Pressemitteilung
C-83/10;
Verkündet am:
28.06.2011
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Fluggäste können die Erstattung von Kosten in angemessener Höhe verlangen, die ihnen dadurch entstanden sind, dass eine Fluggesellschaft im Fall eines annullierten Fluges keine Betreuungs- und Unterstützungsleistungen erbracht hat Leitsatz des Gerichts: Nach Auffassung von Generalanwältin Sharpston können Fluggäste die Erstattung von Kosten in angemessener Höhe verlangen, die ihnen dadurch entstanden sind, dass eine Fluggesellschaft im Fall eines annullierten Fluges keine Betreuungs- und Unterstützungsleistungen erbracht hat Diese Ausgleichszahlung darf nicht auf die bei Annullierung eines Fluges zu zahlenden Ausgleichsleistungen angerechnet werden. Nach der Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste1 sollten Fluggäste eines Fluges, der annulliert wird, entweder die Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung erhalten können. Die Fluggesellschaft muss während der Wartezeit auf einen späteren Flug auch für angemessene Betreuung (z. B. Unterbringung, Mahlzeiten und Telefongespräche) sorgen. Wird ein Flug ohne Unterrichtung oder nach kurzfristiger Unterrichtung annulliert und liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, haben die Fluggäste auch Anspruch auf Ausgleichsleistungen, die je nach der Entfernung des geplanten Fluges variieren. Die Verordnung sieht auch vor, dass sie unbeschadet eines weitergehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggasts gilt und dass die nach der Verordnung gewährte Ausgleichsleistung auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden kann. Die Familien Pato Rodríguez und López Sousa sowie Herr Rodrigo Manuel Puga Lueiro hatten alle einen Flug mit Air France von Paris nach Vigo für den 25. September 2008 gebucht. Das Flugzeug flog wie geplant ab, kehrte jedoch kurze Zeit später wegen eines technischen Problems zum Flughafen Charles de Gaulle zurück. Für alle wurde am nächsten Tag eine Umbuchung auf alternative Flüge vorgenommen; in der Zwischenzeit hatte die Fluggesellschaft jedoch nur Herrn Puga Lueiro Unterstützung angeboten. Die Familie Pato Rodríguez wurde anderweitig nach Porto befördert und musste von dort ein Taxi nach Vigo nehmen, um nach Hause zu kommen. Die genannten Fluggäste haben alle Klage erhoben und machen wegen Annullierung des Fluges jeweils einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 250 Euro geltend. Zusätzlich begehrt die Familie Pato Rodríguez 170 Euro als Ersatz für die Auslagen für das Taxi und 650 Euro pro Person als Ersatz für immaterielle Schäden. Die Familie López Sousa begehrt ebenfalls 650 Euro pro Person als Ersatz für immaterielle Schäden und Erstattung der Kosten für Mahlzeiten am Flughafen und für einen zusätzlichen Tag Hundepension für ihren Hund. Herr Puga Lueiro begehrt 300 Euro als Ersatz immateriellen Schadens. Das nationale Gericht hat dem Gerichtshof Fragen vorgelegt, ob der fragliche Sachverhalt als „Annullierung” angesehen werden könne und ob sich der „weitergehende Schadensersatz”, den ein Fluggast verlangen könne, auf die von der Verordnung erfassten Arten der Ausgleichsleistung (wie Betreuungskosten) beziehe oder sich auf andere Schäden, wie immaterielle Schäden, erstrecken könne. In ihren Schlussanträgen stellt Generalanwältin Eleanor Sharpston fest, dass ein Flug im Sinne der Verordnung annulliert wird, wenn das Flugzeug selbst nach planmäßigem Abflug den planmäßigen Zielort nicht erreicht, sondern zum Ausgangsflughafen zurückkehrt. Ein Flug ist dazu bestimmt, Fluggäste und deren Gepäck von A nach B zu befördern. Fliegt das Flugzeug in A wie geplant ab, kehrt dann aber nach A zurück und wird der Flug nicht fortgesetzt, lässt sich von diesem Flug nicht behaupten, er sei durchgeführt worden. Nichts was das Wesen dieses Beförderungsvorgangs ausmacht, ist verwirklicht worden, da das Flugunternehmen niemanden und nichts irgendwohin befördert hat. Zur Frage der Ausgleichsleistungen stellt die Generalanwältin fest, dass die Bezugnahme auf „weitergehenden Schadensersatz” nicht auf die in der Verordnung vorgesehene Art des Ausgleichs beschränkt werden kann: Die Verordnung stellt keine Beschränkung für die Art des Schadens auf, den ein Fluggast geltend machen kann. Die Frage ist anhand des nationalen Rechts zu beantworten und kann daher immaterielle Schäden umfassen. Frau Sharpston ist weiter der Auffassung, dass ein Fluggast Ersatz für Kosten verlangen kann, die ihm entstanden sind, weil die Fluggesellschaft keine Betreuungs- und Unterstützungsleistungen erbracht hat. Zwar ist ein solcher Ersatz in der Verordnung nicht ausdrücklich vorgesehen, es ist jedoch klar, dass die Verpflichtung zu Betreuung und Unterstützung wirkungslos wäre, wenn sie nicht durchgesetzt werden könnte. Zudem setzt die Verpflichtung zu Betreuung und Unterstützung in keiner Weise ein entsprechendes Verlangen des Fluggasts zum maßgeblichen Zeitpunkt voraus, und ein solches Verlangen ist für den Erstattungsanspruch nicht erforderlich. Schließlich ist die Generalanwältin der Auffassung, dass die Erstattung solcher Kosten nicht als „weitergehender Schadensersatz” anzusehen ist, auf den andere nach der Verordnung gewährte Ausgleichsleistungen angerechnet werden können. Die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs für einen annullierten Flug und die Verpflichtung, Betreuung und Unterstützung zu leisten, sind konkurrierende und kumulative Verpflichtungen – die Fluggesellschaft kann sich nicht von der einen Verpflichtung befreien, indem sie sie mit der anderen verrechnet. ----------------------------------------------------- 1 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. _____________________________________ HINWEIS: Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet. HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |