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Text des Urteils
4 U 13/11;
Verkündet am: 
 26.07.2011
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
10 O 640/08
Landgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
Im Berufungsrechtszug hat Berufungsgericht erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachengrundlage in vollem Umfang (auch) darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt
Leitsatz des Gerichts:
§§ 513, 529, 546 ZPO

Im Berufungsrechtszug hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachengrundlage in vollem Umfang (auch) darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie (nur) für vertretbar, letztlich aber – bei Berücksichtigung aller sachrelevanten Gesichtspunkte – für nicht überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen auf einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag erkennen; insoweit kommt dem Berufungsgericht eine uneingeschränkte (volle) Prüfungskompetenz zu.
In dem Rechtsstreit
V. T.
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

gegen
Dipl.-Med. I. M.
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Richterin am Oberlandesgericht Billig, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Landgericht von Schmettau aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2011 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 01.12.2010 – Az.: 10 O 640/08 – wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2008 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen wie immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihr aus der Refraktur des rechten Oberschenkels in der Nacht zum 01.09.2011 noch entstehen werden, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Kosten des Rechtsstreits (beider Instanzen) fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Gründe:


I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer fehlerhaften Operationsnachbehandlung im Leistungs- und Feststellungsweg auf Schadensersatz in Anspruch.

Am 02.07.2006 zog sich die damals 10 Jahre alte (am 16.05.1996 geborene) Klägerin bei einem Leitersturz eine Oberschenkelschaftfraktur am rechten Bein zu. Der Bruch wurde noch am selben Tag operativ versorgt; und zwar mittels geschlossener Reposition und Anlage eines Fixateurs externe (Fixateuer externe-Osteosynthese). Am 21.07.2006 entließ das DRK-Krankenhaus Sömmerda die Klägerin in die ambulante chirurgische Nach- und Weiterbehandlung des Beklagten.

Nach der dritten Röntgenkontrollaufnahme am 29.08.2006 entfernte der Beklagte den Fixateur externe. In der Nacht zum folgenden 01.09.2006 kam es zum erneuten Bruch des rechten Oberschenkelschaftes; die Klägerin musste wieder ins Krankenhaus. Die Refraktur wurde mittels einer Plattenosteosynthese operativ versorgt.

Im Folgenden kam es zu erheblichen Komplikationen. Der Bluterguss im Wundbereich infizierte sich. Die Infektion machte am 08.09.2006 eine Wunderöffnung – also eine weitere operative Behandlung – sowie eine Bluttransfusion erforderlich. Am 15.09.2006 wurde die Klägerin auf Veranlassung ihrer Eltern in ein anderes Krankenhaus (Hufeland Klinikum Weimar) verlegt und dort bis zum 22.09.2006 weiter stationär behandelt. Bei ihrer Aufnahme wurden ein reduzierter Allgemeinzustand, blutig-seröse Drainageinhalte, eine 3 cm große, offene trockene Stelle im Steißbereich etc. festgestellt. Im Verlauf der Behandlung im Hufelandklinikum trat schließlich eine Wundheilung ein; eine weitere Operation war nicht mehr erforderlich. Insgesamt befand sich die Klägerin über vier Wochen in stationärer Behandlung. Hieran schloss sich eine sechswöchige ambulante physiotherapeutische Behandlung an.

Infolge der komplikationsbehafteten operativen Behandlung der Refraktur hat sich auf dem rechten Oberschenkel der Klägerin eine 25 cm lange und 1 bis 1,5 cm breite wulstige, stark gerötete Narbe gebildet. Das bei der Platten-osteosynthese eingebrachte Metall (Platten, Schrauben etc.) konnte im Oktober 2007 entfernt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der in erster Instanz gestellten Parteianträge wird auf den (sorgfältigen und ausführlichen) Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Im Ergebnis des eingeholten orthopädischen / unfallchirurgischen Fachgutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. L. vom 25.08.2009 und dessen mündlicher Erläuterung vom 06.10.2010 (Bd. I Bl. 164ff.) hat das Landgericht der Klage nur teilweise (Beschränkung sowohl des auf Schmerzensgeld gerichteten Leistungs-, als auch des Feststellungsantrags) stattgegeben.

