Text des Beschlusses
4 U 300/09;
Verkündet am:
28.10.2010
OLG Oberlandesgericht Jena
Vorinstanzen: 9 O 1606/07 Landgericht Erfurt; Rechtskräftig: unbekannt! Eine sekundäre Gehörsrüge ist grundsätzlich unzulässig Leitsatz des Gerichts: § 321 a ZPO Eine sekundäre Gehörsrüge ist grundsätzlich unzulässig. Denn der Rechtsbehelf des § 321 a ZPO ist zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes nur dann erforderlich, wenn sich die Anhörungsrüge gegen eine „neue und eigenständige” Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG richtet. Eine solche ist bei einer sekundären Gehörsrüge in aller Regel nicht gegeben. Es besteht auch kein Bedürfnis nach einer „erweiterten” Zulässigkeit, denn dies würde zu einer endlosen Wiederholung des Abhilfeverfahrens führen, was wiederum jeglicher Prozsswirtschaftlichkeit widerspräche. In dem Rechtsstreit M, H. - Kläger und Berufungskläger - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Stricker & Weigel, Karl-Zink-Straße 1, 98693 Ilmenau gegen D.A.S. … Versicherung AG, - Beklagte und Berufungsbeklagte - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Bach, Langheid & Dallmayr, Beethovenstraße 5-13, 50674 Köln hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Landgericht Gollnick am 28.10.2010 beschlossen: Die Gehörsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 06.05.2010, 4 U 300/09, wird verworfen. Der Senat hat mit Beschluss vom 26.01.2010 unter Darlegung der Gründe und Setzung einer Äußerungsfrist darauf hingewiesen, dass er erwäge, die Berufung des Klägers gegen das vorgenannte Urteil des Landgerichts Erfurt gemäß § 522 Absatz 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Der Kläger hat hierzu mit Schriftsatz vom 26.02.2010 Stellung genommen. Im Zurückweisungsbeschluss vom 03.03.2010 ist der Senat unter Beibehaltung seiner Rechtsansicht auf die vom Kläger geltend gemachten Punkte im Wesentlichen eingegangen. Gegen diesen Beschluss ist der Kläger mit der Anhörungsrüge vom 19.03.2010 vorgegangen und hat argumentiert, der Senat sei in den Gründen seiner Entscheidung inhaltlich auf mehrere Argumente des Klägers in seiner Klage- und Berufungsschrift nicht eingegangen. Weiter ist ein Hinweis auf den Inhalt seiner sämtlichen Schriftsätze erster und zweiter Instanz sowie der mündlichen Verhandlungen erster Instanz erfolgt. Es ist angemerkt worden, in allen gefertigten Schriftsätzen erster und zweiter Instanz seien von dem Kläger Rechtsfragen angesprochen worden, ohne dass das Landgericht Erfurt in dem angefochtenen Urteil bzw. der Senat in seinem Beschluss vom 03.03.2010 darauf eingegangen sei. Mit Beschluss vom 06.05.2010 hat der Senat die Gehörsrüge als unbegründet zurückgewiesen. Hinsichtlich des Begründungsgangs wird auf Band II Blatt 411 ff d.A. verwiesen. Gegen diesen, ihm am 10.05.2010 zugestellten, Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner am 21.05.2010 eingegangenen Gehörsrüge vom selben Tag. Zur Begründung wird ausgeführt, die Anhörungsrüge werde erhoben, weil das Oberlandesgericht als zuständiges Gericht über die Anhörungsrüge vom 19.03.2010 unter Verletzung des Rechts aus Artikel 103 GG entschieden habe. Dabei stützt sich der Kläger darauf, dass vorliegend eine eigenständige Verletzung des Artikels 103 Absatz 1 GG durch die Entscheidung über die Anhörungsrüge vom 19.03.2010 vorliege. Unter Hinweis auf NJW 2008, 923 wird die Auffassung vertreten, eine solche sekundäre Anhörungsrüge sei zulässig. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung (etwa BGH NJW 2008, 923 f). Es wird vertreten, auch „sekundäre Gehörsrügen“, d.h. die Rüge, das Gericht habe über die Gehörsrüge unter Verletzung des Rechts aus Artikel 103 GG entschieden, seien grundsätzlich zulässig (Prütting/Gehrlein-Thole, ZPO, § 321 a Rn 8 unter Bezugnahme auf Rüdiger Zuck, Rechtliches Gehör im Zivilprozess – Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten nach dem In-Kraft-Treten des Anhörungsrügengesetzes, NJW 2005, 1226 ff, 1228 und Bernd Sangmeister, „Oefters todtgesagt bringt langes Leben“ – Doch noch ein (kleiner) Hoffnungsschimmer für die Anhörungsrüge?, NJW 2007, 2363 ff, 2364). Allerdings sei die Rüge unzulässig, wenn sie sich darauf beschränke, bereits in der Vorinstanz erfolgte Gehörsverletzungen geltend zu machen; es bedürfe der Geltendmachung „neuer“ und „eigenständiger“ Verletzungen im Rügeverfahren (unter Bezugnahme auf BGH WRP 2008, 956, 957 Tz 6; NJW 2008, 923 f, Tz 5; soweit die Verletzung gerade aus dem Übergehen des Parteivorbringens im Rügeverfahren hergeleitet werde, dürfe dies aber bei entsprechender Substantiierung für die Zulässigkeit genügen). Weiter wird ausgeführt, mit einer sekundären Anhörungsrüge, die sich gegen die Nichtbescheidung bestimmter Verfahrensrügen im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde richte, könne eine Begründungsergänzung zu dem Beschluss über die Ablehnung der Beschwerde nicht erreicht werden (BGH NJW-RR 2006, 63,64); die Gehörsrüge sei ohne die Geltendmachung neuer und eigenständiger Gehörsverletzungen schon nicht zulässig (Prütting/Gehrlein-Thole, a.a.O. wie vor, Rn 16 unter Bezugnahme auf BGH WRP 2008, 956; Rz 8). Der Beschluss über die Verwerfung oder Zurückweisung der Rüge sei ausweislich Absatz 4 Satz 4 unanfechtbar. Er könne aber bei neuen und eigenständigen Gehörsverletzungen im Rügeverfahren seinerseits zum Gegenstand einer weiteren Rüge gemacht werden (Prütting/Gehrlein-Thole, a.a.O. wie vor, Rn 17). Diese Auffassung kann nicht überzeugen. Es fehlt an jeglicher Begründung, weswegen trotz der expliziten Unanfechtbarkeit des Beschlusses über die Verwerfung oder Zurückweisung der Rüge dennoch bei neuen und eigenständigen Gehörsverletzungen im Rügeverfahren erneut eine Anhörungsrüge zulässig sein soll. Anerkannt ist, dass zu den rügefähigen Entscheidungen unanfechtbare Endentscheidungen zählen. Bei selbständigen Zwischenentscheidungen, die über eine wesentliche Rechtsfrage mit bindender Wirkung für das weitere Verfahren entscheiden und keiner weiteren Nachprüfung mehr unterliegen, ist die Anhörungsrüge unter verfassungskonformer Auslegung von § 321 a Absatz 1 Satz 2 ZPO zur Vermeidung einer Rechtsschutzlücke ebenfalls statthaft (Zöller-Vollkommer, ZPO, 28. Auflage, § 321 a Rn. 5). Eine vergleichbare Rechtsschutzlücke ist hinsichtlich der Entscheidung gemäß § 321 a ZPO nicht ersichtlich und wird auch nicht behauptet. Denn die Verfassungsbeschwerde ist bei Verwerfung einer zulässigen Rüge als unzulässig eröffnet und bei einem eigenständigen Gehörsverstoß im Abhilfeverfahren ebenfalls (Zöller-Vollkommer, a.a.O. wie vor, Rn. 16 und 17). Ferner ist die Zulässigkeit einer generellen sekundären Gehörsrüge der beschriebenen Art der angezogenen Literatur nicht zu entnehmen. Diskutiert wird der Fall, dass eine Partei ihre Anhörungsrüge damit begründet, das Revisionsgericht habe nicht oder nur fehlerhaft über zuvor von ihr im Nichtzulassungsverfahren erhobene Gehörsrügen entschieden. Dann frage sich, ob diese erfolglosen Rügen im anschließenden Abhilfeverfahren nach § 321 a ZPO wiederholt werden könnten. Habe, wie vom Kläger behauptet, das Revisionsgericht die mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten Gehörsverkürzungen der Vorinstanz tatsächlich nicht zur Kenntnis genommen, habe