Text des Urteils
2 U 567/10;
Verkündet am:
23.03.2011
OLG Oberlandesgericht Jena
Vorinstanzen: Mühlhausen Landgericht 6 O 441/09; Rechtskräftig: unbekannt! Betreuungspflicht Heimvertrag Leitsatz des Gerichts: § 280 Abs.1 BGB Eine Kurzzeitpflegeeinrichtung ist jedenfalls dann, wenn sich ene Weglauftendenz einer dementen Bewohnerin dadurch gezeigt hat, dass die betreute Person an zwei Tagen hintereinander unbemerkt die Einrichtung verlassen hat, vertraglich verpflichtet, hinreichend sichere Maßnahmen gegen ein erneutes Weglaufen zu treffen. In dem Rechtsstreit A___ S___ , Kurzzeitpflege - Beklagte und Berufungsklägerin - Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt___ gegen C___ F___ , vertreten durch R___ R___ , - Klägerin und Berufungsbeklagte - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte hat der 2. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Orth, Richter am Oberlandesgericht Dr. Schlingloff und Richterin am Landgericht Klostermann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9.2.2011 für Recht erkannt: Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 17.6.2010 - Az.: 6 O 441/09 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. 8.2009 und vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 EUR zu zahlen. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus dem Schadensereignis von 23.9.2008 – 26.9.2008 zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. Die am ___ 1935 geborene Klägerin, die aufgrund ihrer Demenzerkrankung von ihrer Tochter betreut wird, wurde für den Zeitraum 21.9.2008 – 4.10.2008 (berichtigt gemäß Berichtigungsbeschluss vom 01.04.2011 durch Salomonia) dort aufgenommen (Anm. insoweit durch Berichtigungsbeschluss korrigiert auf 21.9.2008 – 4.10. 2008). Seinerzeit lebte sie tagsüber in ihrer eigenen Wohnung in E___ und wurde durch ihre berufstätige Tochter unterstützt. Bereits am Nachmittag des 21. und des 22.9.2008 verließ die Klägerin ohne Rücksprache die Pflegeeinrichtung der Beklagten, konnte aber wieder in der näheren Umgebung gefunden und zur Rückkehr überredet werden. Am 23.9.2008 verließ die Klägerin erneut unbemerkt die Pflegeinrichtung. Ihr Verschwinden wurde gegen 20.00 Uhr bemerkt. Eine eingeleitete Suche – auch der Polizeikräfte - verlief zunächst erfolglos. Die Klägerin wurde erst zufällig am Morgen des 26.9.2008 am Ortsrand von L___ verletzt auf einer Wiese liegend aufgefunden. Sie war gestürzt und hatte eine proximale Luxationsfraktur, Weichteilschäden und ein Delir erlitten. Sie war auch unterkühlt. weil sie lediglich mit einer Stoffhose, Pullover und Sommerschuhen bekleidet war. Sie befand sich vom 26.9.2008 – 10.10.2008 in stationärer Behandlung im H___ Klinikum. Die Humerusfraktur wurde dort operativ behandelt. Nach Auftreten einer Humeruskopfnekrose wurde sie vom 18.11. 2008 – 29.11.2008 im S___ Klinikum E___ stationär behandelt. Ihr musste ein künstliches Schultergelenk eingesetzt werden. Die Beweglichkeit der rechten Schulter und des rechten Armes sind seither unstreitig erheblich eingeschränkt und werden nicht mehr vollständig hergestellt werden können. Ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. H___ ist das Schultergelenk trotz Physiotherapie funktionell unbrauchbar und können Armbewegungen nur über das Hand- und Ellenbogengelenk erfolgen, in häuslichen Arbeiten sei der Arm nicht einsatzfähig. Eine Verbesserung der Funktion sei nicht zu erwarten. Aufgrund der Bewegungseinschränkung des Armes wurde sie zwischenzeitlich in die Pflegeklasse 2 eingestuft. Sie leidet unter Schmerzen am Arm, die medikamentös behandelt werden müssen, und erhält regelmäßig Ergo- und Physiotherapien. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, dass sie seinerzeit keine geeigneten Maßnahmen gegen ein unbemerktes Verlassen des Geländes getroffen habe. Die Einrichtung bestehe aus einem viereckigen Gebäudekomplex mit Innenhof und sei über ein großes Tor zugänglich. Das Tor habe immer weit offen gestanden. Sie hätte nicht unbeaufsichtigt gelassen werden dürfen, insbesondere sei nach den beiden ersten Vorfällen die Beklagte verpflichtet gewesen, die Betreuerin anzuweisen, eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für freiheitsentziehende Maßnahmen einzuholen oder den Pflegevertrag vorzeitig zu beenden und die Betreuerin anzuhalten, die Klägerin abzuholen. Mittlerweile sei das Haupttor verschlossen und werde nach Betätigen einer Klingel über eine Gegensprechanlage geöffnet. Eine solche Maßnahme sei seinerzeit verabsäumt worden und hätte ausgereicht, um der Weglauftendenz entgegen zu wirken. Die Klägerin hat behauptet, ihre Tochter habe bereits in einem Telefonat mit der Beklagten darauf hingewiesen, dass bei ihr eine Weglauftendenz bestehe und eine andere Einrichtung bereits deshalb ihre Aufnahme abgelehnt habe. Daraufhin habe die Beklagte erklärt, dass das für ihre Einrichtung überhaupt kein Problem sei. Ihre Tochter habe auch bei der Aufnahme nochmals erwähnt, dass die Klägerin eine starke Tendenz habe, nach Haus zu laufen, Die Zeugin O___ habe daraufhin eine Gesprächnotiz aufgeschrieben. Die Klägerin müsse die Einrichtung am 23.9.2008 bereits zwischen 17.30 Uhr und 18.00 Uhr verlassen haben, weil ein Rollstuhlfahrer gesehen habe, wie sie um 17.30 Uhr die Treppe heruntergelaufen sei. Eine Frau namens H___ habe sie vor 18.00 Uhr in Richtung Bushaltestelle laufen sehen. Gegen 20.00 Uhr sei es am 23.9. schon dunkel gewesen, da sie Angst vor der Dunkelheit habe, müsse sie früher weggelaufen sein. Die Beklagte hat erstinstanzlich behauptet, über eine Weglauftendenz bei der Klägerin sei weder bei Antragstellung noch bei der Aufnahme gesprochen worden. Es sei vielmehr erklärt worden, dass sie auch ansonsten tagsüber stundenweise alleine sei, wenn ihre Tochter arbeite. Sie unternehme Spaziergänge und finde dann wieder nach Hause. Nachdem sie am 21.9.2008 und 22.9.2008 die Einrichtung verlassen habe und eine Weglauftendenz nicht mehr auszuschließen gewesen sei, sei sie möglichst lückenlos von den Pflegern betreut worden. Am 23.9. 2008 gegen 20.00 Uhr sei der Pfleger B____ jedoch durch einen Notruf zu einem männlichen Gast gerufen worden, das dadurch geschaffene Zeitfenster von 7 Minuten müsse die Klägerin genutzt haben, um die Klinik zu verlassen. Eine lückenlose Beaufsichtigung sei nicht möglich gewesen. Als offene Einrichtung müsse sie keine Vorkehrungen dagegen treffen, dass die Bewohner unbemerkt das Gelände verlassen. Die Betreuerin der Klägerin habe sie bewusst in einer offenen Einrichtung untergebracht, Freiheitsentziehende Maßnahmen seien nicht zulässig gewesen und an einem Verlassen der Einrichtung hätte die Klägerin nicht gehindert werden dürfen. Eine konkrete Gefährdung beim Verlassen der Einrichtung habe auch nicht bestanden, weil die Klägerin auch zuvor eigenständig ihre Wohnung verlassen und wieder aufgesucht habe und noch sehr rüstig und gut zu Fuß gewesen sei. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin P___ und der Tochter der Klägerin. Die Zeugin O___ wurde nicht vernommen, weil der Beklagtenvertreter den Beweisantritt zurückzogen hatte. Wegen des Inhaltes der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 5.5.2010 Bezug genommen. Durch Urteil vom 17.6.2010 hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 EUR zzgl. einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 150 EUR ab 1.7.2009 und Rückstände auf die Schmerzensgeldrente seit dem 29.6.2008 zu zahlen. Weiter wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche materiellen Schäden aus dem Schadensereignis vom 23.9.2008 – 26.9.2008 zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Schließlich wurde sie zur Bezahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 837,52 EUR verurteilt. Wegen des Inhaltes der Urteilsbegründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Mit der Berufung macht die Beklagte weiterhin geltend, sie sei eine offene Einrichtung und habe eine lückenlose Überwachung der Klägerin nicht geschuldet. Eine akute Eigengefährdung sei seinerzeit nicht erkennbar gewesen, die Klägerin habe es in der Vergangenheit immer wieder geschafft gehabt, in ihre Wohnung zurückzukehren. Da sie zuvor noch alleine in ihrer Wohnung gelebt habe, sei von einer gewissen Selbständigkeit auszugehen gewesen. Eine Aufnahme in eine geschlossene Einrichtung sei deshalb nicht erforderlich gewesen. Ein dauerhaftes Verschließen des Hauses sei nicht möglich und nähme zudem der Einrichtung den Charakter eines offenen Hauses, was im Hinblick auf die übrigen Bewohner unzumutbar sei. Es habe deshalb ausgereicht, die Klägerin in den Arbeitsablauf des Heimes zu integrieren und damit zu überwachen. Eine hundertprozentige Sicherung sei nicht zu erreichen und nicht geschuldet gewesen. Zudem sei nicht feststellbar, wie es zum Sturz und der daraus resultierenden Verletzung gekommen sei. Der Sturz sei der Beklagten nicht zuzurechnen, weil es keine Anzeichen für eine Sturzgefahr gegeben habe. Das zugesprochene Schmerzensgeld sei überhöht; für seine Bemessung nicht hinreichend vorgetragen. Auch müsse beim Schmerzensgeld und der Schmerzensgeldrente ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin und ihrer Betreuerin berücksichtigt werden, welche die Klägerin in Kenntnis der Weglauftendenz in einer offenen Einrichtung untergebracht habe. Aufgrund des im Berufungsverfahren vorgelegten Befundberichts des Dr. med. H ___ bestreitet sie nunmehr auch, dass die Nekrose in der Schulter und die daraus resultierenden Folgeschäden auf den streitgegenständlichen Sturz zurückzuführen sind. Die Klägerin hält an ihrem erstinstanzlichen Vortrag fest. 1. Die Beklagte haftet dem Grunde nach der Klägerin auf Schadensersatz gemäß § 280 I BGB und schuldet ein Schmerzensgeld gemäß § 253 BGB, weil sie ihre Betreuungspflichten aus dem Heimvertrag fahrlässig verletzt hat. a) Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem Heimvertrag verletzt. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass die Beklagte davon wusste, dass die Klägerin in der Vergangenheit häufig allein zu ihrem Elternhaus in E___ gelaufen war. Da die Klägerin lange in E____ gelebt hatte, mag es ihr im jahrelang vertrauten Umfeld möglich gewesen sein, eigenständig dort hin und zurück zu finden. Dass ihr dies auch aus dem 38 km entfernt liegenden L___ gelingen würde, war aufgrund ihrer Demenzerkrankung nicht zu erwarten. Nachdem sie bereits am ersten und am zweiten Tag ihres Aufenthaltes in der Pflegeeinrichtung die Einrichtung unbemerkt verlassen hatte, bestand bei ihr konkret die Gefahr, dass sie erneut die Einrichtung verlassen und sich dann verlaufen würde. b) Es kann dahinstehen, ob die Beklagte bereits aufgrund des Umstandes, dass sie in ihre Kurzzeitpflegeeinrichtung demente Menschen aufnahm, auch organisatorische Vorkehrungen gegen ein unbemerktes Weglaufen dieser Bewohnergruppe (bspw. durch eine besetzte Pforte, verschlossene Außentüren, die auf Klingeln geöffnet werden) treffen musste. Demente alte Menschen finden sich aufgrund ihrer Erkrankung in einer fremden Umgebung besonders schwer zurecht, weil sie in der Vergangenheit leben und neue Situationen