Text des Urteils
1 VAs 5/10;
Verkündet am:
19.10.2010
OLG Oberlandesgericht Jena
Vorinstanzen: 1 K 153/10 Ge Verwaltungsgericht Gera; Rechtskräftig: unbekannt! Verweist VG einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Ermittlungshandlung an OLG zur Entscheidung im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG, ist eine Weiterverweisung durch OLG an AG zur Entscheidung nach § 98 StPO ausgeschlossen Leitsatz des Gerichts: GVG § 17a Abs. 2 Satz 3 analog; StGB § 125; StPO §§ 98 Abs. 2 analog, 163b, 163c Verweist das Verwaltungsgericht einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Ermittlungshandlung an das Oberlandesgericht zur Entscheidung im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG, ist eine Weiterverweisung durch das Oberlandesgericht an das Amtsgericht zur Entscheidung nach § 98 Abs. 2 StPO in entsprechender Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ausgeschlossen. In dem Antragsverfahren auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG des T K, , :, wegen Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Festnahme am 13.02.2010 hat der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch , und am 19. Oktober 2010 beschlossen: 1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers verworfen. 2. Der Gegenstandswert wird auf 3.000,-- € festgesetzt. „ 1. dass die Auflösung der spontanen Demonstration von 183 Personen am 13. Februar 2010 gegen 22.00 Uhr im Bereich der Gera-Arcaden und 2. seine mehr als 4 Stunden dauernde Festnahme in der Polizeiinspektion Zentrale Dienste in der Zoitsbergerstraße 1A rechtswidrig gewesen sind.“ Mit Beschluss vom 18.05.2010 hat das Verwaltungsgericht Gera hinsichtlich des Klageantrags zu 2. das Verfahren abgetrennt und mit weiterem Beschluss vom 28.05.2010 den Rechtsstreit insoweit an das Thüringer Oberlandesgericht verwiesen, weil es den Rechtsweg gemäß §§ 23 ff. EGGVG für gegeben erachtet. Zu diesem in das Verfahren gemäß §§ 23 ff. EGGVG verwiesenen Antrag haben das Thüringer Innenministerium am 09.07.2010 und die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft am 18.08.2010 Stellung genommen. 1. Der Beschluss des VG Gera vom 28.05.2010, mit dem es den vom Antragsteller zunächst beschrittenen Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Thüringer Oberlandesgericht verwiesen hat, bindet das Thüringer Oberlandesgericht, weshalb eine Weiterverweisung an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Gera, damit dieser in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO über den gestellten Antrag befindet, nicht in Betracht kommt. Die Bindungswirkung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Nach dieser Vorschrift ist der Beschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. § 17a GVG ist für die Rechtswegsstreitigkeit zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit unmittelbar anwendbar, weil es sich um verschiedene Gerichtsbarkeiten handelt. In der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs ist aber auch anerkannt, dass im Verhältnis zwischen freiwilliger Gerichtsbarkeit und ordentlicher streitiger Gerichtsbarkeit die §§ 17 bis 17b GVG entsprechend anwendbar sind, weil die Unterschiede der beiden Verfahrensarten es rechtfertigen, Kompetenzkonflikte zwischen ihnen wie Rechtswegstreitigkeiten zu behandeln (vgl. BGH NJW 2001, 2181 m.w.N.). Dies gilt nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs auch für Rechtswegstreitigkeiten zwischen dem Bußgeldverfahren, das weitgehend dem Strafverfahren nachgebildet ist und der streitigen Zivilgerichtsbarkeit, auch wenn beide Gerichtsbarkeiten Teile der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind (vgl. BGH, Beschluss vom 23.03.2005, Az.: 2 ARs 16/05 – 2 AR 18/05 m.w.N., bei juris). Für das Verhältnis des den Verwaltungsgerichtsverfahrens ähnlichen Antragsverfahren nach §§ 23 ff EGGVG und dem Strafverfahren kann nach Auffassung des Senats nichts anderes gelten. Weil somit auf den vorliegenden Zuständigkeitsstreit zwischen verschiedenen Sparten der ordentlichen Gerichtsbarkeit die §§ 17 bis 17b GVG anwendbar sind, erfasst die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG vorliegend auch die Zuweisung des Verfahrens gemäß §§ 23 ff. EGGVG mit der Folge, dass eine Weiterverweisung an den Ermittlungsrichter nicht mehr zulässig ist. 2. Die Festnahme des Antragstellers war schon beendet und damit erledigt, als er seinen Antrag vom 01.03.2010 am 05.03. 2010 beim Verwaltungsgericht Gera angebracht hat. Das Verfahren nach § 24 Abs. 2 EGGVG entfällt daher (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 28 EGGVG Rdnr. 7 m.w.N.). 3. Das nach § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG erforderliche berechtigte Feststellungsinteresse ergibt sich aus einer möglichen Grundrechtsverletzung (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 28 EGGVG Rdnr. 8 m.w.N.). 4. Die Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG war nicht einzuhalten, denn der Antragsteller wendet sich nicht gegen einen Bescheid. Weil er mit der Antragstellung nicht ungewöhnlich lange zugewartet hat, ist sein Antragsrecht auch nicht verwirkt. In der Sache hat der Antrag keinen Erfolg. Die Festnahme des Antragstellers am 13.02./14.02.2010 zur Feststellung seiner Identität, die Identitätsfeststellung selbst einschließlich der Fahndungsüberprüfung sowie die durchgeführten erkennungsdienstlichen Maßnahmen – der Antragsteller und sein Personalausweis sind fotografiert worden - erweisen sich als rechtmäßig. Ihre Rechtsgrundlage haben die Maßnahmen in den §§ 163b, 163c StPO. Dies gilt auch für die Festnahme, denn die Rechtmäßigkeit der Festnahme zur Identitätsfeststellung durch die Polizei bestimmt sich nicht nach § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern nach den §§ 163b, 163c StPO (Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 127 Rdnr. 7). § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmt, dass die Staatsanwaltschaften und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen, wenn jemand einer Straftat verdächtig ist. Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann, § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO. Unter diesen Voraussetzungen ist auch die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zulässig, § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO. Dabei darf eine von einer Maßnahme nach § 163b StPO betroffene Person in keinem Fall länger als zur Feststellung ihrer Identität unerlässlich festgehalten werden, § 163c Abs. 1 Satz 1 StPO, und eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität die Dauer von insgesamt 12 Stunden nicht überschreiten, § 163c Abs. 2 StPO. Die Voraussetzungen der genannten Vorschriften lagen vor. a) Nach dem Ergebnis der in dem Verfahren Az.: 119 Js 4324/10 StA Gera u.a. gegen den Antragsteller geführten Ermittlung wegen Landfriedensbruchs bewegte sich am 13.02.2010 gegen 22.00 Uhr im Bereich der Gera-Arcaden in Gera ein Aufzug, bestehend aus etwa 200 Personen, unter ihnen auch der Antragsteller, fußläufig, zum Teil im Laufschritt, durch die Geraer Innenstadt. Die Teilnehmer führten schwarze Fahnen und ein Fronttransparent mit und skandierte lautstark typische Chorrhythmen der nationalsozialistischen Szene (u.a.: „Hier marschiert der nationale Widerstand“ oder „Frei, sozial und national“). Laute Knallkörper wurden gezündet. Einige der Personen waren mit Kapuzen, Schals und Mützen vermummt. Der Einsatzleiter der Polizei, POR Q, versuchte den Aufzug durch Ansprache zum Stehen zu bringen. Bei seinem Aussteigen aus dem Dienstfahrzeug setzte der Aufzug sich jedoch kurzzeitig in Laufschritt und drängte ihn mittels einfacher körperlicher Gewalt zur Seite. Auch POR Z wurde bei demselben Versuch „überlaufen“. In einem weiteren Versuch, den Aufzug zum Anhalten zu bringen, stellte sich POR Q mit seiner Dienstuniform bekleidet vor den herannahenden Aufzug und schrie „Halt“. Wiederum beschleunigte der Aufzug, lief in fast laufschrittartigem Tempo links und rechts an ihm vorbei und einige der Personen rempelten ihn dabei – POR Q spürte mehrfach Armstöße im Bauchbereich, die jedoch nicht zu anhaltenden Schmerzen oder Verletzungen führten - an. POR Q stellte sodann fest, dass einer Skulptur des Geraer Löwen vor dem Stadtmuseum der Schweif fehlte. Dies war der Polizei bis dahin nicht bekannt geworden. Ein Einsatzfahrzeug wurde beschädigt gemeldet (Delle). Ein Polizeibeamter wurde durch Personen der vorbeiziehenden Menschenmenge am Fuß verletzt und erlitt einen Bänderabriss, in dessen Folge er nicht mehr dienstfähig war. b) Hiernach lag bei Anordnung der Maßnahmen nach den §§ 163b,c StPO der hierfür erforderliche Verdacht einer Straftat, der schon dann besteht, wenn der Schluss auf die Begehung einer Straftat, auch des Versuchs, gerechtfertigt ist und Anhaltspunkte vorliegen, die die Täterschaft oder Teilnahme des Betroffenen als möglich erscheinen lassen (Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 163b Rdnr. 4 m.w.N.) vor. Als Teilnehmer des Aufzugs war er nach dem vorbeschriebenen Maßstab aufgrund des oben beschriebenen Sachverhalts jedenfalls einer Straftat gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB verdächtig, wonach derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird, wer sich an Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer die öffentlichen Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt. Die Bedrohung muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch konkludent erfolgen; im Einzelfall kann auch ein bedrohendes Vorrücken der Menge genügen (Fischer, StGB, 55.Aufl., § 125 Rdnr.6 m.w.N.). c) Art und Umfang der getroffenen Maßnahmen sind nicht zu beanstanden. Der Festnahmeort im Geraer Stadtzentrum war für die Identitätsfeststellung von ca. 200 Personen schon wegen der zu Recht beabsichtigten und dann auch durchgeführten erkennungsdienstlichen Teilbehandlung (Foto) ungeeignet. Auch die Dauer der Maßnahme (bis ca. 03:00 Uhr) ist angesichts der Anzahl der erkennungsdienstlich zu behandelnden Personen und des Anordnungszeitpunkts (ca. 22:15 Uhr) – die vollständige Arbeitsbereitschaft der Kriminalpolizei musste erst im Alarmwege herbeigeführt werden und war gegen ca. 01:00 Uhr gegeben – nicht zu beanstanden; die nach § 163c Abs. 2 StPO höchstzulässige Dauer einer Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung (12 Stunden) ist ohnehin nicht überschritten worden. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist der Umstand, dass den Insassen eines Reisebusses für die Wartezeit nur eine Garage in der Polizeiinspektion Zentrale Dienste zur Verfügung gestellt werden konnte, darauf zurückzuführen, dass einerseits die durch die Stadt Gera bereit gestellte Turnhalle nicht nutzbar war und andererseits der Busfahrer dieses Reisebusses während der Dauer seiner Abwesenheit verfügt hatte, dass die Fahrgäste den (beheizten) Reisebus verlassen. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass sich der Antragsteller bereits als Teilnehmer der Gedenkveranstaltung am 13.02.2010 auf dem Schlesischen Platz vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt auf den Aufenthalt im Freien bei niedrigen Temperaturen einstellen musste, ist der Aufenthalt in der Garage von ca. 01.00 Uhr bis 03:00 Uhr die Festnahme des Antragstellers zur Feststellung der Identität nicht rechtswidrig. Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 1 EGGVG; die Bestimmung des Geschäftswertes hat ihre Grundlage in den §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2, 3 KostO. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. 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