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Pressemitteilung
C-367/12;
Verkündet am: 
 13.02.2014
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Die in Österreich bei der Neuerrichtung von Apotheken angewandten demografischen Kriterien sind nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar
Leitsatz des Gerichts:
Diese Kriterien verstoßen gegen das Kohärenzgebot, weil sie keine Ausnahmen zur Berücksichtigung örtlicher Besonderheiten zulassen
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

In Österreich ist für die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke eine Konzession erforderlich, die nur erteilt wird, wenn ein „Bedarf“ besteht. An einem Bedarf fehlt es, wenn die Neuerrichtung bewirkt, dass die Zahl der Kunden einer bestehenden öffentlichen Apotheke unter eine bestimmte Grenze sinkt. Konkret besteht ein Bedarf dann nicht, wenn die Zahl der von der bestehenden Apotheke „weiterhin zu versorgenden Personen“ (d. h. die Zahl der ständigen Einwohner in einem Umkreis von 4 Straßenkilometern) unter 5 500 sinkt. Erreicht die Einwohnerzahl diese Grenze nicht, sind allerdings die aufgrund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs im Versorgungsgebiet der bestehenden Apotheke zu versorgenden Personen zu berücksichtigen.

In Österreich ist für die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke eine Konzession erforderlich, die nur erteilt wird, wenn ein „Bedarf“ besteht. An einem Bedarf fehlt es, wenn die Neuerrichtung bewirkt, dass die Zahl der Kunden einer bestehenden öffentlichen Apotheke unter eine bestimmte Grenze sinkt. Konkret besteht ein Bedarf dann nicht, wenn die Zahl der von der bestehenden Apotheke „weiterhin zu versorgenden Personen“ (d. h. die Zahl der ständigen Einwohner in einem Umkreis von 4 Straßenkilometern) unter 5 500 sinkt. Erreicht die Einwohnerzahl diese Grenze nicht, sind allerdings die aufgrund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs im Versorgungsgebiet der bestehenden Apotheke zu versorgenden Personen zu berücksichtigen.

Mit seinem Urteil vom heutigen Tag antwortet der Gerichtshof, dass die Niederlassungsfreiheit ‒ insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels ‒ einer Regelung entgegensteht, die es den zuständigen Behörden nicht erlaubt, örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen und damit von der starren Zahl der „weiterhin zu versorgenden Personen“ abzuweichen.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die fragliche Regelung, obwohl der Rechtsstreit keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, unter die Niederlassungsfreiheit fallen kann, weil nicht ausgeschlossen ist, dass sie auch auf Angehörige der anderen Mitgliedstaaten Anwendung findet, die sich in Österreich niederlassen wollen, um dort eine Apotheke zu betreiben. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass das nationale Recht vorschreibt, dass einem Inländer die gleichen Rechte zustehen wie die, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden.

Zur Tragweite der in Art. 16 der Charta verankerten unternehmerischen Freiheit führt der Gerichtshof aus, dass diese Bestimmung u. a. auf das Unionsrecht und damit die Niederlassungsfreiheit verweist. Er schließt daraus, dass die fragliche Regelung allein an dieser Freiheit zu messen ist.

Der Gerichtshof weist sodann darauf hin, dass die Niederlassungsfreiheit es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt, ein System der vorherigen Genehmigung für die Niederlassung neuer Leistungserbringer (wie Apotheken) vorzusehen, wenn sich ein solches System als unerlässlich erweist, um eventuelle Lücken im Zugang zu Leistungen des Gesundheitswesens zu schließen und um die Einrichtung von Strukturen einer Doppelversorgung zu vermeiden, so dass eine Gesundheitsversorgung gewährleistet ist, die den Bedürfnissen der Bevölkerung angepasst ist, das gesamte Hoheitsgebiet abdeckt und geografisch isolierte oder in sonstiger Weise benachteiligte Regionen berücksichtigt1.

Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass bei der Anwendung des Kriteriums der Zahl der „weiterhin zu versorgenden Personen“ die Gefahr besteht, dass in Österreich für bestimmte Personen (insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität), die in ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken wohnen, kein gleicher und angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt ist. Die österreichische Regelung verstößt dadurch, dass sie es den zuständigen nationalen Behörden nicht erlaubt, von dieser starren Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen, gegen das unionsrechtliche Gebot, dass das angestrebte Ziel in kohärenter Weise zu verfolgen ist.

Dagegen genügt die fragliche Regelung nach Auffassung des Gerichtshofs dem unionsrechtlichen Erfordernis, dass ein Genehmigungssystem, das Ausnahmen von der Niederlassungsfreiheit vorsieht, auf objektiven, im Voraus bekannten und nicht diskriminierenden Kriterien beruht, so dass der Ausübung des Ermessens der zuständigen nationalen Behörden hinreichende Grenzen gesetzt sind.

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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez (C-570/07 und C-571/07).Vgl. auch Pressemitteilung Nr. 49/10.
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Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).