Zur Begründung heißt es in dem angefochtenen Urteil im Wesentlichen, der Beklagte habe den Fixateur externe zu früh entfernt. Grund hierfür sei ein Diagnosefehler, nämlich eine fehlerhafte Interpretation der Röntgenaufnahme vom 29.08.2006 gewesen; eine vollständige knöcherne Durchbauung der Fraktur, also eine vollständige Frakturheilung gebe das Röntgenbild nicht wieder. Den hierin liegenden Diagnosefehler hat das Landgericht als einfachen Behandlungsfehler gewertet, der kausal für die Refraktur und damit den zweiten, die Klägerin physisch wie psychisch stark belastenden vierwöchigen Krankenhausaufenthalt gewesen sei. Ohne den Diagnosefehler wären der Klägerin – so das sachverständig beratene Landgericht – die Nachoperation mit der Verplattung des Oberschenkelknochens und damit (als Sekundärfolge) auch die große Narbe erspart geblieben; auch die Formveränderung der rechtsseitigen Beinmuskulatur wäre weniger stark ausgefallen. Insgesamt rechtfertigten die Belastungen der Klägerin durch den Diagnosefehler und den weiteren einfachen Behandlungsfehler der wegen der Instabilität des Beines falschen therapeutischen Sicherungsaufklärung „Teilbelastung nach Toleranz“ ein Schmerzensgeld von 10.000 €; daneben den auf die Folgen einer späteren Narbenkorrektur beschränkten Feststellungsausspruch.

Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 06.12.2010 zugestellt worden. Ihr Prozesskostenhilfeantrag für die (beabsichtigte) Berufung ist am 06.01.2011 eingegangen und mit Beschluss vom 01.02.2011 positiv beschieden worden. Der Bewilligungsbeschluss wurde am 08.02.2011 zugestellt. Drei Tage später – am 11.02.2011 – ging die Berufungsschrift nebst Berufungsbegründung und Wiedereinsetzungsantrag ein. Die Wiedereinsetzung hat der Senat mit Beschluss vom 28.02.2011 gewährt.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Teilabweisung ihrer Klage.

Sie strebt zunächst ein höheres Schmerzensgeld von – wie schon in erster Instanz beantragt – 20.000 € an. Das Landgericht habe ihr noch sehr junges Lebensalter und insbesondere auch die schweren psychischen Auswirkungen der entstellenden Narbe nicht ausreichend gewichtet und berücksichtigt. Auch die dem Behandlungsfehler geschuldete Behandlungsdauer sei nicht hinlänglich berücksichtigt worden. Die Heilbehandlung der Refraktur sei frühestens mit der Entfernung der Metallteile am 23.10.2007, d.h. nach mehr als einem Jahr beendet gewesen.

Der zweite Berufungsangriff richtet sich gegen die Beschränkung des Feststellungsausspruchs auf eine (künftige) Narbenkorrektur und hierdurch möglicherweise bedingte materielle wie immaterielle Schäden. Darüber hinausgehende andere Spätschäden habe der Sachverständige mit der Folge nicht ausgeschlossen, dass die Beschränkung nicht gerechtfertigt sei.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil des Landgerichts Erfurt abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,

an sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2008 zu zahlen,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche aus der Fraktur des rechten Oberschenkels am 01.09.2006 noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.


II.

Die – nach Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung und Begründung der Berufung – zulässige Berufung (§§ 233 ff., 511, 517, 519, 520 ZPO) ist auch in der Sache erfolgreich; beide Berufungsangriffe sind begründet.

Dass der Beklagte der Klägerin dem Grunde nach auf Schadensersatz haftet, steht – mangels Berufung des Beklagten – rechtskräftig fest.

Dem Beklagten ist vorzuwerfen, die Röntgenaufnahmen fehlerhaft interpretiert, d.h. am 29.08.2006 zu Unrecht von einem – tatsächlich noch nicht – vollständigen knöchernen Durchbau und damit einer Ausheilung der Fraktur ausgegangen zu sein. Dieser vom Landgericht im Ergebnis des Sachverständigengutachtens zutreffend als einfacher Behandlungsfehler eingestufte Diagnosefehler ist kausal für die (rund 4 Wochen) zu frühe Entfernung des Fixateurs externe und damit – als Primärschaden – für die Refraktur und – als Sekundärschaden – für die Belastungen und Spätfolgen der physisch wie psychisch mit Komplikationen behafteten Refrakturbehandlung geworden.

Steht damit ein Haftungsgrund (rechtskräftig) fest, kommt es auf den vom Landgericht (nur isoliert) festgestellten zweiten einfachen Behandlungsfehler – die ungenügende therapeutische Sicherungsaufklärung der Eltern der Klägerin – nicht an. Er ist untrennbar mit der falschen Diagnose (Fehlinterpretation der Röntgenbilder) verbunden und hat diese zur Grundlage. Beruht damit die falsche Therapieaufklärung zwingend (allein) auf der falschen Diagnose, kommt nur letztere als eigenständiger (primärer) Haftungstatbestand in Frage.

Ausgehend von diesen (vorangeschickten) Überlegungen zum Haftungsgrund gilt für die Streitgegenstände der Berufung folgendes:

Der Klägerin steht für die Refraktur (als Primärschaden s.o.) und deren Folgebelastungen (als Sekundärschaden s.o.) ein angemessenes Schmerzensgeld zu (§ 253 Abs. 2 BGB), das der Senat mit 20.000 € bemisst.

Die Frage, inwieweit das Berufungsgericht nach der Neuregelung des Rechtsmittelrechts durch das ZPO-Reformgesetz die Schmerzensgeldbemessung der Vorinstanz überprüfen kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt worden. Einerseits wurde vertreten, eine Überprüfung sei (nur) auf Rechtsfehler beschränkt. Lägen solche nicht vor, dürfe die Berufungsinstanz nicht eigenes Ermessen an die Stelle der Bestimmung durch die Vorinstanz setzen (OLG Braunschweig VersR 2004, 924; OLG Karlsruhe OLGR 2004, 398; OLG München NJW 2004, 959; OLG Hamm VersR 2006, 134 und 757). Die Gegenmeinung vertrat den Standpunkt, das Berufungsgericht dürfe und müsse ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts – allerdings im Rahmen seiner Bindung an dessen Tatsachenfeststellung nach § 529 Abs. 1 ZPO – selbst über die Höhe des im Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldes befinden (OLG Brandenburg VersR 2005, 953).

Mit Urteil vom 28.03.2006 (Az.: VI ZR 46/05, abgedruckt u.a. in NJW 2006, 1589) hat sich der Bundesgerichtshof der letztgenannten Auffassung angeschlossen; und zwar mit der – aus Sicht des erkennenden Senats zwingenden – Begründung, dass im Bereich der rechtlichen Bewertung festgestellter Tatsachen eine Bindung des Berufungsgerichts an eine lediglich mögliche, aber nicht überzeugende Wertung der Vorinstanz nicht bestünde.

Damit steht fest, dass das Berufungsgericht es nicht dabei belassen darf, zu prüfen, ob die erstinstanzliche Bemessung – was im vorliegenden Fall zu verneinen ist – Rechtsfehler enthält (z.B. nicht alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt). Die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung ist vielmehr im Berufungsrechtszug auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang (auch) darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden (BGH a.a.O.).

Im Rahmen seiner mithin uneingeschränkten (vollen) Prüfungskompetenz erachtet der Senat das in erster Instanz festgesetzte Schmerzensgeld als (deutlich) zu gering. Das Landgericht hat zwar alle in die Bemessung einzubeziehenden Faktoren (vgl. hierzu im Einzelnen S. 11f. der Urteilsgründe) gesehen; diese jedoch im Ergebnis nicht überzeugend bewertet.

Für die eigene Ermessensentscheidung des Senats, die im Ergebnis zu einer Verdoppelung des vom Landgericht ausgeurteilten Schmerzensgeldes führt, war neben den physischen und psychischen Belastungen der komplikationsbehafteten und langwierigen ärztlichen Behandlung der Refraktur das noch sehr junge (kindliche) Lebensalter der Klägerin im Behandlungszeitraum von besonderem Gewicht. Dass ein erst zehnjähriges Kind ein solch traumatisches Geschehen (nächtliche Refraktur des vermeintlich geheilten Beins bei nichtigem Anlass, anschließende langwierige und schwerwiegend komplikationsbehaftete Krankenhausbehandlung) auch und gerade wegen der Trennung von Familie, Freunden etc. sehr viel schwieriger verarbeitet als ein Erwachsener, liegt auf der Hand. Die von der Klägerin vorgetragene – sie lange Zeit quälende – Angst, das rechte Bein könne bei Belastung jedweder Art wieder brechen, ist einleuchtend und nachvollziehbar; der hiermit einhergehende Verlust an Lebensqualität (kein unbekümmerter Bewegungsdrang mehr) wiegt bei einem Kind und auch einem Jugendlichen deutlich schwerer als bei einem „gesetzten“ Erwachsenen. Zudem stellt es geradezu eine Binsenweisheit dar, dass traumatische Erlebnisse in der Kindheit lebenslange Ängste begründen können. Vor diesem Hintergrund verwundern die von der Klägerin geschilderte Angst und das Misstrauen vor Krankheit und jedweder ärztlichen Behandlung nicht.

Daneben – auch dies unter dem besonderen Aspekt der Jugend der Klägerin bewertet – ist die von ihr als entstellend empfundene Narbe von großem Gewicht. In diesem Kontext gilt es zu berücksichtigen, dass sich bei jungen Mädchen ein durch die Medien geprägter – zu denken ist etwa an Fernsehsendungen wie „germanys next topmodel“ – Wertewandel vollzogen hat, sich zunehmend (nur) über ein möglichst makelloses Äußeres zu definieren, bzw. wertzuschätzen. Dass dieser Trend, den Geltungswert eines jungen Mädchens / einer jungen Frau auf sein / ihr äußeres Erscheinungsbild zu reduzieren, zu Recht nicht nur als Wertewandel, sondern als bedenklicher Werteverlust beklagt wird, steht auf einem anderen Blatt. Als das Leben der Klägerin prägende Realität ist der (mediengeprägte) Trend bei der Schmerzensgeldbemessung zu akzeptieren und deshalb auch zu berücksichtigen; das hat nicht zuletzt der Umstand außer Frage gestellt, dass die Klägerin bei der Erwähnung der Narbe die Tränen in der Berufungsverhandlung nicht zurückhalten konnte und danach nicht mehr aufhören konnte, zu weinen. Damit wurde augenscheinlich und nachvollziehbar, dass sich die jetzt mit 15 Jahren im Teenageralter befindliche Klägerin wegen der langen und wulstigen Narbe auf ihrem (rechten) Oberschenkel sehr schämt und deshalb nicht nur das Tragen von Badebekleidung (Bikini etc.), sondern auch von Miniröcken, kurzen Hosen etc. scheut. Dass dieses Meiden der für ein junges Mädchen / jungen Frau üblichen Bekleidung als Handicap, ja sogar als Ausgrenzung empfunden wird und die physische Narbe so auch seelische Narben schlagen wird, bzw. schon geschlagen hat, liegt auf der Hand. Hieran ändert es nichts, dass es sich bei der Klägerin – wovon sich der Senat selbst überzeugen konnte – um ein ausnehmend hübsches junges Mädchen handelt.

Abzuändern war das erstinstanzliche Urteil auch im Feststellungsausspruch.

Ein – wie hier – auf eine künftige Schadensersatzpflicht bezogener Feststellungsantrag hat Erfolg, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH NJW 2001, 2167; VersR 2007, 708). Ob zur Begründetheit der Feststellungsklage – über die bloße Möglichkeit hinaus – eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu fordern ist, hat der Bundesgerichtshof bislang ausdrücklich offen gelassen (BGH a.a.O.). Da im vorliegenden Fall das Auftreten von – sich derzeit noch nicht abzeichnenden, d.h. voraussehbaren – Folgeschäden, die nicht im Zusammenhang mit einer Narbenkorrektur stehen, jedenfalls nicht auszuschließen ist, besteht kein Anlass, der Klägerin den Ersatz künftiger Schäden abzuschneiden, bzw. – wie es das Landgericht getan hat – sachlich zu beschränken.

Auch wenn der Sachverständige Prof. Dr. L. in seinem schriftlichen Gutachten v. 25.08.2009 (dort S. 18 unten) die Frage, „welche Heilmaßnahmen (Art und Dauer) werden voraussichtlich im Hinblick auf die allein fehlerbedingten Folgen in Zukunft noch erforderlich“ mit „im engeren medizinischen Sinne keine“ beantwortet hat, lässt dies eine – wenn überhaupt – zu fordernde geringe Schadenswahrscheinlichkeit nicht entfallen. Über die auch vom Sachverständigen als „zu erwägen“ bezeichnete Narbenkorrektur hinaus hat sich durch die refrakturbedingte zweite Operation das Risiko von weiteren Sekundär(spät)schäden erhöht. Das belegt nicht zuletzt die Einschätzung des Sachverständigen, „durch den zusätzlichen Eingriff – die zweite OP – ist das Risiko eines ungleichen Beinwachstums höher als bei einer primären OP“ (vgl. S. 5 des Verhandlungsprotokolls v. 06.10.2010, Bd. I Bl. 168). Eine zumindest geringe – hier jedenfalls ausreichende – Wahrscheinlichkeit von Spätschäden am Bewegungsapparat (Hüftschiefstand etc.) durch ein behandlungsfehlerbedingtes Längenwachstum lässt sich mithin ebenso wenig von der Hand weisen wie sich durch die komplikationsbehaftete Plattenosteosynthese der Refraktur auch das Arthroserisiko der Klägerin erhöht haben dürfte.

Das hiermit aufgezeigte Risiko denkbarer Spätfolgen, die nicht im Zusammenhang mit der Narbe und deren Korrektur stehen, führt zum Berufungserfolg; der Feststellungsausspruch ist wie beantragt abzuändern, d.h. uneingeschränkt zu fassen.


III.

Die Kostenentscheidung beruht wegen des nun in zweiter Instanz vollen Obsiegens der Klägerin auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Für eine Revisionszulassung fehlt es nicht nur am Antrag, sondern – worauf es entscheidend ankommt – auch an den Gründen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Der Senat hat eine durch den vorliegenden (besonderen) Sachverhalt geprägte Einzelfallentscheidung getroffen, ohne dabei von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen oder sich – in einer noch nicht höchstrichterlich geklärten Rechtsfrage – in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung und der anderer Obergerichte zu setzen.

(Friebertshäuser) (von Schmettau)zugleich für die urlaubsbedingt an der Unterschriftsleistung gehinderte RinOLG Billig
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