es damit auch selbst den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verkürzt, was dann auch im Wege einer „sekundären Gehörsrüge“ nach § 321 a ZPO zulässiger Weise gerügt werden könne. Dagegen könne eine Partei eine schon im Nichtzulassungsverfahren gerügte Gehörsverkürzung im Verfahren nach § 321 a ZPO nicht wiederholen, um so das Revisionsgericht zu einer erneuten Entscheidung über seine Rügen oder zu einer Begründungsergänzung zu veranlassen. Für die Wiederholung einer zuvor schon ausweislich der Gründe beschiedenen Gehörsrüge im Abhilfeverfahren nach § 321 a ZPO fehle demgegenüber das Rechtsschutzbedürfnis (Bernd Sangmeister, a.a.O., 2364). Anerkannt ist, dass mit der Nichtzulassungsbeschwerde auch die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Gericht zweiter Instanz gerügt werden kann. Damit entscheidet der BGH im Rahmen des Beschlusses über die Nichtzulassungsbeschwerde auch darüber, ob ein Gehörsverstoß der vorherigen Instanz unterlaufen ist oder nicht. In gleicher Situation befindet sich die zweite Instanz, wenn mit der Berufung ein Gehörsverstoß der ersten Instanz gerügt wird. In dem Urteil bzw. Beschluss gemäß § 522 ZPO erfolgt eine Auseinandersetzung mit der behaupteten Gehörsverletzung erster Instanz. Soweit dem Gericht zweiter Instanz eine Gehörsverletzung unterlaufen sein sollte, kann diese im Wege des § 321 a ZPO gerügt werden. Wenn der Revisionsinstanz bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde eine eigene Gehörsverletzung unterlaufen sollte, kann diese im Wege des § 321 a ZPO gerügt werden. Diese sogenannte „sekundäre“ Gehörsrüge ist also eine primäre gegen Gehörsverletzungen der Revisionsinstanz. Inwiefern aus dieser erstmaligen Möglichkeit gegen eigene Gehörsverletzungen der Revisionsinstanz vorgehen zu können, der Umstand abzuleiten sein könnte, es müsse gegen Gehörsverletzungen des Berufungsgerichts im Rügeverfahren eine dann tatsächlich sekundäre Gehörsrüge möglich sein, ist systematisch jedenfalls nicht mit der als „sekundär“ eingestuften Gehörsrüge gegen Beschlüsse im Nichtzulassungsverfahren begründbar. Inwieweit sich aus der weiteren Literaturstelle ein Plädoyer für eine generell zulässige sekundäre Gehörsrüge herleiten lassen könnte, erschließt sich bei Durchsicht der Fundstelle (Rüdiger Zuck, a.a.O., 1228) nicht. Denn auch hier wird auf die oben angesprochene Konstellation im Nichtzulassungsverfahren abgestellt und lediglich ergänzend auf Problematik verwiesen, dass es dort, wo es keine Gründe gebe wie bei § 564 Satz 1 ZPO, eine Beurteilung, inwiefern eine Auseinandersetzung mit behaupteten Gehörsverstößen erfolgt sei, schwierig ausfalle. Auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung lassen sich Anhaltspunkte dafür, dass bei behaupteten Gehörsverletzungen durch das gemäß § 321 a ZPO entscheidende Gericht in diesem Verfahren erneut die Zulässigkeit der Rüge gemäß § 321 a ZPO eröffnet sein müsse, nicht entnehmen. Der Rechtsbehelf des § 321 a ZPO ist zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen Maßes an Rechtsschutz nur dann erforderlich, wenn sich die Anhörungsrüge gegen eine „neue und eigenständige“ Verletzung des Artikel 103 Absatz 1 GG durch den BGH selbst richte (BGH NJW 2008, 923 f). Damit wird nicht eine generelle Eröffnung der Rüge gemäß § 321 a ZPO gegen „neue und eigenständige“ Verletzungen des Artikel 103 Absatz 1 GG im verfahren des § 321 a ZPO durch das entscheidende Gericht eröffnet. Denn auch hier ist Hintergrund der Entscheidung, dass dann, wenn die erstmalige Verletzung des Artikel 103 Absatz 1 GG durch das Berufungsgericht gerügt wird, der danach erforderliche Rechtsbehelf mit der Revision gemäß §§ 542 ff ZPO gegeben ist. Wurde die Revision nicht zugelassen (§ 543 Absatz 1 ZPO), so ist – im Rahmen ihrer allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen – die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben. Auch diese stellt einen zureichenden Rechtsbehelf dar, weil auch sie zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Artikels 103 Absatz 1 GG durch das Berufungsgericht führen kann. Zwar ist die Verletzung des Anspruch auf rechtliches Gehör in § 543 Absatz 2 ZPO nicht als Zulassungsgrund genannt, jedoch geht der BGH in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass der Verstoß gegen Artikel 103 Absatz 1 GG stets einen Verfahrensfehler darstellt, der für einen Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Absatz 2 Nummer 2 ZPO (Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) ausreicht. In diesem Zusammenhang ist der Rechtsbehelf des § 321 a ZPO zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen Maßes an Rechtsschutz deshalb nur dann erforderlich, wenn sich die Anhörungsrüge gegen eine „neue und eigenständige“ Verletzung des Artikel 103 Absatz 1 GG durch den BGH selbst sichtet. Andernfalls ist die Anhörungsrüge als Rechtsbehelf nicht geboten und infolge dessen nicht zulässig (BGH a.a.O. wie vor). Das heißt aber, dass es sich bei diesem Vorgehen gegen eine Entscheidung des BGH keineswegs um eine „sekundäre“, sondern um eine „primäre“ Rüge handelt, die keine Grundlage für eine sekundäre Rüge gegen Entscheidungen im Verfahren des § 321 a ZPO abzugeben geeignet ist. Auch die Rechtsprechung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts ist als Ansatzpunkt für die Zulässigkeit einer solchen „sekundären“ Rüge kein geeigneter Ansatzpunkt. Zwar ist fachgerichtlicher Rechtsschutz bei Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör eingefordert worden (BVerfGE 107, 395 ff, zitiert nach juris), dieser ist mit der Schaffung des § 321 a ZPO verwirklicht worden. Denn in dem Fall, dass noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben ist, das auch zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts führen könne, sei dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung getragen. Erfolge die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und sei der Fehler entscheidungserheblich, müsse die Verfahrensordnung eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen (BVerfG a.a.O. wie vor). Eine instanzgerichtliche Überprüfung der letztinstanzlichen Entscheidung, die sich mit der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts durch die letzte Instanz auseinandersetzt, wird nicht eingefordert. Nach alledem sind Ansatzpunkte für die Eröffnung der Zulässigkeit einer sog. sekundären Rüge in der Berufungsinstanz nicht erkennbar. Verwirft das Gericht die Rüge als unzulässig, obwohl die Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben waren oder weist es die Rüge als unbegründet zurück, obwohl der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde, kann - wie schon ausgeführt - Verfassungsbeschwerde erhoben werden (so auch Saenger, ZPO, 3. Auflage, § 321 a Rn. 15; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 22. Auflage, § 321 a Rn.52; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Auflage, § 321 a Rn. 60). Eine andere Bewertung würde zu endlosen Wiederholungen des Abhilfeverfahrens führen, was mit dem Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit nur schwerlich zu vereinbaren wäre. Müller Billig Gollnick ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. 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