Di, 6. Mai 2025, 16:53    |  Login:  User Passwort    Anmelden    Passwort vergessen
Arbeitsplattform NEWS URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE VIDEOS SITEINFO/IMPRESSUM NEWSLETTER
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Text des Urteils
1 U 89/10;
Verkündet am: 
 17.02.2011
OLG Oberlandesgericht
 

Naumburg
Vorinstanzen:
9 O 2403/08
Landgericht
Magdeburg;
Rechtskräftig: unbekannt!
Ist ein erforderliches Aufklärungsgespräch mit einem Patienten unterblieben, so trägt der Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient in die Behandlung (hier Operation) auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in jedem Fall eingewilligt hätte
Leitsatz des Gerichts:
1. Ist ein erforderliches Aufklärungsgespräch mit einem Patienten unterblieben, so trägt der Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient in die Behandlung (hier Operation) auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in jedem Fall eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung).

2. Es ist ein Verfahrensfehler, einen Entscheidungskonflikt zu verneinen ohne den Patienten zu seinen Beweggründen persönlich angehört zu haben. Eine unterlassene Anhörung ist deshalb im Berufungsverfahren nachzuholen.

3. Zwar ist es nicht auszuschließen, dass sich ein Patient aus nicht gerade vernünftigen, jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen gegen eine Behandlung entscheidet. Das Gegenteil ist aber ebenfalls möglich und in der Regel nahe liegend, nämlich, dass er sich für die vernünftige Möglichkeit entschieden und einer Behandlung zugestimmt hätte.
In dem Rechtsstreit
…

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom 03.02.2011 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das am 15.09.2010 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Die Beschwer des Klägers übersteigt 20.000 Euro.


und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 110.000,00 Euro festgesetzt.


Gründe:


A.

Der Kläger macht Arzthaftungsansprüche geltend.

Er leidet seit 1989 unter Diabetes mellitus. Im Herbst 2004 kam es bei dem Kläger zu einer allmählichen Sehverschlechterung auf dem rechten Auge, so dass ihn seine Augenärztin am 21.12.2004 an die Augenklinik der Beklagten zu 1) überwies. Bei einer Untersuchung wurde dort ein Loch in der zentralen Netzhaut des rechten Auges festgestellt und dem Kläger eine Operation mit Entfernung des Glaskörpers des rechten Auges vorgeschlagen. Der Kläger wurde daraufhin am 18.01.2005 stationär aufgenommen und unterzeichnete am selben Tage eine Einwilligung in die geplante Operation auf dem hierfür vorgesehenen Vordruck. Am 19.01.2005 wurde der Kläger von dem Beklagten zu 2) wie geplant operiert, wobei eine Gasfüllung des rechten Auges vorgenommen wurde. Wegen einer auftretenden Netzhautablösung am rechten Auge musste der Kläger am 12.04.2005 erneut operiert werden. Dabei wurde die Netzhaut wieder angelegt. Trotzdem kam es nicht zu einer Verbesserung der Sehschärfe sondern zu einer vollständigen Erblindung auf dem rechten Auge.

Der Kläger hat die Beklagten für den Sehkraftverlust verantwortlich gemacht und behauptet, die Operationen seien durch den Beklagten zu 2) fehlerhaft durchgeführt worden und auch die Nachbehandlung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Außerdem sei er über das operative Vorgehen mit den einhergehenden Risiken einer vollständigen Erblindung nicht aufgeklärt worden. Wären ihm die hohen Risiken der Operationen bewusst gewesen, hätte er dem operativen Eingriff nicht zugestimmt. Der Kläger hat deshalb mit der vorliegenden Klage die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens 50.000,00 Euro, den Ersatz eines Haushaltsführungsschadens sowie entstandener Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 48.785,46 Euro geltend gemacht und außerdem die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden verlangt.

Die Beklagten haben eine fehlerhafte Behandlung bestritten und behauptet, der Kläger sei in jeder Hinsicht über die beabsichtigte Behandlung und die Operationen und die damit einhergehenden Risiken aufgeklärt worden. Im Übrigen habe ein Entscheidungskonflikt nicht bestanden, da es in Anbetracht der bereits hochgradig eingeschränkten Sehschärfe des rechten Auges zu einer Operation keine Alternative gegeben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten, der erstinstanzlichen Anträge der Parteien und des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Mit Urteil vom 15.09.2010 hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere der Feststellungen und Ausführungen des vom Gericht beauftragten Sachverständigen seien die Operationen lege artis durchgeführt worden. Eine sinnvolle Behandlungsalternative habe aus medizinischer Sicht nicht bestanden. Den Einwand des Klägers, ein Aufklärungsgespräch habe vor der ersten Operation nicht stattgefunden und er sei über die Risiken nicht ausreichend aufgeklärt worden, hat die Kammer unter Hinweis auf den von ihm unterzeichneten Aufklärungsbogen als nicht erheblich angesehen. Darin habe er schriftlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich ausreichend aufgeklärt fühle, ausreichend Bedenkzeit gehabt habe und in die geplante Operation einwillige. Eine Nichtoperation sei keine echte Alternative gewesen. Außerdem habe sich der Kläger am 12.04.2005 einem gleichgelagerten Eingriff unterzogen, so dass jedenfalls von einer hypothetischen Einwilligung auch in die gleichgelagerte Erstoperation auszugehen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine ursprünglichen Anträge weiterverfolgt.

Er beruft sich in zweiter Instanz zwar nicht mehr auf Fehler bei der Durchführung der Operationen oder der Nachbehandlung, macht jedoch weiterhin ein Aufklärungsversäumnis geltend. Zum einen betont er, dass es sich bei der durchgeführten Erstoperation um einen derart risikoreichen Eingriff gehandelt habe, dass eine Aufklärung am Abend vor dem Eingriff nicht ausreichend gewesen sei. Außerdem bestreitet der Kläger nach wie vor unter Berufung auf seine schon in erster Instanz vorgebrachten Beweisantritte, dass ein Aufklärungsgespräch am 18.01.2005 nicht stattgefunden habe. Wäre er über die Risiken der Operation mündlich aufgeklärt worden, so trägt der Kläger weiter vor, hätte er sich gegen eine Operation entschieden. Der Kläger meint, zu diesem Entscheidungskonflikt hätte das Landgericht ihn anhören müssen. Denn es sei nicht auszuschließen, dass sich ein Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden Leidens und der Risiken, über die er vollumfänglich aufgeklärt wird, auch aus nicht gerade „vernünftigen“ jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen gegen die Behandlung entscheidet.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 48.785,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden wegen der Behandlung bei der Beklagten zu 1) in der Zeit vom 18.01.2005 bis 25.04.2005 zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,

4. die Beklagten ferner gesamtschuldnerisch zu verurteilen, den Kläger von der Honorarforderung des Rechtsanwaltes Dr. R. für dessen vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 2.475,80 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und berufen sich auf die Ausführungen des Gutachters, der weder einen Behandlungsfehler noch eine Aufklärungspflichtverletzung festgestellt habe. Die Beklagten vertiefen im Übrigen ihren Vortrag zu dem von ihnen behaupteten Aufklärungsgespräch am 18.01.2005 und sind der Ansicht, dass die bei dem Kläger durchgeführte Operation einen Eingriff darstelle, der bei Diabetikern leider häufig notwendig werde und nicht besonders schwierig sei, so dass eine frühere Aufklärung nicht erforderlich gewesen wäre. Sie verweisen im Übrigen darauf, dass aus ärztlicher Sicht zu dem durchgeführten chirurgischen Eingriff keine Alternative bestanden habe und ein ernsthafter Entscheidungskonflikt des Klägers auch nicht zu erkennen sei. Im Übrigen bestreiten die Beklagten jeglichen kausalen Zusammenhang zwischen dem Handeln der Ärzte und dem bei dem Kläger festgestellten Körperschaden. Auch eine Nichtbehandlung am rechten Auge des Klägers hätte zweifellos zu einer Erblindung geführt.

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch Vernehmung des Klägers als Partei.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.02.2011 (Bl. 181 f. d. A.) verwiesen.


B.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Ein Behandlungsfehler liegt nicht vor.

Vertragliche (§§ 611, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB) oder deliktische (§§ 831, 823, 249, 253 BGB) Ansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung im engeren Sinne bestehen nicht, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat. Beide Operationen wurden lege artis durchgeführt. Auch einen Fehler der Ärzte im Rahmen der Nachbehandlung hat der vom Landgericht beauftragte Sachverständige verneint. Dementsprechend stützt auch der Kläger seine Berufung nicht auf die in erster Instanz noch geltend gemachten Behandlungsfehler.

II. Im Ergebnis kann der Kläger seine Ansprüche auch nicht auf eine mangelhafte Aufklärung über Risiken und Alternativen des Eingriffs stützen.

1. Eine alternative Behandlungsmöglichkeit, über die der Kläger hätte aufgeklärt werden müssen, bestand nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht.

Wie der Sachverständige überzeugend erläutert hat, gab es zu der durchgeführten Operation keine Alternative. Auch der Verzicht auf die Operation sei aus medizinischer Sicht nicht als Behandlungsalternative in Frage gekommen. Denn bei dem Kläger lag, wie der Sachverständige erläutert hat, am rechten Auge ein durchgreifendes Makulaforamen - Stadium III nach Gass - vor. Schon ab Stadium II ist eine Spontanbesserung extrem selten und im weiteren Verlauf pendelt sich die Sehschärfe bei 0,1 und darunter ein.

2. Ob die Risikoaufklärung ausreichend war, kann letztlich offen bleiben.

Denn der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger sich auch bei einer – zwischen den Parteien streitigen – mündlichen Erläuterung der Risiken der Operation dem Eingriff unterzogen hätte.

a) Die Aufklärung des Klägers ist indes nicht allein deshalb fehlerhaft, weil sie erst am Tage vor der Operation stattfand.

Zwar sieht die Rechtsprechung vor, dass bei besonders schwierigen Operationen oder solchen Eingriffen mit besonders hohen Risiken die Aufklärung früher beginnen muss (vgl. z.B. BGH, NJW 1998, 2734; NJW 2003, 2012). Um einen solchen schweren Fall handelt es sich jedoch nach der Einschätzung des Senats auf Grundlage der Darstellungen des in erster Instanz beauftragten Sachverständigen nicht.

b) Entgegen der Ansicht des Landgerichts sind allerdings die Behauptungen des Klägers zu dem unterbliebenen Aufklärungsgespräch nicht unerheblich.

Denn eine schriftliche Einwilligung ohne jegliche mündliche Aufklärung oder Erläuterung reicht allein nicht aus, wenn dem Patienten ein Gespräch nicht zumindest angeboten wurde.

aa) Jeder ärztliche Eingriff bedarf der Einwilligung des Patienten.

Die Einwilligung ist nur wirksam und schließt die Rechtswidrigkeit des körperlichen Eingriffs nur aus, wenn der Patient das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite in seinen Grundzügen erkannt hat. Dies setzt eine diagnostisch abgesicherte Aufklärung durch den Arzt voraus, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen muss (st. Rspr. seit BGH, NJW 1981, 633).

Dabei muss die Aufklärung die im Großen und Ganzen bestehenden Risiken einer ord-nungsgemäßen Behandlung zum Gegenstand haben (vgl. BGH, NJW 1985, 2193).

bb) Zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Klägers waren die Ärzte verpflichtet, ihn in angemessener Form auch darüber in Kenntnis zu setzen, dass selbst bei fehlerfreier Durchführung des Eingriffs eine Verschlechterung seines Befindens nicht auszuschließen war und er auch in diesem Fall den vorhandenen Rest seiner Sehfähigkeit verlieren konnte und erblinden würde (vgl. BGH VersR 1987, 667 - 668 zitiert nach juris; BGH VersR 1981, 532 - 533 zitiert nach juris; OLG Stuttgart VersR 1998, 637 - 638 zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 05.11.2003, 3 U 102/03 zitiert nach juris; OLG Koblenz MDR 2004, 881 - 882 zitiert nach juris; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rdn. A 1060 ff; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Kapitel C Rdn. 41 ff).

Die Intensität der Aufklärung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Ein mündliches Aufklärungsgespräch ist grundsätzlich erforderlich (vgl. Palandt-Sprau, 70. Aufl. 2011, § 823 Rdn. 154 m.N.). Das gilt erst Recht, wenn der Aufklärungsbogen – wie hier – als Protokoll einer mündlichen Aufklärung vorgesehen ist, das der Patient anschließend unterschreibt.

cc) Das Landgericht hätte deshalb zunächst die Beweisaufnahme auch darauf erstrecken müssen, ob ein solches streitiges Aufklärungsgespräch, wie die Beklagte es detailliert behauptet hat, tatsächlich stattfand oder nicht.

c) Diesen Beweis hätte das Landgericht nur dann nicht erheben müssen, wenn es eine unzureichende Aufklärung unterstellt hätte und gleichwohl zu der Überzeugung gekommen wäre, dass der Kläger in die Operation auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in jedem Fall eingewilligt hätte.

Genau dies ist zwar die Argumentation des Landgerichts, es hat den Kläger hierzu aber nicht angehört.

aa) Der Arzt trägt die Beweislast für die hypothetische Einwilligung des Patienten.

Ob der Patient bei sachgerechter Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, lässt sich regelmäßig nur durch eine persönliche Anhörung klären, die nicht durch allgemeine Erwägungen ersetzt werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es grundsätzlich nicht zulässig, einen Entscheidungskonflikt zu verneinen, ohne den Patienten zu seinen Beweggründen persönlich angehört zu haben (vgl. BGH, Urteil v. 17.04.2007, VI ZR 108/06, NJW 2007, 999; BGH, NJW 1990, 2928; BGH, NJW 2005, 1364). In der hier unterbliebenen Anhörung liegt deshalb ein Verfahrensfehler gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, an dem das angefochtene Urteil leidet. Deshalb hat der Senat dies nachgeholt und den Kläger hierzu vernommen.

bb) Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass den Arzt insoweit die Behauptungs- und Beweislast trifft.

Er ist mit dem Beweis für seine Behauptung, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben würde, allerdings nur zu belasten, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er, wären ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. BGH, a.a.O.; BGH, VersR 1992, 960, 962; VersR 1994, 1302). Allein die Behauptung des Patienten, es habe ein Entscheidungskonflikt bestanden, schließt indes eine gegenteilige Feststellung nicht aus (vgl. BGH, NJW 1982, 700).

cc) Im Ergebnis der Anhörung des Klägers und unter Berücksichtigung auch der objektiven Umstände ist es dem Kläger nicht gelungen, dem Senat plausibel zu machen, dass er vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte.

Dem Kläger ist grundsätzlich zuzustimmen, wenn er meint, es sei nicht auszuschließen, dass sich ein Patient auch aus nicht gerade „vernünftigen“ jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen gegen eine Behandlung entscheidet. Das Gegenteil ist aber ebenfalls möglich und in der Regel naheliegend, dass nämlich ein Patient sich für die „vernünftige“ Möglichkeit entschieden und einer Operation zugestimmt hätte, zu der es keine Alternative gab, wie der Sachverständige im vorliegenden Fall festgestellt hat. Der Verzicht auf eine Operation stellte im Falle des Klägers keine „vernünftige“ Alternative dar, weil er ohne die Operation erst Recht erblindet wäre (s.o. B.II.1.), während er sich von der Operation eine Verbesserung der Sehkraft erhofft hatte, wie er selbst ausgesagt hat. Diese subjektive Hoffnung war auch objektiv – ex ante betrachtet – sehr wohl begründet, denn in 87 - 96 % der Fälle gelingt der Foramenverschluss. Der Kläger hat seine Behauptung, er hätte in Kenntnis der Risiken auf die Operation verzichtet, damit begründet, dass er vor der ersten Operation noch einigermaßen gut habe sehen können. Diese Begründung erscheint aber bei einer Betrachtung ex ante ebenfalls nicht plausibel, weil die noch vorhandene Sehkraft bei dem zu erwartenden Verlauf ohne Eingriff verloren gegangen wäre. Ein späterer Eingriff nach Eintritt des Sehkraftverlustes hätte noch geringere Erfolgsaussichten gehabt, wenn er überhaupt noch möglich gewesen wäre.

Entscheidend für die Überzeugungsbildung des Senates ist indes das Aussageverhalten des Klägers selbst, die Schilderung seiner damaligen Überlegungen und sein Auftreten. Er hat mit Engagement und Vehemenz seine Kernaussage formuliert und immer wieder vertreten, dass er sich gegen die Operation entschieden hätte, wenn er „gewusst hätte, dass die Operation zur Erblindung führt.“ Die Haltung des Klägers ist heute von der Erkenntnis geprägt, dass er ohne die Operation möglicherweise noch einige Zeit hätte sehen können, während der misslungene Eingriff für ihn die sofortige Erblindung des rechten Auges und Schmerzen zur Folge hatte. Auf Grund dieser negativen Erfahrung hat er es im Nachhinein bereut, der Operation zugestimmt zu haben.

Es bedurfte erst eines Hinweises an den Kläger, dass der Senat für die anzustellenden hypothetischen Überlegungen nicht - ex post - von der heute vorhandenen Kenntnis des tatsächlichen Verlaufs ausgehen dürfe, um dem Kläger zu verdeutlichen, dass allein aus dem späteren Misslingen der Operation nicht auf einen echten Entscheidungskonflikt vor der Operation geschlossen werden könne. Gleichwohl blieb der Kläger bei seiner vom tatsächlichen Verlauf geprägten Kernbehauptung, ohne jedoch Einzelheiten seiner damaligen Überlegungen oder seiner damaligen Haltung nennen zu können. Seine nachträgliche Einschätzung allein macht indes einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel.

Im Ergebnis hat der Senat den Ausführungen des Klägers entnommen, dass er sich von der Operation eine Verbesserung erhofft hatte und es damals sein vorrangiges Ziel war, möglichst lange noch sehen zu können. Angesichts des fast zwangsläufigen Sehkraftverlustes ohne Eingriff, erscheint es dem Senat nicht plausibel, wenn der Kläger heute meint, er hätte diese Chance auf dauerhafte Besserung nur deshalb nicht genutzt, weil der Chance auf Besserung ein – verhältnismäßig geringes – Risiko des Misslingens gegenüber stand.

dd) Auch wenn es mangels Plausibilität des Entscheidungskonfliktes auf diesen Beweis nicht mehr ankommt, möchte der Senat darauf hinweisen, dass er auf Grund des persönlichen Eindrucks vom Kläger nach dessen Vernehmung sogar davon überzeugt ist, dass der Kläger auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Risiken in die durchgeführte Augenoperation eingewilligt hätte.


III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, sowie 543, 544 Abs. 1 ZPO, hinsichtlich des Streitwertes aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 48 Abs. 1 und 2 GKG.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzlich Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

gez. Dr. Zettel gez. Dr. Tiemann gez. Grimm
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).