Text des Beschlusses
1 WF 143/10;
Verkündet am:
12.05.2010
OLG Oberlandesgericht Jena
Vorinstanzen: 32 F 756/06 Amtsgericht Erfurt; Rechtskräftig: unbekannt! Zur Streitwertfestsetzung in Ehesachen bei Bezug von SGB II – Leistungen, Kindergeld, Erziehungsgeld und Spesen Leitsatz des Gerichts: Zur Streitwertfestsetzung in Ehesachen bei Bezug von SGB II – Leistungen, Kindergeld, Erziehungsgeld und Spesen In der Familiensache C. - Antragstellerin - Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H.-U. S., - Beschwerdeführer - gegen T. - Antragsgegner - Bevollmächtigte(r): ./. hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena auf die Beschwerde des Rechtsanwaltes S. vom 26.10.2009 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erfurt vom 21.10.2009, Teilabhilfeentscheidung vom 18.02.2010, durch Richter am Oberlandesgericht Knöchel als Einzelrichter am 12.05.2010 beschlossen: Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erfurt vom 21.10.2009 in der Fassung der Teilabhilfeentscheidung vom 18.02.2010 wird abgeändert. Der Streitwert für die Ehesache wird auf 4.914,24 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Zwischen den Parteien war ein Ehescheidungsverfahren anhängig, bei dessen Einleitung die Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II; Kindergeld für ein gemeinsames und zwei weitere Kinder sowie Erziehungsgeld bezogen hat. Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2009, auf den das Amtsgericht die Ehe der Parteien mit rechtkräftigen Urteil vom 21.10.2009 geschieden hat, hat es die beabsichtigte Streitwertfestsetzung mit den Parteien erörtert, worauf der Antragsgegner erklärte, zum Zeitpunkt der Anhängigkeit der Ehesache arbeitslos und ohne Einkünfte gewesen zu sein. Das Amtsgericht hat darauf mit dem in der Sitzung verkündeten Beschluss den Streitwert für die Ehescheidung auf 2.000,00 € sowie den des Versorgungsausgleichs auf 1.000,00 € festgesetzt. Gegen diese Wertfestsetzung richtet sich die Beschwerde des Rechtsanwaltes S. mit der er vorbringt, dass sowohl die ALG II – Leistungen, das Kinder- sowie das Erziehungsgeld der Antragstellerin bei der Festsetzung des Streitwertes zu berücksichtigen seien. Darüber hinaus führt er aus, dass der Antragsgegner ausweislich des Jahreslohnkontos entgegen seiner Behauptung im maßgeblichen Zeitraum ein Einkommen von 2.360,- € bezogen habe, so dass ein Streitwert für die Ehesache von 10.668,- € festzusetzen sei Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 18.02.2010 der Beschwerde teilweise abgeholfen und den Streitwert für die Ehesache auf 4.386,- € festgesetzt sowie im Übrigen das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG sind auf das vorliegende Verfahren die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, dem 01.09.2009, geltenden Vorschriften anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. BGH FamRZ 2010, 357 m.w.N.). Die aus eigenem Recht des Rechtsanwaltes S. eingelegte Beschwerde ist somit nach §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 GKG statthaft. Da der Wert der Beschwer nach dem Begehren des Beschwerdeführers 200,00 € übersteigt und das Rechtsmittel im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist, ist es auch zulässig. Allerdings führt die Beschwerde lediglich im Umfang des Beschlusstenors zum Erfolg. In Ehesachen ist der Wert des Streitgegenstandes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien durch das Gericht nach Ermessen zu bestimmen (§ 48 Abs. 2 Satz 1 GKG). Während zu den übrigen Bemessungsfaktoren nähere Ermessungskriterien fehlen, ergibt sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG hinsichtlich der Bewertung der Einkommensverhältnisse, dass von dem in 3 Monaten erzielten Nettoeinkommen der Eheleute auszugehen ist. Hierbei handelt es sich um einen Ausgangswert, der im Hinblick auf die übrigen Umstände des Einzelfalls für die abschließende Wertfestsetzung in dem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen von 2.000,- € bis 1 Million € (§ 48 Abs. 2 Satz 2 GKG) zu erhöhen oder aber herabzusetzen ist. Das dreimonatige Nettoeinkommen bestimmt sich dabei nach den letzten drei Monaten vor Einreichung des Scheidungsantrages (vgl. Meyer, GKG, 10. Aufl., § 48 Rdn. 21 m.w.N.), mithin vorliegend unter Berücksichtigung des Zeitraumes von April 2006 bis Juni 2006. a) Insoweit