Text des Beschlusses
1 Ws 397/10;
Verkündet am:
11.10.2010
OLG Oberlandesgericht Jena
Vorinstanzen: 475 Js 58968/08 7 Ns Landgericht Mühlhausen; Rechtskräftig: unbekannt! Zu den Voraussetzungen des Absehens von der Erstattung der notwendigen Auslagen des Freigesprochenen nach § 467 Abs. 3 StPO bei einer Selbstanzeige Leitsatz des Gerichts: StPO § 467 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Zu den Voraussetzungen des Absehens von der Erstattung der notwendigen Auslagen des Freigesprochenen nach § 467 Abs. 3 StPO bei einer Selbstanzeige gegen S B, geb. am in , :, deutscher Staatsangehöriger Verteidiger: Rechtsanwältin A., wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hier: Entscheidung über Auslagen hat auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Auslagenentscheidung der 7. Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen im Urteil vom 24.08.2010 der des Thüringer Oberlandesgerichts durch , und am 11. Oktober 2010 beschlossen: Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen. Die Verwaltungsbehörde wurde gem. §§ 69, 69a StPO angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Mühlhausen mit Urteil vom 24.08.2010 den Angeklagten freigesprochen. Weiter entschied das Landgericht, dass die Kosten des Verfahrens einschließlich des Berufungsverfahrens der Staatskasse zur Last fallen, während der Angeklagte seine notwendigen Auslagen in der ersten und zweiten Instanz zu tragen hat. Gegen die Kostenentscheidung des am 24.08.2010 in Gegenwart des Angeklagten und seiner Verteidigerin verkündeten Urteils legte der Angeklagte über seine Verteidigerin mit Schriftsatz vom 30.08.2010, welcher an diesem Tage beim Landgericht Mühlhausen einging, sofortige Beschwerde ein und beantragte, die Kostenentscheidung des Urteils vom 24.08.2010 insoweit aufzuheben, dass auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt werden. 1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die ihn belastende Kostenentscheidung ist gem. § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch zulässig eingelegt. § 464 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz StPO steht der Anfechtbarkeit nicht entgegen. Diese Regelung erfasst nicht die Fälle, in denen gegen die Hauptentscheidung ein Rechtsmittel statthaft ist, dieses aber nur mangels Beschwer nicht ergriffen werden kann. Ebenso steht der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde die Vorschrift des § 304 Abs. 3 StPO nicht entgegen, da der Beschwerdewert vorliegend 200 € übersteigt. 2. In der Sache hat das Rechtsmittel des Angeklagten keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verpflichtung der Staatskasse zur Erstattung der notwendigen Auslagen des freigesprochenen Angeklagten nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO liegen vor. Das Gesetz enthält in § 473 StPO keine Regelung über die Tragung der Kosten und Auslagen bei einem vollen Erfolg eines unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels des Angeklagten. Diese Lücke ist durch eine entsprechende Anwendung der §§ 465, 467 StPO zu schließen. a) Die Pflicht zur Tragung seiner Auslagen ergibt sich für den Angeklagten nicht aus § 467 Abs. 3 Satz 1 StPO. Gem. § 467 Abs. 1 StPO fallen die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last, soweit dieser freigesprochen wird. Nach § 467 Abs. 3 Satz 1 StPO werden die notwendigen Auslagen des Angeklagten jedoch der Staatskasse nicht auferlegt, wenn dieser die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlasst hat, dass er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zuhaben. Die Selbstanzeige erfordert dabei keine förmliche Anzeige im Sinne des § 158 Abs. 1 StPO. Vielmehr genügt es, wenn der spätere Angeschuldigte in einem bereits laufenden Verfahren den Verdacht auf sich lenkt und so zum Beschuldigten wird. Maßgebend ist, ob der Beschuldigte durch seine Angaben die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen sich selbst bewirkt hat (vgl. SK-StPO-Degener § 467 Rdnr. 11; LR-Hilger, StPO, 26. Auflage, § 467 Rdnr. 29; HK-Temming, StPO, 4. Auflage, § 467 Rdnr. 4). Vorliegend spricht die Äußerung des Angeklagten am Tattag zunächst für das Vorliegen einer Selbstanzeige. Der durch das Landgericht Mühlhausen freigesprochene Beschwerdeführer hatte am 20.08.2008 gegenüber dem Polizeibeamten PHM H. angegeben, der Fahrer des Kleinkraftrades S. gewesen zu sein. Dass er dies geäußert hat, hat er sowohl in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 23.09.2008 als auch in den Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht Sonderhausen und dem Landgericht Mühlhausen bestätigt. Der Angeklagte geriet erst durch seine Einlassung vom 20.08.2008 in den Verdacht, ein Vergehen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG begangen zu haben. Dafür, dass diese Angabe durch eine prozessual unverwertbare Aussage zu Stande gekommen ist, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Selbstanzeige muss, um die Folgen des § 467 Abs. 3 Satz 1 StPO auszulösen, aber unwahr sein. Dies ergibt sich aus der Formulierung „vorgetäuscht hat“ in § 467 Abs. 3 Satz 1 StPO. Die Unwahrheit der selbstbelastenden Tatsachenbehauptung muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen (vgl. SK-StPO a.a.O. Rdnr. 12; LR-Hilger a.a.O. Rdnr. 30; KMR-Stöckel, StPO, § 467 Rdnr. 14). Hier wurde der Angeklagte jedoch nach dem Grundsatz in dubio pro reo, also mangels Beweises, freigesprochen. Auch hat das Landgericht Mühlhausen im Urteil vom 24.08.2010 gerade nicht feststellen können, dass der Zeuge O., den der Angeklagte sowohl in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 23.09.2008 als auch in den Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht Sonderhausen und dem Landgericht Mühlhausen als Fahrer bezeichnet hatte, tatsächlich das Kraftrad zum Tatzeitpunkt geführt hat. Von einer Vortäuschung der Täterschaft mittels einer Selbstanzeige i.S.d. § 467 Abs. 3 Satz 1 StPO ist deshalb nicht auszugehen. b) Jedoch konnte nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO – diese Regelung hat das Landgericht seiner Entscheidung ersichtlich zugrunde gelegt - von einer Auslagentragung der Staatskasse hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten abgesehen werden. Die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO schafft eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht der Staatskasse, die notwendigen Auslagen des in erster Instanz freigesprochenen Angeklagten zu tragen, u.a. für den Fall, dass dieser sich im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet und so die Erhebung der öffentlichen Klage veranlasst hat. Hier hat, wie oben dargelegt, der Beschwerdeführer am Tattag gegenüber dem Polizeibeamten PHM H. angegeben, der Fahrer des Kleinkraftrades S. gewesen zu sein und hat dieses Aussageverhalten in den Hauptverhandlungen beider Instanzen bestätigt. Diese Erklärung war für die Staatanwaltschaft für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls auch objektiv ursächlich im Sinne der „conditio sine qua non“-Formel. Die Ursächlichkeit wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Angeklagte in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 23.09.2008, also vor Beantragung des Strafbefehls durch die Staatsanwaltschaft, seine Täterschaft in Abrede stellte und nunmehr den Zeugen O. als Fahrer benannte. Offensichtlich hat die Staatsanwaltschaft diesem Widerruf keinen Glauben geschenkt, weil ihr der durch das Geständnis am Tattage begründete Tatverdacht nicht ausgeräumt erschien. Eine Fallgestaltung einer offensichtlich unrichtigen Anklageerhebung (hier i.S.d. Beantragung eines Strafbefehls), wie sie der Entscheidung des OLG Koblenz vom 16.04.1973 (VRS 45, 473) zugrunde lag, ist nicht gegeben. Die Verfahrensweise der Staatsanwaltschaft wurde im Übrigen durch die Verurteilung des Angeklagten in der ersten Instanz bestätigt. Darauf, ob die Selbstbelastung durch den Angeklagten im Ermittlungsverfahren oder die spätere Erklärung wahrheitswidrig erfolgten, kommt es im Rahmen der Bewertung nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO – anders als bei § 467 Abs. 3 Satz 1 StPO - nicht an (LR-Hilger a.a.O. Rdnr. 40; HK-Temming a.a.O. Rdnr. 7); entscheidend ist das Belasten im Widerspruch zu späteren Erklärungen. Durch sein Aussageverhalten hat der Beschwerdeführer die Anklageerhebung (hier i.S.d. Beantragung eines Strafbefehls) und die Verurteilung in der ersten Instanz jedenfalls mitveranlasst. Es liegen damit die Voraussetzungen für die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO vor. Die Ermessensentscheidung des Landgerichts lässt keinen Rechtsfehler erkennen, so dass der sofortigen Beschwerde des Angeklagten der Erfolg zu versagen war. c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |