des Beklagten zu 1. gewählten aufzuklären.

Der Beklagte zu 1. beantragt, das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Gera vom 03.06.2009, 2 O 1170/05, aufzuheben, soweit der Beklagte zu 1. und Berufungskläger dem Grunde nach zur Leistung verurteilt wurde und die Klage abzuweisen; die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen; auf die erhobene Anschlussberufung im Falle einer eigenen Sachentscheidung des Senates, die Klageanträge zu Ziffer 1. und 2., soweit sie gegen den Beklagten zu 1. gerichtet sind, dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären.

Für den Fall, dass der Senat die Berufung für erfolgreich erachte, werde das im Wege der Anschlussberufung das Urteil des Landgerichts hilfsweise zur Überprüfung gestellt, da die Klageanträge auch auf Grund einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung dem Grunde nach gerechtfertigt seien.


II.

Auf die Berufung des Beklagten zu 1. war das angefochtene Grund- und Teilurteil im Umfang der Tenorierung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eine Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgerichtim Rahmen des § 538 Absatz 2 Satz 1 ZPO Nummer 7 ZPO war entbehrlich, da der Rechtsstreit, soweit noch rechtshängig, insgesamt entscheidungsreif ist. Im Hause des Beklagten zu 1. ist es weder zu einem zur Haftung verpflichtenden Aufklärungsmangel noch zu einem Behandlungsfehler gekommen. Der Anschlussberufung kommt eine prozessuale Bedeutung nicht zu, da schon im Rahmen der Berufung unter allen vorgetragenen Aspekten zu klären ist, ob der Beklagte zu 1. haftet. Da dieses Rechtsmittels jedenfalls unbegründet ist, konnte die Frage der Zulässigkeit dahingestellt bleiben,

Unter dem rechtlichen Aspekt einer fehlerhaften Aufklärung stehen dem Kläger Ansprüche gegen den Beklagten zu 1. nicht zu.

Der Kläger musste nicht über die Möglichkeit einer Behandlung seiner Erkrankung im Wege der Laminoplastie aufgeklärt werden, weil es sich hierbei nicht um eine alternative Behandlungsmethode im Rechtssinne handelt.

Der am 06.07.2004 erfolgte Eingriff war indiziert. Der Vergleich beider Methoden ergibt laut eingeholtem Sachverständigen-Gutachten keine signifikanten Unterschiede. Dieses Statement unterliegt der Einschränkung, dass ein belastbarer Risikovergleich nicht möglich ist, da keine vergleichenden Studien mit Daten, die einen signifikanten Risikounterschied beider Operationsmethoden belegen, existieren. Dann muss im Einzelfall, wie hier erfolgt, geklärt werden, welche Methode für den konkreten Patienten am günstigsten ist

Kern der Aufklärung ist zunächst die Behandlungsaufklärung. Dies besagt, dass in erster Linie über den Eingriff überhaupt aufzuklären ist. Zur Behandlung gehört deshalb immer die Erläuterung der Art der konkreten Behandlung, sei es Medikation, Operation etc.

Die Behandlungsaufklärung – als Nebenpflicht des Behandlungsvertrags wie als Ausfluss der Garantenstellung des Arztes – verlangt im Besonderen auch die Erläuterung der Tragweite des Eingriffs.

Bei nur relativer Indikation einer Therapie hat der Arzt zur ordnungsgemäßen

Behandlungsaufklärung selbstverständlich über die weiteren Therapiemöglichkeiten aufzuklären (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Auflage, C Rn. 18/19).

Zur Behandlungsaufklärung gehört auch, dass der Arzt dem Patienten Kenntnis von Behandlungsalternativen verschaffen muss - selbst wenn sie nicht zur Heilung, sondern nur zur Linderung führen -, wenn gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten begründen (a.a.O. wie vor, Rn. 21).

Ansonsten ist die Wahl der Behandlungsmethode grundsätzlich primär Sache des Arztes. Er muss dem Patienten daher im Allgemeinen nicht ungefragt erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder andere dieser Methoden spricht, solange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard genügt. Wählt der Arzt eine medizinisch indizierte, standardgemäße Behandlungsmethode, bedarf es der Aufklärung über eine anderweitige, gleichfalls medizinisch indizierte, übliche Methode dann nicht, wenn die gewählte standardgemäße Therapie hinsichtlich ihrer Heilungschancen einerseits und ihrer Belastungen und Risiken für den Patienten andererseits der Behandlungsalternative gleichwertig oder vorzuziehen ist.