ist dem Ansatz des Amtsgerichts in seinem Teilabhilfebeschluss vom 18.02.2010 nicht zu folgen, als lediglich ein Nettoeinkommen des Antragsgegners in Höhe von 1.000,- € zugrunde gelegt wurde. So hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 12.11.2009 zur Glaubhaftmachung der Einkommensverhältnisse des Antragsgegners eine Kopie des Jahreslohnkontos vorgelegt, aus dem sich unschwer das maßgebliche Einkommen des Antragsgegners ermitteln lässt. Danach hat der Antragsgegner von April 2006 bis Juni 2006 ein Bruttoeinkommen von insgesamt 3.676,19 € (1.171,21 € + 1.252,49 € + 1.252,49 €) bezogen, so dass sich nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt 669,07 € sowie der Steuerbelastung von 89,74 € ein Nettoeinkommen von 2.917,38 € ergibt, was einem Monatsnettoeinkommen von 972,46 € entspricht. Darüber hinaus hat der Antragsgegner im maßgeblichen Zeitraum Aufwandsentschädigungen in Höhe von insgesamt 4.082,62 € (1.334,88 € + 1.373,87 € + 1.373,87 €) erhalten, die allerdings nicht in voller Höhe herangezogen werden können, da Spesen insoweit nicht berücksichtigt werden, als ihnen tatsächliche Aufwendungen gegenüberstehen (vgl. Madert/von Seltmann, Gegenstandswert in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten, 5. Aufl., Rdn. 150). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte greift der Senat auf den unterhaltsrechtlichen Ansatz zurück, wonach Spesen mit 1/3 als Einkommen anzurechnen sind, soweit – wie hier – ein Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen nicht geführt ist. Damit erhöht sich das Monatsnettoeinkommen des Antragsgegners um 453,62 € (4.082,62 € : 3 = 1.360,87 € x 1/3) auf 1.426,08 € (972,46 € + 453,62 €). b) Demgegenüber bezog die Antragstellerin Kindergeld für drei minderjährige Kinder in Höhe von insgesamt 462,- €, welches als Einkommen im Sinne von § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG zu berücksichtigen ist (vgl. OLGR Karlsruhe 2008, 422; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 1206; OLG Köln, FamRZ 2008, 205; OLG Dresden, FamRZ 2006,1053; OLG Hamm, FamRZ 2006, 806; Meyer, a.a.O., Rdn. 19; Schneider/Wolf/Volpert, FamGKG, § 43 Rdn. 13). c) Das darüber hinaus von der Antragstellerin bezogene Erziehungsgeld von 300,- € ist hingegen bei der Streitwertberechnung nicht zu berücksichtigen. Der Senat folgt insoweit nicht der Ansicht des OLG Schleswig (OLGR Schleswig 2007, 282). Das Erziehungsgeld hat keine Lohnersatzfunktion, sondern wurde auch an Eltern gezahlt, die zuvor nicht erwerbstätig waren. Nach übereinstimmender Auffassung war das Erziehungsgeld deswegen im Regelfall nicht als anrechenbares Einkommen bei der Bemessung von Unterhaltsansprüchen zu berücksichtigen (vgl. BGH, FamRZ 2006, 1182). Aus §§ 8, 9 BErzGG (gültig bis 31.12.2008) ergab sich zudem, dass die Gewährung von Erziehungsgeld keinen Einfluss auf sonstige staatliche Leistungen haben soll. Es blieb damit insbesondere bei der Prüfung der Prozesskostenhilfevoraussetzungen unberücksichtigt. Der Senat schließt sich deshalb der Ansicht des OLG Karlsruhe (FamRZ 2007, 751) an, dass es dieser Wertung widersprechen würde, das Erziehungsgeld im Rahmen des § 48 Abs. 3 GKG als Einkommens- und somit Kosten erhöhend zu berücksichtigen. d) Es steht hingegen im Einklang mit der ständigen Rechtssprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom 30.04.2009, 1 WF 144/08), dass die SGB II – Leistungen der Antragstellerin bei der Wertfestsetzung nicht zu berücksichtigen sind. Bereits in der Vergangenheit hat sich Senat (vgl. Beschlüsse vom 26.6.1997, Az.: WF 1/97, und 26.04.2002, Az.: 1 WF 26/02) im Anschluss an die überwiegende Rechtsprechung gegen eine Anrechung der Arbeitslosenhilfe ausgesprochen. Er hat auch nachfolgend entschieden, dass für die Leistungen nach dem SGB II gelten nichts anders kann (vgl. Beschluss vom 29.05.2006, Az.: 1 WF 161/06), weil ebenso wie die vorherige Arbeitslosenhilfe die SGB II – Leistungen grundsätzlich nur subsidiär gezahlt werden. So besteht ein Anspruch nur dann, wenn der Betreffende "bedürftig" ist, er also seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bestreiten kann (§ 9 SGB II). Anders als das Arbeitslosengeld I dient also die Leistung nach dem SGB II der Unterstützung eines dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Arbeitslosen, der sich in einer schlechten finanziellen Situation befindet. Im Hinblick darauf sind die SGB II – Leistungen aufgrund ihrer Nähe zur Arbeitslosen- und Sozialhilfe bei der Streitwertbemessung in Ehesachen ebenfalls nicht zu berücksichtigen (so auch KG, FamRZ 2009, 1854; OLGR Saarbrücken 2009, 846; OLG Naumburg FamRZ 2009, 639; OLGR Schleswig 2008, 951; OLG Rostock, FamRZ 2007, 1760; OLG Oldenburg, AGS 2009, 129; OLG Dresden, FamRZ 2007, 1760; OLGR Hamburg 2006, 269; OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 807; OLG Celle, FamRZ 2006, 1690; OLGR Brandenburg 2003, 352; Schneider/Wolf/Volpert, FamGKG, § 43 Rdn. 23; a.A. OLG Köln, FamRZ 2009, 638 f.; OLG Düsseldorf, FamRZ 2009, 453; Schneider/Herget, 12. Aufl., Rdn. 1268; Meyer, Gerichtskosten der streitigen Gerichtsbarkeiten und des Familienverfahrens, 11. Aufl. Rdn. 13; differenzierend OLG Frankfurt, FamRZ 2008, 535). Der Senat teilt vollumfänglich die Begründung, dass staatliche Sozialleistungen wie das ALG II - anders das ALG I als Lohnersatzleistung, die auf vorangegangener Erwerbstätigkeit und den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung beruht - Ausdruck fehlender eigener Mittel des Empfängers, die sie kompensieren sollen, sind und keine Aussage zu dessen individueller Belastbarkeit treffen können oder zu treffen bestimmt sind. Sinn und Zweck der gesetzlichen Streitwertregelung für Ehesachen ist es, entsprechend der besseren oder schlechteren finanziellen Situation der Parteien, die sich in der Höhe ihres Einkommens und ihres Vermögens ausdrückt, den Streitwert und danach die Höhe der Gerichts- und Anwaltsgebühren zu bemessen (vgl. BVerfGE 80, 103 ff.; OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, 707 f.). Leistungen nach dem SGB II werden nun aber gerade deshalb geleistet, weil die finanzielle Situation der betreffenden Person schlecht ist, sie insbesondere kein ausreichendes eigenes Einkommen erzielt. Um dieses finanzielle Defizit auszugleichen, wird Hilfe geleistet. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, Eheleuten, die eine solche Hilfe beziehen, eben wegen dieser Hilfe einen höheren Streitwert ihres Scheidungsverfahrens zuzurechnen und sie auf diese Weise mit höheren Gerichts- und Anwaltsgebühren zu belasten. Die Nichtberücksichtigung des Arbeitslosengeldes II im Rahmen des § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG begegnet zudem auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG FamRZ 2006, 841). e) Von dem somit ermittelten Gesamtnettoeinkommen der Parteien von insgesamt 1.888,08 € (1.426,08 € + 462,- €) ist nach der insoweit gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 11. April 2000, 6 WF 47/99) im Hinblick auf die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern ein Pauschalbetrag für Unterhaltsaufwendungen - unabhängig davon, ob diese auch tatsächlich geleistet werden - abzusetzen. Diesen Betrag hatte der Senat bislang auf 153,- € pro Kind festgeschrieben (vgl. Senatsbeschluss vom 18.09.2007, 1 UF 166/07), woran aber aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen nicht mehr festgehalten wird. Überwiegend wird von der Rechtsprechung nunmehr ein Betrag zwischen 250,- € (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2008, 2050; OLG Dresden, FamRZ 2006, 1053 m.w.N.) und 300,- € (vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 2008, 2052; OLG Brandenburg, MDR 2007, 1321; zur Übersicht vgl. auch Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 3 Stichwort Ehesache) angenommen, wobei der Senat auf einen Betrag von 250,- € orientiert. Im vorliegenden Fall kann jedoch lediglich für das gemeinsame Kind der Parteien ein Abzug vorgenommen werden, da die weiteren Kinder der Antragstellerin Barunterhalt von ihrem Vater in übersteigender Höhe erhalten. Damit reduziert sich das Nettoeinkommen der Parteien auf 1.638,08 € (1.888,08 € - 250,- €), so dass sich ein 3–Monats–Betrag in Höhe von 4.914,24 € errechnet. f) Auch wenn mit der korrekten Wertfestsetzung kein Gebührensprung bezogen auf den Gesamtstreitwert (Ehescheidung + VA) verbunden ist, hat der Senat dennoch den angefochtenen Beschluss abgeändert. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da das Beschwerdeverfahren gemäß § 68 Abs. 3 GKG gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden. Knöchel ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |