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Text des Beschlusses
1 Ws 406/10;
Verkündet am: 
 11.11.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
4 StVK 393/10
Landgericht
Meiningen;
Rechtskräftig: unbekannt!
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe darf gem. § 455 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht unterbrochen werden, wenn „überwiegende“ Gründe entgegenstehen
Leitsatz des Gerichts:
StPO §§ 455 Abs. 4, 458 Abs. 2

Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe darf gem. § 455 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht unterbrochen werden, wenn „überwiegende“ Gründe entgegenstehen. Zur Nachprüfbarkeit der auf § 455 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützten ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde im gerichtlichen Verfahren nach § 458 Abs. 2 StPO auf Ermessensfehler ist es deshalb erforderlich, dass in der Entscheidung die für die Annahme der Voraussetzungen des § 455 Abs. 4 Satz 1 StPO maßgeblichen Umstände mitgeteilt werden. Erfolgt keine Angabe über die Schwere der Erkrankung und die Erforderlichkeit und den Umfang der Behandlung, ist die Abwägung zu Satz 2 nicht nachvollziehbar.
gegen J G,
geb. am in G,
zurzeit in Strafhaft in der JVA U,
ledig, deutscher Staatsangehöriger
Verteidiger: Rechtsanwalt D,

wegen Betruges u.a.

hier: Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit (§ 455 StPO)

hat auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der des Landgerichts Meiningen vom 08.09.2010 der des Thüringer Oberlandesgerichts durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger, und Dr. Arend am 11. November 2010 beschlossen:

1. Der Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 08.09.2010 und die Verfügung der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 28.04.2010 werden aufgehoben.

2.Die Sache wird zu erneuter Entscheidung an die Staatsanwaltschaft Erfurt zurückgegeben.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.



Gründe:


I.

Durch das seit dem selben Tage rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Gotha vom 15.01.2008 (Az: 840 Js 8064/07 71 Ls) ist der Verurteilte wegen Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung, Körperverletzung in zwei Fällen, Beleidigung in zwei Fällen, Betruges in 36 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, jeweils begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Gotha vom 29.04.2009 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, da der Verurteilte durch das Landgericht Erfurt mit Entscheidung vom 17.12.2008 wegen einer am 04.05.2008 begangenen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war und er sich zudem nicht um die Ableistung der ihm im Bewährungsbeschluss auferlegten Arbeitsstunden bemüht sowie keinen Kontakt zur Bewährungshilfe gehalten hatte.

Der Verurteilte, der sich nicht zum Strafantritt stellte, wurde am 03.12.2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Strafhaft, zurzeit in der JVA U. Unter Anrechung von in diesem Verfahren verbüßter Untersuchungshaft waren zwei Drittel der Strafe am 25.09.2010 verbüßt, das Strafende ist auf den 27.05.2011 notiert.

Mit Schreiben vom 04.02.2010 regte die JVA U bei der Staatsanwaltschaft Erfurt - wegen der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Verurteilten und mangelnder Platzkapazitäten in den Haftkrankenhäusern - die Unterbrechung der Strafvollstreckung nach § 455 Abs. 4 StPO an. Hierauf teilte die Staatsanwaltschaft Erfurt mit Schreiben vom 09.02.1010 der JVA mit, dass die Vollstreckung fortzusetzen sei.

Daraufhin wandte sich der Verurteilte mit Schreiben seines Verteidigers vom 16.04.2010 an die Staatsanwaltschaft Erfurt und erklärte, den Antrag auf Unterbrechung der Vollstreckung weiter zu verfolgen.

Mit Verfügung vom 28.04.2010 hat die Staatsanwaltschaft Erfurt eine Unterbrechung der Strafvollstreckung abgelehnt.

Den gegen diese Entscheidung vom Verurteilten durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.06.2010 eingelegten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das Landgericht Meiningen mit Beschluss vom 08.09.2010 zurückgewiesen.

Gegen diesen ihm am 14.09.2010 zugestellten Beschluss hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom selben Tage, eingegangen am 15.09.02010, sofortige Beschwerde eingelegt und mit weiterem Schriftsatz vom 24.09.2010 begründet. Der Verurteilte hat mit Schreiben vom 16.09.2010, eingegangen am 20.09.2010, ebenfalls sofortige Beschwerde eingelegt.

Mit ihrer Stellungnahme vom 11.10.2010 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.


II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch zulässig, insbesondere fristgerecht nach § 311 Abs. 2 StPO eingelegt, und führt in der Sache zur Aufhebung der landgerichtlichen und der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung.


Über den Antrag des Verurteilten ist erneut zu befinden.

Nach § 455 Abs. 4 StPO kann die Strafvollstreckungsbehörde die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrechen, wenn eine der in den Ziffern 1-3 genannten Voraussetzungen gegeben ist.

Die von der Staatsanwaltschaft zu treffende Entscheidung beruht auf Ermessen; die gerichtliche Entscheidung, die auf Einwendungen nach § 458 Abs. 2 StPO zu treffen ist, beinhaltet (nur) die Überprüfung, ob die Strafvollstreckungsbehörde ermessensfehlerfrei entschieden hat (Senatsbeschluss vom 16.07.2010, Az.: 1 Ws 285/10; KK-Appl, StPO, 6. Aufl., § 456 Rdnr. 10, 455 Rdnr. 17). Die Strafvollstreckungskammer ist bei dieser Prüfung nicht befugt, ihr Ermessen an die Stelle desjenigen der Vollstreckungsbehörde zu setzen.

Die Ermessensüberprüfung setzt jedoch voraus, dass tatsächlich die Vollstreckungsbehörde eine nachprüfbare Ermessensentscheidung getroffen hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

In der Verfügung der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 28.04.2010 wird lediglich ausgeführt, dass der Verurteilte nicht in Geisteskrankheit verfallen, die so schwer ist, dass er für einen Behandlungsvollzug gemäß § 2 StVollzG nicht geeignet erscheint. Die Grundlagen für diese Entscheidung hinsichtlich der Prüfung der Voraussetzungen des § 455 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO werden jedoch nicht deutlich. So wird nichts ausgeführt über die genaue Art und Schwere der Erkrankung, die Dauer und die Art und Weise einer erforderlichen Behandlung, die Möglichkeit der Behandlung in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus sowie über die Erwartung des Fortbestands der Erkrankung für eine erhebliche Zeit.

Dieser Mangel der Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird auch nicht dadurch geheilt, dass dargelegt wird, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer Unterbrechung der Strafvollstreckung entgegenstehen. Auch wenn sich die Prüfung nach § 455 Abs. 4 Satz 2 StPO gerade auf die Fälle bezieht, in denen die Voraussetzungen des § 455 Abs. 4 Satz 1 StPO gegeben sind – ansonsten ist für eine Vollstreckungsunterbrechung ohnehin kein Raum –, erfolgt diese Abwägung nicht unabhängig von den Voraussetzungen des Satzes 1. Die Vollstreckung darf bei Vorliegen der Gründe des § 455 Abs. 4 Satz 1 StPO nämlich dann nicht unterbrochen werden, wenn überwiegende Gründe entgegenstehen. Die erforderliche Abwägung setzt damit voraus, dass die Angaben zu den maßgeblichen Umständen nach Satz 1 der Vorschrift mitgeteilt werden. Erfolgt keine Angabe über die Schwere der Erkrankung und die Erforderlichkeit und den Umfang der Behandlung, ist die Abwägung zu Satz 2 der genannten Vorschrift nicht nachvollziehbar (Senatsbeschluss vom 21.08.2003, Az.: 1 Ws 264/03).

Die Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde und der Strafvollstreckungskammer mussten daher aufgehoben werden und die Sache war an die Staatsanwaltschaft Erfurt zur Nachholung der gebotenen rechtsfehlerfreien Ermessensentscheidung zurückzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 467 StPO in entsprechender Anwendung.

Dr. Schwerdtfeger Dr. Arend
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