Text des Beschlusses
2 W 61/10;
Verkündet am:
30.07.2010
OLG Oberlandesgericht Naumburg
Vorinstanzen: 11 O 165/07 Landgericht Magdeburg; Rechtskräftig: unbekannt! Beauftragt eine Partei einen auswärtigen RA, so ist der hierdurch verursachte Mehraufwand dann als notwendig anzusehen, wenn die Angelegenheit wegen tatsächlicher Schwierigkeiten die Hinzuziehung eines spezialisierten RAs geboten erscheinen lässt Leitsatz des Gerichts: 1. Beauftragt eine Partei, die im eigenen Gerichtsstand klagt, mit ihrer Vertretung einen auswärtigen Rechtsanwalt, so ist der hierdurch verursachte Mehraufwand gegenüber der Beauftragung eines ortsansässigen Rechtsanwalts (hier: Reisekosten) ausnahmsweise dann als notwendig i. S. von § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO anzusehen, wenn die Angelegenheit wegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten die Hinzuziehung eines hierfür spezialisierten Rechtsanwaltes geboten erscheinen lässt und es für die Partei nicht möglich oder nicht zumutbar ist, zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Klageerhebung an ihrem Gerichtsstand einen mit der Spezialmaterie vertrauten Anwalt zu finden. 2. Anerkennung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines auf Kapitalanlagerecht spezialisierten Rechtsanwalts aus Berlin für einen Ende 2006 eingeleiteten Rechtsstreit gegen eine deutsche Großbank beim Landgericht Magdeburg. In dem Rechtsstreit … hier: Kostenfestsetzung zugunsten des Klägers hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann als Einzelrichter am 30. Juli 2010 beschlossen: Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Magdeburg vom 22. April 2010 teilweise abgeändert und, wie folgt, neu gefasst: Die auf Grund des Urteils des Oberlandesgerichts Naumburg vom 23. Dezember 2009 von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 12.284,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. März 2010 festgesetzt. Der weiter gehende Antrag des Klägers auf Kostenfestsetzung vom 4. März 2010 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen. Der Kostenwert des Beschwerdeverfahrens beträgt 216,09 €. Das Landgericht Magdeburg – Rechtspflegerin – hat durch Beschluss vom 22. April 2010 die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 12.068,63 € festgesetzt. Gegenüber dem Kostenfestsetzungsantrag des Klägers vom 4. März 2010 sind u.a. Reisekosten in Höhe von insgesamt 216,09 € unberücksichtigt geblieben. Gegen diesen, ihm am 17. Mai 2010 zugestellten Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde vom 27. Mai 2010, die am selben Tage vorab per Fax beim Landgericht Magdeburg eingegangen ist. Er meint, dass die Absetzung der Reisekosten zu Unrecht erfolgt sei, weil seine Mandatierung durch den Kläger wegen seiner Spezialkenntnisse auf dem Gebiete des Kapitalanlagerechtes und insbesondere wegen seiner zahlreichen Mandate im Hinblick auf den streitgegenständlichen Medienfonds und der damit verbundenen Kenntnisse zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig i.S. von § 91 Abs. 1 ZPO gewesen sei. Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt. Beide Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme, haben hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde nach §§ 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO zulässig, es ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Mindestbeschwer ist erreicht. Das Landgericht hat die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu Unrecht herabgesetzt. Sie sind antragsgemäß zu erstatten. Beauftragt eine Partei, die im eigenen Gerichtsstand klagt, mit ihrer Vertretung einen auswärtigen Rechtsanwalt, so sind der hierdurch verursachte Mehraufwand gegenüber einer Beauftragung eines ortsansässigen Rechtsanwalts, wie hier die zusätzlichen Reisekosten, regelmäßig nicht notwendig für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung i.S. von § 91 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO. Das gilt auch dann, wenn der auswärtige Anwalt bereits vorprozessual in derselben Angelegenheit tätig war. Die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwaltes kann aber ausnahmsweise dann als notwendig angesehen werden, wenn die Angelegenheit wegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten die Hinzuziehung eines hierfür spezialisierten Rechtsanwaltes geboten erscheinen lässt und es für die Partei schwierig ist, zum Zeitpunkt der Entscheidung zur Klageerhebung an ihrem Gerichtsstand einen mit der Spezialmaterie vertrauten Anwalt zu finden (vgl. nur BGH, Beschlüsse v. 12. Dezember 2002, I ZB 29/02 – NJW 2003, 901; und v. 22. Februar 2007, VII ZB 93/06 – MDR 2007, 984). Bei der Beantwortung dieser beiden Fragen ist im Kostenfestsetzungsverfahren aus prozessökonomischen Gründen eine typisierende Betrachtungsweise geboten (vgl. BGH, a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Maßstäbe durfte der in Magdeburg wohnhafte Kläger hier eine Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten in Berlin für notwendig i.S. von § 91 ZPO erachten. Die Beauftragung eines auf Kapitalanlagerecht spezialisierten Rechtsanwalts durch den Kläger ist in der vorliegenden Konstellation als notwendig anzuerkennen. Maßgeblicher Zeitraum für die Beurteilung dieser Frage ist das Jahresende 2006; in dieser Zeit dürfte der Kläger die Entscheidung zur Erhebung der Klage, die tatsächlich im Januar 2007 erfolgt ist, getroffen haben. Im Vorfeld dieses Rechtsstreites hatten bundesweit Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Kapitalmarkt deutlich zugenommen, was sich u.a. auch in gesetzgeberischen Maßnahmen, wie dem Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16. August 2005 (BGBl. I S. 2437), zeigt. Damit war eine wachsende Spezialisierung in der Anwaltschaft und in der Justiz einher gegangen; die Rechtsmaterie selbst war einer rasanten Weiterentwicklung unterworfen. Bei einer Vielzahl der kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten kam es nicht nur auf rechtliche Spezialkenntnisse, sondern vor allem auf Detailkenntnisse der Eigenheiten und des Vertriebs konkreter Kapitalanlagen an. In einer solchen Situation kann einer Partei nicht verwehrt werden, einen spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Dies gilt hier umso mehr unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit, weil der Kläger beabsichtigte, eine deutsche Großbank in Anspruch zu nehmen, deren Vertretung durch eine spezialisierte Anwaltskanzlei – wie geschehen – schon vorab zu erwarten war. Die Notwendigkeit einer Vertretung durch einen auf Kapitalanlagerecht spezialisierten Anwalt stellt das Landgericht in seiner angefochtenen Entscheidung wohl auch nicht in Frage. Der Kläger durfte auch davon ausgehen, dass ein vergleichbar spezialisierter ortsansässiger Rechtsanwalt nicht verfügbar war. Für die Beurteilung des Kostenbewusstseins der Partei bei der Auswahl ihres Prozessbevollmächtigten kann es nicht allein auf die objektive Verfügbarkeit eines vergleichbaren Rechtsanwalts im eigenen Gerichtsbezirk ankommen. Maßgeblich muss sein, inwieweit es der Partei möglich und zumutbar war, einen hinreichend spezialisierten Rechtsanwalt auch zu finden. Eine entsprechende Fachanwaltsbezeichnung gab es im Jahre 2006 (noch) nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, inwieweit in Magdeburg anwaltliche Berufsausübung mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Kapitalanlagerecht bereits beworben wurde oder sonst erkennbar war. Angesichts dieser Umstände liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Kläger bei der Auswahl seiner Prozessbevollmächtigten einer kostengünstigeren Alternative etwa verschlossen hätte. Dem bereits als erstattungsfähig festgesetzten Betrag in Höhe von 12.068,63 € sind daher weitere erstattungsfähige Kosten in Höhe von 216,09 € hinzuzusetzen. Dieser Betrag ergibt sich als Summe aus den Reisekosten und dem Abwesenheitsgeld des Prozessbevollmächtigten des Klägers für die Wahrnehmung des Termins der mündlichen Verhandlung in erster Instanz in Höhe von 72,22 € und aus dem Minderungsbetrag der Reisekosten für die Teilnahme an der Sitzung in zweiter Instanz in Höhe von 109,37 € (ursprünglich beantragt: 246,37 €, bisher festgesetzt: 137,00 €), jeweils zzgl. Mehrwertsteuer. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. gez. Wiedemann Richter am Oberlandesgericht ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. 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