geistig nicht richtig verarbeiten können. Jedenfalls jedoch nachdem die Klägerin bereits zweimal unbemerkt die Einrichtung verlassen hatte, bestand die konkrete Gefahr, dass sie es erneut versuchen würde. Deshalb war die Beklagte bereits aufgrund dieser Besonderheit vertraglich verpflichtet, hinreichend sichere Maßnahmen gegen ein erneutes Weglaufen zu treffen. Dies hätte auch dadurch geschehen können, dass sie die - unstreitig - an den beiden ersten Tagen anrufende Tochter der Klägerin auf den Umstand hinwies, dass die Klägerin massiv versuche wegzulaufen und nicht hinreichend Personal vorhanden sei, um eine lückenlose Überwachung zu gewährleisten, ein erneutes Weglaufen nicht mit der erforderlichen Sicherheit verhindert werden könne und sie ihre Mutter wieder abholen möge. Solange die Beklagte die Klägerin in ihrer Einrichtung jedoch behielt, war sie nunmehr verpflichtet, sichere Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass diese wiederum unbemerkt die Einrichtung verließ und sich dadurch selbst in Gefahr brachte. Notfalls hätten auch vorübergehend freiheitsentziehende Maßnahmen gerichtlich beantragt werden können. Die von der Beklagten eingeleiteten Maßnahmen waren jedenfalls aufgrund der konkreten Gefahrenlage nicht ausreichend. Ausweislich der Klageerwiderung hatte am 23.9.2008 nachmittags der Pfleger B___ Dienst. Die Beklagte sollte nach Möglichkeit nicht unbeaufsichtigt bleiben und sollte selbst bei pflegerischen Verrichtungen an anderen weiblichen Gästen mit deren Einverständnis durch den Herrn B___ einbezogen werden. Das bedeutet zugleich aber auch, dass Herr B___ sie nicht beaufsichtigen konnte, wenn er pflegerische Tätigkeiten an männlichen Personen durchzuführen hatte oder weibliche Pflegebedürftige ihre Gegenwart bei den pflegerischen Tätigkeiten ablehnten. Falls dann die zweite - nach der Klageerwiderung vorhandene Pflegekraft - ebenfalls verhindert war, blieb die Klägerin unbeaufsichtigt. Mit solchen Situationen musste die Beklagte rechnen. Die Klägerin hatte schon am Tag zuvor gezeigt, dass sie solche Situationen ausnutzen würde. Für diesen Fall drohten der Klägerin erhebliche Schäden. Die Beklagte räumt selbst ein, dass bei ihrem Konzept eine lückenlose Beaufsichtigung der Klägerin nicht möglich war. Sie meint lediglich fälschlich, eine solche nicht zu schulden, weil dies mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand nicht möglich gewesen sei. 2. Die bei dem Sturz erlittenen Schäden beruhen auch auf der Pflichtverletzung. Der Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, dass der Sturz der Klägerin, die zuvor „gut zu Fuß war“, darauf zurückzuführen ist, dass sie verwirrt und orientierungslos umhergeirrt und dabei zu Fall gekommen ist. Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die spätere Humeruskopfnekrose, welche die Implantation eines künstlichen Schultergelenks und die massiven Bewegungseinschränkungen zur Folge hatte, auf den streitgegenständlichen Sturz zurückzuführen ist. Das ergibt sich eindeutig aus dem Bericht des S___ Klinikums vom 28.11.2008, wonach sich die Humeruskopfnekrose im Rahmen einer durchgeführten Verlaufskontrolle der im September 2008 in M____ operativ versorgten Humerusfraktur gezeigt hatte. Soweit im Schreiben des Dr. med. H____ vom 19.1.2011 in der darin wiedergegebenen Anamnese vom 5.5.2009 ein Sturz auf die rechte Schulter im Oktober 2008 und eine stationäre Einweisung durch den Rettungsdienst erwähnt wird, handelt es sich ersichtlich um eine Verwechselung des einschlägigen Monats. Richtig wird von diesem Arzt in dem nächsten Vermerk zur Anamnese am 19.1.11 der Sturz auf die rechte Schulter, der zwei Operationen mit Implantat einer Schulterprothese zur Folge hatte, dem Monat September 2008 zugeordnet. Aus den im Schreiben wiedergegebenen ärztlichen Anamnesevermerken lässt sich somit nicht ableiten, dass die Klägerin nach dem ersten Sturz und nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 10.10.2008 dann nochmals im Oktober 2008 gestürzt und stationär behandelt worden wäre und dieser zweite Sturz die Nekrose ausgelöst haben könnte. 