Eine Aufklärung kann nur dann erforderlich werden, wenn die Behandlungsalternativen zu jeweils wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Es muss sich um einen Unterschied von Gewicht handeln, nicht nur um eine geringfügig niedrigere Komplikationsrate (a.a.O. wie vor, Rn. 22 unter Bezug auf BGH NJW 2005, 1718).

Die Ausführungen des erstinstanzlich eingeschalteten Sachverständigen Prof.Dr. M. machen deutlich, dass der 06.07.2004 erfolgte Eingriff indiziert war.

Grundlage für die Entscheidung zum operativen Eingriff sei die kernspintomographisch festgestellte langstreckige Enge des Wirbelkanals des Klägers gewesen, bei der es sich um eine kongenitale Stenose, mithin mit höchster Wahrscheinlichkeit eine degenerativ bedingte Enge des Wirbelkanals gehandelt habe. Das typische klinische Zeichen für eine derartige Enge sei die vom Kläger charakteristischer Weise angegebene Einschränkung der Gehstrecke, hier 150 m, verbunden mit Missempfindungen und Schmerzen gewesen.

Eine kausale Therapie, die die Ursache der Schmerzen beseitige, habe daher letztlich nur in einer Erweiterung des eingeengten Wirbelkanals bestehen können. Für diese Erweiterung des Wirbelkanals komme nur eine Operationstechnik in Frage, die über die gesamte Strecke der Einengung, mithin vom 2. Lendenwirbel bis zum Übergang der Lendenwirbelsäule in das Kreuzbein, eine hinreichende Erweiterung schaffe (Seite 17/18 des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 05.05.2007). Beim Vorbestehen einer Spinalkanalstenose und einer manifesten Neurologie (wie vorliegend) sei der operative Eingriff gerechtfertigt und die Operationsindikationsstellung regelhaft erfolgt (Seite 21 des genannten Gutachtens).

Selbst die vitale oder absolute Indikation entbindet keineswegs schlechthin von den Aufklärungspflichten, sie verringert lediglich den Genauigkeitsgrad und die Intensität der Aufklärung (Geiß/Greiner, a.a.O., C Rn. 11). Im Rahmen der Risikoaufklärung, bei der es darum geht, inwieweit der Patient über mit der fehlerfreien medizinischen Behandlung möglicherweise verbundenen Schädigungsrisiken aufzuklären ist, ist das Gewicht der medizinischen Indikation ein wesentlicher Faktor für die den Aufklärungsumfang bestimmende Risikoabwägung (Geiß/Greiner, a.a.O., Rn. 41/42). Da eine kausale Therapie der langstreckigen Spinalkanalstenose in jedem Fall einen ausgedehnten operativen Eingriff erfordert und eine manifeste Neurologie vorlag, ist trotz denkbarer schwerer Schadensfolgen von einem moderaten Aufklärungsumfang auszugehen. Diesem ist man im Hause des Beklagten zu 1. gerecht geworden, denn dem Kläger ist ein zutreffendes Bild der Schaden-Nutzen-Relation der Behandlung vermittelt worden.

Eine Aufklärung des Klägers über eine mögliche Behandlung im Wege der Laminoplastie war entbehrlich, denn die Voraussetzungen für eine Beteiligung des Klägers an der Therapiewahl lagen nicht vor. Die Operationsmethoden der Laminektomie und Laminoplastie sind nicht wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen beizumessen.

Bei der Laminoplastie würden die Wirbelbögen durch eine Dorsalverlagerung neu positioniert, so dass als Resultat ein hinreichend weiter Spinalkanal entstehe. Die Laminoplastie von L2 bis L5 sei ein sehr ausgedehnter Eingriff, der nur offen möglich sei. Bei der Laminektomie würden die Wirbelbögen nicht nur nach dorsal verlagert, sondern komplett entfernt. Bei dem Alter des Klägers bestünde bei dieser Methode über nahezu die gesamte Länge der Lendenwirbelsäule langfristig die Gefahr der Verformung der Wirbelsäule im Sinne einer Hyperlordosierung, die wiederum eine Reihe von Symptomen, wie Schmerzen, Belastungsunfähigkeit, Einschränkung der Gehstrecke, Gefühlsstörungen mit sich führen könne. Aus diesem Grunde sei nach dem aktuellen Stand der Medizin eine derartige Laminektomie über die Etagen L2 bis L5 allein nicht indiziert, sondern erfordere zusätzliche Maßnahmen, welche die Deformierung der Wirbelsäule verhinderten. Aus diesem Grunde würden sogenannte Stabilisierungsoperationen durchgeführt. Die dorsale Stabilisierung mit einem Fixateur intern und die Platzierung von Cages in den Zwischenräumen zwischen den operierten Wirbeln sei eine zeitgemäße Methode, die in jedem Falle dem Stand der operativen Wirbelsäulenchirurgie entspreche (Seite 18/19 des Gutachtens vom 05.05.2007).

Beide Operationen schlössen das Risiko von Hirnhautverletzungen und Verletzungen der abgehenden Nervenwurzeln aus dem Wirbelkanal ein. Bei dem Vergleich beider Methoden ergebe sich sicher kein signifikanter Risikounterschied. Ein belastbarer Risikovergleich sei sicher nicht möglich, da keine vergleichenden Studien mit Daten, die einen signifikanten Risikounterschied beider Methoden im Vergleich belegten, existierten. Insofern seien beide Operationsmethoden als Alternativen anzusehen. Eine Präferenz der Operationsmethoden könne durch die individuelle Erfahrung des Operateurs begründet sein (Seite 10 des Ergänzungsgutachtens vom 03.03.2008, Band III Blatt 411).

Also liegt eine echte Wahlmöglichkeit im Rechtssinne, was die einschlägigen Operationsmethoden angeht, nicht vor. Wenn der Gerichtssachverständige ausführt, die beiden Operationsmethoden seien als Alternativen anzusehen und dies vor dem Hintergrund anführt, dass eine belastbarer Risikovergleich nicht möglich sei, ist damit keine Aussage hinsichtlich der juristischen Bewertung der Rechtsfrage, ob von einer Behandlungsalternative im Rechtssinne auszugehen sei, getroffen.

Damit oblag die Wahl der Behandlungsmethode den Ärzten des Beklagten zu 1. Ungefragt musste dem Kläger nicht erläutert werden, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kamen und was für die eine oder andere dieser Methoden sprach, da eine Therapie angewendet wurde, die dem ärztlichen Standard genügte.

Die Laminektomie mit Stabilisierung entspreche dem Stand der medizinischen Behandlung. Eine Laminektomie über die Etagen L2 bis L5 allein sei nicht indiziert gewesen, sondern habe zusätzliche Maßnahmen erfordert, welche die Deformierung der Wirbelsäule verhindern. Um bei diesem Eingriff Spätfolgen einer Wirbelsäulendeformierung zu vermeiden, würden sogenannte Stabilisierungsoperationen durchgeführt. Die dorsale Stabilisierung mit einem Fixateur intern und die Platzierung von Cages in den Zwischenräumen zwischen den operierten Wirbeln sei eine zeitgemäße Methode, die in jedem Falle dem Stand der operativen Wirbelsäulenchirurgie entspreche. Die besondere Problematik im vorliegenden Fall bestehe sicher darin, dass es sich um eine sehr langstreckige Stenose gehandelt habe und damit die gesamte Lendenwirbelsäule habe operativ freigelegt werden müssen. Die Beschränkung auf nur einen Teil der Lendenwirbelsäule wiederum hätte nicht zu einer erfolgreichen Erweiterung des Spinalkanals auf hinreichende Länge und damit nicht zu einer Ursachenbeseitigung der Beschwerdesymptomatik führen können (Seite 19 des schriftlichen Sachverständigen-Gutachtens vom 05.05.2007).

Die Operationsmethode, über die der Kläger aufgeklärt worden ist, entsprach nicht nur dem medizinischen Standard, sondern wurde klinikintern speziell auf den Kläger bezogen als alternativlos bewertet. Den Ärzten im Hause des Beklagten zu 1. sei die Bandbreite an möglichen Vorgehensweisen, je nach Schwere der lumbalen Spinalstenose, bewusst gewesen. Auch die verschiedenen Arten der Operationen seien bekann gewesen. Für die Wahl der konkret anzuwendenden Vorgehensweise spielten zahlreiche Faktoren eine Rolle. Dann werde entschieden, welcher Eingriff den Patienten am wenigsten belaste, aber dennoch den größtmöglichen Erfolg verspreche, erläuterte der Zeuge Christian Ewald, der den Kläger über den geplanten Eingriff aufgeklärt hat (vgl. Band II Blatt 229). Schon der Gerichtssachverständige hatte darauf hingewiesen, dass eine Präferenz der der Operationsmethoden etwa durch die individuelle Erfahrung des Operateurs begründet sein könne (Seite 10 des schriftlichen Ergänzungsgutachtens vom 03.03.2008, Band III Blatt 410). Schließlich stellte der Gerichtssachverständige Prof. Dr. J. M. in seiner persönlichen Anhörung erster Instanz klar, auch er selbst hätte dem Kläger angeraten, die streitige Operation durchzuführen. Gefragt, welcher der beiden erwähnten Operationsmethoden er selbst den Vorzug eingeräumt hätte, stellte er die eindeutige Präferenz der im Hause des Beklagten zu 1. gewählten Methode heraus (Band III Blatt 426).

Da eine konkrete Nachfrage des Klägers nach weiteren möglichen Behandlungsmethoden neben der ihm seitens des Arztes Ch. E. erläuterten weder von dem aufklärenden Arzt erinnert, noch von dem persönlich angehörten Kläger behauptet wird, war lediglich die rechtzeitige und nach Maß und Inhalt patientengerechte Aufklärung über den geplanten Eingriff am 06.07.2004 geschuldet.

Der hierzu persönlich angehörte Kläger führte zwei von Dr. E. durchgeführte Aufklärungsgespräche an, wobei er an das unmittelbar vor der Operation durchgeführte zum Zeitpunkt der persönlichen Anhörung erster Instanz keine Erinnerung im Einzelnen mehr hatte. Eine Aussage, dass nicht ausreichend Überlegungszeit bestanden habe bis zum geplanten Eingriff, ist seinen Angaben nicht zu entnehmen. Der Arzt R. H. hat das übliche Procedere im Hause des Beklagten zu 1. dahingehend geschildert, dass die Operationspläne jeweils gegen 15 Uhr am Tag vor dem Eingriff erstellt würden. Im Anschluss daran erfolge das Aufklärungsgespräch (Band II Blatt 231). Unschädlich ist, dass Dr. E. auf Grund des Zeitverlaufs an das konkrete Gespräch keine detaillierten Erinnerungen mehr hatte. Nach Einsichtnahme in den Aufklärungsbogen sei ihm aber erinnerlich, dass er eine umfassende Aufklärung, insbesondere über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken durchgeführt habe. Ganz sicher habe er das Problem der Distorsion (gemeint ist: Dislokation – siehe entsprechende handschriftliche Ergänzung Band I Blatt 80) besprochen. Aus seinen handschriftlichen Anmerkungen „Blutung“ und „Nachblutung“ entnehme er, dass er darauf hingewiesen habe, dass es bei dieser Art von Operation zu stärkeren Blutungen, auch Nachblutungen, kommen könne, was auch zur Erforderlichkeit von Bluttransfusionen führen könne. Auch dies habe er handschriftlich vermerkt (Band II Blatt 228).

Der Senat geht in der Zusammenschau der bisherigen Ausführungen davon aus, dass ein Aufklärungsgespräch mit dem Inhalt, wie in dem Formular „Einwilligung in ärztlichen Eingriff“ ausgewiesen, stattgefunden hat. Der Kläger persönlich angehört (Band II Blatt 232 ff) hat erklärt, die Aufklärungsgespräche nur noch teilweise in Erinnerung zu haben, ob über irgendwelche Risiken gesprochen worden sei, könne er heute nicht mehr sagen. Andererseits konnte der aufklärende Arzt unter Zuhilfenahme des Aufklärungsbogens bestätigen, sich zu bekannten Risiken des Eingriffs geäußert zu haben; ferner führt der Inhalt der von dem Kläger unterzeichneten Einverständniserklärung die mit dem Eingriff verbundenen wesentlichen Risiken auf. Die so umrissene Aufklärung war nach Auffassung des Senats ausreichend, so dass eine wirksame Einwilligung des Klägers in den Eingriff vorliegt.

Der Kläger hat nicht den Beweis geführt, dass es bei dem am 06.07.2004 erfolgten Eingriff oder im Zeitraum danach bis zur Entlassung am 21.07.2004 zu einer fehlerhaften Behandlung gekommen ist.

Die Auswertung des Operationsberichts ergebe ein Vorgehen, das nach heutigem Stand der Technik das Höchstmaß an Orientierungssicherung biete und der Komplexität des Eingriffs angemessen sei. Obwohl der Blutverlust von insgesamt 13 l, wie er dokumentiert sei, sicher sehr erheblich sei, könne dies nicht als Fehler interpretiert werden, da bei ausgedehnten Präparationen an der Wirbelsäule nicht selten ein hoher Blutverlust zu kalkulieren sei. Diesem hohen Blutverlust sei durch präoperative Maßnahmen, sicher nicht durch Gabe von Medikamenten, vorzubeugen. Vielmehr habe zur Prävention die Bereitstellung von gekreuztem und getestetem Spenderblut gehört (Seite 21-23 des schriftlichen Gutachtens). Weiter sei auch weder im Rahmen der regelrecht erhobenen Anamnese ein Hinweis auf eine Blutgerinnungsstörung erkennbar gewesen, noch hätten die präoperativ regelrecht und ausreichend erhobenen Laborbefunde einen Hinweis auf eine Blutgerinnungsstörung ergeben (wie vor, Seite 26). Auch ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des (aufgetretenen) Blutverlustes und der postoperativen Vernarbung sei nicht plausibel. Vernarbungen stellten regenerative Prozesse dar, die nach Durchtrennung von Gewebe entstünden. In diesem Falle betreffe dies sowohl die Durchtrennung der Muskulatur, die Durchtrennung von Knochengewebe, die Durchtrennung von Knochengewebe als auch die Präparation des sogenannten Epiduralraumes. Bei Letzterem handele es sich um die Entfernung eventuellen Fettgewebes auf der harten Hirnhaut, wie sie bei derartigen Operationen erfolge. In der Wirbelsäulenchirurgie sei es ein seit Jahrzehnten bekanntes Phänomen, dass es patientenindividuell verschieden zu einer Ausbildung einer epiduralen Fibrose kommen könne (wie vor, Seite 24).

Schließlich sei auch keine fehlerhafte Behandlung postoperativ bis zum Zeitpunkt der Verlegung erkennbar. Die postoperativen Kontrollen seien bereits zum frühest möglichen Zeitpunkt, d.h. intraoperativ durch eine computertomographische Diagnostik erfolgt. Dabei sei eine reguläre Implantatlage dokumentiert worden. Das Wesen der operativen Stabilisierung der Wirbelsäule bestehe darin, dass bei fixierter Wirbelsäule eine frühest mögliche Belastbarkeit des Patienten gegeben sei. Da die klinische Symptomatik, dokumentiert im Krankheitsverlauf, sich postoperativ offenbar graduell gebessert habe und zu diesem Zeitpunkt keine Hinweise auf eine Implantatfehllage vorgelegen hätten, habe keine weitere Notwendigkeit zu einer bildgebenden Diagnostik bestanden. Diese sei vielmehr regelhaft für eine Wiedervorstellung im Intervall zu einem festgelegten Zeitpunkt ausreichend vorgesehen worden. Auch von Seiten der klinischen Entwicklung habe kein Kriterium gegen eine Entlassung am 21.07.2004 gesprochen (wie vor, Seite 26/27).

Damit lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass sich Ansprüche, wie geltend gemacht, im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Klägers im Hause des Beklagten in der Zeit vom 05.07. 2004 bis 21.07.2004 nicht herleiten lassen. Weder war die Aufklärung nicht ausreichend umfangreich, noch sind Behandlungsfehler feststellbar. Entsprechende Ansprüche kann der Kläger aber auch nicht deswegen realisieren, weil es zu Fehlern im Zusammenhang mit der erforderlich gewordenen Revisionsoperation gekommen wäre.

Nicht nachweisen konnte der Kläger, dass die angeblich nicht rechtzeitig gestellte Operationsindikation zur Behebung der Cage-Dislokation oder ein Behandlungsfehler für den bei dem Kläger eingetretenen Schaden ursächlich geworden sein könnten. Nach der Revisions-Operation war eine komplette Lähmung der Fußhebung und Fußsenkung zu verzeichnen, zusätzlich fiel eine Minderbewegung des gesamten linken Beins auf.

Der Operationsbericht der am 28.09.2004 durchgeführten zweiten Operation stelle zunächst die Indikation dar: Die Verlagerung von Cages, sogenannte Cage-Migration, nach dorsal um ca. die Hälfte der Cage-Größe habe zu einer signifikanten Einengung des Wirbelkanals geführt (wie vor, Seite 28). Mit der Dorsalverlagerung des Cages sei eine Einengung des Spinalkanals verbunden, die damit, ähnlich der präoperativ bestehenden Spinalkanalstenose, zu einer potentiellen Kompression des Spinalkanalinhaltes und mithin der Nervenfasern der Cauda equina führe. Damit sei die Revisionsindikation zur Operation exakt erkannt worden und die Operation regelhaft veranlasst worden. Im Operationsbericht sei dokumentiert, dass die ausgeprägte Fibrose die Orientierung intraoperativ erschwert habe, so dass wiederholte intraoperative Röntgenkontrollen erforderlich geworden seien. Die Operation sei ohne Entfernung des Stabsystems, des Fixateur intern, geplant worden. dies mag die räumlichen Verhältnisse im Operationsgebiet zusätzlich begrenzt haben, stelle aber für dich keine Regelverletzung dar, da die Entfernung des Systems nicht zwingend sei. Die Orientierungsschwierigkeit durch die ausgeprägte epidurale Fibrose stelle bei ausgedehnten Wirbelsäuleneingriffen – wie es die mehretagige Laminektomie darstelle – nichts Ungewöhnliches dar. die bei dem Kläger aufgetretene Duraverletzung sei, wie aus der Literatur bekannt, ein bekanntes Risiko spinaler Eingriffe. Das Risiko entsprechender Verletzungen und Liquorfluss sei bei Rezidivoperationen, d.h. beim Vorliegen einer epiduralen Fibrose, gegenüber einem Ersteingriff deutlich erhöht und werde in einzelnen Literaturangaben mit bis zu 17 % der Fälle beziffert (wie vor, Seite 29).

Der bei dem Kläger aufgetretene Schaden, soweit er auf die Revisionsoperation zurückzuführen ist und nicht der Grunderkrankung zuzurechnen ist, beruht also darauf, dass sich ein bekanntes Risiko einer solchen Operation verwirklicht hat. Im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer epiduralen Fibrose ist es bei der Präparierung zu einer Duraverletzung mit Liquorfluss gekommen, ohne dass ein Behandlungsfehler erkennbar würde. Dass insbesondere der Zeitfaktor für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich gewesen ist, betont der Gerichtssachverständige in seiner persönlichen Anhörung erneut. Es sei so, dass sich die Wanderung des Cages über Tage und Wochen hinziehen könne. Wenn der Cage zur Seite oder nach vorn wandere, führe dies im Regelfall zu keinen weiteren Beschwerden. Es könne aber auch so sein, dass sich der Cage in den Spinalkanal verschiebe. Dies führe dann zu Komplikationen und Beschwerden, die eine Operation notwendig machten. Es könne sein, dass sich ein wandernder Cage zunächst klinisch stumm verhalte. Es sei aber damit zu rechnen, dass es auf Dauer zu einer weiteren Einengung des Spinalkanals komme. Dies könne dann zu neurologischen Ausfällen führen. Ob diese dauerhaft oder behebbar seien, lasse sich klinisch nicht feststellen. aus diesem Grunde sei es so, dass ein verschobener Cage auch operativ behandelt werde. Dies sei auch hier im Fall des Klägers geschehen. Die Notwendigkeit der Operation hänge, was die Dauer angehe, dann davon ab, inwieweit neurologische Ausfälle und welcher Intensität feststellbar seien. Komme es nicht zu gravierenden neurologischen Ausfällen, dann sei eine solche Operation planbar (Band III Blatt 425). Konkret auf den Kläger bezogen führt der Gutachter weiter aus, dass eine neurologische Verschlechterung in der Zeit zwischen der Feststellung der Cage-Wanderung am 01.09.2004 und etwa dem 06.09.2004 nicht erkennbar sei. Am 06.09.2004 sei festgehalten worden, dass eine „noch deutliche Fußheber-/Fußsenker-Parese links betont“ vorliege. Aus den Unterlagen ergebe sich nämlich, dass bereits vor der (Erst-)Operation eine solche Fußheber-/Fußsenker-Parese festgestellt worden sei. Eine solche sei weiterhin im Verlauf der Rehabehandlung dokumentiert, habe also schon „immer“ vorgelegen. In diesem Fall handele es sich also nicht um eine neurologische Verschlechterung des Zustandes (Band III Blatt 425).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Beklagte zu 1. weder unter dem Aspekt einer nicht ausreichenden Aufklärung des Klägers noch weil es zu einem Behandlungsfehler bei den Operationen am 06.07.2004 oder 28.09.2004 gekommen wäre, für die bedauerliche neurologische Verschlimmerung bei dem Kläger haftet. Auch aus dem gewählten Zeitpunkt der Revisionsoperation lassen sich Argumente für eine Haftung nicht herleiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nummer 10, 711 ZPO.

Müller Billig Friebertshäuser
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