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Pressemitteilung
C-648/11;
Verkündet am: 
 06.06.2013
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-648/11
Leitsatz des Gerichts:
Allerdings darf sich dabei kein Familienangehöriger des Minderjährigen rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

In der sogenannten Dublin-II-Verordnung1 werden Kriterien zur Bestimmung des Mitgliedstaats aufgelistet, der für die Prüfung eines in der Union gestellten Asylantrags zuständig ist; zuständig ist somit nur ein einziger Mitgliedstaat. Beantragt ein Drittstaatsangehöriger Asyl in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der nach der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird, ist nach der Verordnung ein Verfahren zur Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat vorgesehen.

Zwei Minderjährige eritreischer Staatsangehörigkeit (MA und BT) und ein Minderjähriger irakischer Staatsangehörigkeit (DA) stellten im Vereinigten Königreich Asylanträge. Kein Angehöriger ihrer Familien hielt sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat der Union auf. Die britischen Behörden stellten fest, dass die Antragsteller bereits Asylanträge in anderen Mitgliedstaaten gestellt hatten, nämlich in Italien (MA und BT) und in den Niederlanden (DA). Daher wurde entschieden, die Minderjährigen in diese Staaten zu überstellen, da diese als für die Prüfung ihrer Asylanträge zuständig betrachtet wurden.

Ist der Asylbewerber ein unbegleiteter Minderjähriger, sieht die Verordnung2 vor, dass derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt. In Ermangelung eines Familienangehörigen ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat; in der Verordnung wird jedoch nicht klargestellt, ob es sich hierbei um den ersten Antrag handelt, den der Minderjährige in einem Mitgliedstaat gestellt hat, oder den Antrag, den er zuletzt in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die britischen Behörden vor Vollzug der Überstellung von MA und DA, aber nach Vollzug der Überstellung von BT gemäß der in der Verordnung vorgesehenen „Souveränitätsklausel“ beschlossen haben, die Asylanträge selbst zu prüfen. Daher konnte BT, die bereits nach Italien überstellt worden war, wieder in das Vereinigte Königreich zurückkehren. Gemäß dieser Klausel kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, selbst wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Zu klären ist jedoch, ob das in diesen drei Fällen erreichte Ergebnis – das Resultat einer Ermessensentscheidung des Vereinigten Königreichs – gemäß dieser Verordnung zwingend ist.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass, wenn ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich in der Europäischen Union rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, der für die Prüfung zuständige Mitgliedstaat derjenige ist, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Antrag gestellt hat.

Dieses Ergebnis folgt aus dem Kontext und dem Ziel der Verordnung, mit der ein effektiver Zugang zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers gewährleistet werden soll, wobei sie unbegleiteten Minderjährigen besondere Aufmerksamkeit widmet. Da unbegleitete Minderjährige eine Kategorie besonders gefährdeter Personen bilden, ist es somit wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht länger als unbedingt nötig hinzieht, was bedeutet, dass unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind.

Diese Erwägungen werden durch das Erfordernis der Beachtung der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt; hierzu gehört, dass das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen eine vorrangige Erwägung sein muss. Im Interesse unbegleiteter Minderjähriger ist es folglich wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht unsachgemäß in die Länge zieht; ihnen ist vielmehr ein rascher Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten.

Der Gerichtshof stellt klar, dass eine solche Auslegung nicht bedeutet, dass der unbegleitete Minderjährige, dessen Asylantrag in einem ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde, anschließend einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines Asylantrags zwingen könnte. Die Mitgliedstaaten müssen nämlich nicht prüfen, ob der Antragsteller ein Flüchtling ist, wenn ein Antrag deshalb als unzulässig betrachtet wird, weil der Asylbewerber nach einer gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Entscheidung einen identischen Antrag gestellt hat.

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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50, S. 1).
2Art. 6 der vorgenannten Verordnung.
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Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).