3. Ein Mitverschulden ist der Klägerin mangels Schuldfähigkeit nicht zuzurechnen. Die Anrechnung eines Mitverschuldens ihrer Tochter als gesetzliche Vertreterin (Betreuerin) ihrer Mutter scheidet ebenfalls aus. Zwar hat die Betreuerin bei dem Bringen der Klägerin gesehen, dass in der Einrichtung der Beklagten nicht kontrolliert wird, wer kommt und geht. Sie konnte aber davon ausgehen, dass ein Heimbetreiber die erforderlichen Maßnahmen treffen wird um eine Verschwinden weglaufender dementer Bewohner zu verhindern. Dass die Beklagte dazu aufgrund des eingeschränkten Personaleinsatzes nicht in der Lage war und dennoch die Betreuung fortsetzte, musste die Betreuerin nicht wissen. Das gilt insbesondere, nachdem die Klägerin schon zweimal unerkannt die Einrichtung verlassen hatte und deshalb mit Wiederholungsfällen gerechnet werden musste. Die Beklagte, welche die demente Klägerin aufgenommen hatte und ihr entsprechende Maßnahmen schuldete, kann sich deshalb nicht darauf berufen, dass die Tochter der Klägerin doch gesehen habe, dass keine Ausgangskontrolle stattfinde und sie dennoch dort gelassen habe, wenn sie andererseits die Betreuerin nicht definitiv darauf hinwies, dass weiteres Weglaufen nicht mit Sicherheit von ihr organisatorisch verhindert werden könne. 4. Teilerfolg hat die Berufung hinsichtlich der vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldrente. Das Landgericht hat der Klägerin neben einem Schmerzensgeldbetrag von 10.000 EUR zusätzlich eine Schmerzensgeldrente von 150 EUR monatlich zugesprochen. Es folgte insoweit den erstinstanzlichen Klageanträgen, mit welchen von der Klägerin neben einem angemessenen Schmerzensgeld, das 10.000 EUR nicht unterschreiten sollte, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 150 EUR gefordert worden war. Dabei wurde verkannt, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die einmalige Kapitalzahlung der Normalfall ist und eine Schmerzensgeldrente neben einem Kapitalbetrag nur bei schwersten Dauerschäden in Betracht kommt (BGH VI ZR 44/93, VI 227/94; VI ZR 216/74). Die Klägerin leidet an einer schwerwiegenden Bewegungseinschränkung und unstreitig unter Schmerzen im rechten Arm. Jedoch ist der Arm nicht völlig funktionsunfähig. Ausweislich des ärztlichen Schreibens vom 1. Jan. 2011 (Anlage K 3) ist die Antevision (Bewegung des nach vorn Führens) zu 30°, die Abduktion (Seitheben des Arms von der Körperachse weg) zu 50 ° und eine geringe Rotation von 20-0-20 möglich. Das Schultergelenk ist unbrauchbar, Armbewegungen können aber noch über das Hand- und Ellenbogengelenk erfolgen. Die Klägerin wird mit Physiotherapie und Schmerztabletten behandelt. Es liegt ein Dauerschaden vor, aber kein schwerster Dauerschaden, so dass die Voraussetzungen für die Zubilligung einer Schmerzensgeldrente nicht erfüllt sind und stattdessen zur Abgeltung ein einmaliger Kapitalbetrag zu zahlen ist. Bei Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes müssen dann allerdings auch der Dauerschaden und die daraus resultierenden zukünftigen Beeinträchtigungen und Schmerzen angemessen berücksichtigt werden. Unter Berücksichtigung der erlittenen Verletzungen, des erlittenen irreparablen Dauerschadens und der massiven psychischen Belastung während des 3 Nächte und 2 Tage dauernden Alleinseins der Klägerin, erscheint