Mi, 30. April 2025, 06:55    |  Login:  User Passwort    Anmelden    Passwort vergessen
Arbeitsplattform NEWS URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE VIDEOS SITEINFO/IMPRESSUM NEWSLETTER
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Text des Beschlusses
1 Ws 526/11;
Verkündet am: 
 01.12.2011
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
StVK 414/11
Landgericht
E;
Rechtskräftig: unbekannt!
Die im Rahmen der gesetzlichen Führungsaufsicht erteilte Weisung, Wohnsitz im Inland zu nehmen, kann gem. § 68 Abs. 2 Satz 1 StGB rechtmäßig sein
Leitsatz des Gerichts:
GG Art. 2 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1; StGB § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3

Die im Rahmen der gesetzlichen Führungsaufsicht erteilte Weisung, Wohnsitz im Inland zu nehmen, kann gem. § 68 Abs. 2 Satz 1 StGB rechtmäßig sein.

§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ermöglicht dem Gericht nur die Anordnung, dass der Verurteilte den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle verlassen darf. Die Zuweisung eines bestimmten Wohnsitzes ist davon nicht erfasst (Anschluss an OLG München, Beschluss vom 11.2.2011, 1 Ws 118/11, juris). Dasselbe gilt für die Zuweisung eines Wohnsitzes innerhalb eines bestimmten Bereichs.
gegen
U W,

wegen
Betruges

hier: Führunsaufsicht nach Strafvollstreckung

hat auf die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der bei dem Landgericht vom 25.10.2011 der des Thüringer Oberlandesgerichts durch , und am 1. Dezember 2011 beschlossen:

1. Ziffer 4a des Beschlusses des Landgerichts E vom 25.10.2011 wird aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung – auch über die Kosten der Beschwerde – an das Landgericht E zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.



Gründe


I.

Das Landgericht E verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 28.6.2007 (570 Js 29169/05-5 Ns) wegen Betruges in neun Fällen und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren.

Der Beschwerdeführer hat diese Gesamtfreiheitsstrafe inzwischen vollständig verbüßt.

Mit Beschluss vom 25.10.2011 hat die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht E nach Einholung einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt T vom 31.8.2011 hinsichtlich des Verurteilten nach dessen vorheriger mündlicher Anhörung unter anderem entschieden, dass die Dauer der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht fünf Jahre betrage (Ziffer 2) und dass der Verurteilte angewiesen werde, für die Dauer der Führungsaufsicht einen festen Wohnsitz im Inland zu nehmen (Ziffer 4a). Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt: „Die Anordnung der Weisungen beruht auf § 68b Abs. 1 u. 2 StGB. Angesichts der weiterhin bestehenden Gefahr neuer Straftaten konnte von derartigen Weisungen nicht abgesehen werden.“

Gegen diesen ihm am 28.10.2011 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte mit am 1.11.2011 eingegangenem Schreiben, das vom 27.10.2011 datiert, „sofortige“ Beschwerde hinsichtlich der Ziffern 2 und 4a eingelegt.

Die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht E hat der Beschwerde des Verurteilten mit Beschluss vom 4.11.2011 nicht abgeholfen. Zur Begründung heißt es darin unter anderem: „Eine effektive Überwachung der Führungsaufsicht in Österreich dürfte kaum möglich sein.“

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Zuschrift vom 15.11.2011,

die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.


II.

1. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Rechtsmittel dagegen, dass die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 25.10.2011 die Dauer der Führungsaufsicht nicht abgekürzt (Ziffer 2) und ihn überdies angewiesen hat, während der Dauer der Führungsaufsicht festen Wohnsitz im Inland zu nehmen (Ziffer 4a).

Gemäß § 300 StPO ist es insoweit als einfache Beschwerde nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 StPO gegen die Anordnung der Dauer der Führungsaufsicht sowie gegen die genannte Weisung nach § 68b StGB zu werten.

Die danach statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1 StPO).

2. In der Sache hat sie teilweise einen vorläufigen Erfolg.

Gemäß §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO beschränkt sich die Überprüfung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle. Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Ermessensentscheidung findet nicht statt. Eine Anordnung ist gesetzeswidrig im Sinne des § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreitet. Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit beinhaltet darüber hinaus auch die Prüfung, ob der Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist, weil § 68b Abs. 1 Satz 2 StGB das Gericht vor dem Hintergrund der Strafbarkeit nach § 145a StGB zu einer genauen Bestimmung des verbotenen oder verlangten Verhaltens verpflichtet (vgl. Senatsbeschluss vom 8.7.2011, 1 Ws 252/11).

a) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs bleibt die Beschwerde insoweit ohne Erfolg, als sie sich gegen die Dauer der Führungsaufsicht richtet.

…

b) Hinsichtlich der Weisung, während der Dauer der Führungsaufsicht Wohnsitz im Inland zu nehmen, hat das Rechtsmittel zumindest vorläufig Erfolg.

Die Weisung ist grundsätzlich zulässig.

Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 68b Abs. 2 Satz 1 StGB. Sie kann demgegenüber nicht auf § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gestützt werden. Diese Norm ermöglicht dem Gericht nur die Anordnung, dass der Verurteilte den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle verlassen darf. Die Zuweisung eines bestimmten Wohnsitzes ist davon nicht erfasst (OLG München, Beschluss vom 11.2.2011, 1 Ws 118/11, juris; Frehsee/Ostendorf in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 2. Aufl., § 68b Rdz. 9; Hanack in LK-StGB, 11. Aufl., § 68b Rdz. 19). Dies gilt ebenso für die Zuweisung eines Wohnsitzes innerhalb eines bestimmten Bereiches.

Die Weisung ist auch nicht grundsätzlich wegen Unverhältnismäßigkeit oder Unzumutbarkeit nach § 68b Abs. 3 StGB unzulässig.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Institut der Führungsaufsicht nach § 68 StGB die Aufgabe hat, gefährliche oder gefährdete Täter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten (BVerfG E 55, 28, 29). Führungsaufsicht soll damit nicht nur Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit geben, sondern den Verurteilten auch führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisierungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen voraus, die auf den Täter, die Tat, deretwegen er verurteilt wurde, und damit zusammenhängend die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abgestimmt sind (Senatsbeschluss vom 14.12.2009, 1 Ws 416/09, juris). Um dieser kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht zu werden, kann es im Einzelfall erforderlich sein, dem Verurteilten eine Wohnsitznahme im Innland vorzuschreiben, weil dies zweifelsohne eine engmaschigere und effektivere Betreuung und Überwachung des Verurteilten ermöglicht.

Ob und inwieweit dies erforderlich ist, hat die Strafvollstreckungskammer im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Verurteilten zu bewerten.

Bei dieser Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer auch die verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte des Verurteilten zu beachten. Zwar gilt insoweit weder Art. 11 Abs. 1 noch Art. 12 Abs. 1 GG. Art. 11 Abs. 1 GG gewährleistet lediglich die Freizügigkeit und auch dies nur innerhalb des Bundesgebiets, so dass die Freiheit zur Auswanderung oder auch nur zur Ausreise von dieser Norm nicht geschützt wird (Gnatzy in Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 12. Aufl., Art. 11 Rdz. 12; Kunig in von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Art. 11 Rdz. 15; jeweils m. w. N.). Die freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 Abs. 1 GG ist selbst für den Fall nicht betroffen, dass dem Verurteilten durch die Beschränkung der Wohnsitznahmemöglichkeit auf das Inland die Möglichkeit einer Arbeitsplatzwahl im Ausland beschnitten wird, weil diese Grundrechtsnorm die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes ebenfalls nur im Bundesgebiet gewährleistet (Gubelt in: von Münch/Kunig, a. a. O., Art. 12 Rdz. 24; Mann in: Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 12 Rdz. 86; jeweils m. w. N.). Allerdings ist das Recht, Wohnsitz und Arbeitsplatz im Ausland zu wählen, von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG umfasst.

Der angefochtene Beschluss lässt eine Überprüfung der danach von der Strafvollstreckungskammer geforderten Ermessensentscheidung durch den Senat als Beschwerdegericht nicht zu. Es ist nicht einmal ersichtlich, ob und inwieweit eine Ermessensausübung überhaupt stattgefunden hat. Im Beschluss vom 25.10.2011 heißt es – zudem hinsichtlich aller erteilten Weisungen – lediglich, die Anordnung der Weisungen beruhe auf § 68b Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Von derartigen Weisungen könne angesichts der weiterhin bestehenden Gefahr neuer Straftaten nicht abgesehen werden. Selbst unter Berücksichtigung des Nichtabhilfebeschlusses vom 4.11.2011 ergibt sich eine ausreichende Begründung nicht. Hier hat die Kammer lediglich ausgeführt, eine effektive Überwachung der Führungsaufsicht in Österreich dürfte kaum möglich sein. Auch dies genügt angesichts der Grundrechtsrelevanz der Weisung den an die Begründung der Ermessensentscheidung zu stellenden Anforderungen nicht. Die Kammer hätte vielmehr wenigstens kurz darlegen müssen, dass und warum eine so engmaschige Betreuung des Verurteilten im Rahmen der Führungsaufsicht erforderlich ist, dass diese bei einer Verlagerung des Wohnsitzes des Verurteilten ins Ausland, namentlich – wie von ihm beabsichtigt – nach Österreich, nicht möglich sein soll.

Die Sache ist im Umfang der Aufhebung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen, die erneut zu prüfen haben wird, ob es die beanstandete Weisung aufrechterhält. Bejahendenfalls hat es dies zu begründen.
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).