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Pressemitteilung
C-571/10;
Verkündet am: 
 24.04.2012
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Das Unionsrecht steht einer nationalen oder regionalen Regelung entgegen, nach der langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige und Unionsbürger bei der Aufteilung von Wohngeldmitteln ungleich behandelt werden
Leitsatz des Gerichts:
Die Union erkennt das Recht auf Gleichbehandlung der Empfänger von Wohngeld an, das allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen soll
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

Herr Kamberaj ist ein albanischer Staatsangehöriger, der seit 1994 in Italien in der Autonomen Provinz Bozen wohnhaft ist. Er besitzt einen unbefristeten Aufenthaltstitel und bezog von 1998 bis 2008 ein „Wohngeld“, mit dem das Land die einkommensschwächsten Mieter bei der Zahlung ihrer Miete unterstützt. Dieser Zuschuss wird zum einen – italienischen oder nichtitalienischen – Unionsbürgern und zum anderen Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen gewährt, sofern sie seit mindestens fünf Jahren im Landesgebiet ansässig sind und dort seit mindestens drei Jahren eine Erwerbstätigkeit ausüben. Seit 2009 wird die Aufteilung der diesen beiden Empfängerkreisen zugutekommenden Haushaltsmittel unterschiedlich berechnet, je nachdem also, ob es sich um Unionsbürger oder um Drittstaatsangehörige handelt.

Das Institut für den sozialen Wohnbau (IPES) der Provinz Bozen lehnte daher den Wohngeldantrag von Herrn Kamberaj für das Jahr 2009 mit der Begründung ab, dass das für Drittstaatsangehörige bereitgestellte Budget erschöpft sei.

Herr Kamberaj erhob daraufhin Klage beim Tribunale di Bolzano mit dem Antrag, festzustellen, dass dieser Versagungsbescheid eine Diskriminierung darstelle, die gegen die Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige1 verstoße.

Aus Anlass dieses Verfahrens legte das Tribunale di Bolzano dem Gerichtshof die Frage vor, ob der fragliche Mechanismus der Aufteilung der für das Wohngeld bestimmten Mittel, der langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige ungünstiger behandele als Unionsbürger, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Anwendung unterschiedlicher Koeffizienten bei der Aufteilung der Mittel dadurch eine Benachteiligung der Gruppe der Drittstaatsangehörigen bewirkt, dass das für ihre Wohngeldanträge zur Verfügung stehende Budget geringer ist und somit schneller erschöpft sein kann als das den italienischen und nichtitalienischen Unionsbürgern zugeteilte.

Nach Auffassung des Gerichtshofs befindet sich ein Drittstaatsangehöriger, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem Mitgliedstaat2 erlangt hat, hinsichtlich des Wohngelds in einer Situation, die mit der italienischer oder nichtitalienischer Unionsbürger mit gleichem wirtschaftlichen Bedarf vergleichbar ist.

Der Gerichtshof hat sodann geprüft, welche Tragweite der Richtlinie im Hinblick auf die Gleichbehandlung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger mit den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, in dem Erstere wohnen, in den Bereichen soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz zukommt. Da der Unionsgesetzgeber die in den Mitgliedstaaten gegebenen Besonderheiten unberührt lassen wollte, richtet sich die Definition dieser Begriffe nach dem nationalen Recht, das jedoch die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen darf. Hieraus folgt, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung sowohl des mit der Richtlinie verfolgten Integrationsziels als auch der Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu beurteilen, ob ein Wohngeld unter einen dieser in der Richtlinie genannten Begriffe fällt.

Nach der Richtlinie3 können die Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung bei Sozialhilfe und Sozialschutz auf die Kernleistungen beschränken. Diese Kernleistungen – zu denen ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft, bei Elternschaft und bei Langzeitpflege zählen – müssen Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats und langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen in gleicher Weise gewährt werden, und zwar nach den im nationalen Recht festgelegten Modalitäten.

Da die Richtlinie keine erschöpfende Aufzählung der Kernleistungen vornimmt, ist nicht ausgeschlossen, dass das Wohngeld unter den Begriff dieser Kernleistungen fällt, auf die der Gleichbehandlungsgrundsatz zwingend anzuwenden ist. Jedenfalls handelt es sich dabei um Leistungen, die dazu beitragen, dass der Einzelne seine Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung und Gesundheit zu befriedigen vermag.

Zudem müssen, da der Gleichbehandlungsanspruch der Drittstaatsangehörigen in den von der Richtlinie genannten Bereichen die Grundregel ist, Ausnahmen von dieser Regel eng ausgelegt werden. Eine Behörde darf sich auf eine solche Ausnahme nur berufen, wenn die für die Durchführung der Richtlinie zuständigen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats eindeutig zum Ausdruck gebracht haben, dass sie diese Ausnahme in Anspruch nehmen wollen.

Die Bedeutung und Tragweite des Begriffs der Kernleistungen ist ferner unter Berücksichtigung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels zu ermitteln, das in der Integration der Drittstaatsangehörigen besteht, die in den Mitgliedstaaten rechtmäßig ihren langfristigen Aufenthalt genommen haben.

Darüber hinaus müssen bei der Auslegung des Begriffs der Kernleistungen auch die Grundsätze der Charta der Grundrechte4 beachtet werden, nach der die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung anerkennt und achtet, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen. Das nationale Gericht hat demgemäß zu prüfen, ob das fragliche Wohngeld eine Kernleistung darstellt, wobei es den Zweck dieses Zuschusses, seine Höhe, die Voraussetzungen für seine Gewährung und seine Stellung im italienischen Sozialhilfesystem berücksichtigen muss.

Im Licht dieser Erwägungen beantwortet der Gerichtshof die vorgelegte Frage dahin, dass das Unionsrecht einer nationalen oder regionalen Regelung entgegensteht, die Drittstaatsangehörige bei der Aufteilung der für das Wohngeld bestimmten Mittel anders behandelt als Angehörige des Mitgliedstaats, in dem Erstere wohnen, sofern das Wohngeld, was durch das nationale Gericht zu prüfen ist, in einen der Bereiche fällt, die von dem in der Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige vorgesehenen Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst werden, und es eine Kernleistung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1 Richtlinie 2003/109/EG vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44).
2Die notwendigen Voraussetzungen hierfür sind ein fünfjähriger ununterbrochener rechtmäßiger Aufenthalt, ausreichende Einkünfte und das Bestehen einer Krankenversicherung.
3Vgl. Art. 11 Abs. 4.
4 Vgl. Art. 34 der Charta der Grundrechte.
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