dem Senat insgesamt ein Schmerzensgeldbetrag von 20.000 EUR angemessen. Es konnte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bereits vor 18.00 Uhr die Einrichtung verlassen hat und ihr Verschwinden deshalb über mehr als 2 Stunden unbemerkt geblieben ist. Die mitgeteilte Äußerung eines nicht näher benannten Heimbewohners (Rollstuhlfahrer) reicht dazu nicht aus, weil dieser nicht als Zeuge vernommen und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben nicht überprüft werden konnte. Frau H____ wurde ebenfalls nicht als Zeugin benannt, sie konnte auch schon ausweislich der beigezogenen Ermittlungsakte bei ihrer späteren polizeilichen Befragung nicht mit der erforderlichen Sicherheit sagen, ob sie die Klägerin am 22.09.2008 – wo sie unstreitig bereits einmal weggelaufen und vor 18.00 Uhr aus dem Ort zurückgeholt worden war – oder am 23.09.2008 gesehen hatte. Ein besonders grober Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten der Beklagen, der bei der Höhe des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen gewesen wäre, steht deshalb nicht fest. 5. An einer Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages von 10.000 EUR auf 20.000 ist der Senat nicht durch § 528 ZPO gehindert. Die Erhöhung des zugesprochenen Schmerzensgeldbetrages bei Wegfall der Schmerzensgeldrente stellt für die Beklagte keine Verschlechterung dar. Der erstinstanzlich gestellte Antrag auf Zahlung einer Schmerzensgeldrente und eines festen Schmerzensgeldbetrages waren voneinander abhängig, weil die Höhe des beantragten angemessenen Schmerzensgeldes davon abhängig war, ob zusätzlich eine Schmerzensgeldrente zugesprochen wurde. Das Landgericht hat der Klägerin neben dem festen Schmerzensgeldbetrag von 10.000 EUR eine Schmerzensgeldrente von 150 EUR monatlich ab dem, 29.9.2008 zuerkannt. Der Differenzbetrag von 10.000 EUR wird bereits ab der 67. Monatsrate überschritten. Das entspricht einer Zeitdauer von 5 Jahren und 7 Monaten. Die Klägerin war am 29.9.2006 73 Jahre alt. Ihre restliche Lebenserwartung gemäß der Sterbetafel 2005/2007 (abgedruckt in Pardey, Berechnung von Personenschäden, 4. A., Anhang 3) betrug noch 13,80 Jahre. Die Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages bei Wegfall der angeordneten Rentenzahlung ist somit wirtschaftlich betrachtet für die Beklagte günstiger, als die von ihr angegriffene Verurteilung zur Zahlung eines festen Betrages von 10.000 EUR zzgl. Schmerzensgeldrente, auch wenn noch berücksichtigt wird, dass eine Einmalzahlung gegenüber einer monatlichen Zahlung für den Zahlungspflichtigen Zinsnachteile mit sich bringt. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen festem Schmerzensgeldbetrag und Schmerzensgeldrente wird der Klägerin mit der Erhöhung des festen Schmerzensgeldbetrages auch nichts anderes als beantragt zugesprochen, weil die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zurückweisung der Berufung insgesamt von der Beklagten höhere Zahlungen als 10.000 EUR begehrt. Der Zinsanspruch folgt aus § 291, 288 Abs.1 BGB. Ein früherer Verzugseintritt ist nicht dargetan. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.2 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Der Umfang der von der Beklagten zu erfüllenden Pflichten ergab sich aus dem konkret hier vorliegenden Lebenssachverhalt, so dass es sich um eine Einzelfallentscheidung und keine Entscheidung darüber handelt, welche Sicherheitsvorkehrungen „offene Pflegeeinrichtungen“ generell gegen das Weglaufen dementer Bewohner treffen müssen. Der Beklagten steht die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde offen. Orth Dr. Schlingloff Klostermann ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |