Text des Beschlusses
2 Wx 1/11;
Verkündet am:
26.01.2011
OLG Oberlandesgericht Naumburg
Vorinstanzen: 1 VI 224/10 Amtsgericht Quedlinburg; Rechtskräftig: unbekannt! Träger von Sozialleistungen ist nach § 64 SGB X von der Pflicht zur Entrichtung von Gerichtsgebühren für eine Auskunft des Nachlassgerichts befreit, wenn die begehrte Auskunft aus Anlass der Erbringung einer Sozialleistung benötigt wird Leitsatz des Gerichts: Ein Träger von Sozialleistungen (hier: eine gesetzliche Krankenkasse) ist nach § 64 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S 1 SGB X von der Pflicht zur Entrichtung von Gerichtsgebühren für eine Auskunft des Nachlassgerichts befreit, wenn die begehrte Auskunft aus Anlass der Erbringung einer Sozialleistung benötigt wird. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Auskunft im Zusammenhang mit der Prüfung eines Rückgriffs auf den Leistungsempfänger steht. In der Nachlassangelegenheit … hier: Beschwerde der Beteiligten gegen den Kostenansatz vom 06.09.2010 Beteiligte: … Erinnerungsführerin und Beschwerdeführerin, hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Engel, den Richter am Oberlandesgericht Manshausen und den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann am 26. Januar 2011 beschlossen: Auf die Beschwerde vom 03.12.2010 werden der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Quedlinburg vom 11.11.2010 und der Kostenansatz des Amtsgerichts Quedlinburg vom 06.09.2010 (1104-11201-9) aufgehoben. Das Erinnerungs- und das Beschwerdeverfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Mit Schreiben vom 02.09.2010 teilte das Amtsgericht - Rechtspflegerin - der Beschwerdeführerin mit, dass bereits Erbschaftsausschlagungserklärungen vorlägen und für weitere mögliche Erben die Ausschlagungsfrist noch laufe. Gleichzeitig wies es auf die Gebührenpflichtigkeit dieser Auskunft gemäß Nr. 800 Anlage zu § 2 Abs. 1 JVKostO hin. Unter dem 06.09.2010 erteilte das Amtsgericht der Beschwerdeführerin eine entsprechende Kostenrechnung über 10,00 Euro, die diese beglich. Gegen den Kostenansatz vom 06.09.2010 hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 21.09.2010 „Einwendung“ mit der Begründung eingelegt, dass sie gemäß § 8 Abs. 2 JVKostO i. V. m. § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGB X kostenbefreit sei. Mit Beschluss vom 11.11.2010 hat das Amtsgericht – Rechtspflegerin – die „Einwendung“ als Erinnerung ausgelegt und dieser „nicht abgeholfen“. Gegen die amtsgerichtliche Entscheidung hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 03.12.2010 Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 14.12.2010 hat das Amtsgericht – Rechtspflegerin – der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landgericht Magdeburg zur Entscheidung vorgelegt. Mit Verfügung vom 28.12.2010 hat der Vorsitzende der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg das Verfahren zuständigkeitshalber an das Oberlandesgericht Naumburg abgegeben. I. Die Beschwerde ist gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i. V. m. § 14 Abs. 3 S. 2 KostO zulässig. II. Beschwerdegericht ist nach § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i. V. m. §§ 14 Abs. 4 S. 2 KostO, 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG das Oberlandesgericht. III. Der Senat entscheidet in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung, weil der nach § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i. V. m. §§ 14 Abs. 7 S. 1 Halbsatz 2 KostO zuständige Einzelrichter das Verfahren dem Senat mit Beschluss vom 25.01.2011 wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO i. V. m. § 14 Abs. 7 S. 2 KostO übertragen hat. IV. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist gemäß § 8 Abs. 2 JVKostO i. V. m. § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB X von den Kosten befreit. Der Gebührenansatz vom 06.09.2010 ist daher ohne Rechtsgrund erfolgt. 1. Eine Kostenbefreiung nach § 64 Abs. 1 SGB X bleibt von vornherein außer Betracht. Diese Vorschrift gilt für das Verfahren bei den Behörden nach dem SGB X und nicht für das hier in Rede stehende gerichtliche Verfahren. 2. Der Beschwerdeführerin steht jedoch Gebührenfreiheit nach § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 S. 1 SGB X zu. a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 S. 1 SGB X sind Geschäfte und Verhandlungen, die aus Anlass der Beantragung, Erbringung oder der Erstattung einer Sozialleistung nötig werden, kostenfrei. Diese Regelung gilt, wie auch für die inhaltlich vergleichbare Bestimmung des § 118 Abs. 1 Halbsatz 1 BSHG allgemein anerkannt war, nicht nur für die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Sozialleistungsträger, sondern gleichfalls im Verhältnis von Sozialleistungsträgern zu anderen Behörden, und zwar auch zu solchen, deren Verwaltungstätigkeit nicht nach dem Sozialgesetzbuch ausgeübt wird. aa) Dem steht die systematische Stellung des § 64 SGB X im Abschnitt „Kosten, Zustellung und Vollstreckung” nicht entgegen. Diese Bereiche betreffen nicht ausschließlich das Verhältnis des Bürgers zur Behörde. Denn zumindest die Vorschriften über Kosten und Zustellung haben auch im Verhältnis von Behörden zueinander ihren Sinn und ihre praktische Bedeutung. bb) Auch die Vorschrift des § 7 Abs. 1 SGB X steht der Annahme der Kostenfreiheit nicht entgegen. § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist insoweit als Spezialvorschrift anzusehen, die für das behördliche Zusammenwirken anlässlich der Beantragung, Erbringung oder Erstattung einer Sozialleistung stets Kostenfreiheit anordnet, gleichgültig, ob die betreffenden Maßnahmen auch als Amtshilfe anzusehen sind oder nicht. Denn die Befreiung von den Kosten bezweckt, im Bereich der Sozialleistungen die verfügbaren, der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit dienenden Mittel (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB - Allgemeiner Teil -) möglichst ungeschmälert ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zuzuführen, indem die Leistungsempfänger und Leistungsträger von vermeidbaren Kostenbelastungen freigehalten werden. Bei dieser Auslegung des § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X bleibt durchaus noch Raum für eine Anwendung von § 7 Abs. 1 SGB X, nämlich bei der behördlichen Tätigkeit außerhalb des engeren Sozialleistungsbereichs, wie etwa der allgemeinen Verwaltung, der Erhebung von Beiträgen und der Verwaltung und Anlage der Mittel (vgl. zu Vorstehendem - Ziff. 2 a) -: BVerwG, Urteile vom 26.06.1987, 8 C 70/85, NJW 1988, 276, und vom 18.12.1987, 7 C 95/86, BVerwGE 78, 363). b) Die Kostenfreiheit nach § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 SGB X auch für gerichtliche Verfahren, auf die, wie im vorliegenden Nachlassverfahren, das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden ist. c) Die Erteilung der Auskunft über den Stand des hier anhängigen Nachlassverfahrens, insbesondere über die Erben des Leistungsempfängers, gehört zu den in § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X angesprochenen „Geschäften und Verhandlungen”. Diese Begriffe sind, entsprechend dem mit der Kostenfreiheit verfolgten Zweck, weit zu verstehen. Sie umfassen, wie für § 118 Abs. 1 Halbsatz 1 BSHG anerkannt, alle mit der Beantragung, Erbringung oder Erstattung von Sozialleistungen in Zusammenhang stehenden Verwaltungstätigkeiten. d) Die vom Amtsgericht am 02.09.2010 erteilte Auskunft ist auch aus Anlass der Erbringung, jedenfalls der Erstattung einer Sozialleistung nötig gewesen. aa) Der vorausgesetzte Anlass verlangt einen inneren Zusammenhang mit der gesetzlichen Tätigkeit des Sozialhilfeträgers (OLG Hamm, Beschluss vom 19.02.2008, 15 VA 16/07, Rpfleger 2008, 368; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10.11.2005, IX ZR 189/02, NJW-RR 2006, 717, zu § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X). bb) Wenn sich nicht bereits aus dem Antrag auf Auskunftserteilung vom 17.08.2010 das Interesse der Beschwerdeführerin an einer Inanspruchnahme der Erben wegen an den Erblasser erbrachter Leistungen und die Erforderlichkeit einer Auskunft über die Erben ergibt, ist hierzu zumindest im Rahmen des Schreibens vom 21.09.2010 hinreichend vorgetragen worden, in dem die Beschwerdeführerin ausgeführt hat, dass der Erblasser – zu Lebzeiten – Leistungen erhalten habe, für die Zuzahlungen i. S. d. § 61 SGB V zu leisten gewesen seien, welche der Erblasser nicht ausgeglichen habe. cc) Zwar dient die erbetene Auskunft nicht dazu, der Beschwerdeführerin die Gewährung von Sozialleistungen an ihre Versicherten zu ermöglichen. Jedoch stehen dem Rückgriff dienende Maßnahmen in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit der Leistungsgewährung und sind daher von der Kostenfreiheit erfasst (BVerwG, Urteil vom 18.12.1987, a. a. O.). gez. Dr. Engel gez. Wiedemann gez. Manshausen ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? 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